Erbrechen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. September 2016 um 01:58 Uhr durch Gleiberg (Diskussion | Beiträge) (erg nach WL). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Klassifikation nach ICD-10
R11 Übelkeit und Erbrechen
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Erbrechen, Abbildung aus dem Tacuinum Sanitatis aus dem 14. Jahrhundert

Erbrechen ist die schwallartige Entleerung des Magen- oder Speiseröhreninhaltes (Chymus) entgegen der natürlichen Richtung durch die Speiseröhre und den Mund.

Beim Erbrechen ziehen sich Magen und Zwerchfell und auch die Bauchmuskulatur zusammen, der Magenmund öffnet sich, so dass Mageninhalt, in schweren Fällen auch Darminhalt, über die Speiseröhre in den Mund und dann als Erbrochenes (Vomitat) weiter nach außen gelangt. Es ist meist mit einem brennenden Gefühl in der Speiseröhre (Sodbrennen) verbunden, das durch die Magensäure verursacht wird.

Die medizinischen Fachbegriffe für das Erbrechen sind die Emesis (Griechisch ἔμεσις) und der Vomitus (lateinisch). Aus dem Lateinischen ist auch die deutsche (vornehme) Bezeichnung „Vomitation“ gebräuchlich. Vom Lateinischen ins Deutsche übernommen und auch synonym verwendet wird gelegentlich die begrifflich breitere Regurgitation („regurgitieren“), welche allerdings nicht unbedingt zum Austritt der regurgitierten Flüssigkeit aus dem Mund führen muss, sondern bei Einatmen auch zur Aspiration des Erbrochenen führen kann.

Ursachen

Das Erbrechen wird durch einen komplizierten Fremdreflexmechanismus vom Brechzentrum (u. a. der Area postrema) in der Medulla oblongata des Hirnstammes gesteuert. Beim Brechreflex sind der neunte und zehnte Hirnnerv (der Nervus glossopharyngeus und der Nervus vagus), Nerven der Atemwege, Nerven für die Bauchmuskeln und das Zwerchfell aktiviert.

Medikamente und äußere Reize

Erbrechen kann durch die Verabreichung von Emetika oder indirekt über die Rachenhinterwand- oder Magenschleimhaut, die Geruchs- oder Geschmacksorgane insbesondere bei Ekel oder über das Gleichgewichtsorgan (siehe Übelkeit) ausgelöst werden, aber auch als psychovegetative Reaktion auf optische, olfaktorische (Geruchssinn) oder akustische Reize.

Erkrankungen des Gehirns

Eine direkte Reizung des Brechzentrums, z. B. durch Gehirnerschütterung, Tumorerkrankungen, eine Hirnhautentzündung, Sonnenstich, Schlaganfall, erhöhten Hirndruck oder Abflussbehinderungen des Hirnwassers kann zum Erbrechen führen. Schiffsreisen und Schaukelbewegungen (Seekrankheit), kurvenreiche Autofahrten, Achterbahnfahrten oder Erkrankungen des Innenohrs können das Gleichgewichtsorgan stören und ebenfalls den Brechreiz auslösen. Migräne erzeugt mitunter Übelkeit und führt so auch zum Erbrechen. Als umschriebene bulbäre Schädigung gilt das Syndrom des Deiters-Kerns und seiner Kleinhirn-, N. vestibularis- und anderen weit verbreiteten Afferenzen (Bonnier-Syndrom) als auslösend für Brechreiz.[1]

Erkrankungen der Verdauungsorgane

Die Ursachen des Erbrechens sind vielfältig und reichen von vorübergehenden Magen-Darm-Infekten zu schwerwiegenderen Erkrankungen wie zum Beispiel chronischen Speiseröhren- oder Magen- und Darmerkrankungen. Auch durch Medikamente (sogenanntes medikamenteninduziertes Erbrechen, vor allem durch Zytostatika) und bei Vergiftungen (z. B. durch Pilze oder bei übermäßiger Alkoholzufuhr) kann es zu Erbrechen kommen.

Vor allem bei kleinen Kindern können auch Hustenanfälle Erbrechen auslösen. Nach der Medikamentengabe einer Chemo- bzw. nach Strahlentherapie bei Krebserkrankungen können Übelkeit und Erbrechen entweder sofort oder verzögert nach einigen Tagen auftreten. Dies wird jedoch weitestgehend durch die vorsorgliche Gabe von Antiemetika verhindert. Eine andere Ursache für Übelkeit und Erbrechen können Stoffwechselentgleisungen sein: Urämie, Leberversagen, Blutzuckerveränderungen. Erbrechen ist einer der häufigsten Beratungsanlässe in einer allgemeinmedizinischen Praxis.[2]

Psychische Störungen

Willentlich herbeigeführtes Erbrechen kann ein Symptom einer Essstörung wie der Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa sein, aber auch bei anderen psychischen Störungen wie dissoziativen Störungen und hypochondrischen Störungen auftreten. Psychisches Erbrechen kann auch spontan auftreten. Dabei wird psychischer Ekel empfunden.

Erbrechen während der Schwangerschaft

Erbrechen nach einer Narkose

Erbrechen bei Tieren

Einige Tierarten erbrechen, um Nahrung an andere Artgenossen weiterzugeben (Trophallaxis). Andere erbrechen, um mit der Zeit angesammelte unverdauliche Haarballen oder Gewölle loszuwerden, so zum Beispiel Katzen, Eulen, ähnlich schon bei den stammesgeschichtlich viel älteren Haien. Zu unterscheiden ist davon das Emporwürgen von Vorverdautem bei den Wiederkäuern, das eine Funktion im eigenen Verdauungsprozess hat. Einige Tiere können nicht erbrechen, z. B. Pferde und Ratten.

Folgen und Komplikationen

Beim Erbrechen gehen Flüssigkeit und Magensäure verloren, so dass es zu einem Mangel an Flüssigkeit und Elektrolyten im Körper kommen kann. Auch kann es durch das Erbrechen zu einer Reizung der Speiseröhre und zu einem Einriss in der unteren Speiseröhre kommen (Mallory-Weiss-Syndrom, Boerhaave-Syndrom). Bei häufigem Erbrechen können auch die Zähne in Mitleidenschaft gezogen werden. Beim Erbrechen ist nicht gewährleistet, dass die Wirkstoffe von Medikamenten über Magen und Darm aufgenommen werden, daher sollte ggf. ein anderer Weg der Wirkstoffzufuhr gewählt werden, z. B. intravenös oder subkutan.

Behandlung

Die Behandlung des Erbrechens sollte sich nach den Ursachen richten. Bei Gleichgewichtsstörungen werden erfolgreich Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin und Doxylamin) oder Anticholinergika (z. B. Scopolamin) eingesetzt. Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit einem Migräne-Anfall werden üblicherweise mit Prokinetika (z. B. Metoclopramid und Domperidon) behandelt, die zusätzlich die Aufnahme von Migränetherapeutika beschleunigen. Bei Erbrechen im Rahmen der Chemotherapie maligner Tumore mit Zytostatika sind Setrone (5-HT3-Antagonisten, z. B. Ondansetron und Tropisetron) und das Kortikoid Dexamethason wirksam. Bei psychischen Essstörungen (Anorexia nervosa und Bulimie) ist eine psychiatrische Abklärung wichtig.

Problematisch bei der Behandlung des Erbrechens ist die mangelhafte Aufnahme von Medikamenten, die in Form von Tabletten oder Tropfen gegeben werden. In leichteren Fällen genügt die rektale Verabreichung eines Antiemetikums wie Domperidon oder Diphenhydramin als Zäpfchen. In schwereren Fällen kann eine parenterale Medikamentengabe und zusätzlich ein Flüssigkeits- und Salzausgleich notwendig sein.

Die Art des Erbrochenen kann diagnostisch bedeutsam sein, so z. B. bei:

Bei Vergiftungen kann das Erbrochene wichtige Hinweise auf deren Ursache geben.

Therapeutisches Erbrechen

Bei einer akuten Vergiftung versucht man, durch induziertes Erbrechen die Resorption des Giftes zu verringern bzw. zu verhindern. Der Stellenwert des therapeutischen Erbrechens bei der akuten Vergiftung hat zugunsten von Maßnahmen wie der Magenspülung und vor allem der Gabe von Aktivkohle stark abgenommen, da diese Maßnahmen mit weniger Komplikationen verbunden sind. Diese Maßnahme darf nicht durchgeführt werden bei (Kontraindikationen) Bewusstseinsstörung des Patienten, Vergiftung mit Säuren oder Laugen (zusätzliche Schädigung durch zweiten Kontakt mit Speiseröhre und Mund), Vergiftungen mit schaumbildenden Stoffen oder organischen Lösungsmitteln (wegen Aspirationsgefahr) oder Atem-/Kreislaufstörungen.

Das Erbrechen kann dabei mit folgenden Stoffen (Emetika) ausgelöst werden:

  • Ipecacuanha-Sirup – bei Kindern und Erwachsenen anzuwenden. Die Wirkung tritt nach 20 bis 30 Minuten ein. Keine vorherige therapeutische Gabe von Aktivkohle.
  • Apomorphin, ist bei Kindern kontraindiziert
  • Kochsalzlösung wird wegen möglicher Natrium-Vergiftung nicht mehr eingesetzt.

Historische Bedeutung

Dem Brechverfahren wurde in der alten Medizin eine große Bedeutung beigemessen. Der bedeutende Arzt Bernhard Aschner, der die alte Medizin in der Konstitutionstherapie wieder hat aufleben lassen, bezeichnet das Brechverfahren als „eines der mächtigsten, unentbehrlichsten und oft entscheidend lebensrettenden Heilmittel“.

Christoph Wilhelm Hufeland zählte das Brechmittel (zusammen mit Aderlass und Opium) zu den „drei Heroen der Heilkunst“, ohne die er nicht Arzt sein wollte; bei Avicenna heißt es: „Vomitus fortis infantium curatio“ (Erbrechen ist für Kinder ein mächtiges Heilmittel); Hippokrates von Kos beschrieb das Brechverfahren als eines der wichtigsten Heilmittel für Geisteskrankheiten.

Aschner beschreibt ein breites Indikationsgebiet für das Brechverfahren:[3]

  • Krankheiten im Bereich des Kopfes, des Mundes und des Halses
  • Lungenkrankheiten
  • Herzkrankheiten
  • Magenkrankheiten
  • Gallenleiden
  • Infektionskrankheiten
  • Hautkrankheiten
  • Gelenkleiden und Rheumatismen
  • Kinderkrankheiten
  • Nervenkrankheiten
  • Geistesstörungen

Angst vor dem Erbrechen

Die krankhafte Angst vor dem Erbrechen nennt man Emetophobie.

Kulturelle Aspekte

Das Erbrechen spielt weltweit in vielen magischen bzw. ekstatischen Praktiken eine wichtige Rolle und wird dabei unter anderem als eine Form der Katharsis oder Mimesis betrachtet. Unter diesem Aspekt wurde das „Kotzen“ von dem Tübinger Ethnologen Thomas Hauschild untersucht. Neben dem Wort „Kotzen“ sind weitere umgangssprachliche Begriffe dafür bekannt: Reihern, Würgen, sich übergeben, speien.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Erbrechen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Erbrechen – kindergesundheit-info.de: unabhängiges Informationsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Einzelnachweise

  1. Fritz Broser: Topische und klinische Diagnostik neurologischer Krankheiten. U&S, München 1981, ISBN 3-541-06572-9, Kapitel 5-1 „Lobus flocculo-nodularis“, S. 266.
  2. Nach W. Fink, G. Haidinger: Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis. In: ZFA – Zeitschrift für Allgemeinmedizin. Nr. 83, 2007, S. 102–108, doi:10.1055/s-2007-968157. Zitiert nach „Womit sich Hausärzte hauptsächlich beschäftigen.“ MMW-Fortschr. Med. Nr. 16/2007 (149. Jg.)
  3. Bernhard Aschner: Lehrbuch der Konstitutionstherapie: Technik der Allgemeinbehandlungsmethoden. 9. Auflage. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-7773-1123-5.