Gianni Vattimo

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Gianni Vattimo, 2011

Gianni Vattimo (* 4. Januar 1936 in Turin; † 19. September 2023 in Rivoli) war ein italienischer Philosoph, Autor und Politiker. International bekannt wurde er in den 1980er Jahren als Mitbegründer des schwachen Denkens.

Biografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vattimo studierte von 1954 bis 1959 in Turin Literaturwissenschaft und Philosophie bei Luigi Pareyson, dessen Lehrstuhl er später übernahm. Er promovierte 1961 über Aristoteles (Il concetto di fare in Aristotele), 1963 folgte die Habilitation mit dem Thema Essere, storia e linguaggio in Heidegger. Nach einem Forschungsstipendium in Heidelberg, wo er bei Karl Löwith und Hans-Georg Gadamer studierte, wurde er 1964 Professor für Ästhetik an der Universität Turin. 1982 übernahm er den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie. In den 1970er und 80er Jahren war er auch Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in den USA.

Gianni Vattimo setzte sich für die Rechte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein. Er war homosexuell und bezeichnete sich selbst als Katholiken, glaubte einem Interview zufolge jedoch nicht an Gott.[1]

1992 erhielt Vattimo gemeinsam mit Wolfgang Welsch den Max-Planck-Forschungspreis. Im Jahr 2000 war er Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche.[2] 2002 wurde er mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet.

Im Herbst 2010 war er Gastprofessor an der ETH Zürich und hielt mehrere Vorträge zum Thema Ideologie italiane 1950–2000.[3] Er verstarb am 19. September 2023 im Alter von 87 Jahren in Rivoli.[4]

EU-Parlamentarier[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gianni Vattimo, 1999

Von 1999 bis 2004 war er für die Democratici di Sinistra (Linksdemokraten) Abgeordneter im Europaparlament. Dort saß er in der sozialdemokratischen Fraktion, war bis 2002 Mitglied im Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, dann im Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport.

Bei der Europawahl 2009 kandidierte Vattimo im Wahlkreis Nordwest-Italien als Parteiloser auf Antonio Di Pietros Liste Italia dei Valori und erreichte mit 14.951 Vorzugsstimmen den vierten Platz. Da zwei der drei vor ihm liegenden Kandidaten auch in anderen Wahlkreisen gewählt wurden und diese Mandate annahmen, zog Vattimo erneut ins Europaparlament ein. In der Legislaturperiode 2014 saß Vattimo in der liberalen ALDE-Fraktion. Er war stellvertretender Vorsitzender der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika (EUROLAT). Zudem war er Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung und Delegierter für die Beziehungen zu den Ländern Mittelamerikas.[5]

Denken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In seinen zahlreichen Werken (ein Werkverzeichnis aus dem Jahr 2000 nennt über 100 Bücher, die er allein oder mit anderen verfasst hat) beschäftigte er sich mit hermeneutischer Ontologie und Nihilismus und sprach in diesem Zusammenhang vom pensiero debole (Das schwache Denken). Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit war die Beschäftigung mit der Philosophie Friedrich Nietzsches und Martin Heideggers. Sein Denken baute schlicht auf einer anti-metaphysischen – einer „schwachen“ – Lesart dieser beiden so umstrittenen Philosophen auf. Vattimo entwickelte im Anschluss an Heidegger einen nicht-mehr-metaphysischen, d. h. einen „schwachen“ Begriff des Seins.

Er übersetzte auch mehrere Werke Heideggers ins Italienische, vor allem aber Hans-Georg Gadamers Wahrheit und Methode.

Vattimo setzte sich ferner mit dem Poststrukturalismus und Jacques Derridas Dekonstruktion auseinander und war somit der philosophischen Postmoderne zuzuordnen.

Zuletzt hat er sich vermehrt dem Denken Karl Marx’ zugewandt: „Während sich Pier Aldo Rovatti vom Marxismus entfernt hat, habe ich mich ihm immer stärker angenähert.“[6]

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deutsche Übersetzungen:

Werkausgabe:

  • Opere complete. Meltemi Editore, Roma 2007 ff.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gianni Carchia, Maurizio Ferraris (Hrsg.): Interpretazione ed emancipazione: studi in onore di Gianni Vattimo. Dipartimento di ermeneutica, Torino; R. Cortina editore, Milano 1996, ISBN 88-7078-376-6 (italienisch).
  • Ludwig Nagl (Hrsg.): Essays zu Jacques Derrida and Gianni Vattimo, „Religion“. Peter Lang, Frankfurt a. M. 2001, ISBN 3-631-37108-X.
  • Martin G. Weiss: Gianni Vattimo. Einführung. Mit einem Interview mit Gianni Vattimo. 3. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2012, ISBN 3-85165-738-1.
  • Weakening Philosophy. Essays in Honour of Gianni Vattimo. Edited by Santiago Zabala. McGill-Queen’s University Press, Montreal 2007 (englisch).
  • Thorsten Gubatz: Heidegger, Gadamer und die Turiner Schule. Die Verwindung der Metaphysik im Spannungsfeld zwischen Glaube und Philosophie. Ergon, Würzburg 2009, ISBN 978-3-89913-711-8, Teil 3: Luigi Pareyson und Gianni Vattimo, S. 229–390.
  • Mario Kopić: Gianni Vattimo Čitanka. Antibarbarus, Zagreb 2009, ISBN 978-953-249-061-9 (kroatisch; ein Lesebuch).
  • Johannes Krämmer: Gianni Vattimo: Das Ende der Metaphysik und die schwache Ontologie. Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, Saarbrücken 2010, ISBN 978-3-8381-1667-9.
  • Between Nihilism and Politics. The Hermeneutics of Gianni Vattimo. Edited by Silvia Benso and Brian Schroeder. Suny, New York 2010, ISBN 978-1-4384-3285-4 (englisch).
  • Tommaso Franci: Vattimo o del nichilismo. Armando, Roma 2011, OCLC 760116714 (italienisch).
  • Thomas Eggensperger: Sich Reiben an der Religion. Zu Gianni Vattimos Blick auf Christentum und Kirche. In: Zibaldone. 51 (Frühjahr 2011), ISBN 978-3-86057-854-4, S. 127–132.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Gianni Vattimo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. @1@2Vorlage:Toter Link/ondemand-mp3.dradio.deInterview (MP3) (Seite dauerhaft nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2024. Suche in Webarchiven) In: Deutschlandradio. 20. August 2006.
  2. Distinguished Fellows im Überblick. In: klassik-stiftung.de. Klassik Stiftung Weimar, abgerufen am 7. März 2024.
  3. Gastprofessur für italienische Literatur- und Kulturwissenschaft (Cattedra De Sanctis). Ermanno Cavazzoni an der Cattedra De Sanctis (HS 2013). (Memento vom 16. Dezember 2013 im Internet Archive) Ab 17. September bis 31. Oktober 2013. In: eth.ch, ETH Zürich.
  4. È morto a 87 anni Gianni Vattimo: addio al filosofo del «pensiero debole». In: open.online. 19. September 2023, abgerufen am 19. September 2023 (italienisch).
  5. Gianni VATTIMO. (Memento vom 11. April 2016 im Internet Archive) In: europa.eu, Europäisches Parlament.
  6. Una lettera di Gianni Vattimo. In: René Scheu: Il soggetto debole sul pensiero di Pier Aldo Rovatti. Mimesis Edizioni, Milano 2010, ISBN 978-88-8483-964-0, S. 293.