Jedermann-Konto

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Der Begriff Jedermann-Konto beschreibt das Recht jedes Bürgers auf ein Girokonto bei einer Bank, um bargeldlose Zahlungen zu tätigen. Dieses Recht wurde in Deutschland mit dem Postscheckdienst im Jahre 1909 eingeführt. Allerdings bestand seit der Privatisierung der Postbank 1995 kein Rechtsanspruch mehr.

1995 wurde in Deutschland ein Girokonto für jedermann vom Zentralen Kreditausschuss (ZKA) – heute Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) – als freiwillige Selbstverpflichtung der Kreditinstitute definiert. Es handelte sich um ein Girokonto auf Guthabenbasis (umgangssprachlich Guthabenkonto), bei dem keine Überziehung zugelassen war. Zweck der Selbstverpflichtung war, ein damals vom Gesetzgeber geplantes allgemeines Recht für jedermann auf ein Girokonto dadurch zu verhindern, dass die Banken dafür eine Regelung in Selbstverwaltung einrichteten.

Seit dem 19. Juni 2016[1][2][3] begründet § 31 des Zahlungskontengesetzes (ZKG), das die Zahlungskonten-Richtlinie der EU umsetzt, für alle Verbraucher einschließlich Personen ohne festen Wohnsitz einen Rechtsanspruch auf Führung eines sog. Basiskontos für die Ausführung von Zahlungsvorgängen auch bei Privat- sowie Volks- und Raiffeisenbanken.[4]

Rechtsanspruch für EU-Bürger

Das Europäische Parlament beschloss am 15. April 2014 für alle EU-Bürger – auch ohne festen Wohnsitz – einen gesetzlichen Anspruch (Kontrahierungszwang) auf ein Basis-Girokonto, damit allen Bürgern die vollständige Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben einer modernen Gesellschaft möglich ist.[5] Die EU-Mitgliedstaaten müssen diese Zahlungskonten-Richtlinie (RL 2014/92/EU) bis zum 18. September 2016 in nationales Recht umsetzen.

Laut EU-Kommission hatten 2014 zirka 58 Millionen EU-Verbraucher im Alter von über 15 Jahren kein Girokonto.[6]

Der deutsche Entwurf zu einem Zahlungskontengesetz befand sich zunächst zur weiteren Beratung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages.[7] Die Expertenanhörung im Ausschuss fand dazu am 25. Januar 2016 statt. Die Regelungen des Jedermann-Kontos sollten laut dem Entwurf zwei Monate nach Verkündung dieses Gesetzes Inkraft treten.[8] Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen hatte noch einen Entschließungsantrag zu dem Gesetz eingebracht.[9]

Ein Girokonto für jedermann

Durch das Jedermann-Konto soll auch Menschen ein Girokonto garantiert werden, denen sonst wegen Kontopfändungen, negativen Schufa-Einträgen oder aus anderen Gründen das bisherige Girokonto gekündigt wurde und denen deshalb die Einrichtung eines neuen Girokontos verweigert wird. Die Anzahl der Girokonten für jedermann in Deutschland stieg von 1,1 Mio Ende 1999 auf rund 2 Mio bis Ende 2006.[10]

Für das Kreditinstitut besteht jedoch keine rechtliche Verpflichtung, ein Girokonto einzurichten. Nach den Empfehlungen der Deutschen Kreditwirtschaft ist die Eröffnung oder Fortführung eines Kontos unzumutbar, wenn

  • der Kunde die Leistungen des Kreditinstitutes missbraucht, insbesondere für gesetzwidrige Transaktionen, z. B. Betrug, Geldwäsche o. ä.
  • der Kunde Falschangaben macht, die für das Vertragsverhältnis wesentlich sind
  • der Kunde Mitarbeiter oder Kunden grob belästigt oder gefährdet
  • die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht gegeben ist, weil z. B. das Konto durch Handlungen vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Jahr lang umsatzlos geführt wird
  • nicht sichergestellt ist, dass das Institut die für die Kontoführung und -nutzung vereinbarten üblichen Entgelte erhält
  • der Kunde auch im Übrigen die Vereinbarungen nicht einhält.[11]

Pfändungsschutzkonto

Das Jedermann-Konto ist (wie andere Konten auch) durch Gläubiger pfändbar. Zum Schutz eines pfändungsfreien (Grund-)Freibetrags (dient der Umsetzung des Sozialstaatsgebots, also der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums) kann es – wie jedes herkömmliche Girokonto einer natürlichen Person – seit 1. Juli 2010 in ein Pfändungsschutzkonto umgestellt werden.

Praktische Umsetzung

Verweigerung des Jedermann-Kontos

Trotz der ZKA-Selbstverpflichtung der Banken auf Einrichtung des Jedermann-Kontos wurde bisher in der Praxis manchen Kunden ein Girokonto verweigert. Ein Grund dafür ist insbesondere, dass Geldinstitute vor der Kontoeröffnung Informationen über die betreffende Person bei der Schufa einholen und erst anhand dieser Daten eine Entscheidung treffen. Angeblich führte diese deutsche Verweigerungspraxis (ob es in anderen EU-Ländern zur SCHUFA vergleichbare Dateien gibt, ist erstaunlicherweise völlig unklar geblieben) maßgeblich zu dem Beschluss des EU-Parlaments im April 2014 zur Einführung eines gesetzlich verankerten Rechtsanspruchs auf ein Girokonto. Allerdings gab es auch zu diesem Zeitpunkt nur Schätzungen über die Anzahl von Menschen ohne Girokonto. In Deutschland sollten es ungefähr 500.000 sein; da das als EU-weites Argument nicht ausgereicht hat, wurde ohne nähere Angaben mit Zahlen von bis zu 30 Millionen kontolosen EU-Bürgern argumentiert. Seit 2015 wird zudem das Flüchtlingsthema als Argument verwendet.

Schuldnerberatungsstellen haben immer wieder betont, dass die Banken den Überschuldeten vielfach die Kontoführung verweigern. Hingegen erklärte der ZKA, dass das Girokonto für jedermann erfolgreich funktioniere und von jedermann eingerichtet werden könne. Eine Umfrage der Schuldnerberatungsstellen aus dem Jahr 2005 ergab für Berlin-Brandenburg, dass hier 10 % aller Arbeitslosen ein Girokonto verweigert wurde. Im Gegensatz hierzu stehen die Zahlen der BA: Die Bundesagentur für Arbeit bietet Arbeitslosen und Kindergeldempfängern, die über kein Girokonto verfügen, eine Zahlungsanweisung zur Verrechnung als Auszahlungsmöglichkeit an. Sofern die Leistungsempfänger kein Konto haben, obwohl die Unzumutbarkeitsregeln nicht gelten, ist diese Zahlart kostenlos. Im Januar 2006 mussten 1,36 % der Zahlungen auf diesem Weg erfolgen.[12] Allerdings sind hier weder Überweisungen auf Sparkonten noch Überweisungen auf fremde Konten enthalten. Diese Zahl kann daher nur begrenzt als Indikator für die Zahl der Bürger dienen, denen ein Girokonto verweigert wird.

Gründe der Verweigerung

Hauptgrund ist, dass die Kontoführungsgebühren oft die Kosten des Girokontos im Rahmen der Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht decken. Kostendeckend werden Girokonten nur durch die (weitgehend zinslosen) Guthaben, die Kunden mit entsprechendem Vermögen (und Einkommen) unterhalten und die dadurch (Girokonto als sog. Ankerprodukt) gegebene Möglichkeit des Vertriebs weiterer Bankprodukte (Cross-Selling) an die Kontoinhaber. Zur Kostendeckung tragen auch Erträge aus der Inanspruchnahme etwaiger (zum Teil teurer) Dispositionskredite bei.

Grundsätzlich verursachen überschuldete Kunden den Banken höhere Kosten als andere Kunden. Sie verursachen deutlich mehr Lastschriftrückgaben und Kontopfändungen. Bei Kunden mit geringem Einkommen, die nur ein Konto auf Guthabenbasis führen können, besteht zudem meist wenig Aussicht, dass sie später weitere Leistungen der Bank wie etwa Kredite in Anspruch nehmen.

„Schalterhygiene“

Als bei der Kür zum Unwort des Jahres 1994 der Begriff „Peanuts“ ausgewählt wurde, rügte die Jury in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Schalterhygiene“.[13][14] Diese sollte die Praxis vieler Banken beschreiben, bestimmten Personengruppen die Eröffnung eines Kontos zu verweigern oder zumindest massiv zu erschweren.

Folgen

Bürger, die über kein Girokonto verfügen, werden von einem wichtigen Bereich des wirtschaftlichen Verkehrs ausgeschlossen. Dies löst oft eine Negativspirale aus. Bei Kontenpfändungen und Eröffnung eines Insolvenzverfahrens können Geldinstitute die Geschäftsverbindung beenden. Bereits Verschuldete geraten verstärkt in Probleme, wenn für Lohn-, Gehalts-, Mietzahlungen etc. kein Girokonto besteht und somit alles im Bargeldverkehr abgewickelt werden muss. Die Neueröffnung eines Kontos wird erschwert, weil die meisten Banken zunächst die Schufa-Einträge prüfen und dort Konten finden, die allerdings wegen Pfändung oder Kündigung für den Geldverkehr nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch können die Bankgebühren für Bareinzahlungen bei Personen mit Einkommen auf Höhe des Existenzminimums eine hohe Belastung darstellen.

Rechtspflicht

Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen sind in einigen deutschen Bundesländern durch Sparkassengesetze und -verordnungen rechtlich verpflichtet (Kontrahierungszwang), jedermann ein Konto auf Guthabenbasis zu eröffnen: In Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt undThüringen besteht durch die Sparkassengesetze und -verordnungen ein Anspruch auf ein Girokonto auf Guthabenbasis.

Für Bayern heißt es in der Sparkassenverordnung (SPKO) vom 21. April 2007 (Fundstelle: GVBl 2007, S. 332):

§ 5, Kontrahierungszwang
(2) Die Sparkasse führt für natürliche Personen aus ihrem Geschäftsbezirk auf Antrag Girokonten auf Guthabenbasis.
(3) […] Girokonten müssen nicht geführt werden, wenn das der Sparkasse im Einzelfall aus wichtigem Grund nicht zuzumuten ist.

Das Hessische Sparkassengesetz vom 10. November 1954 in der Fassung vom 24. Februar 1991[15] enthält eine Sollvorschrift:

§ 2, Aufgaben
(4) Die Sparkassen sollen nach Maßgabe der Mustersatzung jeder Einwohnerin und jedem Einwohner im Gebiet ihres Trägers auf Verlangen ein Girokonto auf Guthabenbasis einrichten.

Einzelne deutsche erstinstanzliche Gerichte haben in Streitfällen eine angebliche rechtliche Verpflichtung der Banken (aus der freiwilligen Selbstverpflichtung des ZKA) zur Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis bejaht. Nach einem Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. Juni 2005[16] soll sich aus der freiwilligen Selbstverpflichtung des ZKA eine Pflicht der angeschlossenen Banken ergeben, allen Kunden auf Wunsch ein so genanntes „Girokonto für Jedermann“ einzurichten. Dieses Urteil wurde durch das Oberlandesgericht Bremen allerdings aufgehoben. Hinsichtlich des Vorhabens der Führung eines Girokontos auf Guthabenbasis hat der Senat der Freien Hansestadt Bremen im Bundesrat (unter Drucksache 653/08, vom 19. September 2008) den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kreditwesengesetzes eingebracht, in dem das genannte Vorhaben umgesetzt werden soll. Der Antrag ist seitdem gegen die Stimmen aus Bremen, Berlin und Rheinland-Pfalz mehrmals vertagt worden.

Das Landgericht Berlin, Urteil vom 8. Mai 2008, Az. 21 S 1/08, hat im Jahr 2008 in einem Einzelfall im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass ein Anspruch auf Abschluss eines Girokontos auch gegenüber einer Privatbank bestehen soll. Zwar besteht kein Anspruch aus der Selbstverpflichtung des ZKA, jedoch sei ausnahmsweise von einem Kontrahierungszwang auszugehen.[17]

Anlässlich des Weltverbrauchertages 2011 am 15. März 2011 kündigte Binnenmarktkommissar Michel Barnier u. a. die Schaffung eines europäischen Grundrechts auf ein Basisgirokonto und striktere Regeln für den Verbraucherschutz bei Hypothekendarlehen an.[18]

Mit einer am 29. September 2012 veröffentlichten Erklärung der deutschen Sparkassen zum Bürgerkonto haben sich die 423 Sparkassen in Deutschland verpflichtet, ab Oktober 2012 jeder Privatperson in ihrem Geschäftsgebiet ein Guthabenkonto einzurichten.[19] Nach den weiteren Angaben des DSGV können Kunden mit einem Bürgerkonto am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen, ohne sich dabei zu verschulden. Dabei bezahlen sie keine höheren Entgelte als bei einem vergleichbaren Konto mit Überziehungsmöglichkeit. Schlichtersprüche zum Bürgerkonto sollen von den Sparkassen als verbindlich anerkannt werden.

Der Ombudsmann des jeweiligen Bankenverbandes kann angerufen werden. Er prüft, sofern die Beschwerde zulässig ist, ob die ZKA-Empfehlung eingehalten wurde. Die Bank ist an den Schiedsspruch nicht gebunden.

Auszahlung von Sozialleistungen

Geldleistungen sollen kostenfrei auf ein Konto des Empfängers oder, wenn der Empfänger es verlangt, kostenfrei an seinen Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union übermittelt werden (§ 47 SGB I).

Bei der Übermittlung von Arbeitslosengeld II an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten sind die dadurch veranlassten Kosten abzuziehen, es sei denn, der Leistungsberechtigte weist nach, dass ihm die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist (§ 42 SGB II). Fälle, in denen ein Geldinstitut den Abschluss eines Basiskontovertrags aus den in §§ 35–37 ZKG genannten Gründen wegen eines bereits vorhandenen Zahlungskontos, einer vorsätzlichen Straftat zum Nachteil des kontoführenden Instituts oder wegen Zahlungsverzugs zu Recht ablehnt (§ 34 Abs. 1 ZKG), setzen in der Regel ein Verschulden des Antragstellers voraus und bleiben daher außer Betracht.

Weblinks

Quellen

  1. „Die Neuregelungen zu den Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen (Basiskonto) treten am 19. Juni 2016 in Kraft.“ Presse- und Informationsamt der Bundesregierung [Deutschlands]: Jeder hat das Recht auf ein Konto, Freitag, 17. Juni 2016
  2. „Inkrafttreten: 19.06.2016“ Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge (DIP): Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen
  3. Art. 9 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen, BGBl. 2016 I S. 720
  4. Bundesministerium der Finanzen: Fragen und Antworten zum Zahlungskontengesetz/Basiskonto 28. Oktober 2015
  5. Europäisches Parlament: Ein Girokonto für jeden EU-Bürger Pressemitteilung vom 15. April 2014
  6. Europäische Kommission: The right to a basic bank account for all European citizens: Commission welcomes European Parliament adoptionission Statement 14/123 vom 15. April 2014 (englisch)
  7. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/7204
  8. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/7691
  9. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/7702
  10. Pressemitteilung der Deutschen Kreditwirtschaft
  11. Empfehlung der Deutschen Kreditwirtschaft zum "Girokonto für jedermann"
  12. Drucksache 16/2265 des Deutschen Bundestages (16. Wahlperiode)
  13. Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
  14. Artikel von Andreas Flümann im Straßenmagazin draußen!, Dezember 2008
  15. Zitiert nach http://www.rv.hessenrecht.hessen.de/
  16. Volltext des Urteils des Landgerichts Bremen vom 16. Juni 2005 (Aktenzeichen 2 O 408/05)
  17. LG Berlin · Urteil vom 8. Mai 2008 · Az. 21 S 1/08 - Wortlaut
  18. Europäische Union
  19. DSGV-Pressemitteilung Nr. 97/2012