Geschlechtsüberprüfung beim Sport

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Geschlechtsüberprüfungen beim Sport sind medizinische und genetische Tests, die bei Sportwettkämpfen, in denen eine Startberechtigung weiblichen Athleten vorbehalten ist, zur Feststellung des Geschlechts durchgeführt werden.

Geschichte

Verpflichtende Geschlechtstests bei Frauen fanden erstmals bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Budapest 1966 statt. Zu jener Zeit wurden verschiedene Athletinnen der Sowjetunion und aus mehreren Ländern Osteuropas verdächtigt, Männer zu sein.[1] Der Test bestand aus einer einfachen körperlichen Untersuchung. Die Frauen standen nackt vor einem Ärztegremium und traten vor, um ihre Körper und Genitalien abtasten zu lassen. Es musste eine echte Vagina vorhanden sein, und es durfte kein Penis zu finden sein. Einige Frauen fühlten sich durch die Untersuchung stark herabgesetzt und äußerten dies auch. Ihre Länder protestierten beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC).[2]

Ewa Kłobukowska, die erste bekannte Sportlerin, die nach mehreren Goldmedaillen und Weltrekorden 1967 wegen eines Chromosomentests disqualifiziert wurde. Abbildung aus Lekka Atletyka, Dezember 1964.

Das IOC reagierte auf die Kritik und ordnete 1967 eine neue, weniger aufdringliche Technik an. Ein Abstrich von der Wangeninnenseite wurde bezüglich der Geschlechtschromosomen getestet. Wurden unter dem Mikroskop zwei X-Chromosomen gefunden, so erhielt die Athletin die Zulassung. Bei einer Abweichung wurde sie verweigert. Das IOC gestand den Athletinnen zu, eine plötzliche Krankheit oder Verletzung vorzugeben und sich still aus dem Sport zurückzuziehen.[2] Erstmals wurden diese Tests für die Olympischen Winterspiele 1968 in Grenoble und die Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko-Stadt durchgeführt. Andere bedeutende Verbände und Veranstaltungen übernahmen diese Praxis, darunter die International Association of Athletics Federations (IAAF). Somit war eine sportliche Karriere für nicht der chromosomalen Norm entsprechende Athletinnen ausgeschlossen. In der Leichtathletik waren neun im Jahr 1967 gültige Weltrekorde durch Intersexe aufgestellt worden.[3]

Mitte der 1970er Jahre wurde der inzwischen als unzuverlässig erachtete Barr-Test (Buccal Smear, Sex Chromatin Test, Barr Body), ein Geschlechts-Chromatin-Test, durch eine DNA-Analyse ersetzt.[2]

Ab 1990 wurde die Geschlechtsüberprüfung bei der IAAF hinterfragt und ab 1992 nicht mehr generell angewandt.[2] Sie ist dort nur mehr für einzelne Athletinnen vorgesehen, wenn Fragen zum Geschlecht auftauchen. Andere Organisationen folgten diesem Beispiel. In Norwegen sind solche Tests verboten. Bei den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer weigerten sich die Norweger, Geschlechtskontrollen durchzuführen. Das IOC ließ daher Experten aus Frankreich einfliegen.[4] Bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta wurden 3387 Athletinnen getestet, was einen großen finanziellen Aufwand bedeutete. Bei acht Frauen fiel der erste Test positiv aus, und es wurden weitere Überprüfungen vorgenommen. Bei sieben von diesen wurde eine Androgenresistenz festgestellt, bei vier davon eine partielle und bei dreien eine komplette Androgenresistenz. Bei der achten Athletin war eine Gonadektomie vorgenommen worden, und es wurde ein Defekt der Steroid-5α-Reduktase vermutet. Nach Beratungen wurden ihnen die Geschlechtsverifikationszertifikate ausgestellt, und es wurde allen erlaubt, anzutreten.[5]

Auf der International Olympic Committee (IOC) World Conference on Women and Health wurde 1996 eine Resolution beschlossen, welche ein Einstellen des aktuellen Geschlechtsverifikationsprozesses während der Olympischen Spiele forderte.[6] In der Zeit danach sprachen sich verschiedene Berufsverbände für eine Aufhebung der Geschlechtsüberprüfung aus, darunter die American Medical Association, die American Academy of Pediatrics, das American College of Physicians, das American College of Obstetrics and Gynecology, die Endocrine Society, die Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society und die American Society of Human Genetics. Es wurde damit argumentiert, dass es bei der heutigen Sportbekleidung und durch die Notwendigkeit der Abgabe einer Urinprobe unter Aufsicht für die Dopingkontrollen quasi unmöglich sei, dass ein verkleideter Mann einer Entdeckung entgehe. Darüber hinaus sei die Prozedur der Geschlechtsüberprüfung komplex, teuer und kontraproduktiv.[5] Schließlich verlangte 1999 die Athletenkommission des IOC vom Vorstand einen Teststopp. Der generelle Test wurde daraufhin eingestellt, das Komitee behält sich aber wie die IAAF vor, in Einzelfällen Athletinnen zu überprüfen. Diese Regelung griff erstmals bei den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney und bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City.

Bei der Volleyball-Weltmeisterschaft 2002 in Berlin wurde der vom Fédération Internationale de Volleyball vorgeschriebene Geschlechtstest als Barr-Test bei allen Athletinnen durchgeführt, die noch nicht bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen angetreten waren.[7]

Neue Vorschriften wurden bei den Olympischen Spielen nach 1996 eingeführt, die es transsexuellen Athleten nach einer geschlechtsangleichenden Operation ermöglichten, an den Olympischen Spielen teilzunehmen.[8] Die Kontroversen um dieses Thema setzten sich in den folgenden Jahren international bis zu den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking fort.[9]

Mit Wirkung zum Mai 2011 regelte die IAAF ihre Richtlinien zum Umgang mit geschlechtsangleichend operierten Sportlern neu. Während ursprünglich weibliche Sportler nach einer Operation ohne Weiteres in Männerwettbewerben antreten können, können von ursprünglich männlichen Sportlerinnen, die nach einer Operation bei Frauenwettbewerben antreten möchten, in einer im Einzelnen geregelten Prozedur Hormontests und daraus folgend Hormonbehandlungen verlangt werden, um eine mögliche Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.[10] Gleichzeitig wurden ähnliche Regeln für den Umgang mit Sportlerinnen eingeführt, die Symptome von Hyperandrogenismus aufweisen.[11][12]

Bekannte Einzelfälle

Positive Tests bei Olympischen Spielen[13]
Jahr Ort Pos. Tests Frauen
insges.
gerundet
1972 München 3 1280
1976 Montreal 0 1800
1984 Los Angeles 6 2500
1992 Albertville 15 >2000
1996 Atlanta 8 3000

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Robert Pool: Eve’s Rib. Searching for the biological roots of sex differences, Crown Publishers, New York 1994, ISBN 0-517-59298-3
  2. a b c d Patricia Nell Warren: The Rise and Fall of Gender Testing (Memento vom 19. August 2006 im Internet Archive), Outsports.com, 2003; im Internet-Archiv in der Version vom 19. August 2006
  3. Andreas Singler, Gerhard Treutlein: Doping im Spitzensport. Sportwissenschaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsentwicklung. Aachen 2007, ISBN 978-3-89899-192-6, S. 30
  4. a b Barbara Klimke: Olympische Spiele 2000 – Das Ende der Katastrophe. In: Berliner Zeitung. 14. September 2000, abgerufen am 15. Juni 2015.
  5. a b Myron Genel: Gender Verification No More? In: Medscape Women’s Health 5(3), 2000. Women’s Sports Foundation, , archiviert vom Original am 1. September 2009; abgerufen am 12. Mai 2014.
  6. Katia Mascagni: World conference on women and sport (PDF-Datei; 696 kB), Olympic Review XXVI No. 12, S. 23–27, 1996/97 (englisch; Punkt 10 der Resolution)
  7. Sportlerinnen müssen Geschlechtstest abliefern, Handelsblatt.com, 27. August 2002
  8. Cecil Adams: If a man has a sex change, can he compete in the Olympics as a woman?, The Straight Dope, 22. August 2008 (englisch)
  9. Katie Thomas: A Lab is Set to Test the Gender of Some Female Athletes, The New York Times, 30. Juli 2008 (englisch)
  10. IAAF Regulations Governing Eligibility of Athletes Who Have Undergone Sex Reassignment to Compete in Women's Competitions vom 1. Mai 2011, abzurufen über die offizielle Webseite der IAAF (englisch)
  11. IAAF legt Geschlechterregel fest, in: Leichtathletik vom 12. April 2011, abgerufen am 26. August 2013
  12. Amended IAAF Rules and new & updated IAAF Regulations - in force as of 1 May 2011, Meldung auf IAAF.org vom 1. Mai 2011, abgerufen am 26. August 2013 (englisch/französisch)
  13. Ross Tucker: Hermaphroditism in sport: More on the latest Caster Semenya allegations, The Science of Sport, 11. September 2009 (englisch)
  14. María José Martínez-Patiño: Personal Account: A woman tried and tested (PDF-Datei; 158 kB), The Lancet Medicine and Sport 366, 2005, S. S38.