Räumliches Riechen

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Der Unterschied zwischen Klinotaxis (links) und Tropotaxis (rechts) im Fall einer positiven Taxis. Bei der Klinotaxis wird durch nacheinander erfolgende vergleichende Messungen an verschiedenen Orten die grobe Richtung beibehalten. Dies ist bei dem linken symbolisierten Organismus, der nur ein Sensororgan hat und dieses in unterschiedliche Richtungen bewegt, dargestellt. Im Gegensatz dazu hat der Organismus auf der rechten Seite ein paariges Sinnesorgan. Er versucht bei seiner Bewegung das Erregungsgleichgewicht beider Sensoren herzustellen, was ihn auf einem kürzeren und schnelleren Weg zur Nahrungsquelle bringt. Der Körper richtet sich dabei entlang der Achse, aus der der Reiz kommt aus. Dies führt zur Beibehaltung des Reizgleichgewichts und zur Orientierung zur Reizquelle. Der Geruchsgradient der Nahrungsquelle ist in dieser Skizze durch die Farbintensität symbolisiert.[1]

Unter dem Begriff räumliches Riechen, auch Stereoriechen genannt, versteht man die Richtungserkennung einer Duftstoffquelle durch einen Organismus. Prinzipiell ist die Lokalisierung einer Geruchsquelle auf zwei unterschiedliche Arten möglich: Auf klinotaktischem Weg, das heißt durch den Vergleich von zeitlich versetzten Informationen von einem Rezeptor/Sinnesorgan oder tropotaktisch, was einer symmetrischen Ausrichtung auf den Reiz entspricht, wozu zwei räumlich getrennte Sinnesorgane notwendig sind. In letzterem Fall spricht man von einem räumlichen Riechen. Obwohl beispielsweise alle Insekten und nahezu alle Säugetiere, einschließlich des Menschen, die physiologischen Voraussetzungen von zwei räumlich getrennten Geruchsorganen erfüllen, ist nur bei einer verschwindend kleinen Anzahl von Tierarten diese Fähigkeit bisher eindeutig experimentell nachgewiesen. Einzeller sind aus physikalischen Gründen nicht zum räumlichen „Riechen“ befähigt.

Die Nüstern eines Pferdes
Schwarzdelfine gehören zu den Zahnwalen und haben nur ein „Nasenloch“.

Alle Tiere, von einzelligen Prokaryoten bis zum Menschen, orientieren sich über chemische Reize aus ihrer Umwelt. Der neuronale Vergleich bilateral, das heißt zweiseitig, empfangener Signale ist die Basis für die Fähigkeit der visuellen Raumwahrnehmung, dem räumlichen Sehen und der Lokalisierung von Geräuschen im Raum, dem räumlichen Hören bei Organismen.[2] Ermöglicht wird dies durch zwei Augen beziehungsweise zwei Ohren. Diese Konstellation ist für das Riechen bei den meisten Wirbeltieren (Vertebrata) und sehr vielen Wirbellosen (Invertebrata) ebenfalls gegeben, da fast alle dieser Organismen auch über zwei „Sensoren“, beispielsweise Nasenlöcher (Nares) oder Antennen, verfügen, die dem Geruchssinn dienen. So haben alle Unterstämme der Gliederfüßer – mit Ausnahme der Kieferklauenträger (Chelicerata) – die biologischen Voraussetzungen für ein räumliches Riechen; alle Tracheentieren (Tracheata), auch Antennata (‚Antennenträger‘) genannt, und Krebstieren (Crustacea). Mit Ausnahme der Zahnwale haben alle Säugetiere zwei Nasenlöcher. Bei Zahnwalen hat sich im Laufe der Evolution aus zwei Nasenlöchern ein ‚Nasenloch‘, das Blasloch, gebildet, während alle Bartenwale zwei ‚Nasenlöcher‘ besitzen.

Während Beitrag und Funktion von Augen und Ohren bei der räumlichen Wahrnehmung eindeutig sind, ist dies im Fall von zwei Geruchssensoren, beziehungsweise zwei getrennten Riechkanälen, die prinzipiell ein räumliches Riechen ermöglichen, bei vielen Tierarten noch völlig unklar.[2] Die Fähigkeit des räumlichen Riechens wurde bisher erst bei nur sehr wenigen Spezies, wie beispielsweise der Wüstenameise Cataglyphis fortis, dem Ostamerikanischen Maulwurf (Scalopus aquaticus) und bei Farbratten (Rattus norvegicus forma domestica) eindeutig nachgewiesen.

Prinzipien des räumlichen Riechens

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Die Information ‚Geruch‘ beziehungsweise ‚da riecht etwas‘ ist für den riechenden Organismus im Kampf ums Dasein nahezu wertlos. Ohne Lokalisation der Geruchsquelle kann er beispielsweise seine Nahrung oder seinen Sexualpartner nicht finden oder seinem Fressfeind (Prädator) nicht entkommen, wenn nicht andere Sinnesorgane diese Aufgabe adäquat erfüllen.

Die Lokalisation einer Geruchsquelle durch einen Organismus ist prinzipiell auf zwei Arten möglich. Durch serielle oder parallele Detektion des Duftstoffes. Bei der seriellen Detektion (engl. serial sampling[3] = ‚aufeinanderfolgende Probennahme‘) wird das Geruchsorgan, beispielsweise die Nase, an verschiedene Orte bewegt und der Geruchsunterschied zwischen den beiden Orten verglichen. Die Position, bei der der stärkere Geruchseindruck erhalten wurde, ist offensichtlich näher an der Geruchsquelle. Die Achse, die sich geometrisch aus den beiden Schnüffelpunkten im Raum ergibt, zeigt zumindest grob in die Richtung der Geruchsquelle. Durch weiteres serielles Riechen in Richtung dieser Achse kann die Geruchsquelle näher lokalisiert und gegebenenfalls durch andere Sinne (Sehen, Fühlen) eindeutig lokalisiert werden. Das serielle Riechen ist eine Form der Klinotaxis, das heißt der Orientierung durch den Vergleich von zeitlich versetzten Informationen von einem Rezeptor/Sinnesorgan.[4] Bei der parallelen Detektion (engl. bilateral nasal cues[3] = ‚beidseitige nasale Reize‘) erfolgt die Lokalisierung des Duftstoffes zeitgleich über zwei räumlich getrennte Riechkanäle oder Sensoren. Bei fast allen Säugetieren sind dies die beiden Nasenlöcher. Der Intensitätsunterschied, der über die getrennten Kanäle direkt festgestellt werden kann, entspricht einem Geruchsgradienten, über den wiederum die Richtung geortet werden kann. Dem seriellen Riechen entspricht beim Hören, im Fall einer einseitigen Taubheit, das Drehen des Kopfes um die Schallquelle zu orten. Das parallele Schnüffeln entspricht dann dem räumlichen Hören mit zwei Ohren, bei dem die Laufzeitdifferenz zwischen den beiden Ohren einen wesentlichen Anteil an der Richtungslokalisation der Schallquelle hat. Das parallele Riechen ist wiederum eine Form der Tropotaxis, der symmetrischen Ausrichtung auf den Reiz, zu der zwei räumlich getrennte Sinnesorgane notwendig sind.[1][4]

Die parallele Detektion hat gegenüber der seriellen einige Vorteile. Der direkte Vergleich ist zeitlich wesentlich schneller, bei Säugetieren quasi in einem Atemzug, zu bewerkstelligen. Zudem ist er – ähnlich wie bei einem Differenzverstärker in der Elektronik – deutlich sensitiver. Beim seriellen Vorgang besteht zudem die Gefahr, dass Teile der Rezeptoren beim zweiten Riechen noch durch das erste Riechen blockiert sind.

Die Fährtensuche (engl. scent-tracking), beispielsweise durch einen Fährten- oder Schweißhund, kann prinzipiell klinotaktisch, als auch tropotaktisch erfolgen. Experimentell konnte gezeigt werden, dass die tropotaktische gegenüber der klinotaktischen Fährtensuche erhebliche Zeitvorteile mit sich bringt.[5]

Einzeller und Spermien

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Ein Spermium, das die Eizelle über Chemotaxis gefunden hat.

Als Chemotaxis bezeichnet man die Beeinflussung der Fortbewegungsrichtung von Organismen durch einen Stoffkonzentrationsgradienten. Bei Einzellern ist die Chemotaxis die einfachste Form einer Geruchs- bzw. Geschmacksortung und eine der grundlegendsten physiologischen Zellreaktionen. Für das Überleben von Einzellern und für eine Vielzahl von physiologischen Prozessen ist sie von großer Wichtigkeit. Sie dient beispielsweise der Lokalisierung von vorteilhaften, aber auch von schädlichen Substanzen. Vorteilhaft sind beispielsweise Nährstoffe, während Giftstoffe zu den schädlichen Substanzen zählen. Humane Spermien beispielsweise folgen dem Lockstoff Progesteron, den die Eizelle abgibt.[6] Darüber hinaus exprimieren Spermien über 30 verschiedene Riechrezeptorgene.[7] Eines davon ist das olfaktorische Gen OR1D2, das auch in der Riechschleimhaut exprimiert wird. Mutationen in OR1D2 wirken sich möglicherweise nicht nur auf die Fähigkeit der Geruchswahrnehmung des Duftstoffes Bourgeonal, sondern auch auf die Fruchtbarkeit des betroffenen Mannes aus.[8] Bourgeonal hat einen Maiglöckchen-artigen Geruch. Die Geruchsschwelle liegt bei Männern deutlich niedriger als bei Frauen. Es ist der einzige bisher bekannte Duftstoff, bei dem es einen geschlechtsspezifischen Unterschied in der Geruchsschwelle gibt.[9] Die Funktion der Riechrezeptoren der Spermien beim Befruchtungsvorgang wird kontrovers diskutiert.[10] Unabhängig davon, was die Chemotaxis bewirkt und wie der Lock- oder Schreckstoff wahrgenommen wird, auf der Ebene eines Einzellers erfolgt die Lokalisierung immer durch einen seriellen Prozess. In unmittelbarer Umgebung einer Zelle ist, bedingt durch deren geringe Größe (typischerweise im Bereich von 1 bis 10 µm) und die brownsche Bewegung, kein Konzentrationsgefälle vorhanden; die Konzentration ist isotrop. Einem ortsfesten Einzeller ist es somit nicht möglich, an zwei voneinander entfernten Stellen seiner Oberfläche mittels Rezeptoren die Richtung eines Lock- oder Schreckstoffes zu erkennen. Frei schwimmende, begeißelte Bakterien, wie beispielsweise Salmonella Typhimurium, lösen dieses Problem dadurch, dass sie zunächst eine Strecke in einer zufällig festgelegten Richtung schwimmen. Nimmt die mittels Rezeptoren detektierte Konzentration des Lockstoffes zu, so schwimmen sie weiter in diese Richtung. Nimmt sie ab, so wird die Richtung gewechselt. Bei Schreckstoffen verhalten sie sich entsprechend umgekehrt.[11][12]

Die Antennen einer Büschelmücke (Chaoboridae)

Bei Insekten bilden die Fühler (Antennen) die olfaktorischen Organe. Beispiele hierfür sind Bienen und Motten. Mit diesen paarigen Antennen ist über die darauf befindlichen Geruchssensillen bei einigen Insektenarten eine simultane Geruchswahrnehmung möglich. Über den Geruchs- und Zeitgradienten kann die Lokalisierung des Geruchsortes erfolgen. So kann beispielsweise der Standort einer Blüte oder der eines potenziellen Sexualpartners, der Sexuallockstoffe (Pheromone) ausschüttet, ermittelt werden. Bei dem Verlust einer Antenne bewegen sich diese Insekten im Kreis, immer in Richtung der noch verbliebenen Antenne.[13] Der Schweizer Auguste Forel (1848–1931) hatte 1910[14] als erster ein räumliches Riechen bei Ameisen postuliert.[15][16] Bei Wüstenameisen der Art Cataglyphis fortis konnte diese Fähigkeit erstmals genau 100 Jahre später nachgewiesen werden. Diese Ameisen riechen ihre Umgebung räumlich, wozu sie beide Antennen benötigen. Darüber hinaus nutzen sie die Verteilung verschiedener Düfte in der Nestumgebung, ähnlich einer Landkarte, zur Navigation. Mit zwei Experimenten wurde der Nachweis dieser Fähigkeiten bei Cataglyphis fortis erbracht. Der Nesteingang wurde mit den vier Duftstoffen Salicylsäuremethylester, Decanal, Nonanal und Indol in einem bestimmten Muster markiert und die Ameisen darauf trainiert. Wurde dieses Geruchsmuster lokal verschoben, so folgten die Tiere diesem, in der Annahme, dass dort ihr Nest sei. Wurde indes das Duftmuster verändert, verloren die Ameisen ihre Orientierung. Die aus diesen Ergebnissen abgeleitete These, dass für diese Fähigkeit, ähnlich wie beim Sehen, zwei getrennte Wahrnehumgsorgane – hier Antennen – notwendig sind, wurde im zweiten Experiment bestätigt. Ameisen mit nur einer Antenne konnten sich nicht mehr orientieren.[16][17][18]

Eine Karibik-Languste mit ihren Antennen
Darstellung der Antennae (zweiten Antennen) und der Antennulae (erste Antennen), rechts im Bild, bei Krebstieren.

Die Karibik-Languste (Panulirus argus) hat am zweiten und dritten Tagma ihres Kopfes – wie alle Krebstiere – je ein Paar Antennen. Dabei werden die kleineren Antennen am zweiten Tagma Antennulae (‚erste Antennen‘) genannt. An diesen Antennulae sitzen aufgereiht die Ästhetasken (Riechschläuche, cuticularen Sensillen). Sie enthalten die olfaktorischen Sinneszellen, die der Wahrnehmung von wasserlöslichen Duftstoffen dienen.[19] Als Bewohner des Meeresbodens ist die Karibik-Languste, wie alle Zehnfußkrebse, auf die Detektion und Lokalisierung von Duftstoffen in ihrem Lebensraum angewiesen. Diese chemischen Signale steuern eine Vielzahl von Verhaltensweisen, beispielsweise Interaktionen mit Artgenossen,[20][21] das Entkommen von Fressfeinden,[22] die Versteckauswahl,[22][23][24] das Putzverhalten[25][26][27] und die Nahrungswahrnehmung und -ortung.[28][29] Beim Amerikanischen Rostkrebs (Orconectes rusticus) konnte gezeigt werden, dass er beide Antennulae zur Orientierung benötigt. Es macht keinen Unterschied, ob nur eine oder beide Antennulae entfernt wurden – die Orientierung ist in beiden Fällen gleich schlecht.[30]

Jede Ästhetaske ist bei der Karibik-Languste durch die Dendriten von etwa 300 Geruchsrezeptorneuronen innerviert,[31][32] über deren Axone die Signale zu den Glomeruli olfactorii der Riechlappen geleitet werden.[33] Lange Zeit ging man deshalb davon aus, dass die Ästhetasken die wichtigsten Sensoren für Erkennung, Unterscheidung und Ortung von Duftstoffen wären. Eine Reihe von Studien zeigt auch, dass durch eine Entfernung der Antennulae Einflüsse auf das Duftstoff-bezogene Verhalten der Karibik-Languste hat.[27] Die Languste nutzt zur Duftstofflokalisierung sowohl tropotaktische als auch klinotaktische Vergleiche von Geruchsintensitäten.[34] Neuere Studien an der Karibik-Languste konnten nachweisen, dass die Ästhetasken nicht die einzigen Sensoren auf den beiden Antennulae sind, mit denen diese Tiere ihre Nahrung lokalisieren.[35][36]

Eine Wistar-Ratte erhält in jeweils etwa 0,125 Sekunden ein Geruchsbild ihrer Umgebung. Die Quelle eines Duftstoffes wird dabei tropotaktisch lokalisiert.

Der Abstand der Nasenlöcher beträgt bei Wanderratten etwa 3 mm.[37] Bei einer 1999 durchgeführten Analyse der Strömungsverhältnisse der Nase konnte festgestellt werden, dass Ratten trotz dieses vergleichsweise geringen Abstands die Luft seitlich von jedem Nasenloch und dadurch getrennt einatmen. Die Überlappung der Luftströme ist beim Ein- und Ausatmen nur sehr gering. Zusammen mit dem Vorhandensein räumlicher rezeptiver Felder, die spezifisch seitlich angeordnet sind, wurde mit diesen Befunden seinerzeit die Hypothese aufgestellt, dass Ratten prinzipiell in der Lage sind, über beide Nasenlöcher unabhängige bilaterale Geruchsvergleiche vornehmen zu können.[38] Die getrennten Luftströme sind, zusammen mit den getrennten axonalen Projektionen aus der Riechschleimhaut in den Riechkolben, die Grundvoraussetzungen für diese Fähigkeit. Ausgehend von diesen Befunden untersuchte eine indische Arbeitsgruppe im Jahr 2006 die Fähigkeiten zur Geruchsortung bei Wistar-Ratten. Dabei bestimmten sie bei den Versuchstieren die Schnupperfrequenz zu 7 bis 8 Hz, das heißt, dass eine Ratte pro Sekunde sieben- bis achtmal ‚riecht‘. In den weiteren Versuchen verwendeten die Experimentatoren 2-Phenylethanol als Duftstoff, das nicht den Nervus trigeminus stimuliert.[39] Innerhalb von etwa 0,9 Sekunden, also mit einem einmaligen Schnuppern, konnten die Ratten die Richtung des 2-Phenylethanols erkennen. Bei einem vergleichenden, seriellen Schnuppern hätten die Ratten mindestens die doppelte Zeit hierfür benötigt. Die Autoren der Studie kommen abschließend zu dem Ergebnis, dass Ratten mit jedem Schnuppern eine vollständige olfaktorische Momentaufnahme ihrer Umgebung erhalten, die sowohl die Identität,[40] als auch den Ort des Geruchs beinhaltet.[37]

Ostamerikanischer Maulwurf

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Der Ostamerikanische Maulwurf (Scalopus aquaticus) findet seine Nahrung durch räumliches Riechen schneller als durch serielles Riechen. Wird ihm im Laborversuch ein Nasenloch verstopft, so benötigt er deutlich länger, um sein Futter zu finden.[3]
Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus zur Messung der Fähigkeit der Geruchsortung beim Ostamerikanischen Maulwurf.

Der Ostamerikanische Maulwurf (Scalopus aquaticus) hat im Vergleich zu anderen Maulwürfen degenerierte mechanorezeptive Organe.[41] Die sehr kleinen Augen sind von Haut und Fell bedeckt und die ebenfalls sehr kleinen Ohren sind auf niedrige Frequenzen abgestimmt.[42] Für die Lokalisierung von Beute kommen diese vergleichsweise unterentwickelten Sinnesorgane kaum in Betracht. Dennoch kann sich der Ostamerikanische Maulwurf schnell und direkt in Richtung seiner Beute bewegen, wobei er während der Bewegung scheinbar seriell schnüffelt.[3] Zur Überprüfung, ob tatsächlich die Geruchsortung seriell oder doch parallel erfolgt, wurde in einer vielbeachteten Studie[43][44][45][46] im Jahr 2012 eine Versuchskammer mit mehreren definierten Nahrungsplätzen aufgebaut (siehe Skizze). Mit einem speziellen Drucksensor und einer Hochgeschwindigkeitskamera wurden Ostamerikanische Maulwürfe bei ihrer Nahrungssuche beobachtet. Dazu wurden ihnen unter anderem Nasenadapter in Form von kurzen Polyethylen-Schläuchen aufgesetzt. Mit diesem Adapter konnte der Luftstrom verändert werden. Waren die Schläuche geradlinig ausgeführt, so dass das rechte Schlauchende zum rechten Nasenloch und dementsprechend das linke zum linken Nasenloch führte, konnten die Versuchstiere unverändert schnell ihre Nahrung finden. Wurden dagegen die beiden Schläuche gekreuzt, so dass das rechte Schlauchende das linke Nasenloch mit Atemluft versorgte und das linke das rechte Nasenloch, so fanden sie ihre Nahrung nicht mehr, sondern bewegten sich meist in genau der entgegengesetzten Richtung der Nahrungsquelle. Wurde bei den Maulwürfen ein Nasenloch blockiert, so konnten sie ihre Nahrung lokalisieren, benötigten dazu aber signifikant mehr Zeit als mit zwei freien Nasenlöchern. Der Autor der Studie schließt aus seinen Ergebnissen, dass das parallele Riechen vor allem im Nahbereich von großer Wichtigkeit ist. In der Nähe der Duftquelle ist der Geruchsgradient deutlich größer als in der Ferne,[2] was bei einem Intensitätsvergleich zwischen beiden Nasenlöchern schneller und bessere Informationen über den Ort der Quelle liefert. Daraus leitet er eine hypothetische Suchstrategie ab, die aus zwei Komponenten besteht. In der Ferne, bei niedrigen Geruchsgradienten, erfolgen große Bewegungen mit seriellem Riechen an verschiedenen Orten, um die Richtung zu lokalisieren. In der Nähe der Duftquelle, also bei größerem Geruchsgradienten, sind die Bewegungen kürzer und der bilaterale Vergleich zwischen beiden Nasenlöchern steht im Vordergrund.[3] Die deutlich schlechtere Geruchsortung bei dem Verschluss eines Nasenlochs könnte indes auch einem anderen Problem geschuldet sein. Der Verschluss führt möglicherweise zu einem ständigen Zug (Bias) des Tieres in die Richtung des offenen Nasenlochs.[3]

Der Riechnerv (Nervus olfactorius) beim Menschen (in gelber Farbe hervorgehoben)
Die beiden Nasenlöcher einer jungen Frau.

Ob der Mensch – gegebenenfalls erst durch intensives Training – in der Lage ist, räumlich zu riechen, wird kontrovers diskutiert. Grundsätzlich ging man früher davon aus, dass der Abstand der beiden Nasenlöcher bei fast allen Säugetieren, und speziell auch beim Menschen, nicht ausreicht, um räumlich getrennte Informationen zu erhalten, die für ein räumliches Riechen notwendig sind.[47] Auch spielt der Geruchssinn beim ‚Augentier‘ Mensch, beispielsweise im Vergleich zu einer Ratte, nur eine untergeordnete Rolle.[48]

Der Geruchssinn wird beim Menschen, wie bei den meisten anderen Säugetieren auch, über zwei Nerven vermittelt: Über den Riechnerv (Nervus olfactorius) und über den Nervus trigeminus. Den größten Anteil an der Geruchsempfindung hat dabei der Nervus olfactorius. Er leitet den Geruchseindruck einer Vielzahl von Duftstoffen, beispielsweise den von Vanillin oder von faulen Eiern (Schwefelwasserstoff), von der Riechschleimhaut (Regio olfactoria) zur primären Riechrinde des Großhirns (Telencephalon). Die in den Beispielen genannten Stoffe sind in geringer Konzentration reine Duftstoffe, die nur den Nervus olfactorius stimulieren. Tatsächlich stimulieren fast alle Duftstoffe darüber hinaus zusätzlich den Nervus trigeminus, der deshalb ganz wesentliche Anteile an der Wahrnehmung von Gerüchen hat.[49] Andererseits gibt es Stoffe, die in der Lage sind nur den Nervus trigeminus zu reizen. Ein Beispiel hierfür ist Kohlenstoffdioxid,[50] ein geruchsloses Gas, das in höheren Konzentrationen über den Nervus trigeminus als „säuerlich“, „prickelnd“ wahrgenommen wird.[51] Der Nervus trigeminus hat eine Schutz- oder Abwehrfunktion für eine Vielzahl von reizenden oder giftigen Stoffen.[52] Die trigeminale Stimulation führt zu Empfindungen wie „brennend“, „kühlend“ und „kribbelnd“, selbst in Abwesenheit einer olfaktorischen Wahrnehmung.[53][54]

Georg von Békésy, ungarisch-US-amerikanischer Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin, erkannte einige Analogien zwischen dem Hören und dem Riechen beim Menschen. 1964 veröffentlichte er die Ergebnisse eigener Studien. Dabei fand er unter anderem, dass ein Laufzeitunterschied in der Größenordnung von 0,1 Millisekunden zwischen beiden Nasenlöchern registriert wird und zur Richtungsbestimmung genutzt werden kann. Dies ist ein ähnlicher Zeitwert wie beim Hören. Daraus berechnete er einen Winkelbereich von 7 bis 10°, mit dem die Geruchsquelle prinzipiell geortet werden kann. Als Duftstoffe verwendete er unter anderem Benzol, Gewürznelken, Lavendelöl und Eukalyptusöl. Dabei stellte er bezüglich des Geruchslokalisierungsvermögens keine Unterschiede bei diesen Duftstoffen fest.[55]

Im Januar 2007 wurde eine Studie veröffentlicht,[5] bei der die 32 Studienteilnehmer unter verschiedenen Versuchsbedingungen im Freien einer 10 m langen Duftspur aus Schokoladenöl folgen mussten. Bei allen Versuchen wurden die anderen Sinnesorgane durch Brille, Gehörschutz und Handschuhe weitgehend ausgeschaltet. Zwei Drittel der Probanden waren in der Lage, der Duftspur zu folgen. Vier der dazu fähigen Teilnehmer wurden mehrere Tage zur Fährtensuche trainiert. Dabei konnte die Geschwindigkeit bei der Fährtensuche mehr als verdoppelt werden. Die Geschwindigkeit korrelierte wiederum unmittelbar mit der Schnüffelfrequenz. Bei einer Analyse der Luftströmungen im Bereich der Nase beim Schnüffeln, beziehungsweise nasalen Atmen, machten die Autoren eine überraschende Entdeckung: Jedes Nasenloch holt die Luft aus unterschiedlichen, nicht-überlappenden Bereichen im Raum. Die aus den Strömungsversuchen berechnete räumliche Auflösung beider Nasenlöcher beträgt etwa 35 mm. Geht man davon aus, dass der Grenzbereich einer Duftwolke ungefähr 10 mm breit ist,[56] so kann beim Verfolgen einer Duftspur ein Nasenloch innerhalb und eines außerhalb der Duftwolke sein. Rein physikalisch sollte ein räumliches Riechen beim Menschen also möglich sein. Um dies zu überprüfen, wurde in einer weiteren Versuchsreihe ein Nasenloch der Probanden verschlossen. Dies hatte zur Folge, dass die Fährtensuche deutlich weniger genau und signifikant langsamer als mit beiden Nasenlöchern verlief. Bekamen die Probanden einen Nasenadapter aufgesetzt, bei dem die Luft für beide Nasenlöcher zwar separat angesaugt, aber vor der Nase gemischt und dann wieder geteilt wurde, so dass die räumliche Auflösung verloren geht, waren die Ergebnisse bei der Fährtensuche ähnlich schlecht wie mit einem Nasenloch. Bei einem Nasenadapter, bei dem die beiden Luftströme nicht vor den Nasenlöchern gemischt wurden, waren die Probanden dagegen 24 % schneller. Aus diesen Ergebnissen schlossen die Autoren, dass

  1. Menschen prinzipiell in der Lage sind, einer Geruchsfährte zu folgen,
  2. diese Fähigkeit durch Training deutlich verbessert werden kann,
  3. die räumliche Auflösung der menschlichen Nase im Bereich von 35 mm liegt und
  4. die Fährtensuche durch einen internasalen Geruchsvergleich (räumliches Riechen) unterstützt wird.[5]

Andere Studien scheinen diesen Schlüssen zu widersprechen. Sie legen dar, dass zur Lokalisierung eines Geruchsstoffes eine trigeminale Stimulation notwendig ist.[50][57] 1989 konnte bei Versuchen mit reinen Duftstoffen, wie beispielsweise Schwefelwasserstoff oder Vanillin, festgestellt werden, dass bei dieser rein olfaktorischen Stimulation die Probanden nicht in der Lage waren, räumlich zu riechen. Völlig anders gestaltete sich das Versuchsergebnis, wenn Duftstoffe zu orten waren, die auch eine trigeminale Stimulation hervorrufen, das heißt die auch „schmeckbar“ sind. Hierzu gehören beispielsweise Kohlenstoffdioxid oder Menthol.[58] Dies trifft sowohl auf Kinder, als auch auf Erwachsene zu.[59] Der Mensch ist in der Lage trigeminale und olfaktorisch-trigeminale Reize zu lokalisieren, während dies bei Duftstoffen, die rein olfaktorische Reize auslösen, offensichtlich nicht oder kaum möglich ist.[58][60]

Weiterführende Literatur

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Einzelnachweise

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  1. a b Peter M. Kappeler: Verhaltensbiologie. Springer, 2006, ISBN 3-540-24056-X, S. 113–114.
  2. a b c M. Louis, T. Huber u. a.: Bilateral olfactory sensory input enhances chemotaxis behavior. In: Nature Neuroscience. Band 11, Nummer 2, Februar 2008, ISSN 1097-6256, S. 187–199, doi:10.1038/nn2031, PMID 18157126.
  3. a b c d e f g h K. C. Catania: Stereo and serial sniffing guide navigation to an odour source in a mammal. In: Nature Communications. Band 4, 2013, ISSN 2041-1723, S. 1441, doi:10.1038/ncomms2444, PMID 23385586. (Open Access, CC BY-NC-SA 3.0)
  4. a b Friedrich Wilhelm Merkel, M. Walter Schäfer: Orientierung im Tierreich. Fischer, 1980, ISBN 3-437-20221-9, S. 9.
  5. a b c J. Porter, B. Craven u. a.: Mechanisms of scent-tracking in humans. (Memento vom 25. April 2013 im Internet Archive) In: Nature Neuroscience. Band 10, Nummer 1, Januar 2007, ISSN 1097-6256, S. 27–29, doi:10.1038/nn1819, PMID 17173046.
  6. C. Brenker, N. Goodwin u. a.: The CatSper channel: a polymodal chemosensor in human sperm. In: The EMBO Journal. Band 31, Nummer 7, April 2012, ISSN 1460-2075, S. 1654–1665, doi:10.1038/emboj.2012.30, PMID 22354039, PMC 3321208 (freier Volltext).
  7. Hans Hatt: Geschmack und Geruch. In: Robert F. Schmidt, Florian Lang (Hrsg.): Physiologie des Menschen. 30. Auflage. Springer, 2007, ISBN 978-3-540-32908-4, S. 421–436.
  8. G. Ottaviano, D. Zuccarello u. a.: Human olfactory sensitivity for bourgeonal and male infertility: a preliminary investigation. In: European archives of oto-rhino-laryngology. Band 270, Nummer 12, November 2013, ISSN 1434-4726, S. 3079–3086, doi:10.1007/s00405-013-2441-0, PMID 23525651.
  9. P. Olsson, M. Laska: Human male superiority in olfactory sensitivity to the sperm attractant odorant bourgeonal. In: Chemical senses. Band 35, Nummer 5, Juni 2010, ISSN 1464-3553, S. 427–432, doi:10.1093/chemse/bjq030, PMID 20378596.
  10. T. Strünker: Das Ende des „Maiglöckchen-Phänomens“ in der Spermienforschung? Max-Planck-Gesellschaft, vom 24. Februar 2012
  11. R. M. Macnab, D. E. Koshland: The gradient-sensing mechanism in bacterial chemotaxis. In: PNAS. Band 69, Nummer 9, September 1972, ISSN 0027-8424, S. 2509–2512, PMID 4560688, PMC 426976 (freier Volltext).
  12. J. Adler, W. W. Tso: "Decision"-making in bacteria: chemotactic response of Escherichia coli to conflicting stimuli. In: Science. Band 184, Nummer 4143, Juni 1974, ISSN 0036-8075, S. 1292–1294, PMID 4598187.
  13. Gilbert Waldbauer: What Good Are Bugs? Insects in the Web of Life. Harvard University Press, 2009, ISBN 978-0-674-04474-6, S. 19 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  14. A. Forel: Das Sinnesleben der Insekten: eine Sammlung von experimentellen und kritischen Studien über Insektenpsychologie. E. Reinhardt, München, 1910.
  15. Karl Gößwald: Die Waldameise: Biologische Grundlagen, Ökologie und Verhalten. Aula, 1989, ISBN 3-89104-475-5, S. 404.
  16. a b Kathrin Steck: Smells like home: Olfactory landmarks in desert ant orientation. Dissertation, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2010.
  17. K. Steck, M. Knaden, B. S. Hansson: Do desert ants smell the scenery in stereo? In: Animal Behaviour. Nummer 4, Band 79, 2010, S. 939–945, doi:10.1016/j.anbehav.2010.01.011
  18. Bill S. Hansson, K. Steck, M. Knaden: Duftlandschaft in Stereo. Max-Planck-Gesellschaft, vom 9. März 2010
  19. Ästhetasken. In: Lexikon der Neurowissenschaft. Spektrum Akademischer Verlag, 2000
  20. J. Atema: Chemical signals in the marine environment: dispersal, detection, and temporal signal analysis. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 92, Nummer 1, Januar 1995, ISSN 0027-8424, S. 62–66, PMID 7816848, PMC 42817 (freier Volltext) (Review).
  21. C. Karavanich, J. Atema: Olfactory recognition of urine signals in dominance fights between male lobster, Homarus americanus. In: Behaviour. Band 135, Nummer 6, 1998, S. 719–730.
  22. a b D. K. Berger, M. J. Butler: Octopuses influence den selection by juvenile Caribbean spiny lobster. In: Marine and Freshwater Research. Band 52, 2001, S. 1049–1053, doi:10.1071/MF01076
  23. S. G. Ratchford, D. B. Eggleston: Temporal shift in the presence of a chemical cue contributes to a diel shift in sociality. In: Animal behaviour. Band 59, Nummer 4, April 2000, ISSN 0003-3472, S. 793–799, doi:10.1006/anbe.1999.1383, PMID 10792934.
  24. G. Nevitt, N. Pentcheff u. a.: Den selection by the spiny lobster Panulirus argus: testing attraction to conspecific odors in the field. In: Marine Ecology Progess Series. Band 203, 2000, S. 225–231, doi:10.3354/meps203225
  25. J. C. Barbato, P. C. Daniel: Chemosensory activation of an antennular grooming behavior in the spiny lobster, Panulirus argus, is tuned narrowly to L-glutamate. In: The Biological Bulletin. Band 193, Nummer 2, 1997, S. 107–115.
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