Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation

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Emblem der IMRO mit der Losung „Freiheit oder Tod“

Die Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation (kurz IMRO; auch VMRO von bulgarisch Вътрешна Македонска Революционна Организация und mazedonisch Внатрешна Македонска Револуционерна Организација) war eine revolutionäre nationale Befreiungsbewegung der Bulgaren bzw. slawischen Mazedonier in der historischen Region Makedonien, später eine radikal nationalistische Partei im Zarentum Bulgarien und eine militante paramilitärische Organisation im mazedonischen Teil Jugoslawiens, die sich auch terroristischer Mittel bediente.[1][2] Sie wurde 1919 gegründet und war eine Nachfolgeorganisation der am 23. Oktober 1893 in dem zu diesem Zeitpunkt noch zum Osmanischen Reich gehörenden Thessaloniki gegründeten Bulgarischen Makedonisch-Adrianopeler Revolutionären Komitees (BMORK). 1934 wurde sie aufgelöst; Nachfolgeorganisationen gibt es aber in Bulgarien und der Republik Mazedonien bis heute.

Vorläufer

Anfänge

Die Gründer der IMRO

Gründungsmitglieder waren neben ihren späteren Führern, Christo Tatartschew und Dame Gruew, Petar Poparsow, Anton Dimitrow, Christo Batandschiew und Iwan Chadschinikolow. 1895 traf Gruew auf Goze Deltschew, der dann schließlich auch dem BMORK beitrat und später zu einer der bedeutendsten Personen in der Organisation wurde. Ursprüngliches Ziel der BMORK war es, unter der mit der osmanischen Herrschaft unzufriedenen Bevölkerung in Makedonien und Thrakien einen Aufstand zu organisieren, um die Befreiung oder wenigstens Autonomie zu erreichen; zuvor hatten Serbien, Bulgarien und Griechenland zumindest teilweise schon seit Jahrzehnten die Unabhängigkeit erlangt und versuchten, in diesem multiethnischen Gebiet Einfluss zu gewinnen. Zunächst wurde eine Befreiung und Zusammenschluss mit Bulgarien angestrebt. Später änderte man die Strategie dahingehend, dass man im ersten Schritt Autonomie und im zweiten Schritt den Anschluss an Bulgarien nach dem Vorbild Ostrumeliens zu erreichen suchte.

Komitadschi

Bewaffneter Kampf

1897 kam es zur ersten Zäsur, als osmanische Polizeitruppen in der Ortschaft Vinica in der Nähe der damaligen osmanisch-bulgarischen Grenze ein Munitionslager der BMORK aufdeckten. Mit den darauffolgenden Verhaftungen und Repressionen gegen BMORK-Mitglieder wandelten sich die BMORK von einer Gruppe idealistischer Revolutionärer zu einer militanten Guerilla, deren Kämpfer man Komitadschi nannte. 1902 folgte die erste Umbenennung in „Geheime Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Organisation“ (Тайна Македоно-Одринска революционна организация – ТМОРО oder TMORO). Die Organisation war mittlerweile in zwei Flügel gespalten: die Autonomisten um Delcev, die als Ziel immer eine Befreiung Makedoniens verfolgten, und die Supremisten, die über Provokation eines Krieges die Annexion durch Bulgarien ohne Widerstände Serbiens und Griechenlands zu erreichen versuchten.

Die Leiter der TMORO in Ostthrakien, abgedruckt in der Iljustracija Ilinden, Zeitschrift der Organisation Ilinden (1927)

Ilinden-Aufstand

Anfang des Jahres 1903 häuften sich Anschläge und Attentate der TMORO auf die Osmanische Truppen mit ungleich härteren Vergeltungsmaßnahmen reagierten. Unter der makedonischen Bevölkerung wuchs die Unruhe, und der geplante konzertierte Aufstand drohte bereits zum verfrühten Selbstläufer zu werden. Serbien und Griechenland nutzten diese Umstände, um ihrerseits bereits paramilitärische Truppen nach Makedonien zu schicken, um im Falle eines Aufstandes reagieren und eine Annexion einleiten zu können. Damit wurden Griechen und Serben ebenso wie die Türken von der TMORO als Feinde betrachtet. Der Aufstand, der eigentlich für den Herbst 1903 geplant war, musste nun vorgezogen werden. Deltschew starb am 4. Mai 1903; dennoch konnte der Ilinden-Preobraschenie-Aufstand wenige Monate später initiiert werden. Mit Ausrufung der Republiken von Kruševo und Strandscha erlebte die TMORO ihren bis dahin größten Erfolg, der aber mit der Niederschlagung des Aufstands zum Trauma wurde.

Zeit bis zu den Balkankriegen

Komitadschi der Makedonisch-Adrianopeler Landwehr in der bulgarischen Armee im Ersten Balkankrieg

Der in seinen Anfängen erfolgreich verlaufene und schließlich doch desaströse Aufstand führte dazu, dass sich der linke Flügel der Autonomisten nun endgültig von der TMORO abspaltete. 1905 erfolgte eine abermalige Umbenennung in „Innere Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Organisation“ (Вътрешна Македоно-Одринска революционна организация – ВМОРО oder WMORO). Vordergründig wurde immer noch die Befreiung Makedoniens und Thrakiens als Ziel ausgegeben – dies aber nur, um sich die Unterstützung durch Serbien und Griechenland zu sichern, die für die WMORO hilfreich war, um die Osmanen zu schwächen, und weil weder Serbien noch Griechenland oder Österreich-Ungarn den erwünschten Anschluss an Bulgarien ohne weiteres zugelassen hätten.

Einige Jahre lang schränkte die WMORO ihre Tätigkeiten ein, bis sich 1912 der erste Balkankrieg abzeichnete, der damit endete, dass Makedonien zwischen Serbien, Griechenland und zu einem kleineren Teil Bulgarien, das dafür Thrakien und Adrianopel erhielt, aufgeteilt wurde. Während der Balkankriege wurde die Organisation als Makedonisch-Adrianopeler Landwehr der bulgarische Armee unterstellt und kämpfte an dessen Seite in Thrakien gegen die Türken, sowie später in Makedonien gegen die Serben und Griechen.

Radikalisierung

Todor Aleksandrow

Mit Todor Aleksandrow übernahm ein Anhänger eines Großbulgarischen Reiches 1912 die Führung der WMORO und beschritt nun endgültig einen radikalen bulgarisch-nationalistischen Kurs der Organisation. Die WMORO setzte nun ihre Komitadschi genannten Guerilla-Kämpfer immer häufiger ein, um Anschläge und Attentate auf serbische und griechische Ziele auszuüben. Gleichzeitig etablierte sich in Bulgarien ein politischer Arm der WMORO, der als nationalistische Partei am äußersten rechten Rand schon bald erheblichen Einfluss auf die bulgarische Politik während des ausbrechenden Ersten Weltkriegs haben sollte. Die WMORO, die den Kurs des Zaren, als Teil der Mittelmächte am Ersten Weltkrieg teilzunehmen, unterstützte, erhoffte so, das gesamte Makedonien von Serbien und Griechenland abzutrennen und an Bulgarien anzuschließen. Während der Kriegsjahre sah dieses Vorhaben angesichts erheblicher bulgarischer Gebietsgewinne und dem Deutsch-Bulgarischen Abkommen von 1915, das Bulgarien nicht nur ganz Vardar-Mazedonien, sondern auch den Osten Serbiens zuschlug, auch aussichtsreich aus.

Jedoch erlitt Bulgarien 1919 als Teil der unterlegenen Mittelmächte abermals erhebliche Gebietsverluste. Der Vertrag von Neuilly-sur-Seine schien nun den Verbleib der größten Teile Makedoniens bei Griechenland und Serbien endgültig zu machen; darüber hinaus musste Bulgarien die Dobrudscha an Rumänien zurückgeben und verlor auch Westthrakien mit seinem Zugang zur Ägäis. Dies wurde vielfach als „zweite nationale Katastrophe“ (nach der ersten 1913) wahrgenommen. Hunderttausende von Flüchtlingen strömten aus den verlorenen Gebieten ins verbliebene bulgarische Territorium. Die Folgen des Ersten Weltkriegs stürzten Bulgarien darüber hinaus in eine ernste soziale und wirtschaftliche Krise, zu deren Überwindung der damalige Ministerpräsident Aleksandar Stambolijski den Ausgleich mit Griechenland und Serbien suchte.

In dieser Situation gründeten Todor Aleksandrow, der junge Iwan Michajlow und der aus Ohrid stammende General Aleksandar Protogerow aus den Überresten der WMORO die Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation.

Eskalation der Gewalt

Damit geriet Stambolijski in die Rolle des Feindbildes Nummer Eins der IMRO und der bulgarischen Offiziers-Elite. Als Instrument des Militärs verübten IMRO-Komitadschi – nachdem sie am 22. Oktober 1921 bereits seinen Außen- und Verteidigungsminister Aleksandar Dimitrow ermordet hatten und ein erstes Attentat auf Stambolijski am 2. Februar missglückt war[3] – im Juni 1923 ein Attentat auf Stambolijski, bei dem dieser ums Leben kam. Mit Stambolijskis Nachfolger Aleksandar Zankow hatte Bulgarien nun wieder eine rechte Regierung, die der IMRO die Hoheit über Pirin-Makedonien verlieh. Die IMRO übernahm die Kontrolle über die Grenze zwischen Bulgarien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und unterstützte nicht nur die rechte Regierung, sondern knüpfte auch enge Kontakte zum faschistischen Italien unter Benito Mussolini.

In der Gegend von Petritsch in der Oblast Blagoewgrad hatte die IMRO etwa von 1922 bis 1934 einen „Staat im Staate“ errichtet. Es wurden eigene Steuern erhoben, das öffentliche Leben überwacht und ein Guerillakrieg mit Serbien bzw. Jugoslawien geführt, der das außenpolitische Verhältnis zwischen Sofia und Belgrad belastete.[4][5]

1924 übernahm der Revisionist Iwan Michajlow die Führung der IMRO, die ab diesem Zeitpunkt immer häufiger Anschläge ausübte. Diesmal konzentrierten sich die Anschläge nicht nur auf Serbien und Griechenland, sondern fanden in ganz Europa statt. Von 1919 bis 1934 ermordeten Mitglieder der IMRO insgesamt 340 Repräsentanten des jugoslawischen Staats, auf der anderen Seite wurden aber auch geschätzt 4200 Mitglieder und Sympathisanten der IMRO ermordet, oftmals von den eigenen Leuten, denn fatale interne Kämpfe waren keine Seltenheit.

Ihren Höhepunkt erreichte die Gewalt im Oktober 1934, als Wlado „der Chauffeur“ Tschernosemski in Marseille das von der IMRO in Zusammenarbeit mit der kroatischen Ustascha geplante Attentat auf den jugoslawischen König Alexander I. und den französischen Außenminister Louis Barthou verübte, bei dem beide ums Leben kamen. Damit besiegelte die IMRO ihr Schicksal, da das bulgarische Militär nicht mehr länger gewillt war, die durch die IMRO provozierte Angreifbarkeit Bulgariens hinzunehmen. Die IMRO wurde faktisch entmachtet. Mit dieser Tat löste die IMRO übrigens auch die erste internationale Anti-Terrorismus-Gesetzgebung des Völkerbundes aus, die 1936 verabschiedet wurde.[6]

Nachdem der Kommunismus auch Bulgarien erreicht hatte, spaltete sich IMRO.

Abspaltung des linken Flügels

1925 trafen sich in Wien mehrere ehemalige Anhänger des linken Flügels der IMRO und gründeten die Vereinigte IMRO (ВМРО (обединета)), die sich vom bulgarischen IMRO-Kurs distanzierte und stattdessen in der Tradition der Republik Kruševo sah. Man verfolgte immer noch die Idee eines unabhängigen Makedoniens, in dem alle „Nationalitäten die hier leben und gelebt haben, […] Bulgaren, Albaner, Türken, Juden, Walachen, Griechen, Roma“ nach dem Vorbild der Sowjetunion zusammenleben sollten. Es wurden enge Kontakte zu kommunistischen Parteien auf dem Balkan und der KPdSU geknüpft und die Vereinigte IMRO schließlich durch die Komintern anerkannt. Es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit vor allem mit der Kommunistischen Partei Griechenlands. Die Vereinigte IMRO löste sich zwar 1936 auf, wirkte aber im Wesen noch bis in den Griechischen Bürgerkrieg nach. Spätestens ab 1948 wurde die IMRO auch in Jugoslawien Vergangenheit. In den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelte sich immer mehr eine Mystifizierung und Glorifizierung der IMRO, insbesondere in Jugoslawien.

Namen

  • 1893 – Bulgarische Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Komitees (BMORK)
  • 1902 – Geheime Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Organisation (TMORO)
  • 1905 – Innere Makedonisch-Adrianopeler Revolutionäre Organisation (IMARO)
  • 1919 – Innere Makedonische Revolutionäre Organisation (IMRO)

Die IMRO arbeitete mit weiteren Unterorganisationen wie z. B. der Inneren Thrakischen Revolutionären Organisation (ITRO), Innere Dobrudschanische Revolutionäre Organisation (IDRO) und der Inneren Westgebiete Revolutionären Organisation (IWRO).

Bedeutende Persönlichkeiten

Wiederentdeckung

Als es im Zuge der politischen Umwälzungen in Osteuropa 1990 vielerorts zu Parteigründungen kam, wurde die IMRO wiederentdeckt. In der Republik Mazedonien wurde 1990 die VMRO-DPMNE (ВМРО-Демократска партија за македонско национално единство – IMRO-Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit) gegründet, die an die IMRO Goce Delcevs anknüpfte.

Am 14. Juli 2004 gründete der ehemalige Ministerpräsident und Vorsitzender der VMRO-DPMNE Ljubčo Georgievski eine eigene Partei unter dem Namen VMRO-NP (ВМРО-Народна партија – IMRO-Volkspartei), die an die Kontinuität in den Aufgaben und Zielen der IMRO anknüpfen will und sich für engere Beziehungen mit Bulgarien einsetzt.

In Bulgarien wurde ebenfalls 1990 die rechtskonservative Partei IMRO – Bulgarische Nationale Bewegung (ВМРО-Българско национално движение) vom Bund der Mazedonischen Kulturvereine gegründet, die ebenfalls an die Geschichte der IMRO – allerdings an den bulgarisch-nationalen Flügel – anknüpft. Am 9. März 2010 wurde in Bulgarien die WMRO-NIE, als eine Abspaltung der IMRO-BNB gegründet.

Literatur

  • Stefan Troebst: Die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ und die Außenpolitik der Weimarer Republik (1919–1933). In: Derselbe: Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen der nationalrevolutionären Bewegung zum Abkommen von Ohrid 1893–2001. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2007, ISBN 978-3-486-58050-1, S. 85–110..

Weblinks

Commons: Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Dimitar Georgiev: Internal Macedonian Revolutionary Organization (IMRO). In Peter Chalk: Encyclopedia of Terrorism. Band 1, ABC-CLIO, Santa Barbara (CA) 2013, S. 318.
  2. Robert Bideleux, Ian Jeffries: The Balkans. A Post-Communist History. Routledge, Abingdon (Oxon)/New York 2007, S. 79.
  3. Dimitar Georgiev: Internal Macedonian Revolutionary Organization (IMRO). In Peter Chalk: Encyclopedia of Terrorism. Band 1, ABC-CLIO, Santa Barbara (CA) 2013, S. 318.
  4. Claudia Weber: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878–1944. (=Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Südosteuropas 2.) Lit-Verlag, Münster 2006, ISBN 3-8258-7736-1, S. 248.
  5. Stefan Troebst: Ivan Michajlov im türkischen und polnischen Exil (1934–1939/49). Fragmente zur politischen Biographie des Chefs der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“. In: Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen der nationalrevolutionären Bewegung zum Abkommen von Ohrid 1893-2001. R. Oldenbourg Verlag, München 2007, S. 175–224, auf S. 176.
  6. Stefan Troebst: Vom ethnopolitischen Schlachtfeld zum interethnischen Stabilitätspol. Gewalt und Gewaltfreiheit in der Region Makedonien im „langen“ 20. Jahrhundert. In: Nationalitätenkonflikte im 20. Jahrhundert. Ursachen von inter-ethnischer Gewalt im Vergleich. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001, S. 35–55, auf S. 43–44.