Fidelio

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Werkdaten
Originaltitel: Fidelio

Anschlagzettel zur Uraufführung am 23. Mai 1814 im Kärntnertortheater

Form: Nummernoper mit gesprochenen Dialogen
Originalsprache: Deutsch
Musik: Ludwig van Beethoven
Libretto: Sonnleithner, von Breuning, Treitschke
Uraufführung: 20. November 1805
Ort der Uraufführung: Theater an der Wien, Wien
Spieldauer: ca. 2 ½ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Staatsgefängnis in der Nähe Sevillas, 18. Jahrhundert[1]
Personen
  • Don Fernando, Minister (Bariton)
  • Don Pizarro, Gouverneur eines Staatsgefängnisses (Bariton)
  • Florestan, Gefangener (Tenor)
  • Leonore, dessen Frau unter dem Namen „Fidelio“ (Sopran)
  • Rocco, Kerkermeister (Bass)
  • Marzelline, dessen Tochter (Sopran)
  • Jaquino, Pförtner (Tenor)
  • erster Gefangener (Tenor)
  • zweiter Gefangener (Bass)
  • Wachsoldaten, Staatsgefangene, Volk (Chor)
Fidelio oder das Staatsgefängnis (1830), erster nachweisbarer Theaterzettel einer Bonner Aufführung

Fidelio ist die einzige Oper von Ludwig van Beethoven in zwei – bzw. in der Urfassung unter dem Titel Leonore drei – Akten. Das Libretto schrieben Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke; als Vorlage diente ihnen die Oper Léonore ou L’amour conjugal (1798; Libretto: Jean Nicolas Bouilly, Musik: Pierre Gaveaux). Die Uraufführung der ersten Fassung des Fidelio fand am 20. November 1805 am Theater an der Wien statt, jene der zweiten Fassung ebenda am 29. März 1806, die der endgültigen Fassung am 23. Mai 1814 im Wiener Kärntnertortheater.

Bouillys Libretto war auch die Grundlage für Ferdinando Paërs Oper Leonora (1804) und für Simon Mayrs Werk L’amor coniugale (1805). Der Name Fidelio ist Shakespeares Romanze Cymbeline entlehnt, wo die Königstochter Imogen ebenfalls in Männerkleidern den Namen Fidelio annimmt. Wie in Beethovens Oper wird mit diesem sprechenden Namen auf ihre unerschütterliche Treue (lat. „fidelis“) angespielt, da sie ihrem Ehemann Posthumus trotz dessen Verbannung durch ihren Vater gegen alle Widerstände die Treue hält.

Gattung Befreiungsoper und historischer Hintergrund

Beethovens Oper liegt ein Auftrag von Peter Freiherr von Braun (1758–1819) zugrunde, der zu diesem Zeitpunkt Intendant des Theaters an der Wien war. Beethovens ursprüngliche Idee war es, eine Vorlage Emanuel Schikaneders, Vestas Feuer, zu bearbeiten. Doch schließlich entschloss er sich, eine „Rettungs- und Befreiungsoper“ zu schreiben, die Ende des 18. und auch noch Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich und andernorts große Erfolge feierte. In ihr sah Beethoven die Möglichkeit, die gegen jede Tyrannei gerichteten Prinzipien der politischen Freiheit, der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit durch die Rettung eines unschuldigen Helden aus höchster Not zum Ausdruck zu bringen. Jean Nicolas Bouillys Libretto für die Oper Léonore ou L’amour conjugal, an die sich Beethovens Fidelio anlehnt, lag angeblich die wahre Geschichte einer Madame de Tourraine zugrunde, die als Mann verkleidet ihren Gatten aus der Gefangenschaft der Jakobiner in Tours befreit. Dass der Jurist Bouilly im Dienste der jakobinischen Revolutionsregierung einst selbst Werkzeug einer politischen Justiz während der „Terreur“ war und in Tours Todesurteile verhängte, verleiht der Zugehörigkeit des Fidelio zur Gattung der Rettungs- oder Befreiungsoper einen paradoxalen Aspekt: Bouilly hat sowohl vor als auch während der Revolution opportunistisch dem jeweiligen System gedient, um seine Karriere zu fördern: „Ende 1793 wurde Bouilly öffentlicher Ankläger des Distrikts und schließlich Präsident der Militärkommission von Tours. Als Äquivalent der Revolutionstribunale entzogen diese die politischen Verbrechen der regulären Justiz. Konterrevolutionäre waren binnen 24 Stunden freizusprechen oder hinzurichten (…) Und so unterzeichnete Bouilly Todesurteile, für die man ihm später Feigheit vorwarf.“[2] Nach dem Sturz der Robespierristen am 9. Thermidor war seine politisch-administrative Karriere deshalb erst einmal vorbei, und Bouilly suchte nach Möglichkeiten, unter den neuen Verhältnissen Fuß zu fassen und sich zu rehabilitieren. In seinen Mémoiren „Mes Récapitulations“ (1837) behauptet er deshalb, er habe sich der „Terreur“ in Tours todesmutig in den Weg gestellt, unter anderem berichtet er auch von der „Hingabe einer der Damen aus der Touraine, bei deren großmütigen Bemühungen ich die Ehre hatte, meinen Teil beizusteuern.“[3] Dem Ziel seiner eigenen Entlastung dienen deshalb seine Beiträge zur nachrevolutionären Modegattung der Befreiungsoper, also auch seine Libretti zu Pierre Gaveauxs Léonore und zu Luigi Cherubinis Wasserträger (1800). Das literarische Pendant zur Gattung Rettungs- bzw. Befreiungsoper war die gegenrevolutionäre „Terreurliteratur“, also „tränenreiche Geschichten aus den Gefängnissen der Jakobinerherrschaft, gesammelt etwa im „Almanach des prisons“ oder dem „Tableau des prisons“ (…). Um wundersame Errettungen und heroischen Opfermut ging es da, aber auch um die Diffamierung kleinbürgerlicher Revolutionsaktivisten. Das thermidorianische Bürgertum hat in der Figur des Opern-Kerkermeisters Rocco zweifellos das Charakterbild eines solchen biederen Sansculotten gesehen, zumal Rocco sowohl bei Bouilly also auch noch in den Erstfassungen der Beethoven-Oper als Mittäter und nicht als Mitläufer gezeichnet ist.“[3] Vorbild für Pizarro war wohl der skrupellose Konventskommissar Carrier, der 1793 in der Vendée Angst und Schrecken verbreitete. Er wurde schließlich vom Wohlfahrtsausschuss wegen Amtsmissbrauchs abberufen.[4]

Da einige der belasteten Personen aus der Zeit der „Terreur“ noch lebten und sogar Karriere gemacht hatten (das bekannteste Beispiel ist wohl Napoleons Polizeiminister Fouché), war es gefährlich, sich diese mächtigen Männer zu Feinden zu machen, deshalb verlegte schon Bouilly in seinem Libretto für Gaveaux die Geschichte ohne nähere Zeitangabe in das bourbonische Spanien.

Handlung

Erster Akt

Paul Thiersch: Bühnenbildentwurf für Fidelio, 1. Akt „Gefängnishof“, im Opernhaus Halle (Aquarell, 1920)

Florestan wird von Don Pizarro, der sich vor kompromittierenden Enthüllungen Florestans fürchtet, widerrechtlich in Kerkerhaft gefangengehalten. Florestans Frau Leonore schleust sich unter dem Namen Fidelio als Bursche verkleidet beim Kerkermeister Rocco ein. Roccos Tochter Marzelline verliebt sich in Fidelio, wobei sie ihren Bräutigam Jaquino vernachlässigt. Fidelio nutzt Roccos Vertrauen aus, um mit ihm den Kerker zu besuchen. Dieser macht jedoch zur Bedingung, dass Fidelio nicht zu einem besonders gehüteten Gefangenen gehen darf. Leonore ahnt, dass es sich dabei um ihren Gatten handelt.

Pizarro erscheint zur Inspektion, weil er erfahren hat, dass der Minister zur Untersuchung des Kerkers erscheinen will, und stellt deshalb Wachen auf. Er kann Florestan nun nicht mehr am Leben lassen, da der Minister diesen sonst entdecken würde. Deshalb befiehlt er Rocco, Florestan zu töten. Dieser lehnt ab, kommt jedoch nicht umhin, ein Grab für Florestan zu schaufeln, wobei er sich von Fidelio helfen lässt. Angstvolle Unruhe breitet sich in Leonore aus. Sie bittet Rocco darum, dass die Gefangenen ans Tageslicht gelassen werden, erkennt ihren Gatten unter diesen jedoch nicht. Pizarro ist verärgert über Roccos Eigenmächtigkeit.

Zweiter Akt

Florestan hat eine Fiebervision, in der er Leonore, einem Engel gleich, zu sehen glaubt. Leonore bittet Rocco, dem Gefangenen Wein und Brot geben zu dürfen; sie erkennt dabei ihren Gatten, er sie aber nicht. Als Pizarro erscheint, stellt Florestan ihn – den Urheber seiner Leiden – zur Rede. Pizarro, mit einem Dolch in der Hand, geht auf Florestan zu. Da wirft sich Fidelio zwischen die beiden, zieht eine Pistole und bedroht Pizarro. Gerade in diesem Moment kündigt Trompetenschall die Ankunft des Ministers an. Pizarro will fliehen. Florestan und Leonore sinken einander in die Arme. Der Minister tritt auf und erkennt in Pizarros Gefangenem seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet; alle Gefangenen sind frei. Leonore und Florestan werden durch den Chor hoch gelobt.

Überarbeitungen

Die Uraufführung der ersten Fassung fand – nach mehrfacher Verschiebung und zwischenzeitlichem Verbot – am 20. November 1805 unter dem Titel Fidelio oder Die eheliche Liebe in Wien statt (mit der Ouvertüre Nr. 2). Sie war recht erfolglos.[5] Die Oper wurde später Beethovens ursprünglichen Intentionen entsprechend in Leonore umbenannt. Daraufhin erfuhr sie mehrfache Revisionen. Die zweite Fassung wurde – zunächst mit leichten Änderungen am Text und der Ouvertüre Nr. 3 – unter dem Titel Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe am 29. März 1806 uraufgeführt. Später erfolgte eine weitere Umarbeitung. Von diesem für Beethoven mühsamen Arbeitsprozess zeugt ein 25 Seiten starkes Skizzenbuch. Sonnleithners Text wurde von Treitschke überarbeitet, die Handlung straffer gestaltet (dadurch wurden aus drei Akten zwei), die tragischen Züge der Hauptpersonen wurden verstärkt, und die Grundidee des Werkes trat nun deutlicher hervor, nämlich die Überhöhung der konkreten edlen Tat Leonores ins Allgemein-Menschliche. Die Uraufführung der dritten Fassung der nun in Fidelio umbenannten Oper erfolgte am 23. Mai 1814, also neun Jahre später, zunächst noch mit der Ouvertüre Nr. 3 (weil die neue noch nicht fertig war), drei Tage später mit der Fidelio-Ouvertüre.[6]

Insgesamt existieren vier Ouvertüren. Die erste wurde vermutlich nie gespielt (sie war für eine Aufführung in Prag gedacht, die nicht stattfand), die zweite leitete die Uraufführung ein, die dritte, die „Große Leonoren-Ouvertüre“, erschien Beethoven später als zu umfangreich; heute wird sie oft vor dem letzten Bild als Zäsur und Übergang zum Finale eingesetzt (diese Tradition begründete Gustav Mahler). Der Dirigent Ferenc Fricsay dagegen ließ die dritte Ouvertüre zum Schluss der Oper als „dramatisches Resumé“ (F. Herzfeld) spielen. Die vierte Ouvertüre, die „Fidelio-Ouvertüre“, schrieb Beethoven für die endgültige Fassung der Oper; sie leitet seither das Werk ein.

Besetzung der ersten Aufführungen

Rolle Stimmlage Besetzung der Uraufführung,
20. November 1805
(Dirigent: Ignaz von Seyfried)
Premierenbesetzung
der endgültigen Fassung,
23. Mai 1814
(Dirigent: Michael Umlauf)
Florestan, Gefangener Tenor Carl Demmer Julius Radichi
Leonore, dessen Frau Sopran Anna Milder Anna Milder-Hauptmann
Rocco, Kerkermeister Bass Joseph Rothe Carl Weinmüller
Marzelline, dessen Tochter Sopran Louise Müller Anna Bondra
Jaquino, Pförtner Tenor Joseph Caché Joseph Frühwald
Don Pizarro, Gouverneur des Gefängnisses Bassbariton Sebastian Mayer Johann Michael Vogl
Don Fernando, Minister Bass Johann Michael Weinkopf Ignaz Saal
Zwei Gefangene Tenor und Bass Unbekannt Unbekannt
Soldaten, Gefangene, Stadtbewohner

Die Besetzung bei der Uraufführung der zweiten Fassung am 29. März 1806 war dieselbe wie am 20. November 1805, nur dass Joseph August Röckel diesmal den Florestan verkörperte, ebenso bei der einzigen Wiederholung am 10. April 1806.

Musik

Florestan (Günther Treptow) und Leonore (Karina Kutz), Deutsche Oper Berlin, nach Kriegsende 1945

Fidelio ist eine Nummernoper mit gesprochenen Dialogen. Besonders deutlich tritt dieser Charakter in den ersten Szenen hervor, in denen die kleinbürgerliche Welt um Kerkermeister Rocco beschrieben wird. (Die Dialoge werden in modernen Aufführungen jedoch häufig stark gekürzt.) Die Arien und Duette Roccos, Marzellines und Jaquinos im ersten Akt klingen so auch eher liedhaft, schlicht und scheinbar heiter. Das Quartett, das diese mit Leonore singen, ist ein musikalischer Höhepunkt der Oper. Ebenfalls im ersten Akt findet sich eine der berühmtesten und ergreifendsten Szenen der Operngeschichte, der Gefangenenchor.

In der Szene, in der Fidelio und Rocco Florestans Grab ausheben, unterhalten sich die beiden, während das Orchester das Gespräch musikalisch untermalt und gleichsam erläutert. Dies bezeichnet man als Melodram. Die Musik, die während der Binnenhandlung um Leonore und Florestan erklingt, wird fühlbar von Beethovens symphonischem Geist beherrscht, wobei er wenig Rücksicht auf die Eigenart der menschlichen Stimme nahm. Daraus ergeben sich bisweilen große Schwierigkeiten für die Sänger. Die orchestrale Untermalung gestaltet sich nach den Anfangsszenen zunehmend grell und erregt (besonders in der Rachearie Pizarros und im Duett zwischen Pizarro und Rocco). Den beiden großen Arien Leonores (I. Akt) und Florestans (II. Akt) gehen längere Rezitative voran.

Bemerkenswert ist die Einführung des Kontrafagotts ins Opernorchester, welches hier auch solistische Aufgaben übernimmt (Grabduett).

Die Ouvertüren

Beethoven schrieb insgesamt vier Ouvertüren für die Oper, von denen die drei ersten als Leonoren-Ouvertüren bezeichnet werden.[7]

  • Die Leonoren-Ouvertüre Nr. 1 op. 138 entstand 1806/07 für eine 1808 in Prag geplante Aufführung der zweiten Fassung der Oper, die jedoch nicht zustande kam. Sie erschien 1838 im Verlag von Tobias Haslinger in Wien.
  • Die Leonoren-Ouvertüre Nr. 2 op. 72a ist eigentlich die erste, entstanden 1804/05 für die Urfassung der Oper. Gedruckt wurde sie erstmals 1842/43 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig, zunächst in einer überarbeiteten Fassung.
  • Die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72b schrieb Beethoven Anfang 1806 für die Wiener Uraufführung der zweiten Fassung der Oper. Im Druck erschien sie bereits im Juli 1810 bei Breitkopf & Härtel. Sie etablierte sich bald als eines der bekanntesten Werke Beethovens und wurde häufig im Konzert gespielt, zumal sie die Maßstäbe der zeitgenössischen Opernouvertüren in ihrer Dramatik und musikalischen Radikalität sprengt. Auf Gustav Mahler geht die Praxis zurück, die Ouvertüre Nr. 3 als Zwischenspiel im 2. Akt der Oper einzusetzen.
  • Für die dritte, endgültige Fassung der Oper schrieb Beethoven 1814 die vierte, kurze Fidelio-Ouvertüre.

Wirkung

Bei der Uraufführung der ersten Fassung hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen. Erst die dritte Fassung wurde zu einem Erfolg. Für eine rasche Verbreitung im Ausland sorgte die deutsche Sopranistin Wilhelmine Schröder-Devrient, die 1822 die Partie der Leonore übernahm. Sie verhalf Richard Wagner zu einem Hörerlebnis der Oper, das seine künstlerische Entwicklung nach eigenen Angaben maßgeblich prägte.

Auch auf Künstler späterer Generationen wie den Filmregisseur Stanley Kubrick hatte das Werk erheblichen Einfluss, wie sich insbesondere im Film Eyes Wide Shut zeigt: Das Passwort für den Zugang zu einer okkulten Orgie lautet ebenfalls „Fidelio“ und charakterisiert das Spannungsverhältnis zwischen Sexualität (Trieb) und Liebe (Treue), in dem der Mensch gefangen ist, dessen Bewältigung dieser aber auch selbst in der Hand hat. Bezeichnenderweise ,opfert‘ sich auch hier eine Frau für den Protagonisten, um dessen Flucht zu ermöglichen.[8]

Inszenierungen

Wilhelm Schirp als Kerkermeister Rocco und Irma Beilke als Marzelline, Deutsche Oper Berlin, September 1945
Lotte Lehmann als Leonore

Ein bedeutsames Datum für die Inszenierungsgeschichte bildete 1904 die Inszenierung Gustav Mahlers. Großes Aufsehen erregte 1928 die „Proletkult“-Inszenierung in Leningrad. Nach dem Trompetensignal, das die Ankunft des Ministers verkündet, leuchtete an der Leinwand die Inschrift auf: „Der weiteren Handlung des Stücks nach befreit der König die Gefangenen. Das widerspricht unserem Klassenbewußtsein und wir reißen die Masken ab.“ Die Aufführung der Oper wurde an dieser Stelle abgebrochen.

Mit einer Aufführung des Fidelio wurde die Wiener Staatsoper am 5. November 1955 wiedereröffnet, die im März 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zerbombt worden war. Die Wiedereröffnung traf zeitlich mit dem Abzug der letzten Besatzungssoldaten nach mehr als zehn Jahren Besatzung durch die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion und mit der damit verbundenen Unabhängigkeit Österreichs im Mai 1955 zusammen. Die Wahl fiel daher bewusst auf die „Befreiungsoper Fidelio“ unter dem Dirigat Karl Böhms.

Eine der politisch brisantesten dürfte die Inszenierung gewesen sein, die unter der Regie von Christine Mielitz am 7. Oktober 1989 – zum vierzigsten und letzten Jahrestag der DDR – in der Semperoper Dresden Premiere hatte. Diese fiel in die Tage, in denen in Dresden hunderte Demonstranten, die friedlich für Meinungs- und Reisefreiheit demonstrierten, zusammengeknüppelt, auf LKW verladen und in Gefängnisse abtransportiert wurden. Die Regisseurin bringt ein solches DDR-Gefängnis mit Stacheldrahtzaun und Sichtbeton als Bühnenbild für ihren „Fidelio“ auf die Bretter. In der Schlussszene tritt das „Volk“ in normaler Alltagskleidung auf die Bühne, so, als wären die Mitglieder des Chores gerade eben von der Demo auf der Straße in die Oper marschiert – und in der szenischen Umsetzung bedrängt dieses „Volk“ den Minister, die Gefangenen freizulassen, so wie draußen auf der Straße die Demonstranten die Freilassung der eingesperrten Kollegen und Freunde einfordern. Das Publikum verstand die Botschaft, nach dem Gefangenenchor im ersten Akt gab es, wie Martin Walser, der die zweite Aufführung am 8. Oktober 1989 besuchte, beschrieb, einen „fast den Abend unterbrechenden Beifall“ und dann „noch einmal solche Ovationen am Schluss“.[9]

Martin Kušej fügte dem Werk in seiner Inszenierung 1998 in Stuttgart einen entscheidenden Bruch zu: Nach dem Trompetensignal während des Kerkerquartetts kommt es nicht etwa zur Lösung des Konflikts, sondern Pizarro tötet Florestan, worauf Leonore Pizarro erschießt. Darauf folgt eine Pause, und die Inszenierung mit der feierlichen Schlussszene – unter Beteiligung der toten Figuren – läuft nur mechanisch weiter. Der,Mythos Leonore' erscheint als Ausstellungsstück einer Gesellschaft.

Im Herbst 2008 inszenierte Johannes Felsenstein am Anhaltischen Theater Dessau Beethovens Oper, die in einer Massenerschießung aller Beteiligten direkt im Anschluss an das Finale endet, um damit auf noch bestehende Ungerechtigkeiten des Weltgeschehens hinzuweisen und somit die Eindringlichkeit der Befreiungsbotschaft Beethovens zu steigern.[10]

Am 28. Juni 2014 hatte die Oper in einer Open-Air-Fassung des Staatstheaters Cottbus an der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus unter der musikalischen Leitung von Evan Christ Premiere. „Der stärkste Darsteller [..] ist das Gefängnisgelände […] 1000 Zuschauer [schauen] direkt auf die vergitterten Fenster des Zellenblocks. Da beginnt der Kopf von ganz alleine, Beethovens idealistische Freiheitsmusik mit der real existierenden Vergangenheit zu verknüpfen.“ (F. Hanssen)[11] Bei dieser Premiere waren Yaquelin Boni und Berta Soler von Movimiento Las Damas de Blanco im Publikum. Sie wurden von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters begrüßt. Die Frauen des Opernchores nahmen das Symbol des kubanischen Freiheitskampfes in ihrer Kleidung auf. Im Chor sangen auch vier ehemalige Häftlinge mit.

Gefangenenchor vor Gefängnis zur Premiere am 28. Juni 2014 im Gefängnishof der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus

Filmografie

Literatur

  • Otto Jahn: Leonore oder Fidelio? In: Otto Jahn: Gesammelte Aufsätze über Musik. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1866, DNB 457088729.
  • Erich Prieger: Zu Beethovens Leonore. Leipzig 1905.
  • Adolf Sandberger: Leonore von Bouilly und ihre Bearbeitung für Beethoven. In: Adolf Sandberger: Ausgewählte Aufsätze zur Musikgeschichte. Band 2, München 1924, S. 141–153.
  • Jost Hermand: Ein Stern der erfüllten Hoffnungen, genannt Erde. Utopisches in Fidelio. In: Jost Hermand: Beethoven – Werk und Wirkung. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2003, ISBN 3-412-04903-4.
  • Martin Lade: „Reichet also selbst die Hand zur nöthigen Verbesserung, Ihr Regenten! Weil es noch Zeit ist.“ Spuren historischer Realität in Beethovens Fidelio. Programmheft der Oper Köln, Spielzeit 2003/2004.
  • Martin Wassermair: Es sucht der Bruder seine Brüder. Beethovens „Fidelio“ und die Freiheit Österreichs. Optimus, Göttingen 2010, ISBN 978-3-941274-61-7 (Vorwort).
Commons: Fidelio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Aufnahmen (Auswahl)

Einzelnachweise

  1. Harenberg Opernführer. 4. Auflage. Meyers Lexikonverlag, 2003, ISBN 3-411-76107-5, S. 38.
  2. Martin Lade: „Reichet also selbst die Hand zur nöthigen Verbesserung, Ihr Regenten!“ Spuren historischer Realität in Beethovens Fidelio. Programmheft der Oper Köln Spielzeit 2003/2004, S. 19.
  3. a b Martin Lade: „Reichet also selbst die Hand zur nöthigen Verbesserung, Ihr Regenten!“ Spuren historischer Realität in Beethovens Fidelio. Programmheft der Oper Köln Spielzeit 2003/2004, S. 21.
  4. Martin Lade: „Reichet also selbst die Hand zur nöthigen Verbesserung, Ihr Regenten!“ Spuren historischer Realität in Beethovens Fidelio. Programmheft der Oper Köln Spielzeit 2003/2004, S. 22.
  5. Vgl. Beethovens angeblich eigene Äußerung, dass sie „vor allen andern [Stücken] die größten Geburtsschmerzen, aber auch den größten Ärger gemacht habe und es ihm daher auch am liebsten sei“ (zit. n. Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. S. 499).
  6. Nach zeitgenössischen Berichten von Treitschke und Bertolini (s. Thayer-D.-R. III, 425) schrieb Beethoven die neue Ouverture in den Tagen unmittelbar vor der Erstaufführung der dritten Fassung der Oper (23. Mai 1814), konnte sie aber nicht rechtzeitig beenden, so dass sie – nach Seyfried – durch die Ouverture zum Festspiel ‚Die Ruinen von Athen‘ (opus 113) ersetzt werden musste. Zum ersten Male gespielt wurde sie bei der zweiten Vorstellung am 26. Mai lt. folgendem Vermerk auf dem Theaterzettel: „Die das vorige Mal wegen Hindernissen weggebliebene neue Ouverture dieser Oper wird heute zum ersten Mal vorgetragen werden.“ (Georg Kinsky, Hans Halm: Das Werk Beethovens. Thematisch-Bibliographisches Verzeichnis seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen. Henle, München 1955, S. 193)
  7. Die folgenden Angaben nach Kurt Dorfmüller, Norbert Gertsch, Julia Ronge (Hrsg.): Ludwig van Beethoven. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis. München 2014, Band 1, S. 409–415
  8. Bob Mielke: Stanley Kubrick at the Fin de Siecle
  9. Einige Szenen aus dem deutschen Frühling im Herbst: Kurz in Dresden. In: Die Zeit, Nr. 43/1989
  10. Anhaltisches Theater.
  11. Tagesspiegel am 30. Juni 2014, Information des Staatstheaters Cottbus und Niederlausitz Aktuell