„Johannes Agnoli“ – Versionsunterschied

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'''Johannes Agnoli''' (* [[22. Februar]] [[1925]]<ref>''Who's Who in The World'' 2001 (21. Edition), S. 22.</ref> in [[Valle di Cadore]], [[Italien]]; † [[4. Mai]] [[2003]] in [[San Quirico di Moriano]] bei [[Lucca]], Italien) war ein deutscher [[Politikwissenschaft]]ler italienischer Herkunft.
'''Johannes Agnoli''' (* [[22. Februar]] [[1925]]<ref>''Who's Who in The World'' 2001 (21. Edition), S. 22.</ref> in [[Valle di Cadore]], [[Italien]]; † [[4. Mai]] [[2003]] in [[San Quirico di Moriano]] bei [[Lucca]], Italien) war ein deutscher [[Politikwissenschaft]]ler italienischer Herkunft. Als sein politikwissenschaftliches Hauptwerk gilt ''Die Transformation der Demokratie,'' eine Kritik der Rückentwicklung der Demokratie zu einer neofeudalen oder autoritären Herrschaftsform. Die liberale Demokratie sei eigentlich eine konstitutionelle Oligarchie.<ref>{{Literatur |Autor=Richard Saage, Gunnar Berg |Titel=Zwischen Triumph und Krise: Zum Zustand der liberalen Demokratie nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Osteuropa |Verlag=Springer-Verlag |Datum=2013-03-08 |ISBN=9783322973757 |Online=https://books.google.com.ph/books?id=yn3SBgAAQBAJ&pg=PA49&dq=agnoli&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjy6-yXkonhAhUEiLwKHdvGBO84ChDoAQhVMAg#v=onepage&q=agnoli&f=false |Abruf=2019-03-17}}</ref>


== Leben ==
== Leben ==
Agnoli stammte aus einer wohlhabenden italienischen Familie in Valle di Cadore in den östlichen [[Dolomiten]]. Seine Eltern waren Pietro Agnoli und Margherita, geb. Ponte.<ref>''Who’s who in Germany'' (1990), S. 16.</ref><ref>{{Munzinger|00000012239|Johannes Agnoli}}</ref> Die [[Weltwirtschaftskrise]] beraubte die Familie ihrer ökonomischen Grundlage. Als Mitglied der faschistischen Jugendorganisation [[Gioventù Italiana del Littorio]] wurde er Provinzialführer der Oberschuljugend. Er verfasste lobende Schriften auf den Krieg, den [[Benito Mussolini|Duce]] und den [[Faschismus]]. Nach dem [[Abitur]] im Mai 1943 und der deutschen Besetzung Italiens meldete er sich bei der [[Waffen-SS]], die für ausländische Kriegsfreiwillige zuständig war. Sie überstellte ihn zu den [[Gebirgstruppe (Deutschland)#Die Gebirgstruppe der Wehrmacht|Gebirgsjägern]] der deutschen [[Wehrmacht]], deren Härte er bewunderte. Er wurde bei der [[Partisan#Partisanenbekämpfung im Zweiten Weltkrieg|Bekämpfung]] der [[Volksbefreiungsarmee (Jugoslawien)|jugoslawischen Partisanen]] eingesetzt. Im Mai 1945 geriet er in britische Gefangenschaft und wurde im Kriegsgefangenenlager im ägyptischen [[Moascar]] in der [[Sueskanal]]zone interniert. Im „Reeducational Work“ betreute er den Philosophiekurs, den er mit [[Wilhelm Windelband|Windelbands]] Philosophiegeschichte bestritt. Im Sommer 1948 wurde er entlassen.
Agnoli stammte aus einer wohlhabenden italienischen Familie in [[Valle di Cadore]] in den östlichen [[Dolomiten]]. Seine Eltern waren Pietro Agnoli und Margherita, geb. Ponte.<ref>''Who’s who in Germany'' (1990), S. 16.</ref><ref>{{Munzinger|00000012239|Johannes Agnoli}}</ref> Die [[Weltwirtschaftskrise]] beraubte die Familie ihrer ökonomischen Grundlage. Als Mitglied der faschistischen Jugendorganisation [[Gioventù Italiana del Littorio]] wurde er Provinzialführer der Oberschuljugend. Er verfasste lobende Schriften auf den Krieg, den [[Benito Mussolini|Duce]] und den [[Faschismus]].


Nach dem [[Abitur]] im Mai 1943 und der deutschen Besetzung Italiens meldete er sich bei der [[Waffen-SS]], die für ausländische Kriegsfreiwillige zuständig war. Sie überstellte ihn zu den [[Gebirgstruppe (Deutschland)#Die Gebirgstruppe der Wehrmacht|Gebirgsjägern]] der deutschen [[Wehrmacht]], deren Härte er bewunderte. Er wurde bei der [[Partisan#Partisanenbekämpfung im Zweiten Weltkrieg|Bekämpfung]] der [[Volksbefreiungsarmee (Jugoslawien)|jugoslawischen Partisanen]] eingesetzt.
In Urach, dem heutigen [[Bad Urach]], arbeitete er zunächst in einem Sägewerk, bis er im Dezember 1949 mit einem Kriegsteilnehmer-Stipendium in [[Tübingen]] studieren konnte. Im Mai 1955 wurde er in Deutschland eingebürgert. Er wurde mit einer Arbeit über [[Giambattista Vico]]s Rechtsphilosophie promoviert und machte bei [[Theodor Eschenburg]] ein Examen in Politikwissenschaft. 1957 trat er in die [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]] ein, aus der er 1961 als Mitglied der [[Sozialistische Förderergesellschaft|Sozialistischen Förderergesellschaft]] wegen des [[Unvereinbarkeitsbeschluss]]es mit dem [[Sozialistischer Deutscher Studentenbund|SDS]] ausgeschlossen wurde. 1960 wurde er Assistent bei dem Politikwissenschaftler [[Ferdinand Hermens|Ferdinand Aloysius Hermens]] in [[Köln]].


Im Mai 1945 geriet er in britische Gefangenschaft und wurde im Kriegsgefangenenlager im ägyptischen [[Moascar]] in der [[Sueskanal]]zone interniert. Im „Reeducational Work“ betreute er den Philosophiekurs, den er mit [[Wilhelm Windelband|Windelbands]] Philosophiegeschichte bestritt. Im Sommer 1948 wurde er entlassen.
Nachdem Agnoli auf einer Tagung die Anerkennung der DDR befürwortet hatte, trennte sich Hermens von ihm. Auf Empfehlung von [[Wolfgang Abendroth]] wurde er Assistent von [[Ossip K. Flechtheim]] am [[Otto-Suhr-Institut]] und habilitierte sich dort 1972.


In Urach, dem heutigen [[Bad Urach]], arbeitete er zunächst in einem Sägewerk, bis er im Dezember 1949 mit einem Kriegsteilnehmer-Stipendium in [[Tübingen]] studieren konnte. Im Mai 1955 wurde er in Deutschland eingebürgert. Er wurde mit einer Arbeit über [[Giambattista Vico]]s Rechtsphilosophie promoviert und machte bei [[Theodor Eschenburg]] ein Examen in Politikwissenschaft.
Er war von 1972 bis 1990 [[Professor]] am Otto-Suhr-Institut für [[Politikwissenschaft]] an der [[Freie Universität Berlin|FU Berlin]]. Agnoli gehörte zu den Vordenkern der [[Studentenbewegung|68er-Studentenbewegung]]. Das Buch ''[[Die Transformation der Demokratie]]'', das er 1967 zusammen mit dem Sozialpsychologen [[Peter Brückner]] verfasste, enthält ein Traktat von ihm zur [[Radikaldemokratie|radikaldemokratischen]] Wahl- und [[Pluralismus (Politik)|Pluralismuskritik]] in Deutschland. Anhänger des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und der [[Außerparlamentarische Opposition|Außerparlamentarischen Opposition]] (APO) betrachteten es in den späten 1960er Jahren als zentralen programmatischen Text. Kennzeichnend für Agnoli ist eine eindeutige Ablehnung des Repräsentativsystems, des Parlamentarismus und des vom [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|deutschen Grundgesetz]] konzipierten Leitbildes der Demokratie. Agnoli war 1967 maßgeblich an der Gründung des [[Republikanischer Club|Republikanischen Clubs]] in West-Berlin beteiligt und auch an den Debatten und Aktionen der (APO).

1957 trat er in die [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]] ein, aus der er 1961 als Mitglied der [[Sozialistische Förderergesellschaft|Sozialistischen Förderergesellschaft]] wegen des [[Unvereinbarkeitsbeschluss]]es mit dem [[Sozialistischer Deutscher Studentenbund|SDS]] ausgeschlossen wurde.

1960 wurde er Assistent bei dem Politikwissenschaftler [[Ferdinand Hermens|Ferdinand Aloysius Hermens]] in [[Köln]]. Nachdem Agnoli auf einer Tagung die Anerkennung der DDR befürwortet hatte, trennte sich Hermens von ihm. Auf Empfehlung von [[Wolfgang Abendroth]] wurde er Assistent von [[Ossip K. Flechtheim]] am [[Otto-Suhr-Institut]] und habilitierte sich dort 1972. Er war von 1972 bis 1990 [[Professor]] am Otto-Suhr-Institut für [[Politikwissenschaft]] an der [[Freie Universität Berlin|FU Berlin]].

Agnoli gehörte zu den Vordenkern der [[Studentenbewegung|68er-Studentenbewegung]]. Das Buch ''[[Die Transformation der Demokratie]]'', das er 1967 zusammen mit dem Sozialpsychologen [[Peter Brückner]] verfasste, enthält seinen Aufsatz gleichen Titels zur [[Radikaldemokratie|radikaldemokratischen]] Wahl- und [[Pluralismus (Politik)|Pluralismuskritik]] in Deutschland. Anhänger des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und der [[Außerparlamentarische Opposition|Außerparlamentarischen Opposition]] (APO) betrachteten dieses Werk in den späten 1960er Jahren als einen zentralen programmatischen Text.

Kennzeichnend für Agnoli ist eine eindeutige Ablehnung des Repräsentativsystems, des Parlamentarismus und des vom [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|deutschen Grundgesetz]] konzipierten Leitbildes der Demokratie. Agnoli war 1967 maßgeblich an der Gründung des [[Republikanischer Club|Republikanischen Clubs]] in West-Berlin beteiligt und auch an den Debatten und Aktionen der (APO).


Als 1975 die Staatsanwaltschaft München Strafantrag gegen die Herausgeber des Buches ''Wie alles anfing'' von [[Bommi Baumann]] stellte, in der dieser seine Entwicklung zum aktiven [[Stadtguerilla|Stadtguerillero]] schilderte, und die vorläufige Beschlagnahme anordnete, gehörte Agnoli zum Kreis derer, die eine Neuauflage herausgaben und verbreiteten.
Als 1975 die Staatsanwaltschaft München Strafantrag gegen die Herausgeber des Buches ''Wie alles anfing'' von [[Bommi Baumann]] stellte, in der dieser seine Entwicklung zum aktiven [[Stadtguerilla|Stadtguerillero]] schilderte, und die vorläufige Beschlagnahme anordnete, gehörte Agnoli zum Kreis derer, die eine Neuauflage herausgaben und verbreiteten.
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== Rezeption ==
== Rezeption ==
In mehreren Strömungen der [[Politische Linke|politischen Linken]] kann eine Agnoli-Rezeption festgestellt werden. Beispielsweise beim [[Ça ira Verlag]], im Konflikt und Agnoli-Streit um Herausgeber-Rechte und [[antideutsche]] Positionen, in der [[autonome]]n Bewegung und im libertär-sozialistischen Spektrum um die Zeitschriften ''[[Schwarzer Faden]]'' und ''[[Graswurzelrevolution]]''. [[Hans Jürgen Degen]] beschrieb Agnoli als einen exzellenten [[Anarchismus]]-Kenner: Agnoli „interpretierte ‚seinen‘ Marx eben ‚libertär‘, weil der ‚Marxismus‘ des ‚Nicht-Marxisten‘ Marx für ihn eine freiheitliche ‚Lehre‘ war. Agnoli wollte die Versöhnung der beiden ‚autoritären Knochen‘ Marx und Bakunin: Er wollte die ‚freiheitlichen Elemente der zersplitterten sozialistischen Emanzipationsbewegung zur Aktion bringen‘. Das sollte aber keineswegs durch Verwischung der unterschiedlichen Positionen geschehen. … Agnoli hatte einen ‚starken Hang‘ zum Libertären. Deshalb bedauerte er die ‚gesellschaftliche Impotenz‘ der Libertären: ‚Mit einem Schuss Marx kann das vergehen.‘“<ref>aus Gesprächen mit Agnoli, zit. in ''[[Graswurzelrevolution]]'' Nr. 338, 4/2009.</ref>
In mehreren Strömungen der [[Politische Linke|politischen Linken]] kann eine Agnoli-Rezeption festgestellt werden. Beispielsweise beim [[Ça ira Verlag]], im Konflikt und Agnoli-Streit um Herausgeber-Rechte und [[antideutsche]] Positionen, in der [[autonome]]n Bewegung und im libertär-sozialistischen Spektrum um die Zeitschriften ''[[Schwarzer Faden]]'' und ''[[Graswurzelrevolution]]''.
[[Hans Jürgen Degen]] beschrieb Agnoli als einen exzellenten [[Anarchismus]]-Kenner: Agnoli „interpretierte ‚seinen‘ Marx eben ‚libertär‘, weil der ‚Marxismus‘ des ‚Nicht-Marxisten‘ Marx für ihn eine freiheitliche ‚Lehre‘ war. Agnoli wollte die Versöhnung der beiden ‚autoritären Knochen‘ Marx und Bakunin: Er wollte die ‚freiheitlichen Elemente der zersplitterten sozialistischen Emanzipationsbewegung zur Aktion bringen‘. Das sollte aber keineswegs durch Verwischung der unterschiedlichen Positionen geschehen. … Agnoli hatte einen ‚starken Hang‘ zum Libertären. Deshalb bedauerte er die ‚gesellschaftliche Impotenz‘ der Libertären: ‚Mit einem Schuss Marx kann das vergehen.‘“<ref>aus Gesprächen mit Agnoli, zit. in ''[[Graswurzelrevolution]]'' Nr. 338, 4/2009.</ref>


=== Auseinandersetzung um Agnolis Umgang mit seiner Vergangenheit ===
=== Auseinandersetzung um Agnolis Umgang mit seiner Vergangenheit ===
Die Frage, wie Agnoli später zu seinem Engagement für die faschistische Bewegung, seiner Meldung bei der Waffen-SS zur Wehrmacht und seinem Einsatz als Soldat der Wehrmacht in der Partisanenbekämpfung stand, hat zu kontroversen Diskussionen geführt. [[Wolfgang Kraushaar]] kritisierte Agnolis angeblichen Rekurs auf den [[Präfaschismus|präfaschistischen]] Theoretiker [[Vilfredo Pareto]]. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener kam in seiner Auseinandersetzung mit dieser These zu einem gegenteiligen Ergebnis: Agnoli zitiere Pareto in eindeutig kritischer Absicht: um auf die seiner Meinung nach zu große Staatsnähe zeitgenössischer Politikwissenschaft zu verweisen. Der Rekurs auf Pareto stehe in Agnolis Werk für einen biographisch-theoretischen Bruch, nicht für Kontinuität.<ref>Michael Hewener, ''Die Theorie der Außerparlamentarischen Opposition: Johannes Agnolis "Transformation der Demokratie'' in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von [[Arbeit – Bewegung – Geschichte]], Heft II/2018, S. 39–45.</ref>
Die Frage, wie Agnoli später zu seinem Engagement für die faschistische Bewegung, seiner Meldung bei der Waffen-SS zur Wehrmacht und seinem Einsatz als Soldat der Wehrmacht in der Partisanenbekämpfung stand, hat zu kontroversen Diskussionen geführt.
[[Wolfgang Kraushaar]] kritisierte Agnolis angeblichen Rekurs auf den [[Präfaschismus|präfaschistischen]] Theoretiker [[Vilfredo Pareto]]. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener kam in seiner Auseinandersetzung mit dieser These zu einem gegenteiligen Ergebnis: Agnoli zitiere Pareto in eindeutig kritischer Absicht: um auf die seiner Meinung nach zu große Staatsnähe zeitgenössischer Politikwissenschaft zu verweisen. Der Rekurs auf Pareto stehe in Agnolis Werk für einen biographisch-theoretischen Bruch, nicht für Kontinuität.<ref>Michael Hewener, ''Die Theorie der Außerparlamentarischen Opposition: Johannes Agnolis "Transformation der Demokratie'' in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von [[Arbeit – Bewegung – Geschichte]], Heft II/2018, S. 39–45.</ref>
Kraushar warf Agnoli zudem vor, über seine Vergangenheit weitgehend geschwiegen zu haben, so dass sie lange nur Eingeweihten bekannt gewesen sei. Nachdem in den 1980er Jahren begonnen habe „immer mehr durchzusickern“, sei erst 2004 mit der Veröffentlichung der von Barbara Görres Agnoli verfassten Biografie ''Johannes Agnoli – Eine biografische Skizze'' die faschistische Vergangenheit Agnolis „zusammenhängend aufgedeckt“ worden.<ref>Wolfgang Kraushaar: ''Agnoli, die APO und der konstitutive Illiberalismus seiner Parlamentarismuskritik.'' In: ''Zeitschrift für Parlamentsfragen.'' 38 (2007), S. 176f. ([http://www.zparl.nomos.de/fileadmin/zparl/doc/ZParl_07_01.pdf PDF-Datei])</ref> [[Götz Aly]] zufolge hat Agnoli zwar erzählt, dass er der faschistischen Partei Italiens angehört hatte, seine Meldung über die Waffen-SS zur Wehrmacht 1943 und seinen Einsatz bei der Partisanenbekämpfung in Jugoslawien allerdings verschwiegen.<ref>[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-gespraech-der-historiker-goetz-aly-die-taeter-waren-nicht-primitiv-1901840.html ''Die Täter waren nicht primitiv'']. In: ''Frankfurter Allgemeine Zeitung.'' 22. Dezember 2009. [http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sp&dig=2007%2F12%2F29%2Fa0039&cHash=132d096199/ ''„In welcher K-Gruppe waren Sie denn?“''], Interview der [[die tageszeitung|tageszeitung]] mit Götz Aly und Katharina Rutschky, 29. Dezember 2007, Abruf 17. August 2012.</ref> Kollegen Agnolis, wie etwa [[Wolf-Dieter Narr]] und [[Richard Stöss]], widersprechen Kraushaars Darstellung. Agnoli habe „in geselliger Runde“ gerne von seiner Jugendzeit berichtet und keinen Hehl aus seiner damaligen Begeisterung für die faschistische Bewegung gemacht.<ref>Wolf-Dieter Narr, Richard Stöss: ''Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“. Ein Beitrag zur gesellschaftskritischen Politikanalyse.'' In: ''Zeitschrift für Parlamentsfragen.'' 38 (2007), S. 833f. ([http://www.zparl.nomos.de/fileadmin/zparl/doc/ZParl_07_04.pdf PDF-Datei])</ref>
Kraushar warf Agnoli zudem vor, über seine Vergangenheit weitgehend geschwiegen zu haben, so dass sie lange nur Eingeweihten bekannt gewesen sei. Nachdem in den 1980er Jahren begonnen habe „immer mehr durchzusickern“, sei erst 2004 mit der Veröffentlichung der von Barbara Görres Agnoli verfassten Biografie ''Johannes Agnoli – Eine biografische Skizze'' die faschistische Vergangenheit Agnolis „zusammenhängend aufgedeckt“ worden.<ref>Wolfgang Kraushaar: ''Agnoli, die APO und der konstitutive Illiberalismus seiner Parlamentarismuskritik.'' In: ''Zeitschrift für Parlamentsfragen.'' 38 (2007), S. 176f. ([http://www.zparl.nomos.de/fileadmin/zparl/doc/ZParl_07_01.pdf PDF-Datei])</ref>
[[Götz Aly]] zufolge hat Agnoli zwar mitgeteilt, dass er der faschistischen Partei Italiens angehört hatte, seine Meldung über die Waffen-SS zur Wehrmacht 1943 und seinen Einsatz bei der Partisanenbekämpfung in Jugoslawien allerdings verschwiegen.<ref>[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-gespraech-der-historiker-goetz-aly-die-taeter-waren-nicht-primitiv-1901840.html ''Die Täter waren nicht primitiv'']. In: ''Frankfurter Allgemeine Zeitung.'' 22. Dezember 2009. [http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sp&dig=2007%2F12%2F29%2Fa0039&cHash=132d096199/ ''„In welcher K-Gruppe waren Sie denn?“''], Interview der [[die tageszeitung|tageszeitung]] mit Götz Aly und Katharina Rutschky, 29. Dezember 2007, Abruf 17. August 2012.</ref> Kollegen Agnolis, wie etwa [[Wolf-Dieter Narr]] und [[Richard Stöss]], widersprechen Kraushaars Darstellung. Agnoli habe „in geselliger Runde“ gerne von seiner Jugendzeit berichtet und keinen Hehl aus seiner damaligen Begeisterung für die faschistische Bewegung gemacht.<ref>Wolf-Dieter Narr, Richard Stöss: ''Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“. Ein Beitrag zur gesellschaftskritischen Politikanalyse.'' In: ''Zeitschrift für Parlamentsfragen.'' 38 (2007), S. 833f. ([http://www.zparl.nomos.de/fileadmin/zparl/doc/ZParl_07_04.pdf PDF-Datei])</ref>


== Schriften (Auswahl) ==
== Schriften (Auswahl) ==

Version vom 17. März 2019, 14:56 Uhr

Johannes Agnoli (* 22. Februar 1925[1] in Valle di Cadore, Italien; † 4. Mai 2003 in San Quirico di Moriano bei Lucca, Italien) war ein deutscher Politikwissenschaftler italienischer Herkunft. Als sein politikwissenschaftliches Hauptwerk gilt Die Transformation der Demokratie, eine Kritik der Rückentwicklung der Demokratie zu einer neofeudalen oder autoritären Herrschaftsform. Die liberale Demokratie sei eigentlich eine konstitutionelle Oligarchie.[2]

Leben

Agnoli stammte aus einer wohlhabenden italienischen Familie in Valle di Cadore in den östlichen Dolomiten. Seine Eltern waren Pietro Agnoli und Margherita, geb. Ponte.[3][4] Die Weltwirtschaftskrise beraubte die Familie ihrer ökonomischen Grundlage. Als Mitglied der faschistischen Jugendorganisation Gioventù Italiana del Littorio wurde er Provinzialführer der Oberschuljugend. Er verfasste lobende Schriften auf den Krieg, den Duce und den Faschismus.

Nach dem Abitur im Mai 1943 und der deutschen Besetzung Italiens meldete er sich bei der Waffen-SS, die für ausländische Kriegsfreiwillige zuständig war. Sie überstellte ihn zu den Gebirgsjägern der deutschen Wehrmacht, deren Härte er bewunderte. Er wurde bei der Bekämpfung der jugoslawischen Partisanen eingesetzt.

Im Mai 1945 geriet er in britische Gefangenschaft und wurde im Kriegsgefangenenlager im ägyptischen Moascar in der Sueskanalzone interniert. Im „Reeducational Work“ betreute er den Philosophiekurs, den er mit Windelbands Philosophiegeschichte bestritt. Im Sommer 1948 wurde er entlassen.

In Urach, dem heutigen Bad Urach, arbeitete er zunächst in einem Sägewerk, bis er im Dezember 1949 mit einem Kriegsteilnehmer-Stipendium in Tübingen studieren konnte. Im Mai 1955 wurde er in Deutschland eingebürgert. Er wurde mit einer Arbeit über Giambattista Vicos Rechtsphilosophie promoviert und machte bei Theodor Eschenburg ein Examen in Politikwissenschaft.

1957 trat er in die SPD ein, aus der er 1961 als Mitglied der Sozialistischen Förderergesellschaft wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses mit dem SDS ausgeschlossen wurde.

1960 wurde er Assistent bei dem Politikwissenschaftler Ferdinand Aloysius Hermens in Köln. Nachdem Agnoli auf einer Tagung die Anerkennung der DDR befürwortet hatte, trennte sich Hermens von ihm. Auf Empfehlung von Wolfgang Abendroth wurde er Assistent von Ossip K. Flechtheim am Otto-Suhr-Institut und habilitierte sich dort 1972. Er war von 1972 bis 1990 Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin.

Agnoli gehörte zu den Vordenkern der 68er-Studentenbewegung. Das Buch Die Transformation der Demokratie, das er 1967 zusammen mit dem Sozialpsychologen Peter Brückner verfasste, enthält seinen Aufsatz gleichen Titels zur radikaldemokratischen Wahl- und Pluralismuskritik in Deutschland. Anhänger des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und der Außerparlamentarischen Opposition (APO) betrachteten dieses Werk in den späten 1960er Jahren als einen zentralen programmatischen Text.

Kennzeichnend für Agnoli ist eine eindeutige Ablehnung des Repräsentativsystems, des Parlamentarismus und des vom deutschen Grundgesetz konzipierten Leitbildes der Demokratie. Agnoli war 1967 maßgeblich an der Gründung des Republikanischen Clubs in West-Berlin beteiligt und auch an den Debatten und Aktionen der (APO).

Als 1975 die Staatsanwaltschaft München Strafantrag gegen die Herausgeber des Buches Wie alles anfing von Bommi Baumann stellte, in der dieser seine Entwicklung zum aktiven Stadtguerillero schilderte, und die vorläufige Beschlagnahme anordnete, gehörte Agnoli zum Kreis derer, die eine Neuauflage herausgaben und verbreiteten.

Im Juni 1977 war Agnoli Mitherausgeber eines Nachdrucks des Göttinger Mescalero-Textes zur Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch die RAF,[5] wiederum mit Peter Brückner. Agnoli war zwar gegen das Gewaltmonopol des Staates, betonte aber gleichsam wie der „Mescalero“: „Der Weg zur Emanzipation kann nicht mit Leichen gepflastert werden.“[6]

Rezeption

In mehreren Strömungen der politischen Linken kann eine Agnoli-Rezeption festgestellt werden. Beispielsweise beim Ça ira Verlag, im Konflikt und Agnoli-Streit um Herausgeber-Rechte und antideutsche Positionen, in der autonomen Bewegung und im libertär-sozialistischen Spektrum um die Zeitschriften Schwarzer Faden und Graswurzelrevolution.

Hans Jürgen Degen beschrieb Agnoli als einen exzellenten Anarchismus-Kenner: Agnoli „interpretierte ‚seinen‘ Marx eben ‚libertär‘, weil der ‚Marxismus‘ des ‚Nicht-Marxisten‘ Marx für ihn eine freiheitliche ‚Lehre‘ war. Agnoli wollte die Versöhnung der beiden ‚autoritären Knochen‘ Marx und Bakunin: Er wollte die ‚freiheitlichen Elemente der zersplitterten sozialistischen Emanzipationsbewegung zur Aktion bringen‘. Das sollte aber keineswegs durch Verwischung der unterschiedlichen Positionen geschehen. … Agnoli hatte einen ‚starken Hang‘ zum Libertären. Deshalb bedauerte er die ‚gesellschaftliche Impotenz‘ der Libertären: ‚Mit einem Schuss Marx kann das vergehen.‘“[7]

Auseinandersetzung um Agnolis Umgang mit seiner Vergangenheit

Die Frage, wie Agnoli später zu seinem Engagement für die faschistische Bewegung, seiner Meldung bei der Waffen-SS zur Wehrmacht und seinem Einsatz als Soldat der Wehrmacht in der Partisanenbekämpfung stand, hat zu kontroversen Diskussionen geführt.

Wolfgang Kraushaar kritisierte Agnolis angeblichen Rekurs auf den präfaschistischen Theoretiker Vilfredo Pareto. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener kam in seiner Auseinandersetzung mit dieser These zu einem gegenteiligen Ergebnis: Agnoli zitiere Pareto in eindeutig kritischer Absicht: um auf die seiner Meinung nach zu große Staatsnähe zeitgenössischer Politikwissenschaft zu verweisen. Der Rekurs auf Pareto stehe in Agnolis Werk für einen biographisch-theoretischen Bruch, nicht für Kontinuität.[8] Kraushar warf Agnoli zudem vor, über seine Vergangenheit weitgehend geschwiegen zu haben, so dass sie lange nur Eingeweihten bekannt gewesen sei. Nachdem in den 1980er Jahren begonnen habe „immer mehr durchzusickern“, sei erst 2004 mit der Veröffentlichung der von Barbara Görres Agnoli verfassten Biografie Johannes Agnoli – Eine biografische Skizze die faschistische Vergangenheit Agnolis „zusammenhängend aufgedeckt“ worden.[9]

Götz Aly zufolge hat Agnoli zwar mitgeteilt, dass er der faschistischen Partei Italiens angehört hatte, seine Meldung über die Waffen-SS zur Wehrmacht 1943 und seinen Einsatz bei der Partisanenbekämpfung in Jugoslawien allerdings verschwiegen.[10] Kollegen Agnolis, wie etwa Wolf-Dieter Narr und Richard Stöss, widersprechen Kraushaars Darstellung. Agnoli habe „in geselliger Runde“ gerne von seiner Jugendzeit berichtet und keinen Hehl aus seiner damaligen Begeisterung für die faschistische Bewegung gemacht.[11]

Schriften (Auswahl)

Literatur (biographisch)

Literatur (zur Theorie Agnolis)

  • Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann, Clemens Nachtmann (Hrsg.): Geduld und Ironie. Johannes Agnoli zum 70. Geburtstag. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1995, ISBN 3-924627-42-8.
  • Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann, Clemens Nachtmann (Hrsg.): Kritik der Politik – Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 2000, ISBN 3-924627-66-5.
  • Michael Hewener: Wirtschaftsdemokratie im Staat des Kapitals? In: Axel Weipert (Hrsg.): Demokratisierung von Wirtschaft und Staat – Studien zum Verhältnis von Ökonomie, Staat und Demokratie vom 19. Jahrhundert bis heute. NoRa Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86557-331-5, S. 182–191.
  • Stephan Grigat: Subversives Denken im Postfaschismus und der Staat des Kapitals. Eine Erinnerung an Johannes Agnoli, in: Merlin Wolf (Hrsg.): Irrwege der Kapitalismuskritik, Aschaffenburg 2017, 149–171.
  • Michael Hewener, Die Theorie der Außerparlamentarischen Opposition: Johannes Agnolis "Transformation der Demokratie in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft II/2018, S. 39–45.

Film

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Who's Who in The World 2001 (21. Edition), S. 22.
  2. Richard Saage, Gunnar Berg: Zwischen Triumph und Krise: Zum Zustand der liberalen Demokratie nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Osteuropa. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-97375-7 (com.ph [abgerufen am 17. März 2019]).
  3. Who’s who in Germany (1990), S. 16.
  4. Johannes Agnoli im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  5. Buback – ein Nachruftk bei Glasnost-Archiv
  6. B. Görres Agnoli: Johannes Agnoli, eine biographische Skizze. Hamburg 2004, S. 76.
  7. aus Gesprächen mit Agnoli, zit. in Graswurzelrevolution Nr. 338, 4/2009.
  8. Michael Hewener, Die Theorie der Außerparlamentarischen Opposition: Johannes Agnolis "Transformation der Demokratie in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft II/2018, S. 39–45.
  9. Wolfgang Kraushaar: Agnoli, die APO und der konstitutive Illiberalismus seiner Parlamentarismuskritik. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. 38 (2007), S. 176f. (PDF-Datei)
  10. Die Täter waren nicht primitiv. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. Dezember 2009. „In welcher K-Gruppe waren Sie denn?“, Interview der tageszeitung mit Götz Aly und Katharina Rutschky, 29. Dezember 2007, Abruf 17. August 2012.
  11. Wolf-Dieter Narr, Richard Stöss: Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“. Ein Beitrag zur gesellschaftskritischen Politikanalyse. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. 38 (2007), S. 833f. (PDF-Datei)