Martin Kippenberger

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Martin Kippenberger (* 25. Februar 1953 in Dortmund; † 7. März 1997 in Wien) war ein deutscher Maler, Installationskünstler, Performancekünstler, Bildhauer und Fotograf.

Leben

Eingang der Metro-Net Station im Messepark der Leipziger Messe. (2018)
Grab von Martin Kippenberger, Stadtfriedhof Jennersdorf (2013)

Martin Kippenberger wuchs in Essen mit je zwei älteren und zwei jüngeren Schwestern auf, darunter die Journalistin Susanne Kippenberger. Der Vater war Direktor der Zeche Katharina, die Mutter Dermatologin. Kippenberger war ein Ururenkel von Carl Leverkus (1804–1889), dem Namensgeber der 1930 gegründeten Stadt Leverkusen. 1968 brach er die Schule ab und begann eine Dekorateurslehre, die er allerdings, wegen Drogenkonsums, nicht zu Ende machen durfte. 1972 bis 1976 studierte er an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (bei Claus Böhmler, Rudolf Hausner und Franz Erhard Walther). Danach zog er nach Florenz um, wo er mit der Bilderserie „Uno di voi, un tedesco in Firenze“ begann. 1977 machte er Bekanntschaft mit Werner Büttner, Albert und Markus Oehlen. 1978 folgte daher der Umzug nach Berlin. Gemeinsam mit Gisela Capitain gründete Kippenberger 1978 in Berlin „Kippenbergers Büro“, wo er Ausstellungen junger Künstler zeigte. Gleichzeitig wurde er Geschäftsführer der Veranstaltungshalle SO36 – damals vor allem ein Treffpunkt der Punkszene. 1979 entstand die bekannte 12-teilige Werkgruppe „Lieber Maler, male mir“, die ein Plakatmaler nach den Fotovorlagen Kippenbergers malte.

1980 folgte der Umzug nach Paris, um Schriftsteller zu werden. 1981 nahm er an der Gruppenausstellung Rundschau Deutschland teil. 1984 war er mit sechs Werken in der Ausstellung „Tiefe Blicke – Kunst der achtziger Jahre aus der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreich und der Schweiz“ im Hessischen Landesmuseum Darmstadt sowie auf der Ausstellung Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf vertreten. Im selben Jahr trat er in die Lord Jim Loge (Gründer ebendieser waren neben Kippenberger u. a. Jörg Schlick, Albert Oehlen, Wolfgang Bauer; ihr Motto: „Keiner hilft Keinem“) ein. 1987 entstanden die ersten Zeichnungen auf Hotelbriefpapier. 1988 nahm er an der Biennale in Venedig teil. 1989 wurde seine Tochter Helena Augusta Eleonore geboren. Im selben Jahr zog er nach Los Angeles.

Kippenberger übernahm 1990 eine Gastprofessur an der Städelschule Frankfurt und gab ab 1992 Gastvorlesungen an der Yale University und an den Universitäten Nizza, Amsterdam und an der Gesamthochschule Kassel. 1992 nahm er an der Dokumenta IX in Kassel teil. 1996 erhielt er den Käthe-Kollwitz-Preis. 1997 nahm er an der Documenta X in Kassel und an der Ausstellung Skulptur.Projekte in Münster teil. 2003 war er postum auf der 50. Biennale in Venedig zusammen mit Candida Höfer für den deutschen Pavillon vertreten.

Kippenbergers Werke sind den Neuen Wilden zuzuordnen. In der Tradition von Dada und Fluxus arbeitete er an der Demontage des traditionellen Kunstbegriffs. Seine Mittel dazu waren unter anderem Provokationen, Zynismus und Spott.

1986 zeigte das Hessische Landesmuseum Darmstadt mit „Miete – Strom – Gas“ seine erste Einzelausstellung. Tate Modern eröffnete am 8. Februar 2006 die erste umfassende Retrospektive von Martin Kippenbergers Werk in Großbritannien. Bis 14. Mai konnte eine Auswahl des produktiven Schaffens Kippenbergers im Londoner Museum besichtigt werden, darunter Selbstporträts aus dem Jahr 1988 oder zahlreiche Zeichnungen aus der Hotelbriefpapierserie. Die Ausstellung wanderte danach ins K21, Düsseldorf.

Sein 1990 geschaffenes Werk Zuerst die Füße – ein ans Kreuz genagelter grasgrüner Frosch mit Bierkrug und Ei in den Händen – sorgte 2008 für Aufmerksamkeit. Papst Benedikt XVI. unterstützte den Präsidenten des Südtiroler Regionalrates, Franz Pahl, mit einem Brief, dass der gekreuzigte Frosch die religiösen Gefühle vieler Menschen verletze. Pahl trat in einen Hungerstreik, um das Kunstwerk aus dem Museum für Moderne Kunst in Bozen entfernen zu lassen.[1] Trotz des Hungerstreiks, Mahnwachen und Leserbriefen bestätigten die Direktorin des Museums und der Verwaltungsrat ihre Entscheidung, die Skulptur im Museum bis zum regulären Ausstellungsende zu belassen.[2]

1996 heirateten Kippenberger und die Fotografin Elfie Semotan.[3] Martin Kippenberger starb am 7. März 1997 in Wien an den Folgen einer Leberkrebserkrankung.

Zu Ehren Kippenbergers schrieb Ben Becker das Lied „Der Kippy Song“.

Werke (Auswahl)

U-Bahn Entlüftung St. Georgen im Schwarzwald (Foto: 2009)

„Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“

Das Werk Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken aus dem Jahr 1984 thematisiert die spezifisch deutsche Identitätsproblematik: Subversiv will Kippenberger die Moral der Deutschen, bzw. ihr Verhältnis zu ihrer NS-Vergangenheit hinterfragen und persiflieren.

„Zuerst die Füße“

Die Skulptur Zuerst die Füße, ein gekreuzigter Frosch, entstanden im Jahr 1990, ist ein selbstironisch reflektierendes Selbstporträt.

„Metro-Net“

Martin Kippenberger, Transportabler U-Bahn-Eingang, Madulain, Graubünden, Schweiz, 2007 (Foto: 2009)

Mit Metro-Net plante Kippenberger ein weltumspannendes U-Bahnsystem, bestehend nur aus Attrappen von Eingängen und Lüftungsschächten, bei denen mitunter abgespielte Fahrgeräusche und durch Ventilatoren erzeugte Luftströme die Fiktion verstärkten. Als erste Station von Kippenbergers Metro-Net wurde 1993 auf der griechischen Kykladeninsel Syros ein Treppenabgang aus Beton errichtet. Der untere Zugang war jedoch mit einer schmiedeeisernen Tür versperrt, die das Signet der Lord Jim Loge trug. Ein aus Holz gefertigter U-Bahn-Ausgang kam im August 1995 in Dawson und ein weiterer Ausgang 1997 auf dem Gelände der Leipziger Messe hinzu. Mehrere geplante Stationen wurden posthum errichtet, so 1997 während der Documenta X in Kassel und der Skulptur.Projekte in Münster.[4] Ein Transportabler Lüftungsschacht (1997) befindet sich in der Sammlung Grässlin und wurde beispielsweise in St. Georgen und Karlsruhe ausgestellt, ein Transportabler U-Bahn-Eingang (1997) war von 1997 bis 1999 im Skulpturenpark Köln zu sehen. 2003 wurde ein weiterer Lüftungsschacht im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig installiert, was – sechs Jahre nach dem Tod des Künstlers – mitunter als nicht werkgetreu diskutiert wurde.[5][6] Bereits 2001 wurde eine noch zu Lebzeiten Kippenbergers 1997 fertiggestellte Installation Transportabler U-Bahn-Eingang im Dorf Madulain in der Schweiz errichtet. Am Tor ist das Logo der Lord Jim Loge, „Sonne Busen Hammer“, zu sehen.[7]

Ausstellungen (Auswahl)

Öffentliche Sammlungen

Kippenbergers Gemälde, Installationen und Skulpturen befinden sich in zahlreichen öffentlichen Sammlungen. Im deutschsprachigen Raum sind das

Zudem sind seine Werke auch in Kunstsammlungen und Museen in Belgien, Dänemark, Frankreich (Centre Pompidou, Musée d'arts de Nantes, Musée d'art moderne de Saint-Étienne[9]), Island, Italien, Niederlande (Stedelijk Museum, Amsterdam), Norwegen, Spanien (Centro Atlántico de Arte Moderno (CAAM)), Las Palmas de Gran Canaria, den USA (MoMA – Museum of Modern Art, New York, NY, San Francisco Museum of Modern Art, San Francisco, CA, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC) und im Vereinigten Königreich (The Saatchi Gallery, London, Tate Britain, London, Tate Gallery of Modern Art, London) zu sehen.

Ein Vorgang im Museum Ostwall sorgte im November 2011 für Schlagzeilen, als dort eine Putzfrau das mit 800.000 Euro versicherte Kunstwerk Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen von Kippenberger blankschrubbte und somit unwiederbringlich zerstörte.[10][11][12]

Diskografie

Compilations
  • Greatest Hits (CD, Comp, Ltd) Not On Label (Martin Kippenberger Self-released) 1996.
  • Musik 1979-1995 (Edition Kröthenhayn 2010, CDs bzw. LPs und Buch).
Album
Singles & EPs
  • Pop In (7", Ltd) Forum Stadtpark 1987
  • Albert Oehlen / Martin Kippenberger - Nelson And The Alma Band (7", S/Sided) Leiterwagen Records 1990
  • Beuys Best (CD, Single) Artists Only 1995
Miscellaneous
  • Herr Ryslavy, Kurt …(Flexi, S/Sided, 5") Not On Label 1989

Filme

Theater

Die Regisseurin Angela Richter inszenierte 2013 am Schauspiel Köln das Stück Kippenberger! Ein Exzess des Moments.

Literatur

  • Gisela Capitain, Lisa Franzen, Regina Fiorito, Isabelle Graw, Tim Griffin (Hrsg.): Martin Kippenberger. Werkverzeichnis der Gemälde. Catalogue Raisonné of the Paintings: Volume Four, 1993–1997. Herausgegeben vom Estate of Martin Kippenberger. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2014, ISBN 9783863354817
  • Burkhard Riemschneider, Angelika Taschen: Martin Kippenberger. Taschen, Köln 2014, ISBN 978-3-8365-5477-0.
  • Manfred Hermes: Martin Kippenberger (= Collector’s Choice. Band 4). Herausgegeben von der Friedrich Christian Flick Collection. DuMont, Köln 2005, ISBN 3-8321-7541-5.
  • Susanne Kippenberger: Kippenberger. Der Künstler und seine Familien. Berlin-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-8270-0704-9.
  • Martin Kippenberger: Wie es wirklich war – am Beispiel. Lyrik und Prosa (= Edition Suhrkamp. 2486). Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Diedrich Diederichsen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-518-12486-2.
  • Uwe Koch: Annotated catalogue raisonné of the books by Martin Kippenberger 1977–1997. = Kommentiertes Werkverzeichnis der Bücher von Martin Kippenberger 1977–1997. König, Köln 2002, ISBN 3-88375-635-0.
  • Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave (= Suhrkamp-Taschenbuch. 3271). Suhrkamp, Frankfurt am Main u. a. 2001, ISBN 3-518-39771-0.
  • Stefan Hartmann: Martin Kippenberger und die Kunst der Persiflage. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-422-07194-0.
  • Burkhard Riemschneider: Martin Kippenberger – ten years after. Taschen, Köln 1991, ISBN 978-3-8228-9750-8.
  • Anne Marie Freybourg: Die Inszenierung des Künstlers. Jovis, Berlin 2008, ISBN 978-3-86859-031-9.
  • Roland Schappert: Martin Kippenberger – Die Organisation des Scheiterns. Walther König, Köln 1998, ISBN 978-3-88375-281-5.
Commons: Martin Kippenberger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Eckhard Fuhr: Kunstfrosch am Kreuz verärgert den Papst. In: Welt Online vom 29. August 2008, abgerufen am 6. März 2012
  2. Bozen Frosch-Kruzifix bleibt. In: FAZ vom 30. August 2008, S. 36.
  3. Andrea Schurian: „Er hat allein mit seiner Präsenz provoziert“. In: Der Standard Online. STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H., 4. März 2013, abgerufen am 20. Juni 2019.
  4. Informationen zu Martin Kippenbergers Installation auf der Webpräsenz der Skulptur.Projekte Münster 1997 (abgerufen am 14. August 2009)
  5. „Das soll Kippenberger sein?“, in: art-magazin 9/2003 (Memento vom 17. Oktober 2010 im Internet Archive)
  6. Holger Liebs: Alles Gute kommt von unten. In: Süddeutsche Zeitung, 13. September 2003.
  7. Künstler/innen: Martin Kippenberger «Transportabler U-Bahn-Eingang» 1997, Zuoz. In: Art Public Plaiv. Abgerufen am 10. April 2023.
  8. Ausstellung im Haus der Kunst (Memento vom 19. Oktober 2015 im Internet Archive) Bayern 2, 26. Juni 2015
  9. Werke von Martin Kippenberger in den französischen Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst In: videomuseum.fr
  10. Weggeschrubbte Kippenberger-Installation: Die Putzteufelin In: spiegel.de, 3. November 2011
  11. Kunstwerk zerstört, Putzfrau behält Job In: bz-berlin.de, 4. November 2011
  12. Eine Putzfrau wirft die Frage auf – Was ist Kunst? In: welt.de, 4. November 2011
  13. Kippenberger - Der Film (PDF; 113 kB) Presseheft von Realfiction Filmverleih, abgerufen am 14. August 2012