Philosophy for Palestine

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Philosophy for Palestine („Philosophie für Palästina“) ist ein offener Brief, der am 1. November 2023 als Stellungnahme von linken Philosophen und Wissenschaftlern zu dem am 7. Oktober 2023 begonnenen Krieg in Israel und Gaza online veröffentlicht wurde. Zahlreiche Unterzeichner sind Befürworter der Initiative Boycott, Divestment and Sanctions.[1][2][3] Der Brief bezieht in dem Konflikt Position für Palästina, sieht eine Mitverantwortung Israels für den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und führt dafür die „Enteignung der Palästinenser“ seit 1948 an. Israel wird als Unterdrücker kategorisiert, der eine Apartheid gegen die Palästinenser ausübe. Der Brief fordert zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen auf.[4]

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dem Brief heißt es unter anderem:

„Wir sind eine Gruppe von Philosophieprofessoren in Nordamerika, Lateinamerika und Europa, die sich zu Wort meldet, um öffentlich und unmissverständlich unsere Solidarität mit dem palästinensischen Volk zum Ausdruck zu bringen und um das […] Massaker anzuprangern, das Israel mit voller finanzieller, materieller und ideologischer Unterstützung unserer eigenen Regierungen gegen den Gazastreifen verübt. […] Menschen, die ein Gewissen haben, müssen ihre Stimme gegen diese Gräueltaten erheben. Das ist kein schwieriger Schritt; viel schwieriger ist es für uns, uns schweigend und mitschuldig von einem sich entfaltenden Völkermord abzuwenden. […]

Die Blockade des Gazastreifens dauert seit 16 Jahren, die Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens seit 56 Jahren und die Enteignung der Palästinenser von ihrem Land und ihren Häusern im gesamten historischen Palästina seit einem dreiviertel Jahrhundert, seit der Gründung Israels als ethnisch-suprematistischer Staat im Jahr 1948 an. Nicht ohne Grund bezeichnen Beobachter […] Israels Kontrolle über das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer heute als ein System der Apartheid.

Wir laden Philosophinnen und Philosophen ein, sich mit Palästina und dem Kampf gegen Apartheid und Besatzung zu solidarisieren und insbesondere den akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen – unabhängig von Einzelpersonen – zu unterstützen.“[4]

Unterzeichner[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis April 2024 unterschrieben mehr als 400 Wissenschaftler den Brief, darunter Linda Martín Alcoff, Louise Antony, Étienne Balibar, Judith Butler, Alex Callinicos, Angela Davis, Owen Flanagan, Sally Haslanger, Joy James, Serene Khader, Joseph Levine, Giovanni Poggi, Catherine Rowett, Olúfẹ́mi O. Táíwò und George Yancy.[4]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seyla Benhabib bezeichnete den Brief als „blamables Zeugnis intellektueller Borniertheit“. Die Unterzeichnerin Nancy Fraser entgegnete in einem Interview: „Benhabib stellt fälschlich fest, wir würden die Hamas unterstützen – als hätte diese Organisation die Vorreiterrolle bei der Befreiung Palästinas inne. Nichts dergleichen wird von uns behauptet.“[5][6][7]

Eva Geulen, die bei der Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises an Judith Butler die Laudatio hielt und Butler-Forscherin ist,[8] schrieb in einer E-Mail an Anna-Lena Scholz (Die Zeit), Philosophy for Palestine sei „wie vielleicht alle offenen Briefe eine Katastrophe. Ein Erpresserbrief“.[9]

Wegen ihrer Unterzeichnung wurde die Nancy Fraser zuerkannte Albertus-Magnus-Professur 2024 von der Universität zu Köln mit der Begründung widerrufen, der offene Brief stelle das Existenzrecht Israels in Frage, relativiere den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und rufe zum akademischen und kulturellen Boykott Israels auf.[10] Mehrere Wissenschaftler, u. a. Rahel Jaeggi, Stephan Lessenich, Hartmut Rosa, Axel Honneth, Oliver Nachtwey und Seyla Benhabib,[11] verurteilten die Ausladung. Sie sei „ein weiterer Versuch, die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu Israel und Palästina unter Verweis auf vermeintlich eindeutige und regierungsamtlich definierte rote Linien einzuschränken“.[12] Dieser Einwand wurde mit Verweis auf den Boykottaufruf im offenen Brief kritisiert, der seinerseits eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit darstelle.[13][14][15]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Tania Martini: Über „Philosophy for Palestine“: Mainstream der Avantgarde. In: taz. 10. November 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  2. Thomas Ribi: Philosophy for Palestine: Wenn Philosophen zu Agitatoren werden. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. November 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  3. Christian Geyer: Der Aufruf „Philosophy for Palestine“: Seyla Benhabib widerspricht Judith Butler. In: FAZ.NET. 7. November 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  4. a b c Judith Butler, Nancy Fraser et al.: Philosophy for Palestine. 1. November 2023, abgerufen am 6. April 2024 (englisch, auf Google Drive).
  5. Seyla Benhabib: Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Dezember 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  6. Michael Hesse: Streit wegen offenem Brief: Nahost erreicht die Philosophie. Frankfurter Rundschau, 9. November 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  7. Ronald Pohl: US-Philosophin Nancy Fraser: „Niemand verharmlost Hamas“. In: DerStandard.at. Abgerufen am 6. April 2024 (österreichisches Deutsch).
  8. Verleihung des Adorno-Preises: „Thank you, Judith“. In: taz. 11. September 2012, abgerufen am 6. April 2024.
  9. Anna-Lena Scholz: Judith Butler: Unease over Judith Butler. In: Die Zeit. 24. November 2023, abgerufen am 6. April 2024.
  10. Absage der Albertus-Magnus-Professur 2024. Universität zu Köln, 5. April 2024, abgerufen am 6. April 2024.
  11. Ulrich van Loyen: Der Fall Nancy Fraser: Ist das noch Carl Schmitt oder schon betreutes Denken? In: Der Freitag. Abgerufen am 18. April 2024.
  12. Stellungnahme zur Ausladung von Nancy Fraser von der Albertus Magnus Professur an der Universität zu Köln. In: criticaltheoryinberlin.de. Abgerufen am 6. April 2024.
  13. Jürgen Kaube: Unberechtigte Kritik an der Uni Köln. In: FAZ.NET. 6. April 2024, abgerufen am 7. April 2024.
  14. Maximilian Probst: Nancy Fraser: All die Stellungnahmen. In: Die Zeit. 6. April 2024, abgerufen am 7. April 2024.
  15. Elisabeth von Thadden: Nancy Fraser: "Ich wurde gecancelt". In: Die Zeit. 9. April 2024 (zeit.de [abgerufen am 10. April 2024]).