Analogrechner

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Analogrechner sind Rechengeräte oder Rechenmaschinen, mit denen Berechnungen mit Hilfe von kontinuierlichen mechanischen oder elektrischen Vorgängen durchgeführt werden. Sie unterscheiden sich von Digitalrechnern dadurch, dass keine Stücke oder Ereignisse gezählt werden. Beim Rechenschieber, einem einfachen mechanischen Analogrechner, werden Zahlen als stetig auswählbare Längen repräsentiert. Der einfache Abakus ist hingegen ein Digitalrechner, denn bei ihm werden Zahlen mit Kugeln diskret dargestellt.

Bei Analogrechnern wird die Eigenschaft ausgenutzt, dass es in einem bestimmten Gültigkeitsbereich einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Original und Modell gibt („Analogieprinzip“). Man kann mit dem Modell das Verhalten des Originals simulieren, weil sich Original und Modell in dem Bereich, der von Interesse ist, ähnlich (lat. „simul“) verhalten. Analogrechner, die auf bestimmte originale Zusammenhänge bezogen sind, waren beispielsweise der früher häufig zur Simulation von Regelvorgängen gebrauchte pneumatische oder elektrische Modellregelkreis und die heute ebenfalls nicht mehr gebrauchte, mechanisch arbeitende Gezeitenrechenmaschine.

Elektronische Analogrechner sind heute fast vollständig durch Digitalrechner beziehungsweise Digitalcomputer ersetzt. In einer Übergangszeit gab es auch Hybridrechner, in denen ein Analog- und ein Digitalrechner kombiniert waren. Die Umwandlung zwischen den Darstellungsarten mit kontinuierlichen (meist elektrische Spannungen) beziehungsweise Zähl-Werten erfolgte in einem eingebauten Analog-Digital- beziehungsweise Digital-Analog-Wandler.

ein Analogrechner: der Rechenschieber

Vergleich zu Digitalrechnern

Analogrechner repräsentieren ihre Daten meist nicht als diskrete Werte wie die Digitalrechner, sondern als kontinuierliche – eben analoge – Größen, zum Beispiel in Form von geometrischen Längen, Winkeln, Wasserständen (Wasserintegrator), elektrischen Spannungen oder Strömen. Eine technische Realisierung von analogen Rechenelementen (Summierer, Integrierer und Multiplizierer) erfolgte später durch digitale Rechenelemente (Digital Differential Analyzers, DDA).

Der große Vorteil von Analogrechnern gegenüber Digitalrechnern ist ihre Echtzeitfähigkeit sowie ihre prinzipbedingt hohe Ausführungsparallelität. Dies führt zu einer gegenüber algorithmisch programmierten Maschinen deutlich größeren Rechenleistung, die jedoch meist um den Preis einer geringen Rechengenauigkeit, die im besten Fall bei ca. 0,01 Prozent liegt, erkauft wird.

Geschichte der Analogrechner

Mechanismus von Antikythera

Bekannte alte Beispiele für Analogrechner sind die verschiedenen Arten von Rechenschiebern und mechanischen Planimetern, die seit dem 19. Jahrhundert weit verbreitet waren, bis sie in den 1970er und 1980er Jahren durch digitale elektronische Geräte abgelöst wurden. Weit verbreitet waren auch Proportionalwinkel, Reduktionszirkel und (fürs Zeichnen) Pantografen und Koordinatografen. Rechenschieber gibt es vor allem in den Formen Rechenstab, Rechenscheibe, Rechenwalze und Rechenuhr.

Der älteste bekannte Analogrechner ist der Mechanismus von Antikythera, der auf ungefähr 150 v. Chr. datiert wird. Mit ihm konnten Mond- und Sonnenfinsternisse sowie die Olympiaden berechnet werden.

Zur Berechnung von Gezeiten wurden mechanische Analogrechner eingesetzt, wie man sie im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven oder in Wilhelmshaven[1] sehen kann.

1919 war Vannevar Bush als Wissenschaftler am MIT beschäftigt, ab 1923 als Professor für Elektrotechnik. Dort entwickelte er zwischen 1923 und 1927 einen Analogrechner zum Lösen von Differentialgleichungen, den Product Integraph.

Der Differential Analyzer war ein elektromechanischer Analogrechner, eine Integrieranlage, die mehrere Differentialgleichungen gleichzeitig handhaben konnte. Die Ausgabe erfolgte mittels automatisch gedruckter Schaubilder. Er wurde in den Jahren 1928 bis 1932 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) unter der Leitung von Vannevar Bush und H. L. Hazen entwickelt.

Der Wasserintegrator ist ein Analogrechner. Er wurde 1936 in der Sowjetunion gebaut. Mittels eines komplexen Netzwerkes aus Röhren und Wasserbehältern konnten Berechnungen durchgeführt werden.

Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Sergei Alexejewitsch Lebedew an automatischen Regelungen komplexer Systeme. Seine Gruppe entwickelte eine Zieleinrichtung für Panzer und ein Navigationssystem für Raketen. Um diese Arbeiten auszuführen, entwickelte er bis 1945 einen Analogrechner zum Lösen von Differentialgleichungen. Gleichzeitig entwickelte Hendrik Wade Bode in den USA eine radarbasierte rückgekoppelte automatische Steuerung für Flugabwehrkanonen (Director T-10).

Helmut Hölzer (1912–1996) war ein deutscher Ingenieur (TH Darmstadt, heute TU Darmstadt), der einen elektrischen Analogrechner entwickelte.[2]

Analogrechner wurden insbesondere in den Jahren zwischen 1950 und 1980 zur Lösung von gewöhnlichen Differentialgleichungen entwickelt.

Elektronische Analogrechner

Polnischer elektronischer Analogrechner AKAT-1
Ein elektronischer Newmark-Analogcomputer

Elektronische Analogrechner waren technisch nutzbar zum Beispiel zur Simulation von Flugbahnen von Artilleriegeschossen und Bomben, zur Untersuchung von Fragestellungen in der Reaktorphysik, in der Luft- und Raumfahrttechnik, jedoch auch in der Mathematik, der Simulation von Prozessen, bei der Optimierung, etc.

Hauptelement eines herkömmlichen elektronischen Analogrechners ist der Operationsverstärker, der als Grundlage für die drei aktiven Grundelemente dient:

Neben diesen Grundelementen verfügen elektronische Analogrechner als Eingabeeinheit über Koeffizientenpotentiometer, die als Spannungsteiler eingesetzt werden, um variable Koeffizienten abzubilden. Darüber hinaus wurden im Lauf der Jahre eine Vielzahl spezialisierter Zusatzgeräte entwickelt. Zu diesen zählen Resolver zur Umwandlung zwischen kartesischen Koordinaten und Polarkoordinaten, Laufzeitverzögerungsglieder zur Simulation von Signallaufzeiten, Rauschgeneratoren für die Erzeugung stochastischer Signale, und viele mehr.

Zur Darstellung der Ergebnisse einer Rechnung werden meist Oszilloskope beziehungsweise Schreiber verwendet, wobei hier die Möglichkeit eines Analogrechners, Rechnungen durch Zeitskalierung zwanglos schneller beziehungsweise langsamer als in der Realität ablaufen zu lassen, zum Tragen kommt. Beispielsweise ist es möglich, die Simulation eines einfachen Ökosystems mit extrem gesteigerter Geschwindigkeit ablaufen zu lassen, während andere Vorgänge, die in der Realität zu schnell für eine direkte Untersuchung ablaufen (Reaktionskinetische Fragen in der Chemie, etc.), entsprechend verlangsamt untersucht werden können.

Neben der eingeschränkten Rechengenauigkeit besteht bei elektronischen Analogrechnern das zusätzliche Problem eines auf eine sogenannte Maschineneinheit eingeschränkten Wertebereiches. Bei Röhrenrechnern betrug die Maschineneinheit meist 100 V, während, von wenigen Ausnahmen abgesehen, transistorisierte Maschinen meist mit 10 V als Maschineneinheit arbeiteten. Überschreitungen dieses Wertebereiches im Verlauf einer Rechnung führten zu einer Übersteuerung und lösten meist einen Halt des Rechners aus. Schwierig hierbei ist, dass alle zu behandelnden Differentialgleichungen durch geeignete Skalierung dergestalt modifiziert werden müssen, dass es bei ihrer Lösung zum einen zu keiner Übersteuerung, zum anderen jedoch zu einer stets möglichst guten Ausnutzung des Wertebereiches von +/−1 Maschineneinheit kommt, um Rechenfehler gering zu halten. Mit vertretbarem Aufwand war in den 1970er Jahren mit transistorbasierten Maschinen eine Genauigkeit von 4 Dezimalstellen erreichbar.

In dieser Hinsicht kann ein elektronischer Analogrechner mit gewissem Recht mit einem digitalen Festkommasystem verglichen werden, das über ähnliche Einschränkungen hinsichtlich des Wertebereiches verfügt.

Programmierung per Steckfeld und Potentiometer

Die meisten kommerziell verfügbaren Analogrechner besaßen ein zentrales Buchsenfeld (Patchfeld), auf dem mit Hilfe von Steckverbindungen (bei Präzisionsrechnern wurden hier abgeschirmte Leitungen verwendet) die jeweiligen Rechenschaltungen zur Lösung einer Fragestellung aufgebaut wurden. Ein Wechsel von einer Schaltung zur nächsten erforderte lediglich das Austauschen des Buchsenfeldes sowie ein erneutes Einstellen der Koeffizientenpotentiometer, so dass ein vergleichsweise schneller Wechsel zwischen Problemen möglich war.

Gerade in der Frühzeit der Entwicklung elektronischer Analogrechner gab es auch Ansätze, Probleme durch das Bilden direkter Analogien mit Hilfe hauptsächlich passiver Elemente wie Widerständen, Kondensatoren und Spulen anzugehen.

Beispiel: Zellulärer Automat

Analogschaltung für Grundwasser
Analogschaltung für einen Irrgarten

Zum Beispiel wurde ein solcher analoger Zellulärer Automat zur Simulation von Grundwasserströmungen auf die folgende Weise aufgebaut:

Man stellte ein zweidimensionales Feld aus Kondensatoren zusammen, deren Kapazität dem Wasserspeichervermögen eines kleinen Teilgebietes des Bodens entsprach, und verband diese dann mit Widerständen mit ihren direkten Nachbarn, wobei die Leitfähigkeit der Widerstände der Wasserdurchlässigkeit des entsprechenden Teilgebietes des Bodens entsprach. Dazu kamen nun Quellgebiete als über Widerstände geregelte Spannungseinleitungen, und Brunnen als über Widerstände geregelte Spannungsableitungen. Die an den Knotenpunkten dieses Netzes gemessene Spannung entsprach dann dem zu erwartenden Grundwasserstand, und die Ströme in den Widerständen entsprachen der zu erwartenden Grundwasserströmung.

Beispiel: Schwingungsgleichung

Das Haupteinsatzgebiet von Analogrechnern ist das Lösen von Differentialgleichungen. Eine Schwingungsgleichung ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung der allgemeinen Form . Für den Analogrechner wird so eine Gleichung so oft auf beiden Seiten integriert, bis keine Differentialterme mehr auftreten. Dann geht der Programmierer von der verbleibenden konstanten Größe aus, hier dem vormals zweimal abgeleiteten Term (löst die Ausgangsgleichung also danach auf ), diese auf einen ersten Integrator (der liefert, der Eingang wird vorerst offen gelassen), dessen Ausgang mit einer Steckleitung auf einen zweiten Integrator (der das konstante Glied liefert), die beiden Ausgangssignale per weiterer Kabel auf einen Summierer, passt die dabei einzustellenden Verstärkungskoeffizienten an die eingehenden Parameter a und b an, führt dieses Summensignal als Eingangssignal per weiterem Steckkabel auf den ersten Integrator zurück und startet schließlich den Rechner und damit die Integration.

Gegen Ende der 1960er Jahre wurden auch vermehrt so genannte Hybridrechner entwickelt und eingesetzt, die über digitale und analoge Rechenwerke verfügten, um so die Vorteile beider Welten, der analogen sowie der digitalen zu vereinigen.

Sonstiges

Modulare Synthesizer entsprechen in ihrem Aufbau elektronischen Analogrechnern. Berühmte Hersteller von mathematischen Instrumenten waren Amsler (Schaffhausen), Coradi (Zürich) und Ott (Kempten). Integrieranlagen stammten z.B. von Telefunken, Amsler und Contraves.

Literatur

  • Wolfgang Giloi, Rudolf Lauber: Analogrechnen. Springer, 1963.
  • Sigvard Strandh: Die Maschine – Geschichte, Elemente, Funktion. ISBN 3-451-18873-2, S. 191.
  • Achim Sydow: Programmierungstechnik für elektronische Analogrechner. VEB Verlag Technik, 1964.
  • H. Adler, G. Neidhold: Elektronische Analog- und Hybridrechner. Nr. 206-435/197/74. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost) 1974.
  • Bernd Ulmann: Analogrechner, Wunderwerke der Technik – Grundlagen, Geschichte und Anwendung. 2010, ISBN 978-3-486-59203-0.

Weblinks

Commons: Analog computers – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Erster deutscher Gezeitenrechner von 1914 in Wilhelmshaven
  2. Helmut Hoelzer’s Fully Electronic Analog Computer used in the German V2 (A4) rockets. (PDF-Datei; 497 kB)