Ungarisches Referendum über EU-Flüchtlingsquoten
Das Ungarische Referendum über EU-Flüchtlingsquoten war eine am 2. Oktober 2016 durchgeführte Volksabstimmung in Ungarn über die von der Europäischen Union geplante Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten. Mehr als 98 % der Abstimmenden votierten mit „Nein“, d. h. gegen die EU-Flüchtlingspolitik. Allerdings betrug die Wahlbeteiligung nur 43,3 %, was unter dem erforderlichen Quorum von 50 % lag, womit die Abstimmung ungültig war.[1]
Hintergrund
2015 hatte der EU-Ministerrat im Rahmen der Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 gegen die Stimmen Ungarns, der Slowakei, Tschechiens und Rumäniens beschlossen, bis zu 160.000 Flüchtlinge innerhalb der EU zu verteilen. Ungarn sollte bei dieser ersten Verteilungsaktion gut 1.300 aufnehmen.[2] Die ungarische Regierung reichte daraufhin im Dezember 2015 gegen diese Quotenregelung Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein und wollte nun im Rahmen des Referendums eine Entscheidung im Land herbeiführen.[3]
Frage des Referendums
Die Wahlberechtigten waren aufgerufen, über folgende Frage mit Ja oder Nein abzustimmen: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne die Zustimmung des [ungarischen] Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nichtungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“
Standpunkte und Wahlempfehlungen der Parteien
In der folgenden Tabelle sind die Standpunkte samt Abstimmungsempfehlungen der größten ungarischen Parteien zusammengefasst. Die fett gedruckten Parteien waren am Tag der Abstimmung im Parlament vertreten.
Internationale Reaktionen
Die Medien in den deutschsprachigen Ländern berichteten zum Großteil kritisch über das Referendum. Teilweise wurde auf die Situation der ungarischen Muslime eingegangen, die sich seit Jahren immer stärker von der ungarischen Gesellschaft ausgegrenzt fühlten. Andererseits gab es auch Berichte über einen humanen Umgang mit Flüchtlingen. Zur politischen Dimension des Votums der ungarischen Wähler hieß es im Vorfeld aus Brüssel, es werde „keinerlei Auswirkung auf die europäische Politik“ haben.[17]
Nachdem die ungarischen Wahlleiter das Referendum für ungültig erklärten, sprach Alexander Graf Lambsdorff, deutscher Vizepräsident des Europäischen Parlaments, von einer „Ohrfeige“ für Viktor Orbán.[18] Die Reaktionen weiterer Mandatsträger aus Brüssel klangen ähnlich.
Vereinbarkeit mit EU-Recht
Seit der Vertrag von Lissabon 2009 in Kraft getreten ist, reklamieren nationale Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten Verstöße seitens der Staatengemeinschaft gegen das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip sieht vor, dass die Europäische Union nur dann tätig werden darf, wenn eine einheitliche Regelung erforderlich ist und gemeinsam die geplanten Ziele besser erreicht werden können als durch nationale Gesetze (Art. 5 Abs. 2 EU-Vertrag). Im speziellen Fall der Verteilung von Flüchtlingen wurde dem ungarischen Wähler diese gesamteuropäische Notwendigkeit und somit die Zuständigkeit der Europäischen Union im Referendum am 2. Oktober 2016 zur Abstimmung vorgelegt. Da die Reichweite der Subsidiarität Auslegungssache ist, wäre der Umgang mit dem Ergebnis des Referendums politisches und juristisches Neuland gewesen. Die Kontroverse zwischen der Macht der nationalen Parlamente sowie der Verbindlichkeit der Anordnungen der EU-Kommission bleibt auch nach dem Referendum aktuell. EU-Skeptiker sehen weiterhin ein Demokratiedefizit der Europäischen Union sowie eine von größeren Mitgliedstaaten dominierte Willkür.
Ergebnis
Das vorläufige Endergebnis wurde am Wahltag gegen 23.15 Uhr durch die ungarische Wahlkommission bekanntgegeben. In keinem der Komitate wurde eine Wahlbeteiligung über 50 Prozent registriert, ebenso in keinem der 23 Budapester Stadtbezirke. 3.418.387 Stimmen waren gültig, was 41,32 % der Wahlberechtigten entsprach. In allen Komitaten ergaben sich hohe Mehrheiten von über 97 % der „Nein“-Wähler.[1][19]
Zahl | Prozent | |
---|---|---|
Wahlberechtigte | 8.272.625 | 100,0 % |
Abstimmende | 3.646.334 | 44,08 % |
Formal ungültige Stimmdokumente | 3.329 | 0,09 % |
Formal gültige Stimmdokumente | 3.643.005 | 99,91 % (44,04 %) |
Ungültige Stimmzettel | 224.668 | 6,17 % |
Gültige Stimmen | 3.418.387 | 93,83 % (41,32 %) |
Ja-Stimmen | 56.163 | 1,64 % |
Nein-Stimmen | 3.362.224 | 98,36 % (40,64 %) |
Nach der Abstimmung
Am Folgetag nach der Abstimmung erklärte ein Sprecher von Premierminister Viktor Orbán, dass das Ergebnis des Referendums „politisch und legal bindend“ sei. Bei einer Wahlbeteiligung von über 50 % wären Parlament und Regierung verfassungsmäßig gezwungen gewesen, die Wählerentscheidung umzusetzen. Da die Wahlbeteiligung unter 50 % läge, sei dies zwar nicht der Fall, aber man könne das Ergebnis trotzdem nicht ignorieren. Orbán forderte die Regierungen der anderen EU-Staaten auf, das Ergebnis der Abstimmung zur Kenntnis zu nehmen und kündigte an, dass er die ungarische Verfassung ändern wolle um das Wählervotum umzusetzen. Ferenc Gyurcsány, Parteiführer der oppositionellen Demokratikus Koalíció, sprach dagegen davon, dass die niedrige Wahlbeteiligung zeige, dass die Regierung nicht die Unterstützung der Mehrheit des Volkes habe. Das sei gut so, weil die Migrationsfrage ein gesamteuropäisches Problem sei.[20]
Weblinks
- Emma Graham-Harrison: ‚They’ve brought evil out‘: Hungary’s poll on migration divides a nation. In: The Guardian, 17. September 2016 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ a b National referendum October 2, 2016. Ungarische Wahlkommission, 2. Oktober 2016, abgerufen am 2. Oktober 2016 (englisch).
- ↑ Gericht erlaubt Referendum über EU-Flüchtlingsquote, Zeit Online, 3. Mai 2016
- ↑ Ungarn stimmen im Oktober über EU-Flüchtlingsquoten ab, Zeit Online, 5. Juli 2016
- ↑ Tudta? A Liberálisok az IGEN mellett kampányolnak. 888.hu, 7. September 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ a b Orbán: Népszavazás lesz a betelepítési kvótáról. Magyar Nemzet, 24. Februar 2016, abgerufen am 26. Mai 2016 (ungarisch).
- ↑ A Jobbik a betelepítési kvóta elleni szavazásra buzdít. Magyar Idők, 5. Juli 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Nemet mondunk az EU agressziójára, igent a kvótanépszavazásra! munkaspart.hu, 18. Mai 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Egy hónap múlva: Ne aggódj, menj szavazni! fkgp.hu, 2. September 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Most végre megtudhatja, hogy mit gondol a bevándorlásról a MIÉP. Heti Világgazdaság, 19. September 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ „Mindenki maradjon otthon, hogy maradhassunk Európában“. Népszava, 5. Juli 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Totális káoszba taszította a kvótaszavazás a baloldalt. Index.hu, 17. August 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Bojkottkampány indul a kvótareferendummal szemben. Népszava, 5. Juli 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Október 2: miért bojkott, miért gyere tüntetni? Dialogue for Hungary, 7. September 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Közösen kampányol az Együtt, a PM és a MoMa. M1, 1. September 2016, abgerufen am 23. September 2016.
- ↑ Hungary poster campaign pokes fun at migrant referendum. BBC News, 10. September 2016, abgerufen am 19. September 2016 (englisch).
- ↑ Az LMP vezetői bojkottálják Orbán kvótanépszavazását. Index.hu, 27. Juli 2016, abgerufen am 23. September 2016 (ungarisch).
- ↑ Wenn der Populist sich entlarvt. Zeit Online, 2. Oktober 2016, abgerufen am 2. Oktober 2016.
- ↑ „Es ging um den Wunsch eines autoritären Herrschers“. Welt Online, 3. Oktober 2016, abgerufen am 3. Oktober 2016.
- ↑ Tájékoztató adatok az Országos népszavazáson leadott szavazatokról. Ungarische Wahlkommission, 2. Oktober 2016, abgerufen am 2. Oktober 2016 (ungarisch).
- ↑ Hungary PM claims EU migrant quota referendum victory. BBC News, 3. Oktober 2016, abgerufen am 3. Oktober 2016 (englisch).