Mindestlohngesetz (Deutschland)

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Basisdaten
Titel: Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns
Kurztitel: Mindestlohngesetz
Abkürzung: MiLoG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Deutschland
Rechtsmaterie: Arbeitsrecht
Fundstellennachweis: 802-5
Erlassen am: Art. 1 G vom 11. August 2014
BGBl. I S. 1348
Inkrafttreten am: 16. August 2014
Letzte Änderung durch: Art. 2 G vom 17. Februar 2016
(BGBl. I S. 203, 231)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
18. April 2016
(Art. 3 G vom 17. Februar 2016)
GESTA: E022
Weblink: Text des MiLoG
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns – Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt in Deutschland seit dem 1. Januar 2015 ein flächendeckender allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn für Arbeitnehmer und für die meisten Praktikanten in Höhe von 8,50 € brutto je Zeitstunde. In der Zeit der Einführung wird es zunächst bis 2017 noch Ausnahmen geben. Der allgemeine Mindestlohn verdrängt nicht Branchenmindestlöhne, soweit diese höher als der allgemeine Mindestlohn sind (§ 1 Abs. 3 MiLoG). Das MiLoG wurde durch Artikel 1 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014 eingeführt.[1]

Inhalt des Gesetzes

Anspruchsberechtigte

Mindestlohn im Arbeitsvertrag (Symbolfoto)

Nach dem Mindestlohngesetz hat jeder volljährige Arbeitnehmer einen unabdingbaren Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.

Der allgemeine Mindestlohn verdrängt nicht Branchenmindestlöhne, soweit diese höher als der allgemeine Mindestlohn sind (§ 1 Abs. 3 MiLoG). Für eine Übergangszeit bis Ende 2017 dürfen Branchenmindestlöhne jedoch noch niedriger sein als der allgemeine Mindestlohn, ab dem 1. Januar 2017 müssen sie mindestens 8,50 € betragen.

Anspruch auf den Mindestlohn haben auch Praktikanten, die eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) handelt.

Nicht-Anspruchsberechtigte

Die Regelung, dass Praktikanten Anspruch auf den Mindestlohn haben, gilt nicht für[2]

  • Schüler oder Studenten, die das Praktikum im Rahmen ihrer Schulausbildung oder ihres Studiums absolvieren
  • bis zu drei Monate dauernde Orientierungspraktika für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums
  • von der Arbeitsagentur geförderte Maßnahmen zum Erwerb einer Einstiegsqualifikation.

Keinen Anspruch auf den Mindestlohn haben Auszubildende und ehrenamtlich Tätige sowie Volontäre und Journalistenschüler in Medienunternehmen[3], wenn das Volontariat auf eine praktische Ausbildung abzielt, welche mit der Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes vergleichbar ist.[4][5]

Arbeitnehmer, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung länger als ein Jahr arbeitslos waren, können während der ersten sechs Monate der Beschäftigung noch keinen Mindestlohn verlangen.

Als Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen werden nur „voll erwerbsgeminderte“ Menschen mit Behinderung aufgenommen. Dieser Personenkreis hat den Status von „Rehabilitanden“, gilt also nicht als Arbeitnehmer und hat darum keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.[6]

Keinen Anspruch auf den Mindestlohn haben auch Untersuchungs- oder Strafgefangene, die innerhalb von Haftanstalten arbeiten.[7]

Bisher zählte die Berufsgruppe der Frisöre zu einer Ausnahmeregelung, die keinen Mindestlohn erhalten haben. Doch seit dem 1. August 2015 bekommen auch sie den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Durch diese Änderung erhalten Frisörinnen und Frisöre nun deutlich mehr Geld: In den alten Bundesländern 50 Cent mehr, in den neuen 1 Euro mehr. [8]

Aus §1 Abs. 1 des Mindestlohngesetzes ("jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer") ergibt sich, dass das Gesetz nicht für Selbstständige gilt. Eine als selbstständige Unternehmerin auf Honorarbasis tätige Reinigungskraft zum Beispiel hat also keinen Anspruch auf die Zahlung eines Mindesthonorars in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.

Höhe des Mindestlohns

Der Mindestlohn ist durch das Gesetz auf 8,50 Euro brutto je Zeitstunde festgelegt. Am 28. Juni 2016 schlug die ständige Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) einstimmig vor, ihn um 34 Cent auf 8,84 Euro zu erhöhen.[9] Die Bundesregierung legte daraufhin einen Entwurf der Mindestlohnanpassungsverordnung vor (BAnz AT 12.09.2016 B1).

Mindestlohnkommission

Die neunköpfige Mindestlohnkommission wird von der Bundesregierung alle fünf Jahre neu berufen. Ihre Geschäftsstelle wird bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin als selbständige Organisationseinheit eingerichtet. Die Mindestlohnkommission besteht aus einem Vorsitzenden, drei Arbeitnehmer- und drei Arbeitgebervertretern sowie zwei nicht stimmberechtigten beratenden Mitgliedern aus dem Bereich der Wissenschaft. Die Mitglieder sind an Weisungen nicht gebunden und ehrenamtlich tätig. Der Vorsitzende wird auf gemeinsamen Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer berufen. Die jeweiligen Spitzenorganisationen schlagen auch die für ihren Bereich zu berufenden weiteren Mitglieder sowie die beratenden Mitglieder vor.

Die erste Mindestlohn-Kommission wurde am 17. Dezember 2014 berufen. Den Vorsitz führte anfangs Henning Voscherau, bis zu seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen 2015, seitdem der ehemalige Personalvorstand von RWE, Jan Zilius. Die Arbeitnehmerseite vertreten Robert Feiger, Vorsitzender der IG BAU, Stefan Körzell, Mitglied im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand und Michaela Rosenberger, Vorsitzende der NGG. Die Arbeitgeberseite ist vertreten durch Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA, Valerie Holsboer, Hauptgeschäftsführerin der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) und Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Als wissenschaftliche Mitglieder wurden berufen Clemens Fuest, Präsident und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Claudia Weinkopf, Stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen.[10]

Kontrolle der Einhaltung

Die Bundesregierung nimmt an, dass sich durch die Einführung des Mindestlohns die Löhne von 3,7 Millionen Arbeitnehmern erhöhen werden.[11] Damit die dafür zuständige Zollverwaltung die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren kann, müssen bestimmte Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer dokumentieren. In der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung wird die Dokumentationspflicht auf die Arbeitszeit bestimmter Arbeitnehmer beschränkt. Bürokratiekosten zulasten der Wirtschaft sollen nur in geringem Maß entstehen.[12] Der Normenkontrollrat beziffert die zusätzlichen Kosten für die Dokumentationspflichten auf lediglich drei Millionen Euro.[13]

Arbeitgeber, die gegen den Mindestlohn verstoßen, können mit einem Bußgeld belegt und von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Ferner kommt eine Strafbarkeit nach § 266a StGB Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Betracht, wobei bis zu 5 Jahren Haft drohen. Strafbar ist hier nicht die Nichtzahlung des Mindestlohns an den Arbeitnehmer, sondern das Nichtabführen der zum Mindestlohn gehörenden Sozialbeiträge.

Haftung des Auftraggebers

Nach § 13 findet § 14Arbeitnehmer-Entsendegesetz entsprechend Anwendung. Danach bürgt ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers seinen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen mindestens den Mindestlohn zu zahlen. Er kann auch in Anspruch genommen werden, ohne dass der Arbeitnehmer vorher versucht hat seinen eigenen Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen.

Übergangsbestimmungen

Für die Zeit der Einführung des Mindestlohns ist es übergangsweise bis Ende 2016 zulässig, in Tarifverträgen geringere Löhnen als den Mindestlohn zu vereinbaren. Z.B. gilt für die Land- und Forstwirtschaft und den Gartenbau der TV Mindestentgelt; Das dort geregelte Mindestentgelt beträgt ab 1. Januar 2015 pro Stunde 7,40 € (neue Länder und Berlin: 7,20 €), ab 1. Januar 2016 8,00 € (7,90 €), ab 1. Januar 2017 dann bundesweit 8,60 € und ab 1. November 2017 9,10 €.[14] Für die Textil- und Bekleidungsindustrie gilt im Beitrittsgebiet ebenfalls ein geringerer Mindestlohn (ab dem 1. Januar 2015 7,50 Euro, ab dem 1. Januar 2016 8,25 Euro, ab dem 1. November 2016 8,75 Euro und ab dem 1. Januar 2017 die ggf. gesetzlich neu festgesetzte Höhe, mindestens aber 8,75 Euro).[15] Für Zeitungszusteller gilt bereits nach § 24 Abs. 2 MiLoG übergangsweise ein geringerer als der sonst geltende gesetzliche Mindestlohn.

Eine Evaluation des Gesetzes ist für das Jahr 2020 vorgesehen. Über die Auswirkungen der Ausnahme für Langzeitarbeitslose soll die Bundesregierung zum 1. Januar 2017 berichten. Nach anhaltender Kritik aus den Reihen der CDU/CSU kündigte die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bereits bis Mitte 2015 eine erste Überprüfung des Mindestlohngesetzes an[16].

Rechtsverordnungen

Aufgrund der im Gesetz enthaltenen Ermächtigungen, wurden bislang vier Rechtsverordnungen erlassen, die verschiedene Regelungen des Gesetzes weiter konkretisieren:

  • Verordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörde nach § 16 Absatz 6 des Mindestlohngesetzes (MiLoGMeldStellV)[17]
  • Verordnung zur Abwandlung der Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung nach dem Mindestlohngesetz und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (Mindestlohnaufzeichnungsverordnung – MiLoAufzV)[18]
  • Verordnung über Meldepflichten nach dem Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (Mindestlohnmeldeverordnung – MiLoMeldV)[19]

Gesetzgebungsverfahren

Vorgeschichte

Die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns in Deutschland war eine lange erhobene sozialpolitische Forderung. Indirekte gesetzliche Regelungen hatte es dazu zunehmend im Landesrecht gegeben: Immer mehr Bundesländer hatten in eigenen Vergabe- und Mindestlohngesetzen Auflagen zur Vergabe öffentlicher Aufträge formuliert und den Zuschlag an die Einhaltung bestimmter sozialer Mindeststandards durch die Bewerber gebunden (sog. Tariftreueregelung). Eine Ausnahme bildeten nur die Bundesländer Hessen, Sachsen und Bayern, für die eine solche Regelung fehlt. Diese Mindestlöhne bewegten sich zwischen 8 Euro (Brandenburg) und 9,18 Euro (Schleswig-Holstein). Die Tariftreueregelungen waren von den meisten Bundesländern außer Kraft gesetzt worden, nachdem der Europäische Gerichtshof 2008 entschieden hatte, das niedersächsische Landesvergabegesetz sei mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar und verstoße daher gegen Europarecht.[20][21] Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 gehörte der Mindestlohn zu den umstrittensten Themen, wobei sowohl die Einführung als auch die näheren Einzelheiten strittig waren. Die Positionen reichten von 8,50 Euro (SPD, Grüne) bis zu 10,00 Euro pro Stunde (Die Linke).

Koalitionsvertrag und Diskussion

Im Koalitionsvertrag der 18. Wahlperiode des Bundestages wurde die Einführung des Mindestlohns mit der sinkenden Tarifbindung der Sozialpartner begründet. Das mache einen „angemessenen Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ erforderlich. Der „flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für das gesamte Bundesgebiet“ solle vom 1. Januar 2015 an schrittweise eingeführt werden. Die Höhe des Lohns werde regelmäßig von einer paritätisch besetzten Kommission der Tarifpartner angepasst, deren Beschluss durch Rechtsverordnung erstreckt werde, erstmals zum 10. Juni 2017 mit Wirkung zum 1. Januar 2018. Ausnahmen solle es für Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz geben; sie gälten fort. Außerdem solle es Ausnahmeregelungen für Saisonarbeiter und für ehrenamtlich Tätige geben, die geringfügig beschäftigt sind (sogenannte „Minijobs“). Das sei angezeigt, weil „sie in aller Regel nicht den Charakter abhängiger und weisungsgebundener Beschäftigung“ hätten.[22]

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte die Koalitionsvereinbarung zur Einführung des Mindestlohns begrüßt, weil sie einer langjährigen Forderung des DGB entspreche. Dies verbessere die Lebenssituation vieler Menschen. Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland sollten Arbeitnehmer mit einer Vollzeitstelle nicht mehr zusätzlich auf die Hilfe des Jobcenters angewiesen sein, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Zudem steige die Wettbewerbssituation derjenigen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter fair behandelten. Die Gewerkschaften kritisierten aber, dass der Lohn bis 2018 auf der Höhe von 8,50 Euro eingefroren bleiben solle; das werde den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht. Sie kündigten an, sich im Gesetzgebungsverfahren für eine frühere Anhebung des Lohns einzusetzen.[23]

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) prophezeite, die Einführung des Mindestlohns werde „bedauerliche Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen“, weil dadurch gering qualifizierten Arbeitsuchenden die Einstellung in ein Arbeitsverhältnis erschwert werde. Man werde sich dafür einsetzen, dass es im Gesetz „mehr Differenzierungen“ geben werde, um Abweichungen vom Mindestlohn zu ermöglichen.[24]

Aus zivilrechtlicher Sicht wurde zum Teil befürchtet, die Normierung einer Lohnuntergrenze schließe als Spezialgesetz die Anwendung der allgemeinen Vorschriften über die Sittenwidrigkeit über die bei der Beurteilung von Lohnvereinbarungen aus.[25] Gerichte könnten dann bei solchen Streitigkeiten nicht mehr vergleichend die branchenüblichen Löhne zu Grunde heranziehen. Demnach könnten Löhne nun auch unterhalb von zwei Dritteln des Tariflohns liegen, ohne wegen Lohnwuchers nichtig zu sein. Allerdings war diese Befürchtung ungerechtfertigt, da das Mindestlohngesetz kein Spezialgesetz im Verhältnis zu § 138 (Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher, siehe auch Lohnwucher) darstellt, sodass Lohnvereinbarungen seit seinem Inkrafttreten sowohl an § 138 BGB als auch am Mindestlohn zu messen sind.[26]

Vermittelnde Stimmen haben betont, dass die Einführung des Mindestlohns auf die meisten Arbeitsverhältnisse keine Auswirkung haben werde. In Westdeutschland seien nur 17 Prozent, in Ostdeutschland 27 Prozent der Beschäftigten von den Regelungen betroffen. „Begünstigt sind damit künftig 10 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, 18 Prozent der Teilzeitbeschäftigten und 54 Prozent der geringfügig Beschäftigten (sog. Mini-Jobber), insgesamt also 5,6 Millionen Beschäftigte.“ Deshalb seien „nur geringe gesamtwirtschaftliche Auswirkungen“ zu erwarten, die Bruttolohnsumme „würde um gerade einmal drei Prozent steigen.“[27]

Die Auswirkungen des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro auf das soziale Sicherungsniveau werden skeptisch beurteilt. Der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und damalige Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung Franz Ruland hatte schon 2013 erklärt, erst ab einem Mindestlohn von 12,50 Euro brutto pro Stunde für Vollzeitbeschäftigte sei eine Altersrente zu erreichen, die oberhalb der Grundsicherung im Alter von damals bundesdurchschnittlich 688 Euro im Monat liegt.[28] Die Stiftung Warentest rechnete nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags vor: „Ein Arbeitnehmer, der 45 Jahre lang 38,5 Stunden in der Woche arbeitet, müsste mindestens 10 Euro in der Stunde verdienen, um nach derzeitigem Stand im Alter mehr als rund 700 Euro gesetzliche Rente zu bekommen.“[29]

Verabschiedung des Gesetzes

Nach Vorlage des Entwurfs der Bundesregierung gab der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung ab, die verschiedene Änderungen enthielt.[30] Der Deutsche Bundestag stimmte dem Gesetz in der Ausschussfassung am 3. Juli 2014 zu.[31] Der Bundesrat stimmte am 11. Juli 2014 zu.[32] Einzig das Land Sachsen, in dem die FDP an der Regierung beteiligt war, stimmte dem Gesetz nicht zu.[33]

Kritik

Kritiker haben vor allem verfassungsrechtliche Bedenken erhoben.[34] Das Mindestlohngesetz greife in das Grundrecht der Tarifautonomie aus Art. 9 III GG ein. Verfassungsrechtliche Streitigkeiten seien daher absehbar.[35] Die Ausnahmeregelung in § 24 MiLoG nimmt auf die Abkehr der Rechtsprechung vom Grundsatz der Tarifeinheit im Jahr 2010 Bezug, der zufolge für denselben Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander bestehen könnten. Gegen die mit dieser Regelung verbundene Benachteiligung haben sich die davon betroffenen Spartengewerkschaften sowie der Deutsche Beamtenbund gewandt. Auch sie sehen darin eine Verletzung der Tarifautonomie, sie haben erklärt, „das Ziel sei verfassungsfeindlich“, und sie haben deshalb Rechtsstreitigkeiten in Aussicht gestellt.[36] Darüber hinaus wird die frühe Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes ab dem 1. Januar 2015, also nur etwa viereinhalb Monate nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16. August 2014 als verfassungsrechtlich problematisch angesehen, weil Arbeitgebern in diesem Zeitraum keine hinreichende Vorbereitung auf höhere Lohnkosten ermöglicht werde.[37]

Von gewerkschaftlicher Seite wird insbesondere kritisiert, das Vorhaben, Langzeitarbeitslose vom Mindestlohn auszunehmen (§ 22 IV MiLoG), betreffe etwa eine Million Menschen und damit 35 % aller Arbeitslosen in Deutschland. Die Erfahrung mit den Hartz-Reformen habe zudem gezeigt, dass die nachhaltige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für diesen Personenkreis nicht zu einer Verbesserung der Beschäftigung geführt habe. Die Langzeitarbeitslosen würden dadurch „vorsätzlich und willkürlich zu Menschen zweiter Klasse“ gemacht. Sie würden „faktisch der Willkür der Arbeitgeber ausgeliefert, wenn ihnen bis zum Beginn des gesetzlichen Kündigungsschutzes sechs Monate lang der Mindestlohn vorenthalten wird und sie anschließend durch den nächsten Langzeitarbeitslosen billig ersetzt werden“.[38] Der DGB-Bundesvorstand wandte sich aber auch gegen die Ausnahmen für Saisonarbeiter und Jugendliche. Ein Mindestlohn, der nicht „ohne Wenn und Aber für alle Beschäftigten gilt, verdient seinen Namen nicht“, weil er „seine Funktion als unmissverständliche Lohnuntergrenze“ nicht erfüllen würde, wenn insgesamt bis zu zwei Millionen Menschen davon ausgenommen würden.[39] Ähnliche Kritik der Vorsitzenden des SPD-Forums Demokratische Linke 21, Hilde Mattheis, führte zu heftigen innerparteilichen Reaktionen.[40]

Aus einer Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke an die Bundesregierung im Juni 2016 ging hervor, dass der Mindestlohn für Beschäftigte in Westdeutschen Großstädten nicht zu einem angemessenen Einkommen führe. Wegen der hohen Mieten, reiche die Vergütung, die mit einer Vollzeitstelle zum Mindestlohn zu erzielen ist, nach Abzug aller Abgaben häufig nicht aus, um einen angemessenen Lebensunterhalt zu erzielen.[41]

Wirkungen

Nach der Einführung des Mindestlohngesetzes reduzierte sich das Angebot an mindestlohnpflichtigen Praktika deutlich. In einer Studie von Ifo und Randstad unter rund 1000 Personalverantwortlichen hatten 77 Prozent in den Vorjahren angegeben, Praktika angeboten zu haben. Von diesen haben 47 Prozent im Jahr 2015 keine Praktikanten mehr beschäftigt. Jedes vierte Unternehmen hat die durchschnittliche Praktikumslänge verkürzt.[42]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Frank Bayreuther: Der gesetzliche Mindestlohn. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2014, 865-874.
  • Bernd Grzeszick: Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn: verfassungsrechtlich zulässiger Kompromissweg? In: Zeitschrift für Rechtspolitik. (ZRP). 3/2014, S. 66–69.
  • Christopher Hilgenstock: Mindestlohngesetz. 1. Auflage. C. H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-67243-9.
  • Thomas Lakies: Mindestlohngesetz-Basiskommentar zum MiLoG. 1. Auflage. Bund Verlag, 2015, ISBN 978-3-7663-6391-6.
  • Mark Lembke: Das Mindestlohngesetz und seine Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Praxis. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2/2015, S. 70-77.
  • Christian Picker: Niedriglohn und Mindestlohn. In: Recht der Arbeit. (RdA). 1/2014, S. 25–36.
  • Reinhard Schüssler, Irene Becker: Wie ein gesetzlicher Mindestlohn den Regelbedarf erhöht. Wirkungen eines Mindest-Stundenlohns von 8,50 Euro auf das Grundsicherungsniveau. In: Soziale Sicherheit. (SozSich). 3/2014, S. 102–109.
  • Marc Spielberger, Angela Schilling: Der Regierungsentwurf zum Gesetz über die Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG). In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. (NZA). 8/2014, S. 414–419.
  • Robert von Steinau-Steinrück/Heribert Jöris: Der gesetzliche Mindestlohn. In: Betriebs-Berater 8/2014, S. 2101-2106.
  • Daniel Ulber: Die Erfüllung von Mindestlohnansprüchen. In: Recht der Arbeit (RdA) 2014, 176-182.
  • Patrick Zeising, Daniel-René Weigert: Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 1/2015, S. 15-22.
  • Andreas Zürn, Christian Maron: Der Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode aus arbeitsrechtlicher Sicht. In: Betriebs-Berater. 11/2014, S. 629–633.

Einzelnachweise

  1. Text und Änderungen durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348)
  2. § 22 MiLoG – Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG), http://www.buzer.de/gesetz/11256/a188685.htm
  3. Deutscher Journalistenverband: Mindestlohn - Verantwortung für Nachwuchs. Pressemitteilung vom 29. Dezember 2014
  4. BT-Drs. 18/2010, S. 24
  5. Börsenblatt.net: "Es wird Volontäre geben, die den Mindestlohn einklagen". Interview mit Fachanwalt Dominik Höch am 24. Oktober 2014
  6. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen: Verständnis für Entgelte entwickeln: BAG WfbM im Austausch mit Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V.. 5. Juni 2014
  7. Laura Beusmann: Gewerkschaft hinter Gittern. Der Mindestlohn kommt. Doch die Untergrenze gilt nicht für alle. Schon gar nicht für Häftlinge, die in Gefängnissen arbeiten. In: der Freitag, 23. Dezember 2014, S. 19
  8. Mindestlohn jetzt auch für Frisöre, zuletzt abgerufen am 3. August 2015.
  9. Mindestlohn steigt auf 8,84 Euro. In: Welt Online. 28. Juni 2016 (welt.de [abgerufen am 28. Juni 2016]).
  10. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17. Dezember 2014
  11. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss), Bundestags-Drucksache 18/2010 (neu), Seite 3
  12. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss), Bundestags-Drucksache 18/2010 (neu), Seite 3
  13. Henrike Roßbach: Akten und Berge. In: FAZ vom 22. Dezember 2012, S. 15
  14. BAnz AT 19.12.2014 V1
  15. Zweite Textilarbeitsbedingungenverordnung
  16. Nahles will den Mindestlohn genauer überprüfen. 1. Februar 2015, abgerufen am 6. Februar 2015.
  17. Verordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörde nach § 16 Absatz 6 des Mindestlohngesetzes (MiLoGMeldStellV) vom 24. November 2014 (BGBl. I S. 1823)
  18. Mindestlohnaufzeichnungsverordnung – MiLoAufzV vom 26. November 2014 (BGBl. I S. 1824)
  19. Mindestlohnmeldeverordnung – MiLoMeldV vom 26. November 2014 (BGBl. I S. 1825)
  20. Dorothea Siems: Vergaberecht: Länder führen heimlich den Mindestlohn ein. In: Die Welt. 8. Juli 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014.
  21. EuGH, Urteil vom 3. April 2008, Rechtssache C-346/06 (Dirk Rüffert/Land Niedersachsen), Sammlung 2008, I-01989, Amtsblatt der Europäischen Union, C 128/9 (Vorabentscheidungsverfahren aufgrund einer Vorlage des OLG Celle).
  22. Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. 27. November 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014, S. 48 f.
  23. Bewertung der Koalitionsvereinbarung, Deutscher Gewerkschaftsbund, 27. November 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014.
  24. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: Koalitionsvertrag ist von Kompromissen gekennzeichnet, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Presse-Information Nr. 063/2013. 27. November 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014.
  25. Arnd Diringer, Editorial zu Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Heft 2/2014, S.22
  26. Wolfgang Däubler, Der gesetzliche Mindestlohn - doch eine unendliche Geschichte?. In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2014, S. 1924, 1927; Christian Picker, Niedriglohn und Mindestlohn. In: Recht der Arbeit (RdA) 2014, S. 25, 32; Bauer/Kiebe/Schunder, Deutschlands Zukunft gestalten — Koalitionsvertrag. In: NZA 2014, S. 13.
  27. Andreas Zürn, Christian Maron: Der Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode aus arbeitsrechtlicher Sicht. In: Betriebs-Berater. 11/2014, S. 629–633, 629.
  28. Stiftung Warentest: Mindestlohn: Wenig Lohn, wenig Rente. In: Finanztest. 3/2013. 19. Februar 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014.
  29. Stiftung Warentest: Grundsicherung im Alter: 8,50 Euro Mindestlohn bringen kaum Rente. In: Finanztest. 1/2014. 17. Dezember 2013. Abgerufen am 10. Mai 2014.
  30. Bundestags-Drucksache 18/2010 (neu) vom 2. Juli 2014
  31. Plenarprotokoll 18/46, S. 4117.
  32. Mindestlohn ist beschlossen. 3. Juli 2014, abgerufen am 3. Juli 2014.
  33. Von 2015 an erstmals gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland. 11. Juli 2014, abgerufen am 11. Juli 2014.
  34. Dr.Patrick Zeising/Daniel-René Weigert: Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes, in: NZA 2015, S.15; Dr. Tristan Barczak: Mindestlohngesetz und Verfassung, in: RdA 2014, S.290; Prof. Manfred Löwisch: Rechtsschutz gegen das Mindestlohngesetz, in: NZA 2014, S.948; Friedrich-Wilhelm Lehmann: Koalitionsbeschluss über die Schaffung eines Gesetzes über die Tarifeinheit – ein Fall für das Bundesverfassungsgericht?, in: Betriebs-Berater 2014, S.634; Prof. Ulrich Preis: Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, 2014
  35. Friedrich-Wilhelm Lehmann: Koalitionsbeschluss über die Schaffung eines Gesetzes über die Tarifeinheit – ein Fall für das Bundesverfassungsgericht? In: Betriebs-Berater. 11/2014, S. 634–637, 635.
  36. Friedrich-Wilhelm Lehmann: Koalitionsbeschluss über die Schaffung eines Gesetzes über die Tarifeinheit – ein Fall für das Bundesverfassungsgericht? In: Betriebs-Berater. 11/2014, S. 634–637, 634.
  37. Patrick Zeising, Daniel-René Weigert: Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes. In: NZA 1/2015, S. 15-22.
  38. Mindestlohn muss ohne Ausnahmen auch für Langzeitarbeitslose gelten, Ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss, 15. April 2014. Abgerufen am 11. Mai 2014.
  39. Mindestlohn: Keine Ausnahmen für Jugendliche und Arbeitslose. Kein Lohn unter 8,50 Euro, DGB-Bundesvorstand, 1. April 2014. Abgerufen am 11. Mai 2014.
  40. Karl Doemens: SPD-Linke zerlegt sich selbst. In: Frankfurter Rundschau. 7. Juli 2014.
  41. Birgit Marschall: Hohe Mieten schlucken Mehrverdienst: Mindestlohn bringt Singles im Westen wenig. In: RP ONLINE. 20. Juni 2016, abgerufen am 8. September 2016.
  42. Matthias Kaufmann: Studie zum Mindestlohn Unternehmen bieten weniger Praktika an; in: SPON vom 26. Mai 2016