Johann Joseph von Scherer
Johann Joseph Scherer, nobilitiert 1866 von Scherer (* 14. März 1814 in Aschaffenburg; † 17. Februar 1869 in Würzburg), war ein deutscher Mediziner und Chemiker, Pharmazeut sowie Hochschullehrer und Lehrstuhlinhaber. Er war namensgebender Mitbegründer[1] des medizinischen Spezialfaches Klinische Chemie und trug dazu bei, dass sich die Chemie „von einer medzinischen Hilfswissenschaft zu einer eigenen naturwissenschaftlichn Disziplin“[2] entwickelte.
Leben und Wirken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Joseph (auch Josef) Scherer besuchte das Gymnasium in Aschaffenburg und studierte an der Universität Würzburg Medizin (unter anderem als Schüler von Johann Lukas Schönlein) und Naturwissenschaften, insbesondere Chemie, Geologie und Mineralogie. Nachdem er seine Approbation erhalten hatte und am 28. Juni 1836 mit der Dissertation Versuche über die Wirkung einiger Gifte auf verschiedene Thierclassen zum Doktor der Medizin und Chirurgie promoviert worden war, praktizierte er zunächst zwei Jahre im unterfränkischen Badeort Wipfeld als Badearzt, wo er den Naturforscher Ernst von Bibra (Schwiegersohn des Chemikers Johann Georg Pickel) kennenlernte. Dieser bewog ihn, sich intensiver den Naturwissenschaften zu widmen, und so studierte er 1839 in München anorganische Chemie bei Heinrich August Vogel (1778–1867), Johann Nepomuk von Fuchs und Franz von Kobell. Um organische Chemie zu lernen, ging er, ermöglicht durch ein Staatsreisestipendium, Ostern 1840 bis 1841 nach Gießen zu Justus Liebig. Dort beschäftigte er sich mit Tierchemie[3] und Untersuchungen von Blut- und Proteinkörpern.
Anschließend wurde er 1841, da er für seine von Carl Friedrich von Marcus und Cajetan von Textor unterstützten Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der klinischen Chemie keine Besoldung erhielt, zunächst Lehrer der Naturwissenschaften an der königlichen Gewerbeschule in Würzburg. Ab 1842 wirkte er als Privatdozent der Universität. Er erhielt, befürwortet von dem Mediziner und Hochschulorganisator Franz von Rinecker, im Juli 1842 an der Medizinischen Fakultät als Nachfolger Johann Georg Pickels eine außerordentliche, aber (nach zweimaligem Antrag ab 1845)[4] erst im Juni 1847 seine ordentliche Professur für organische Chemie an der damals im Würzburger Juliusspital angesiedelten Medizinischen Fakultät – gemäß dem Archiv von Rektorat und Senat der Universität Würzburg „in Verbindung mit den für die Kliniken des Juliusspitals nöthigen chemischen Untersuchungen in provisorischer Eigenschaft“. An der Würzburger Universitätsklinik im Juliusspital war er Begründer einer „Ära der Klinischen Chemie“ und hielt unter anderem Vorlesungen über „Anthropo-Chemie“ (organische Chemie). Einen ehrenvollen (und lukrativen) Ruf nach Dorpat als außerordentlicher Professor für organische Chemie hatte er 1846 abgelehnt.[5] Mit dem Ableben bzw. Ausscheiden der anderen Professoren für allgemeine, anorganische und pharmazeutische Chemie übernahm er am neu geschaffenen chemischen Institut als Ordinarius auch deren Fächer und das neue Lehrfach Hygiene. Als Professor der Chemie arbeitete er im Gebäudekomplex im Norden des Juliusspitalgartens, von etwa 1848 bis 1835 im Borgiasbau der Universität Würzburg, ab 1853/1854 im neuerrichteten Medizinischen Kollegienhaus und ab 1865 im eigenen Medizinischen Institut für Chemie und Hygiene in der Maxstraße. Johann Joseph Scherer hatte auch im Privatlaboratorium von Ernst von Bibra (Pickels Schwiegersohn) in Schwebheim[6] gearbeitet. Im Rahmen einer Ministerialkommission besuchte er 1849 Speyer, wo ihm der spätere Kliniker und Hochschullehrer Carl Gerhardt bei der Abiturprüfung auffiel, der dann einer Anregung Scherers folgend 1850 sein Medizinstudium in Würzburg aufnahm.
Im Wintersemester 1843/1844 war der Begründer der modernen Hygiene, Max Pettenkofer, ein Schüler von Scherer in Würzburg, in dessen Laboratorium er seine bekanntgewordene Probe auf Gallensäure durchführte. In dieser Zeit entdeckte Pettenkofer auch das Kreatinin im Harn.[7] Zu den Hörern von Scherers Vorlesungen gehörten auch Ernst Haeckel (1853) und der italienische Anatom Alfonso Corti, nach dem das Corti-Organ des Ohres benannt ist. Joseph von Scherer wurde zuletzt Direktor des 1867 neu errichteten und von ihm begründeten Medizinischem Institut für Chemie und Hygiene in der Maxstraße 4.[8] Als sein Nachfolger wurde der der Philosophischen Fakultät angehörige Adolph Strecker nach Würzburg berufen, den von Scherer aus gemeinsamen Studienzeiten bei seinem Lehrer und „väterlichen Freund“ Liebig kannte. Zu Joseph von Scherers Freunden gehörte auch der an Chemie interessierte Würzburger Kliniker Heinrich von Bamberger.
Im Winter 1843 veröffentlichte er sein in Heidelberg erschienenes Buch Chemische und mikroskopische Untersuchungen zur Pathologie, angestellt an den Kliniken des Julius-Hospitals zu Würzburg, worin er mit der Bezeichnung seines „Klinisch-chemischen Laboratoriums“ in Würzburg erstmals den Begriff „klinisch-chemisch“ im heutigen Sinne prägte. 1843 und 1851 demonstrierte er das Auftreten von Milchsäure im menschlichen Blut unter pathologischen Bedingungen, wie bei hämorrhagischen oder septischen Schock.[9] Er entdeckte zwei grundlegende Natursubstanzen und veröffentlichte ihre Eigenschaften 1850: das Purinderivat Hypoxanthin[10] und den „Muskelzucker“ Inosit.[11] 1859 war er Dekan der Medizinischen Fakultät und gab den ersten Band seines unvollendet gebliebenen Lehrbuchs der Chemie mit besonderer Berücksichtigung der ärztlichen und pharmazeutischen Bedürfnisse heraus. 1850/1851 hielt er eine Vorlesung zur Geschichte der Chemie. Sein Abriss einer Geschichte der beiden ersten Jahrhunderte der Universität Würzburg mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Medizinischen Fakultät erschien 1852 bei Thein in Würzburg.[12] Mit Gottfried Eisenmann und Rudolf Virchow gab er ab 1853 die Jahresberichte über die Leistungen und Fortschritte in der gesamten Medizin heraus.[13] In den Jahren 1852 und 1861 war er Rektor der Universität, 1864 wurde er Hofrat. Er war zudem „Ministerial-Prüfungs-Commissär“[14] der polytechnischen Schulen.
Scherer war verheiratet mit Franziska Klinger, der Tochter eines Würzburger Gerichtsarztes, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte. Sein ältester Sohn aus erster Ehe mit Rosina Schlereth, Rudolph, starb am 6. Juli 1959.[15] Joseph von Scherer starb mit 54 Jahren an einem „Brustleiden“.
Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 1858 wurde er korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1866 verlieh ihm auf Grund seiner Forschungen über die Bad Kissinger Quellen der bayerische König den bayerischen Civilverdienstorden, den Adelstitel und das Ritterkreuz.
Seine Verdienste um die klinische Chemie würdigte die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie ab 1978 mit der Johann-Joseph-von-Scherer-Medaille.
Schriften (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Chemische und mikroskopische Untersuchungen zur Pathologie, angestellt an den Kliniken des Julius-Hospitals zu Würzburg. Winter, Heidelberg 1843.
- als Hrsg. mit anderen: Jahresberichte der Pharmacie in allen Ländern. 1844 ff. (zuvor erschienen als Jahresberichte über die Fortschritte der Pharmacie und Pharmakologie im In- und Auslande).
- Abriss einer Geschichte der beiden ersten Jahrhunderte der Universität Würzburg mit besonderer Hinsicht auf die Entwicklung der medicinischen Fakultät. Rekoratsrede. Thein, Würzburg 1852; auch in: Akademische Monatsschrift. 4, 1852, S. 4–22.
- als Hrsg. mit Gottfried Eisenmann und Rudolf Virchow: Jahresberichte über die Leistungen und Fortschritte in der gesamten Medizin. 1853 ff.
- Lehrbuchs der Chemie mit besonderer Berücksichtigung der ärztlichen und pharmazeutischen Bedürfnisse. Band 1. 1859.
Literatur und Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Johannes Büttner: Scherer, Johann Jakob Joseph von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 691 f. (Digitalisat).
- Johannes Büttner: Johann Joseph von Scherer (1814–1869). Ein Beitrag zur frühen Geschichte der Klinischen Chemie. In: Journal of Clinical Chemistry and Clinical Biochemistry. Band 16, 1978, S. 478–483.
- Johannes Büttner: Johann Joseph Scherer (1814–1869). In: Berichte der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. Neue Folge, Band 86, 1978, S. 247–253.
- Richard Anschütz: Scherer, Johann Joseph v. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 31, Duncker & Humblot, Leipzig 1890, S. 115 f.
- Christina Renata Grund: Johann Joseph von Scherers Briefe an Justus von Liebig. Umfang des Korpus und inhaltliche Aspekte. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 11, 1993, S. 101–106.[16]
- Klaus Koschel, Gerhard Sauer: Zur Geschichte des Chemischen Instituts der Universität Würzburg. Eigenverlag der Universität, Würzburg 1968, S. 19 ff.
- Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 240, 259–260, 265, 269, 435, 506, 511–515 und öfter.
- Gedächtnisrede auf Johann Joseph von Scherer. In: Verhandlungen der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft Würzburg. Neue Folge, Band 2, 1872, S. XXXIV–XXXIX.
- Thomas Sauer, Ralf Vollmuth: Briefe von Mitgliedern der Würzburger Medizinischen Fakultät im Nachlaß Anton Rulands. Quellen zur Geschichte der Medizin im 19. Jahrhundert mit Kurzbiographien. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 9, 1991, S. 135–206, hier: S. 181–183.
- Johannes Rudolf Wagner: Gedächtnisrede auf Johann Joseph von Scherer […], gehalten in der Sitzung der physikalisch-medizinischen Gesellschaft am 27. November 1869. In: Verhandlungen der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. 1871, S. XXXIII–XXXIX.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Johann Joseph von Scherer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Informationen zu und akademischer Stammbaum von Johann Joseph von Scherer bei academictree.org
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Grund (1993), S. 101.
- ↑ Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 514.
- ↑ Tierchemie. In: Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage. Band 2. Brockhaus, Leipzig 1911, S. 838 (Digitalisat. zeno.org).
- ↑ Grund (1993), S. 103.
- ↑ Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 265 und 512–513.
- ↑ Vgl. Georg Sticker: Entwicklungsgeschichte der Medizinischen Fakultät an der Alma Mater Julia. In: Max Buchner (Hrsg.): Aus der Vergangenheit der Universität Würzburg. Festschrift zum 350jährigen Bestehen der Universität. Hrsg. im Auftrag von Rektor und Senat. Springer, Berlin 1932, S. 383–799, hier: S. 618.
- ↑ Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 513.
- ↑ Heinz P. R. Seeliger: 100 Jahre Lehrstuhl für Hygiene in Würzburg. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 6, 1988, S. 129–139, hier: S. 130–131.
- ↑ E. J. O. Kompanje, T. C. Jansen, B. van der Hoven, J. Bakker: The first demonstration of lactic acid in human blood in shock by Johann Joseph Scherer (1814–1869) in January 1843. In: Intensive Care Med. Band 33, Nr. 11, November 2007, S. 1967–1971. PMC 2040486 (freier Volltext) doi:10.1007/s00134-007-0788-7.
- ↑ Josef Scherer: Ueber einen im thierischen Organismus vorkommenden, dem Xanthicoxyd verwandten Körper. In: Friedrich Wöhler, Justus Liebig (Hrsg.): Annalen der Chemie und Pharmacie. Band 73, Nr. 3. Christian Friedrich Winter, 1850, ISSN 0075-4617, S. 328–334, doi:10.1002/jlac.18500730304 (hathitrust.org).
- ↑ Josef Scherer: Ueber eine neue, aus dem Muskelfleische gewonnene Zuckerart. In: Friedrich Wöhler, Justus Liebig (Hrsg.): Annalen der Chemie und Pharmacie. Band 73, Nr. 3. Christian Friedrich Winter, Heidelberg 1850, S. 322–328, doi:10.1002/jlac.18500730303 (hathitrust.org).
- ↑ Auch in: Akademische Monatsschrift. Band 4, 1952, S. 4–22.
- ↑ Universität Würzburg: Pathologisches Institut: Johann Scherer ( vom 20. Februar 2015 im Internet Archive).
- ↑ Andreas Mettenleiter (2001), S. 514, Anm. 511.
- ↑ Grund (1993), S. 103.
- ↑ Die Briefe wurden von Januar 1846 bis November 1868 verfasst.
Personendaten | |
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NAME | Scherer, Johann Joseph von |
ALTERNATIVNAMEN | Scherer, Joseph von; Scherer, Johann Joseph (Geburtsname); Scherer, Joseph; Scherer, Josef |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Chemiker |
GEBURTSDATUM | 14. März 1814 |
GEBURTSORT | Aschaffenburg |
STERBEDATUM | 17. Februar 1869 |
STERBEORT | Würzburg |