Lohengrin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. Mai 2016 um 23:48 Uhr durch Rodomonte (Diskussion | Beiträge) (→‎Komposition: umstrittenen Teilsatz entfernt. Dafür wären Belege und nähere Erläuterungen nötig). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Werkdaten
Originaltitel: Lohengrin

August von Heckels Gemälde auf Schloss Neuschwanstein, im Auftrag von Ludwig II., 1886

Form: durchkomponiert
Originalsprache: deutsch
Musik: Richard Wagner
Libretto: Richard Wagner
Literarische Vorlage: Parzival von Wolfram von Eschenbach
Uraufführung: 28. August 1850
Ort der Uraufführung: Weimar, Großherzogliches Hoftheater
Spieldauer: ca. 3 ½ Std.
  • 1. Akt: ca. 1:05 Std.
  • 2. Akt: ca. 1:20 Std.
  • 3. Akt: ca. 1:05 Std.
Ort und Zeit der Handlung: Antwerpen, Anfang des 10. Jahrhunderts
Personen
  • Heinrich der Vogler, deutscher König (Bass)
  • Lohengrin (Tenor)
  • Elsa von Brabant (Sopran)
  • Friedrich von Telramund, brabantischer Graf (Bariton)
  • Ortrud, Friedrichs Gemahlin (dramatischer Sopran oder Mezzosopran)
  • Der Heerrufer des Königs (Bariton)
  • Vier brabantische Edle (zwei Tenöre, zwei Bässe)
  • Vier Edelknaben (zwei Soprane, zwei Alti)
  • Herzog Gottfried, Elsas Bruder (stumme Rolle)
  • Chor

Lohengrin ist eine romantische Oper in drei Akten des deutschen Komponisten Richard Wagner. Sie spielt vor einem historischen Hintergrund (Brabant in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts). Die Uraufführung fand am 28. August 1850 in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt im Großherzoglichen Hoftheater statt, den „Lohengrin“ sang dabei Karl Beck.[1][2][3] Grundlage des Stoffes ist die Gestalt des Loherangrîn in Wolfram von Eschenbachs mittelhochdeutschem Versepos Parzival. Außerdem das Lohengrin-Epos (unbekannter Verfasser um 1288) in der Ausgabe von Joseph Görres (1813), dessen Prosa-Nacherzählung in C.T.L. Lucas´ „Ueber den Krieg von Wartburg“ (1838), sowie einige der „Deutschen Sagen“ der Brüder Grimm (1816) und weitere Sagen- und Märchensammlungen.[4]

Literarische Vorlagen

Die literarische Figur des Loherangrin taucht im letzten Kapitel des mittelalterlichen Versepos Parzival Wolframs von Eschenbach als Seitenfigur auf. Der Gralsritter Loherangrin, Sohn des Gralskönigs Parzival, wird auf einem Schwan der Herzogin von Brabant als Helfer und Beschützer gesandt. Als Bedingung für seine Hilfe darf sie ihn niemals nach seinem Namen fragen. Als sie sein Verbot bricht, muss er sie verlassen.[5] Wagner griff die Figur auf und baute das Frageverbot zum Kern einer Geschichte aus, die das Verhältnis zwischen göttlicher Sphäre und irdischem Jammertal und zwischen frühmittelalterlichem Christentum und germanischer Götterwelt darstellt. Gleichzeitig versuchte Wagner, Elemente der griechischen Tragödie in die Handlung einzuflechten. Er schrieb dazu in den Mitteilungen an meine Freunde über seinen Lohengrin-Plan:

Wer kennt nicht „Zeus und Semele“? Der Gott liebt ein menschliches Weib und naht sich ihr in menschlicher Gestalt. Die Liebende erfährt aber, daß sie den Geliebten nicht nach seiner Wirklichkeit erkenne, und verlangt nun, der Gatte solle sich ihr, in der vollen sinnlichen Erscheinung seines Wesens, kundgeben. Zeus weiß, daß sein wirklicher Anblick sie vernichten muß. Er selber leidet unter diesem Bewußtsein, unter dem Zwange, das Verlangen der Liebenden erfüllen zu müssen und sie damit zu verderben. Er vollzieht sein eigenes Todesurteil, wenn der Glanz seiner göttlichen Erscheinung die Geliebte vernichtet. Ist der Mensch, der nach dem Gott sich sehnt, nicht vernichtet?

Komposition

Mit Lohengrin schuf Wagner die neue Opernform des durchkomponierten Musikdramas. Die Komposition ist nicht in einzelne Nummern aufgeteilt, sondern wird ohne Unterbrechung aktweise durchgespielt. Wagner setzt sich damit von der herkömmlichen Struktur der Nummernoper mit Arien, Rezitativen und Chorpartien ab. Trotzdem sind auch in Lohengrin noch große arien- oder ensembleartige Fragmente erhalten, so zum Beispiel Elsas Traumerzählung und Lohengrins Gralserzählung, die immer noch an die Form der klassischen Soloarie erinnern.

Um das Seelenleben der Bühnenfiguren in eindeutig lesbare musikalische Motive umsetzen zu können, wandte Wagner in Lohengrin Leitmotive an (z. B. das Grals- und das Frageverbot-Motiv).

Handlung

Vorspiel und Erster Aufzug

Das Vorspiel stellt die Aura des Grals dar. Die Musik beginnt mit leisen, hohen, sphärischen Streicherklängen, schwillt bis zu einem mächtigen Höhepunkt an und verschwindet wieder in sphärischem pianissimo. Friedrich Nietzsche schrieb, diese Musik sei „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“.

Zu Beginn des ersten Aufzugs sitzt Heinrich der Vogler auf einer Aue am Ufer der Schelde unter einer Gerichtseiche, um Heerschau und Gerichtstag im Fürstentum Brabant zu halten. Er teilt seine Absicht mit, für einen Krieg gegen die Ungarn ein Heer zu sammeln, an dem sich auch Brabant mit Soldaten beteiligen soll.

„Ob Ost, ob West, das gelte allen gleich.
Was deutsches Land ist, stelle Kampfesscharen.
Dann schmäht wohl niemand mehr das deutsche Reich.“

Außerdem habe er erfahren, dass ein Streit um die Erbfolge im Herrscherhaus entbrannt sei. Er ruft daher Friedrich von Telramund zur Aussage vor Gericht. Dieser ist der Erzieher Elsas und Gottfrieds, der Kinder des verstorbenen Herzogs von Brabant. Telramund sagt aus, Gottfried sei auf einem Spaziergang mit seiner Schwester im Wald verschwunden. Er klage sie daher des Brudermordes an, obwohl sie ihm eigentlich als Braut versprochen war. Er selbst habe Ortrud, die letzte Nachfahrin des Friesenfürsten Radbod, geheiratet. Daher beanspruche er zusätzlich die Fürstenwürde von Brabant:

„Dies Land doch sprech’ ich für mich an mit Recht,
da ich der Nächste von des Herzogs Blut.
Mein Weib dazu aus dem Geschlecht,
das einst auch diesen Landen seine Fürsten gab.“

Lohengrin
Oper Oslo 2015

Vom König zur Tat befragt, sagt Elsa nur „Mein armer Bruder“. Sie erklärt, dass ihr im Traum ein Ritter erschienen sei, der sie schützen und verteidigen werde (Elsas Traumerzählung: „Einsam in trüben Tagen“).

König Heinrich ordnet einen Gerichtskampf als Gottesurteil an, im Grunde eine Farce, weil sich die anwesenden Ritter weigern, gegen Telramund zu kämpfen („Wir streiten nur für dich“). Auf die Frage, wer sie im Kampf vertreten soll, sagt Elsa, ihr werde der gottgesandte Streiter zur Seite stehen, den sie im Traum gesehen habe.

Auf den königlichen Aufruf der Streiter meldet sich zunächst kein Kämpfer für Elsa. Erst als sie selbst betet, erscheint ein Boot, das von einem Schwan gezogen wird. Darauf steht ein fremder Ritter in heller Rüstung. Dieser will nicht nur für Elsa streiten, sondern hält zugleich um ihre Hand an. Beides ist jedoch mit einer Bedingung verknüpft:

„Nie sollst du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
woher ich kam der Fahrt,
noch wie mein Nam’ und Art.“

Den Versammelten verkündet der Ritter, dass Elsa von Brabant schuldlos sei. Es kommt zum Zweikampf, in dem der Unbekannte den Grafen von Telramund besiegt. Der Fremde verzichtet darauf, Telramund zu töten („Durch Gottes Sieg ist jetzt dein Leben mein – ich schenk’ es dir, mögst du der Reu’ es weih’n“). Unter allgemeinem Jubel sinkt Elsa ihrem Retter in die Arme.

Zweiter Aufzug

Es dämmert der Tag nach dem Zweikampf. Vor dem Palast beklagt Graf Friedrich von Telramund den Verlust seiner Ehre und bezichtigt seine Gattin, ihn zur Falschaussage gegen Elsa verführt zu haben. Ortrud zeiht ihn der Feigheit gegenüber dem fremden Ritter, in dem sie keineswegs einen von Gott gesandten Helden erblickt, sondern ein Wesen, „das durch Zauber stark“. Den widerstrebenden Telramund („Du wilde Seherin, wie willst du doch geheimnisvoll den Geist mir neu berücken“) überzeugt Ortrud davon, dass ihm Unrecht getan wurde und der Fremde den Zweikampf nur mit Hilfe eines Zaubers habe gewinnen können. Die beiden beschließen, Elsa zu verleiten, ihrem Helden die verbotene Frage nach „Nam’ und Art“ zu stellen. Für den Fall, dass dies missglücke, rät Ortrud zur Anwendung von Gewalt gegenüber dem fremden Helden („Jed’ Wesen, das durch Zauber stark, wird ihm des Leibes kleinstes Glied entrissen nur, muss sich alsbald ohnmächtig zeigen, wie es ist!“).

Kurz darauf erblicken sie Elsa auf dem Balkon ihrer Kemenate. Telramund zieht sich auf Drängen seiner Gattin zurück. Ortrud gibt sich scheinbar reuevoll gegenüber Elsa, die kurz vor ihrer Hochzeit steht, und schafft es, Elsas Mitleid zu erregen und in den Palast eingelassen zu werden. Triumphierend ruft sie die „entweihten Götter“ Wodan und Freia um ihren Beistand an. Arglos ist Elsa nur zu gern bereit, allen und auch Ortrud zu verzeihen. In einem vertraulichen Gespräch vor der Pforte deutet Ortrud an, es könne ein dunkles Geschick sein, aus dem heraus der Fremde gezwungen sei, seinen Namen zu verbergen. Elsa weist allen Zweifel von sich und nimmt Ortrud zu sich in den Palast.

Ein musikalisches Zwischenspiel leitet über zum Tagesanbruch. Von den Türmen ertönen Trompetensignale. Der Heerrufer des Königs ruft die Brabanter zusammen und verkündet, dass Telramund, wie es die Gesetze erfordern, „weil untreu er den Gotteskampf gewagt“, in Acht und Bann gefallen sei. Der „fremde, gottgesandte Mann“ aber soll mit dem Herzogtum Brabant belehnt werden: „Doch will der Held nicht Herzog sein genannt; ihr sollt ihn heißen ‚Schützer von Brabant‘ “. Der Heerrufer kündigt an, dass der Fremde sich noch am selben Tage mit Elsa vermählen werde, um am nächsten Tag die Brabanter anzuführen und König Heinrich auf dem Kriegszug zu folgen.

Am Rande der Szene äußern vier brabantische Edle ihren Missmut über die Beteiligung an Heinrichs Feldzug gegen eine weit entfernte Bedrohung. Telramund taucht auf und teilt mit, dass er den Fremden am Feldzug hindern könne und dass dieser das Gottesgericht durch einen Zauber verfälscht habe. Die vier Edlen ziehen Telramund in die Kirche.

Aus der Burg bewegt sich der Brautzug mit Elsa auf das Münster zu. Er hat gerade die Stufen vor dem Portal erreicht, da vertritt Ortrud Elsa den Weg und verlangt den Vortritt für sich mit der Begründung, dass sie einem geachteten Geschlecht entstamme, während Elsa noch nicht einmal in der Lage sei, den Namen ihres Gatten zu nennen. Elsa weist sie unter Hinweis auf die Reichsacht, der ihr Gatte verfallen sei, zurück. König Heinrich erscheint mit dem Fremden, und Ortrud muss vor diesem zurückweichen.

Der Hochzeitszug ordnet sich erneut; da erscheint der geächtete Telramund und klagt den Fremden des Zaubers an, aber die Klage wird abgewiesen. Der Geächtete redet auf Elsa ein, die verbotene Frage zu stellen, doch Elsa ringt sich zu einem erneuten Vertrauensbeweis gegenüber ihrem Helden durch. Der Hochzeitszug zieht mit dem Fremden und der verunsicherten Elsa ins Münster ein.

Dritter Aufzug

Das frischvermählte Paar zieht unter Gesang in das Brautgemach ein (Brautmarsch Treulich geführt). Es kommt zum ersten vertraulichen Gespräch der beiden. Elsa sagt, dass sie auch dann zum unbekannten Gatten halten würde, wenn Ortruds Verdacht zuträfe. Dieser möchte sie beruhigen und weist auf seine hohe Herkunft hin, die er für sie aufgab („Das einz’ge, was mein Opfer lohne, muss ich in Deiner Lieb’ ersehn“ und „aus Glanz und Wonne komm’ ich her“), was Elsa erst recht befürchten lässt, ihm nicht zu genügen und ihn eines Tages zu verlieren. Und so fragt sie den Ritter nach seinem Namen. In diesem Moment dringt Telramund in das Gemach ein. Es kommt zu einem Kampf, in dessen Verlauf Telramund vom Fremden erschlagen wird.

In der letzten Szene ist das Volk versammelt, um das versammelte Heer und König Heinrich zu verabschieden. Die vier Edlen bringen den Leichnam Telramunds vor den König. Der Fremde klagt Telramund des Hinterhaltes und Elsa der Untreue an. Sie habe ihm die verbotene Frage nach seinem Namen und seiner Herkunft gestellt, und er müsse sie nun beantworten. Er könne daher weder als Gatte noch als Heerführer in Brabant bleiben. Dann schildert er seine Herkunft. Er erzählt vom Gralspalast Montsalvat und der göttlichen Kraft, die den Hütern des Grals gegeben werde, solange sie unerkannt für das Recht kämpften. Wenn sie aber erkannt würden, müssten sie die von ihnen Beschützten verlassen. Er selbst sei der Sohn des Gralskönigs Parzival, und sein Name sei Lohengrin:

„In fernem Land, unnahbar euren Schritten,
liegt eine Burg, die Monsalvat genannt;
ein lichter Tempel stehet dort inmitten,
so kostbar als auf Erden nichts bekannt;

drin ein Gefäß von wundertät’gem Segen
wird dort als höchstes Heiligtum bewacht.
Es ward, dass sein der Menschen reinste pflegen,
herab von einer Engelschar gebracht.

Alljährlich naht vom Himmel eine Taube,
um neu zu stärken seine Wunderkraft:
Es heißt der Gral, und selig reinster Glaube
erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft.

Wer nun dem Gral zu dienen ist erkoren,
den rüstet er mit überirdischer Macht;
an dem ist jedes Bösen Trug verloren,
wenn ihn er sieht, weicht dem des Todes Nacht;

selbst wer von ihm in ferne Land entsendet,
zum Streiter für der Tugend Recht ernannt,
dem wird nicht seine heil’ge Kraft entwendet,
bleibt als sein Ritter dort er unerkannt.

So hehrer Art doch ist des Grales Segen,
enthüllt muss er des Laien Auge fliehn;
des Ritters drum sollt Zweifel ihr nicht hegen,
erkennt ihr ihn – dann muss er von euch ziehn.

Nun hört, wie ich verbot’ner Frage lohne:
Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt:
Mein Vater Parzival trägt seine Krone,
Sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt.“

Der König werde aber auch ohne ihn die Ungarn besiegen.

„Doch, großer König, lass mich Dir weissagen: Dir Reinem ist ein großer Sieg verliehn.“

An Elsa gewandt berichtet Lohengrin weiter, dass es nur eines Jahrs bedurft hätte, und Gottfried wäre nach Brabant zurückgekehrt.

Trotz Elsas Flehen und des Königs Drängen kann Lohengrin nicht bleiben. Der Schwan mit dem Boot kehrt zurück und nimmt Lohengrin mit sich. In schrecklichem Triumph ruft Ortrud aus, sie habe den Schwan wohl als den verschwundenen Gottfried erkannt, den sie selbst verzaubert habe.

„Am Kettlein, das ich um ihn wand, ersah ich wohl, wer jener Schwan: es ist der Erbe von Brabant!“

Auf Lohengrins Gebet wird Gottfried bereits jetzt, noch vor Ablauf der Jahresfrist, erlöst. Der Kahn, in dem Lohengrin unendlich traurig (Regieanweisung) scheidet, entfernt sich. Ortrud sinkt mit einem Schrei tot zu Boden, Elsa stirbt an psychischer Erschöpfung, das Volk (Chor) gibt sein Entsetzen „Weh! Ach!“ kund.

Entstehung

Das Lohengrinhaus in Graupa

Die erste Idee zur Oper kam Wagner 1842 in Paris: Durch eine Abhandlung von C.T.L. Lucas über den Sängerkrieg auf der Wartburg wurde er auch auf das Lohengrin-Epos und die damit verbundene Parzival-Dichtung Wolframs von Eschenbach aufmerksam. Einzelne Züge des Werks entnahm Wagner auch anderen Quellen. So ist der Konflikt zwischen Elsa und Ortrud vor dem Münster dem Streit der beiden Königinnen im Nibelungenlied nachgebildet und das Frageverbot der griechischen Mythologie entliehen (Zeus, Semele). Im Sommer 1845, während eines Kuraufenthalts in Marienbad, schrieb Wagner den Entwurf zur Oper nieder und begann sofort mit der Ausarbeitung des Textbuchs. Im Mai 1846 ging er an die musikalische Arbeit, die Kompositionsskizze war bereits Ende Juli beendet, die vollständige Partitur des Werks wurde am 28. April 1848 abgeschlossen. Um Ruhe für die Komposition zu haben, zog sich Wagner, der damals noch Hofkapellmeister in Dresden war, zwischenzeitlich für einige Wochen in das Schäfer’sche Gut, ein typisch sächsisches Großbauernhaus dieser Zeit, in Graupa nahe der Stadt Pirna zurück. Während unbeschwerter Wanderungen in der Natur, u. a. ins nahe Liebethal, fand er Ruhe und Ablenkung von seinen materiellen Sorgen. In Graupa hat man das Schäfer’sche Gut zu einem Richard-Wagner-Museum umgebaut und im nahen Liebethaler Grund das größte Wagner-Denkmal errichtet.

Historischer Hintergrund und Deutungshinweise

Als letztes seiner Werke trägt Wagners Lohengrin die Gattungsbezeichnung „Romantische Oper“, und nur in ihm kollidieren Geschichte und Mythos unmittelbar miteinander. Das mythische Geschehen ist in eine historische Rahmenhandlung eingebettet und genau auf das Jahr 933 datierbar, in dem König Heinrich I. bei Ritteburg an der Unstrut die Ungarn besiegte. Heinrichs Ansprache im 1. Akt bezieht sich auf die von Widukind von Corvey überlieferte Rede des Königs an das sächsischen Volk. Wagner hat sie nach Antwerpen verlegt, um das historische Geschehen mit der Legende vom Schwanenritter verbinden zu können, deren Ursprung im Niederrheinischen liegt. Ein autonomes Herzogtum Brabant hat es damals noch nicht gegeben. Da Heinrich I. bei diesem Feldzug alle zerstrittenen ostfränkischen Stämme einigen konnte, wurde er zu Wagners Zeit von der liberal-demokratischen Nationalbewegung als Wegbereiter eines geeinten deutschen Reichs verehrt und gegen die reaktionäre Politik Metternichs in Stellung gebracht. Wagner nennt Heinrich sogar anachronistisch „Deutscher König“, als Bühnenfigur spricht dieser vom „Deutschen Reich“, beides Titel, die es 933 noch nicht gab, Heinrich I. war vielmehr „König der östlichen Franken.“[6]

Da Wagner auf radikal-demokratischer Seite 1848/49 an der Revolution in Dresden teilnahm, ist dieser Zusammenhang ein Schlüssel zur Deutung der Oper, ebenso wie Wagners theoretische Schriften, die zeitgleich mit dem Lohengrin entstanden sind. So findet sich die Vermischung von Mythos und Geschichte schon in der Schrift „Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage“ (1848), in welcher Wagner die damals aktuelle indogermanische Sprachforschung rezipierte, In den „Wibelungen“ dienen mythische Überlieferungen nicht als Ausgangspunkt für die Rekonstruktion historischer Ereignisse, sondern die historischen Ereignisse sind umgekehrt nur das Rohmaterial, mit dessen Hilfe Wagner zum überzeitlichen, mythischen Kern des „Reinmenschlichen“ durchdringen will. Außerdem versucht er dort einen paradoxen, nämlich „kosmopolitischen“ Nationalismus bei den Deutschen nachzuweisen: in den Deutschen habe sich das Übernationale, das „Reinmenschliche“ am reinsten erhalten, weshalb Wagner sich gerade von den Deutschen im Vorfeld der Revolution die Regeneration Europas versprach. [7]

Des Weiteren gehört Wagners Dramenentwurf „Jesus von Nazareth“ in das gedankliche Umfeld des Lohengrin, denn hier wird der historische Jesus vom dogmatisierten Jesus der Kirche getrennt und erhält einen revolutionären Anstrich. Ludwig Feuerbachs materialistische Schrift Das Wesen des Christentums und David Friedrich Strauß´ Das Leben Jesu waren hier seine Stichwortgeber. Aus dieser Perspektive muss die christliche Symbolik des Lohengrin gesehen werden: Wagner stellt die christlichen Symbole (z.B. den Gral) den heidnischen Mythen gleichwertig an die Seite, sie sind wie bei Feuerbach von der Sehnsucht projizierte Urbilder der gesamten Menschheit. 1853 erläuterte Wagner das Lohengrin-Vorspiel und die Entstehung des Gralsmythos dementsprechend als Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte „aus der öden Sorge für Gewinn und Besitz, der einzigen Anordnerin alles Weltverkehrs...“ [8]

Dies alles, also die romantische Indologie, die materialistische Religionskritik Feuerbachs, die angebliche Sonderrolle des deutschen „Urvolks“ (so hieß es schon bei Fichte und „Turnvater“ Jahn) und die Kapitalismuskritik des Vormärz (Wilhelm Weitling, Marx und Engels) gehen bei Wagner eine sonderbare Mischung ein: Der Kapitalismus, egoistisches Machtstaatsdenken und das von der historischen Entwicklung deformierte Christentum haben in den Schriften Wagners aus dieser Zeit zu dem Zustand geführt, dessen Entsprechung im Lohengrin die politische Krise ist, die der Zuschauer zu Beginn der Oper in dem führungslos gewordenen Herzogtum Brabant vorfindet. Sie macht das politische Eingreifen Heinrichs I. und das mythische Eingreifen des Schwanenritters nötig. Letzterer ist bei ihm keine rundum positive Figur und scheitert - wie vor ihm schon der Volksheld Rienzi - an einer von Ortrud eingefädelten Intrige. Das lässt auf den politischen Pessimismus des zukünftigen Revolutionärs Wagner schließen. Ortrud mag mit ihrem archaischen Götterglauben ein Sinnbild der politischen Reaktion im Vormärz darstellen, Elsas bzw. Lohengrins Scheitern nimmt das Scheitern der politischen Utopien von 1848/49 voraus.

Spieldauer (am Beispiel der Bayreuther Festspiele)

Bei den Bayreuther Festspielen war es üblich, die Länge der einzelnen Aufzüge zu dokumentieren, jedoch wurden dort nicht alle Jahre erfasst.[9] Einfluss auf die Dauer hatten auch die Art der Stimme und das Temperament der Sänger.[10] Die hier genannten Zeiten umfassen nur Aufführungen, für die alle drei Akte dokumentiert wurden.

Übersicht (1891 bis 1973)
Lohengrin 1. Akt 2. Akt 3. Akt Gesamtdauer
Std. Dirigent Std. Dirigent Std. Dirigent Std. Dirigent
Kürzeste Dauer 0:58 Alberto Erede
Silvio Varviso
1:13 Wolfgang Sawallisch 0:55 Alberto Erede 3:07 Alberto Erede
Längste Dauer 1:16 Felix Mottl 1:29 Heinz Tietjen 1:12 Felix Mottl
Heinz Tietjen
3:52 Heinz Tietjen
Spannweite * 0:18 (31 %) 0:16 (22 %) 0:17 (31 %) 0:45 (24 %)

* Wegen Inszenierung unterschiedlicher Fassungen nicht immer repräsentativ. Prozentangaben beziehen sich auf die kürzeste Dauer.

Amalie Materna als Ortrud, Wien um 1885
Spieldauer bei einzelnen Dirigenten der Bayreuther Festspiele (in Std.)
Jahr Dirigent 1. Akt 2. Akt 3. Akt Gesamtdauer
1894 Felix Mottl 1:10 1:22 1:09 3:41
1:08 1:25 1:12 3:45
1:11 1:23 1:06 3:40
1908 Siegfried Wagner 1:09 1:23 1:08 3:40
1:07 1:20 1:05 3:32
1936 Wilhelm Furtwängler 1:01 1:19 1:05 3:25
1937 Heinz Tietjen 1:11 1:29 1:12 3:52
1953 Joseph Keilberth 1:06 1:22 1:07 3:35
1954 Eugen Jochum 1:04 1:21 1:05 3:30
1:02 1:20 1:03 3:25
1958 André Cluytens 1:02 1:15 1:00 3:17
1959 Lovro von Matačić 1:04 1:21 1:03 3:28
Heinz Tietjen 1:03 1:21 1:03 3:27
1960 Ferdinand Leitner 1:03 1:15 1:03 3:21
Lorin Maazel 1:02 1:17 1:01 3:20
1962 Wolfgang Sawallisch 0:59 1:13 0:58 3:10
1967 Rudolf Kempe 1:02 1:23 1:00 3:25
Berislav Klobučar 1:00 1:20 0:59 3:19
1968 Alberto Erede 0:58 1:14 0:55 3:07
1971 Silvio Varviso 0:58 1:19 1:01 3:18

Einspielungen (Auswahl)

Ferner wurden die bekanntesten Auszüge von namhaften Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Hans Knappertsbusch, Herbert von Karajan oder Karl Muck eingespielt.

Sonstiges

Johann Nestroy schrieb die Parodie Lohengrin, die am 31. März 1859 im Wiener Carltheater Premiere hatte. Diese Parodie enttäuschte Publikum und zeitgenössische Kritik, auch neuzeitliche Interpretationen sehen sie eher als eines der schwächsten Werke Nestroys an.

Lohengrin (Schokolade)

Die Oper ist Namensgeber eines in Norwegen sehr bekannten Schokoriegels. Der Riegel gehört zu den am längsten vertriebenen Süßwaren Norwegens und wurde 2009 zu einem nationalen Kulturgut erklärt. 1911 hatte die Firma Freia, deren Name auf eine Gestalt aus der Oper Das Rheingold zurückgeht, anlässlich einer Produktion der Oper am Osloer Nationaltheatret einen Exklusivvertrag mit dem Theater vereinbart. Die Schokolade wurde den Zuschauern der norwegischen Premiere am 7. Dezember 1911 angeboten und als Requisit auf der Bühne verwendet.[11] Bis 1914 wurde die Süßigkeit vertragsgemäß ausschließlich am Nationaltheater verkauft und gelangte erst danach in den allgemeinen Handel.[12]

Eine satirische und von Wagner-Gegnern gerne zitierte Beschreibung eines Erlebnisses der Oper im Nationaltheater Mannheim – „How Wagner Operas Bang Along“ – stammt von Mark Twain aus seinem 1880 erschienenen Reisebericht Bummel durch Europa.[13]

Charlie Chaplin verwendet die Ouvertüre von Wagners Lohengrin als Untermalung von zwei berühmten Szenen in seinem Film Der große Diktator: wenn der Diktator Hynkel mit der Weltkugel tanzt, und bei der Schlussansprache des (ebenfalls von Chaplin verkörperten) Friseurs. Beim Tanz mit der Weltkugel bricht die Ouvertüre unvermittelt vor dem Höhepunkt ab, und der Ballon zerplatzt. Bei der Schlussansprache hingegen erreicht die Ouvertüre ihren Höhepunkt und kommt zu einem musikalisch befriedigenden Abschluss.

Siehe auch

Commons: Lohengrin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Lohengrin im Digitalen Archiv der Thüringischen Staatsarchive
  2. Das Aufführungsmaterial der Uraufführung befindet sich heute im Hochschularchiv/Thüringischen Landesmusikarchiv Weimar (Deposital-Bestand: Deutsches Nationaltheater, DNT 359)
  3. Ludwig Eisenberg: Großes biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Verlag von Paul List, Leipzig 1903, S. 70
  4. Eine vollständige Liste aller Quellen Wagners bei Martin Lade: Erlösende Widersprüche. Mythische Vernunft und kosmopolitischer Nationalismus des jungen Wagner. Publikation der Oper Köln zu Richard Wagners "Lohengrin" in der Regie von Klaus Maria Brandauer. Oper Köln 2006, S.14.
  5. Digitaltext von Wolfram von Eschenbach: Parzival, Buch XVI
  6. Martin Lade, ebenda, Oper Köln 2006, S.7ff.
  7. Martin Lade, ebenda, Oper Köln 2006, S.37-45.
  8. Zitiert nach Martin Lade, ebenda, Oper Köln 2006, S.11.
  9. Egon Voss: Die Dirigenten der Bayreuther Festspiele, 1976, Gustav Bosse Verlag, Regensburg; Dokumentation zu Tannhäuser: S. 101
  10. So begründet bei Egon Voss (Ebenda)
  11. Lohengrin er mer enn utseendet Adresseavisen, 16. März 2009
  12. Lohengrin (sjokolade). In: Store norske leksikon. Abgerufen am 23. März 2015 (norwegisch).
  13. Hanser-Ausgabe Bd. 6, S. 58 ff.; englische Fassung online hier, Chapter X.