Ulrich Beck

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Ulrich Beck (* 15. Mai 1944 in Stolp in Hinterpommern) ist ein deutscher Soziologe.

Er war bis zum Sommersemester 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist BJS Visiting Centennial Professor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science. Beck hielt Ende Juli 2009 an der LMU München seine Abschiedsvorlesung.[1]

Leben

Ulrich Beck wuchs in Hannover auf. Nach dem Abitur nahm er zunächst in Freiburg im Breisgau ein Studium der Rechtswissenschaften auf. Später erhielt er ein Stipendium und studierte Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort promovierte er 1972 und wurde sieben Jahre später im Fach Soziologie habilitiert.

Professuren besetzte er von 1979 bis 1981 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und von 1981 bis 1992 in Bamberg. Er wurde in Konvent und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gewählt. Heute lehrt er an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der LSE. Beck ist außerdem Mitglied des Kuratoriums am Jüdischen Zentrum München. Er ist mit der Familiensoziologin Elisabeth Beck-Gernsheim verheiratet.

Werk

Autogramm

In seinen Arbeiten befasst er sich unter anderem mit den Themen Globalisierung und gesellschaftlichem Wandel und den damit verbundenen Folgen für die Menschheit, zum Beispiel Individualisierung oder soziale Ungleichheit.

Durch Beobachtungsgabe und Kombinatorik nehmen seine Schriften oft die Form des Großessays an. In ihnen gelingt es Beck wiederholt, für gesellschaftliche Sachverhalte und Entwicklungen eingängige Kurzformeln zu entwickeln. So prägte er zahlreiche Begriffe, die nahezu alle Schlagwortcharakter haben. Darunter fallen: Risikogesellschaft, Fahrstuhleffekt und soziologischer Kosmopolitismus, Individualisierung, Deinstutionalisierung, Enttraditionalisierung, Pluralisierung sowie im Bezug auf die Globalisierung die Begriffe Zweite Moderne, Globalismus, Globalität, Brasilianisierung sowie Transnationalstaat.

Beck plädiert volkswirtschaftspolitisch dafür, neue Prioritäten zu setzen. Vollbeschäftigung sei angesichts der Automatisierung nicht mehr erreichbar, nationale Lösungen seien unrealistisch, "neoliberale Medizin" wirke nicht. Stattdessen müsste der Staat ein Grundeinkommen garantieren und dadurch mehr zivilgesellschaftliche Arbeit ermöglichen.

Eine solche Lösung sei nur realisierbar, wenn auf europäischer Ebene bzw. – im besten Fall – auf diversen transnationalen Ebenen einheitliche wirtschaftliche und soziale Standards gelten würden. Nur so sei es möglich, die transnational agierenden Unternehmen zu kontrollieren. Zur Eindämmung der Macht transnationaler Konzerne (TNKs) plädiert er daher für die Errichtung Transnationaler Staaten als Gegenpol.
Die Welt sei eine Weltrisikogesellschaft geworden. Ein Aspekt, der dieses verdeutlicht, ist das kosmopolite Bewusstsein der gemeinsamen Bedrohung durch den Terrorismus.

Ferner ist er der Ansicht, dass ohne den Auf- und Ausbau internationalen Rechts und rechtsprechender Instanzen die Beilegung transnationaler Konflikte mit friedlichen Mitteln ausgeschlossen sei, was er als Rechtspazifismus tituliert.[2]

Wirkung

Beck ist einer der bekanntesten deutschen Soziologen der Gegenwart, dessen Begriffe und Thesen weit über das Fachpublikum hinaus auf Resonanz zielen und stoßen. 1999 wurde Beck mit dem CICERO rednerpreis, 1996 mit dem Kulturellen Ehrenpreis der Landeshauptstadt München und 2005 mit dem Schader-Preis, der höchst dotierten Auszeichnung für Gesellschaftswissenschaftler in Deutschland ausgezeichnet.

Kritik

Es gibt mehrere Arten von kritischen Einwänden, denen sich Beck ausgesetzt sieht. Generell wird ihm vorgehalten:

  • Bei seiner ´dichten Beschreibung´ von gesellschaftlichen Sachverhalten und Entwicklungen handle es sich weniger um neue Einsichten, als vielmehr um Bekanntes, das lediglich mit neuen Schlagworten versehen werde.
  • Trotz einzelner treffender Beobachtungen spiegele sein Werk eher – teils modische, teils persönliche – Vorurteile wieder.
  • Es handele sich bei ihm eher um politische Philosophie als um handfeste, empirisch gehaltvolle Soziologie.

Zur Individualisierung

Was Ulrich Beck zunächst als "Arbeitsmarktindividualisierung" bezeichnete was später als gesellschaftliche „Individualisierung“ verallgemeinert wurde, fasse lediglich ein Oberflächenphänomen: die Schwächung oder Auflösung stabiler Zusammenhänge zwischen individuellem Verhalten und sozialen Merkmalen wie etwa Schichtenzugehörigkeit und Milieu. Individualisierung bezeichne lediglich, wie in der Markt- und Meinungsforschung üblich, eine statistische Auffälligkeit von Merkmalskombinationen. Das bedeutsamere Phänomen der Individuierung bzw. Besonderung der Lebensführung hingegen werde durch diesen Begriff nicht berührt. Auf diese Kritik entgegnete Beck (1997):

„Der Streit um die Individualisierungsthese ist so alt wie die These selbst. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir glauben nicht, daß er durch dieses Buch beendet wird. Dazu ist die These, wie viele Kritiker zu Recht anmerken, zu schillernd, und in der Diskussion werden beinahe so viele Interpretationen gehandelt, wie es Befürworter und Gegner gibt. Dagegen glauben wir sehr wohl, daß diese These – und vor allem die vielfältigen Versuche eines produktiven Umgangs mit ihr – die deutsche Soziologie sehr angeregt haben und weiterhin fruchtbar sein werden.“

Ulrich Beck/Peter Sopp[3]

Kritiker bewerteten diese Anti-Kritik als unverbindlich-oberflächliche Antwort nach dem Motto "Den Kuchen essen und ihn behalten". Sie bemängelten, dass sowohl die Uneindeutigkeit der Individualisierungsthese als auch die Vielzahl ihrer Interpretationsmöglichkeiten nicht auf die Gültigkeit der Ausgangsthese verwiese, sondern vielmehr ihre Grundproblematik veranschauliche. Darüber hinaus hätte die jahrelange und breite Diskussion dieser diffusen These die Entwicklung einer realistischen Gegenwartsoziologie blockiert.

Zur Modernisierung

Die These der reflexiven Modernisierung[4] berücksichtige den Nationalsozialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur peripher. Beck beschreibt ihn lapidar als "Bruch mit der Moderne" bzw. als "Antimoderne der Moderne".[5]

Zur Beschäftigungspolitik und zum Grundeinkommen

Erstaunen löste bei einigen auch der Umstand aus, dass Beck sich seit kurzem unumwunden als Befürworter des Grundeinkommensvorschlags zu Wort meldet, obwohl er zuvor Jahre lang etwas Gegensätzliches propagiert hat.

Beck hatte 1996/1997 in einem Bericht der Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission von Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel das Konzept der Bürgerarbeit und des Gemeinwohlunternehmers für diejenigen vorgeschlagen, die keine Arbeit mehr finden. Er ging also in diesem Konzept davon aus, dass es wahrscheinlich nicht mehr Arbeit für alle geben werde. Bürgerarbeit sollten diejenigen bei sogenannten "Gemeinwohlunternehmern" ableisten, die keine Erwerbsarbeit mehr finden können. Beck hielt also in der Bürgerarbeit an der Arbeitsethik – an Erwerbsarbeit als Normalität – fest, obwohl er zugleich Vollbeschäftigung als unwahrscheinlich anerkannte. Kritiker haben Beck vorgeworfen, mit seiner Bürgerarbeit, die durch staatliche Stellen als gemeinwohlbezogene anzuerkennen ist und mit einer Lohnzahlung einhergehen sollte, eine gigantische Bürokratisierung und eine Kommerzialisierung des ehrenamtlichen Sektors zu propagieren. Manche warfen ihm sogar vor, die Bürgerarbeit sei das technokratische Horrorszenario eines modernen Arbeitshauses, denn die Arbeitslosen würden behördlich unter Kuratel der Arbeitsethik gestellt, indem ihnen ersatzweise eine staatlich kontrollierte Bürgerarbeit bereitgestellt werde, die sie gegebenenfalls zum Einkommenszuverdienst anzunehmen gezwungen seien. Ulrich Beck hat in den letzten Jahren auch länderübergreifend und regierungsflankierend mit Anthony Giddens ein Intellektuellenbündnis unterhalten, das die rot-grüne Politik der Agenda 2010 von Gerhard Schröder bzw. die Arbeitsmarktreformen von Tony Blair in England sympathisch begleitete. Dabei sind beide jeweils dem Modell des "workfare" und des technokratischen "aktivierenden Sozialstaats" verpflichtet und standen im Gegensatz zum Geist des Grundeinkommensvorschlags.

Dass Ulrich Beck sich nun, nachdem die Grundeinkommensdiskussion von einigen Initiativen und vom Unternehmer Götz W. Werner in Deutschland in die Öffentlichkeit getragen wurde, für das Grundeinkommen ausspricht, kommt einer Konversion gleich. Kritiker monieren, dass eine solche "Konversion" nur dann respektheischend und glaubwürdig sei, wenn Beck das Problematische seiner früheren Positionen, mit denen er ja weiterhin für viele verbunden ist, auch deutlich kenntlich mache und nicht so tue, als sei sein heutiges Engagement eine stimmige Fortentwicklung früherer Vorschläge.

Von Makroökonomen, die sich auf die im angelsächsischen Raum weithin anerkannten neukeynesianischen Ansätze berufen, wird Beck heftig für seine These kritisiert, dass eine wirksame staatliche Beschäftigungspolitik heute nicht mehr möglich sei.

Zur Risikogesellschaft

Die These, die Welt sei eine Weltrisikogesellschaft geworden, impliziert, dass das globale Netzwerk den Charakter einer Gesellschaft habe. Dies wird nicht allgemein so gesehen. Auch wird in der Katastrophensoziologie seine Vermutung bestritten, dass die behandelten Risiken egalisierend wirkten.

Ausgewählte Schriften

Zum Einstieg

  • Freiheit oder Kapitalismus. Ulrich Beck im Gespräch mit Johannes Willms, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000

Monographien

  • Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986
  • mit Elisabeth Beck-Gernsheim: Das ganz normale Chaos der Liebe, 1990
  • Politik in der Risikogesellschaft, 1991
  • Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, 1993
  • mit Elisabeth Beck-Gernsheim: Riskante Freiheiten. Gesellschaftliche Individualisierungsprozesse in der Moderne, 1994
  • mit Anthony Giddens und Scott Lash: Reflexive Modernisierung. Eine Debatte, dt. 1996
  • Was ist Globalisierung? 1997
  • Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft, Campus, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-593-36036-5
  • Ortsbestimmungen der Soziologie. Wie die kommende Generation Gesellschaftswissenschaften betreiben will, Nomos, Baden-Baden 2000, ISBN 3-7890-6622-2
  • Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-41362-7
  • Entgrenzung und Entscheidung. Was ist neu an der Theorie reflexiver Modernisierung? Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-41648-0
  • (mit Edgar Grande): Das kosmopolitische Europa. Gesellschaft und Politik in der Zweiten Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-41647-2
  • Was zur Wahl steht, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3518417347, Rezension in der taz vom [16. Juli 2005]
  • Weltrisikogesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-518-41425-5
  • Der eigene Gott. Die Individualisierung der Religion und der „Geist“ der Weltgesellschaft, Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-458-71003-5 [6]

Artikel (Auswahl 2005-2007)

Interviews

Besprechungen

Literatur

  • Richard Albrecht, Differenzierung – Pluralisierung – Individualisierung: Umbruchsprozesse (in) der bundesrepublikanischen Gesellschaft, in: Gewerkschaftliche Monatshefte (GMH), 1990, Jg. 41, Heft 8, 1990, S.503-512; pdf-Textversion der FES-Bibliothek ca. 0.135 MB library.fes.de
  • Klaus Dörre: Reflexive Modernisierung – eine Übergangstheorie. Zum analytischen Potenzial einer populären soziologischen Zeitdiagnose, Ruhr-Uni-Bochum
  • Hans Magnus Enzensberger, Mittelmaß und Wahn Ein Vorschlag zur Güte, in: Ders., Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, S. 250-276
  • Monika E. Fischer: Raum und Zeit. Die Formen des Lernens Erwachsener aus modernisierungstheoretischer Sicht, Verlag Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3-8340-0266-2
  • Ronald Hitzler: Ulrich Beck, in: Aktuelle Theorien der Soziologie. Von Shumel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne, hgg. von Dirk Kaesler, C. H. Beck, München 2005, S. 267-285, ISBN 3-406-52822-8
  • Karl Otto Hondrich: Die Dialektik von Kollektivisierung und Individualisierung – am Beispiel der Paarbeziehungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 53, 1998 [25. Dezember 1998], S. 3-8
  • Thomas Kron (Hg.): Individualisierung und soziologische Theorie, Leske + Budrich, Opladen 2000, ISBN 3-8100-2505-4
  • Angelika Poferl: Ulrich Beck, in: Stephan Moebius/Dirk Quadflieg (Hgg.): Kultur. Theorien der Gegenwart VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14519-3
  • Angelika Poferl/Nathan Sznaider (Hgg.): Ulrich Becks kosmopolitisches Projekt. Auf dem Weg in eine andere Soziologie, Nomos, Baden-Baden
  • Armin Pongs: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? [1999], Dilemma Verlag, München ²2007
  • Gisela Riescher: Ulrich Beck, in: Dies. (Hgn.): Politische Theorie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis Young, Kröner, Stuttgart 2004, S. 43-46, ISBN 3-520-34301-0
  • Volker Stork: Die „Zweite Moderne“ – ein Markenartikel? Zur Antiquiertheit und Negativität der Gesellschaftsutopie von Ulrich Beck UVK-Verl.-Ges., Konstanz 2001, ISBN 3-89669-802-8

Weblinks

Quellen

  1. NZZ.ch
  2. Beck 1997, S. 225
  3. Beck, Sopp (Hgg.) Individualisierung und Integration, Opladen 1997, S. 9
  4. Ulrich Beck, Reflexive Modernisierung- Eine Debatte (1996, gemeinsam mit Anthony Giddens und Scott Lash)
  5. Ulrich Becks Antwort in der Vorlesung Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland im Sommersemester 2005 an der Ludwig-Maximilians-Universität München auf die Frage eines Studenten, wie die 13 Jahre Nationalsozialismus in die Theorie reflexiver Modernisierung passten.
  6. „Gott ist gefährlich“ Ulrich Beck mit fünf Thesen zur Religion in der Zeit vom 19. Dezember 2007