Jörg Ziercke

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Jörg Ziercke (2013)

Jörg Ziercke (* 18. Juli 1947 in Lübeck) ist ein deutscher Polizeibeamter. Er war von Februar 2004 bis November 2014 Präsident des deutschen Bundeskriminalamts (BKA).

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach seinem Abitur an der Oberschule zum Dom in Lübeck ging Ziercke 1967 als Polizeianwärter zur Bereitschaftspolizei; von 1968 bis 1970 absolvierte er eine Ausbildung für den gehobenen Dienst der Kriminalpolizei.

Beruflicher Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1970 bis 1975 war er im operativen Bereich bei der Schutzpolizei, Kriminalpolizei und auch beim Landeskriminalamt Schleswig-Holstein tätig. Nach seiner Ausbildung für den höheren Polizeivollzugsdienst an der damaligen Polizeiführungsakademie (jetzt Deutsche Hochschule der Polizei) in Münster wurde er 1979 Leiter der Kriminalpolizei Neumünster. In den folgenden Jahren nahm er zudem Vertretungsaufgaben des Leiters der Kriminalpolizeidirektion Kiel wahr und wurde 1981 an die Kriminalpolizeidirektion Itzehoe abgeordnet. 1985 wechselte er ins Kieler Innenministerium, wo er zunächst Personal-, Aus- und Fortbildungsreferent der Landespolizei Schleswig-Holstein war. Von 1990 bis 1992 war Ziercke Leiter der Landespolizeischule Schleswig-Holstein und unterstützte (im Rahmen der Wiedervereinigung) den Aufbau der Landespolizeischule Mecklenburg-Vorpommern. Ab 1992 wechselte er zur Polizei im Innenministerium Schleswig-Holstein und übernahm dort 1995 die Leitung der Polizeiabteilung. Im Februar 2004 machte Otto Schily (SPD), Bundesminister des Innern von 1998 bis 2005, ihn zum Präsidenten des Bundeskriminalamts, nachdem Ulrich Kersten vorzeitig entlassen worden war.[1] 2007 initiierte Ziercke in seiner Funktion als BKA-Präsident drei Fachtagungen zur NS-Vergangenheit des Bundeskriminalamts, aus denen ein aufwendiges Forschungsprojekt unter der Leitung des Historikers Patrick Wagner resultierte. Es handelt sich dabei um das erste Forschungsprojekt einer deutschen Sicherheitsbehörde zur Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit.[2]

Ende November 2014 trat Ziercke in den Ruhestand. Sein Nachfolger ist Holger Münch, der zuvor Staatsrat beim Senator für Inneres und Sport im Bundesland Bremen war.[3][4]

Sonstige Aktivitäten, Ämter und Mitgliedschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziercke ist Mitglied der SPD. Seit 2001 engagiert er sich im Vorstand des Deutschen Forums für Kriminalprävention und war seit dem 21. Oktober 2012 Stellvertretender Bundesvorsitzender des Weißen Ringes. Von 2018 bis 2022 war Ziercke Bundesvorsitzender des Weißen Rings.[5][6]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziercke ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Onlinedurchsuchungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfang 2007 geriet Ziercke wegen seines Eintretens für umstrittene geheime Online-Durchsuchungen in die Kritik. So verlieh ihm die deutsche Computerzeitschrift Chip dafür die Negativauszeichnung „Bremse des Jahres 2007“.[7] Ziercke bezeichnete die Ausführungen zu diesem Thema in der Presse als in technischer Hinsicht nicht haltbar; seine Spezialisten seien keine „Hacker“.[8]

Laut einem Bericht des Spiegels im Juli 2007 führte er im Rahmen einer Veranstaltung für Parlamentarier unter anderem Inhalte von sogenannten „Schockerseiten“ vor (Videoausschnitte von Exekutionen in Form von Enthauptungen, brutaler Kindesmisshandlung, BDSM), um bei den eingeladenen Abgeordneten für das geplante Gesetz über geheime Online-Durchsuchungen zu werben.[9]

Internetsperren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ziercke forderte jahrelang eine Umsetzung der von der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen initiierten Regelung zu Sperrung von Webseiten. Er betonte wiederholt, allein mit Löschen sei es dem BKA nicht möglich, gesetzeswidrige Inhalte im Internet effektiv zu bekämpfen. Die Behörde gab unter seiner Führung mehrere Erklärungen heraus, die diese Position unterstrichen und nachdrücklich die Einführung von Netzsperren forderten. Ziercke erklärte, „dass in jedem Fall 1.000, möglicherweise auch bis zu 5.000 Seiten mit kinderpornografischen Inhalten geblockt werden müssen. […] Es geht um hunderttausende Zugriffe, die jeden Tag verhindert und auf Stoppseiten umgeleitet werden sollen“.[10]

Am 5. April 2011 beschloss die Bundesregierung (Kabinett Merkel II), das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erläuterte die Gründe für die Entscheidung mit den Worten: „Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes sind nach zwei Wochen 93 Prozent der kinderpornografischen Inhalte gelöscht, nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent“.[11]

Drohnenangriffe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Januar 2011 erstattete ein Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe gegen Ziercke Strafanzeige wegen Beihilfe zum Mord an einem deutschen Islamisten.[12] Die Staatsanwaltschaft in Wiesbaden lehnte es ab, ein Ermittlungsverfahren gegen Ziercke einzuleiten.[13]

Edathy-Affäre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Edathy-Affäre wurde Ziercke Fehlverhalten im Amt des Präsidenten des deutschen Bundeskriminalamts angelastet und sein Rücktritt gefordert. Der Innenausschuss des Bundestages ermittelt.[14]

Am 18. Dezember 2014 erklärte Sebastian Edathy (SPD) vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages unter der Leitung von Eva Högl (SPD), dass Ziercke (SPD) im Amt des Präsidenten des deutschen Bundeskriminalamts die Informationsquelle seines Informanten Michael Hartmann (SPD) sei, welcher ihn unter anderem vor Durchsuchungen warnte.[15]

Ziercke ließ über einen BKA-Sprecher im Magazin Stern verlautbaren, Hartmann nicht direkt informiert zu haben.[16]

Für den 15. Januar 2015 war Ziercke für eine Befragung vor dem Untersuchungsausschuss geladen.[17]

Mangels Anfangsverdachts wurden bisher seitens der zuständigen Staatsanwaltschaft Wiesbaden unter Behördenleiter Volkmar Kallenbach keine Maßnahmen eine Strafvereitelung im Amt betreffend ergriffen.[18]

Auszeichnungen (Auszug)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Jörg Ziercke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Sigrid Averesch: Polizist des Vertrauens. In: berliner-zeitung.de. 6. Februar 2004, abgerufen am 3. März 2014.
  2. Peter Carstens: SS-Seilschaften prägten das BKA bis weit in die sechziger Jahre hinein. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 30. September 2007, S. 6–7 (archive.org [PDF; 243 kB]).
  3. Holger Münch wird neuer BKA-Chef. In: Zeit Online. 23. September 2014, abgerufen am 7. Oktober 2016.
  4. Deutschlands oberster Polizist heißt jetzt Holger Münch. In: RP-Online.de. 19. November 2014, abgerufen am 7. Oktober 2016.
  5. Ex-BKA-Chef Ziercke ist Bundesvorsitzender des Weißen Rings. In: Die Welt. Axel Springer SE, 15. September 2018, abgerufen am 22. Januar 2019.
  6. Jurist Patrick Liesching führt künftig den Weißen Ring. In: sueddeutsche.de. 7. September 2022, abgerufen am 2. März 2023.
  7. CHIP verleiht die CeBIT-Oscars 2007: Bremse des Jahres (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive) 17. März 2007, abgerufen am 7. Juli 2019
  8. Detlef Borchers: BKA-Chef Ziercke: Online-Durchsuchungen sind hochprofessionell. heise online, 26. März 2007, abgerufen am 7. Juli 2019
  9. Digitale Spaltung. In: Der Spiegel. Nr. 27, 2007 (online2. Juli 2007).
  10. BKA: Sperrung von Kinderporno-Seiten ist wirksam heise.de, am 28. März 2009, abgerufen am 7. Juli 2019
  11. vgl. z. B. Kampf gegen Kinderpornografie-Koalition kippt Internetsperren, tagesschau.de, 5. April 2011 (Memento vom 8. April 2011 im Internet Archive) und Kinderporno-Seiten-Koalition kippt "Zensursula"-Gesetz, spiegel.de, 5. April 2011.
  12. Richter zeigt BKA-Präsidenten wegen Drohnenangriffs an. Spiegel Online, 8. Januar 2011, abgerufen am 14. Januar 2011.
  13. Steffen Hebestreit: Klage wegen US-Drohnenangriff: BKA-Chef Ziercke bleibt unbehelligt. Frankfurter Rundschau, 3. Februar 2011, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. Februar 2011; abgerufen am 7. Juli 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fr-online.de (archivierte Version)
  14. FAZ.net 30. März 2014: Pädophiler BKA-Beamter - Sanft entsorgt.
  15. bundestag.de: Große Widersprüche - 2. Untersuchungsausschuss (Edathy) - 19.12.2014, vom 19. Dezember 2014
  16. Spiegel Online: Polit-Affäre: Edathy gibt angeblichen Tippgeber preis., vom 13. Dezember 2014, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  17. focus.de: Sozialdemokraten in Bedrängnis - Mitglied des Edathy-Ausschuss: „Die SPD war definitiv nicht neutral“, vom 20. Dezember 2014
  18. welt.de: Mit jedem Detail wächst das Risiko für die SPD, vom 19. Dezember 2014
  19. BMI Österreich
  20. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,6 MB)
  21. Bul le mérite - 2012. Bund Deutscher Kriminalbeamter, 18. Oktober 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 17. November 2012; abgerufen am 24. November 2012.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bdk.de