Benutzer:Khatschaturjan/Hauptmoschee Kairouan

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Hauptmoschee Kairouan. Von rechts nach links: Gebetsraum (mit Kuppeln), Innenhof und Minarett

Die Hauptmoschee von Kairouan (arabisch الجامع الكبير بالقيروان al-Dschāmiʿ al-kabīr bil-Qairawān ‚Große Moschee von Kairouan‘), zur Erinnerung an ihren Gründer Okba ben Nafi auch Okba-ben-Nafi-Moschee (جامع عقبة بن نافع Dschāmiʿ ʿUqba ibn Nāfiʿ) genannt, liegt in der tunesischen Stadt Kairouan und ist das älteste und bedeutendste islamische Bauwerk in Nordafrika. Die Moschee ist Vorbild für die gesamte maurische Sakralarchitektur,[1] insbesondere für die ez-Zitouna-Moschee in Tunis.[2] Die Bauarbeiten in Kairouan begannen ab 670, der heutige Aspekt beruht jedoch im Wesentlichen auf den Erweiterungsarbeiten unter den Aghlabiden im 9. Jahrhundert. Ihr altehrwürdiger Charakter und die Qualität ihrer Architektur machen sie zu einem Juwel der islamischen Kunst. Wie die gesamte Stadt Kairouan gehört die Hauptmoschee seit 1988 zum UNESCO-Welterbe.[3]

Lage und Gesamteindruck[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stadtplan von Kairouan aus dem Jahre 1916. Rechts die Große Moschee.

Die Hauptmoschee liegt zwar innerhalb der ummauerten Medina Kairouans, jedoch an peripherer Lage in deren nordöstlichem Teil. Ursprünglich lag dieser Standort inmitten der von Okba ben Nafi gegründeten Stadt. Da das umliegende Gelände von zahlreichen Wadis durchzogen wird, verschob sich das Stadtgebiet im Laufe der Zeit Richtung Süden. Zudem führte die Invasion durch die Banu Hilal und Banu Sulaim aus dem Hedschas im Jahre 1057 zur Zerstörung Kairouans und zur Plünderung sowie zum weitgehenden Zerfall und zum Rückbau der Stadt.

Die Grundfläche des Gebäudes ist ein unregelmäßiges Viereck: Die Ostseite ist mit 127,60 m länger als die Westseite mit 125,20 m. Die Nordseite, mit dem Minarett in der Mitte, ist mit 72,70 m weniger breit als die Südseite mit 78 Metern. Der Gesamtkomplex umfasst eine Fläche von etwa 9000 m², der Umfang beträgt 403,5 m.[4]

Von außen erweckt die Moschee den Eindruck einer Festung, mit ockerfarbenen Mauern von 1,90 Metern Dicke aus glatt behauenem Werkstein, mächtigen Ecktürmen mit einem Ausmaß von 4,25 m auf jeder Seite und massiven Strebepfeilern zur Stützung des Mauerwerks.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Baugeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als General Okba ben Nafi im Jahre 670 die Stadt Kairouan gründete, bestimmte er in der Stadtmitte neben dem Sitz des Gouverneurs einen Ort zum Bau einer Moschee, die in den folgenden Jahren als einfaches Gebäude aus gebranntem Ziegelstein errichtet wurde.[5][6] Nach einer kurzfristigen Besetzung der Stadt durch Berber unter Führung von Kusaila zwischen 683 und 686 wurde die Moschee unter dem Statthalter und Feldherrn Hassan bin Numani im Jahre 703 neu erbaut.[7][8] Hassān benutzte beim Neubau zahlreiche Spolien, unter anderem aus Karthago, das 698 unter seiner Führung zerstört worden war. Angesichts der anwachsenden Bevölkerung Kairouans wurde das Gebäude für die zahlreichen Beter bald zu klein, worauf der umayyadische Kalif Hischam seinen Gouverneur Bischr ibn Safwān beauftragte, Ausbauarbeiten in der Stadt durchzuführen. Im Rahmen dieser Arbeiten wurde die Moschee in den Jahren 724–728 renoviert und erweitert. Mit Ausnahme des Mihrab wurde die Moschee vollständig abgerissen und neu errichtet und mit dem Bau des Minaretts begonnen.[9] 774 ließ der muhallabitische Statthalter Yazid ibn Hātim weitere Bauarbeiten und Verschönerungsmaßnahmen durchführen.

Unter der Herrschaft der Aghlabiden erreichte die Entwicklung Kairouans ihren Höhepunkt, und auch die Moschee erlebte zu jener Zeit eine Periode der Ruhe und des Wohlstands. 836 erfolgte unter Emir Ziyadat Allah I. der abschließende Neubau der Moschee, die zu jenem Zeitpunkt im Großen und Ganzen das bis heute bekannte Aussehen erhielt. Die Kosten für diesen Neubau beliefen sich auf 86.000 Gold-Mithqāl (ein Mithqāl entspricht 4,68 g).[10] Bei dieser Gelegenheit wurde der Betsaal umgebaut und umfasste nun 17 Schiffe, und über den muschelförmigen Trompen des Mihrab wurde eine gerippte Kuppel errichtet. Um 863 vergrößerte Emir Abu Ibrahim Ahmad den Betsaal, indem er den 17 Schiffen vier nordwärts gerichtete Joche hinzufügte.

Somit entspricht der gegenwärtige Zustand der Moschee mehr oder weniger ihrem Aussehen im 9. Jahrhundert, abgesehen von einigen späteren Renovierungen und kleineren Ergänzungen. Diese erfolgten um 1120 unter der Herrschaft der Ziriden, gegen Ende des 13. Jahrhunderts unter den Hafsiden, im Jahre 1618 unter den Beys der Muraditen und vom Ende des 18. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Beys der Husainiden. Seit den 1960er Jahren erfolgen Instandsetzungsarbeiten unter der Aufsicht des Nationalen Instituts für das Kulturerbe (Institut national du patrimoine). Ab 1967 ließ das besagte Institut umfangreiche Renovationsarbeiten durchführen, die sich über fünf Jahre erstreckten. 1972, anlässlich des Maulid, wurde die Moschee in Anwesenheit des tunesischen Staatspräsidenten Habib Bourguiba und seines algerischen Amtskollegen Houari Boumedienne wiedereröffnet. Bei Reparaturarbeiten im Jahre 1981 wurden vor allem Risse ausgebessert.[11] Um 1985 wurden bei erneuten Restaurationsarbeiten hauptsächlich die Außenmauern und ihre Strebepfeiler, die Decke des Gebetssaals und das Minarett instand gesetzt.

Beschreibungen und schriftliche Zeugnisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Jahrhunderte nach ihrer Gründung wurde die Große Moschee von Kairouan von verschiedenen mittelalterlichen arabischen Historikern und Geographen beschrieben, unter anderem in dem 1068 erschienenen „Buch der Königreiche und Wege“ (Kitāb al-Masālik wa-l-Mamālik) von al-Bakri. Sowohl Al-Bakri als auch der Historiker Ibn Nadschi (gest. 1494) betonen die extreme Frömmigkeit der Bewohner Kairouans im 9. Jahrhundert.[12] Mit Bezugnahme auf einen nicht erhaltenen Text des in Kairouan ansässigen at-Tudschibi aus dem 11. Jahrhundert betont Ibn Nadschi die Sorgfalt, mit welcher um 860 Emir Abu Ibrahim Ahmad, Wesir des Kalifen al-Mutawakkil in Bagdad, den Mihrab „mit Marmor, Gold und weiteren schönen Bestandteilen“ ausgeschmückt hatte.[13]

Seit dem 18. Jahrhundert begannen auch westliche Reisende den Ruf und die Schönheit der Moschee zu rühmen. Der französische Naturwissenschaftler Jean-André Peyssonnel (1694–1759) bereiste Nordafrika 1724, während der Herrschaft von Husain I. ibn Ali. Er erwähnt in seiner Beschreibung der Großen Moschee die berühmte Schule, an der arabische Grammatik, die Gesetze und die Religion unterrichtet werden. Um dieselbe Zeit beschrieb der englische Kleriker Thomas Shaw (1694–1751) auf seiner Durchreise in Kairouan 1727 die Moschee als prächtigste und heiligste des Berber-Territoriums und erwähnte insbesondere die fast unglaubliche Anzahl von Granitsäulen. Am Ende des 19. Jahrhunderts bewunderte der französische Schriftsteller Guy de Maupassant in seinem Reisebericht La vie errante („Das Wanderleben“, 1890) die Architektur der Großen Moschee; sie erschien ihm ebenso perfekt und erhaben wie die reinsten Ideen der größten Steinmetze. 1910 schrieb Rainer Maria Rilke aus Kairouan an seine Frau Clara:

Ich bin für einen Tag herübergefahren in die ‚heilige Stadt‘ Kairouan, nächst Mekka der große Pilgerort des Islam, den Sidi Okba, ein Gefährte des Propheten, aufgerichtet hat in den großen Ebenen und der sich aus seinen Zerstörungen immer wieder erhoben hat um die ungeheuere Moschee herum, in der Hunderte von Säulen aus Karthago und allen römischen Küstenkolonien zusammengekommen sind, um die dunklen zedernen Decken zu tragen und die weißen Kuppeln zu unterstützen[...]. Wunderbar empfindet man hier die Einfachheit und Lebendigkeit dieser Religion, der Prophet ist wie gestern, und die Stadt ist sein wie ein Reich … [14]

Architektur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außenmauern und Eingangstore[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blick auf die Westfassade. Das Tor Bab al-Gharbi wird von einer weißen Rippenkuppel gekrönt.

Die Ummauerung der Großen Moschee, mit Strebepfeilern von unterschiedlichen Formen und Größen verstärkt, wird heutzutage von neun Toren durchbrochen. Sechs davon öffnen sich zum Innenhof, durch zwei gelangt man in den Gebetssaal. Ein neuntes Tor, auf der Südseite der Fassade, führt zum Saal des Imam und zur Maqsura. Die West- sowie die Ostseite der Fassade umfassen jeweils vier Tore. Die Nordseite verfügt über kein Tor, an der entsprechenden Stelle steht das Minarett. Einige Tore, wie das sogenannte Bab al-Gharbi („Westtor“), verfügen über zusätzliche Vorbauten, die mit mächtigen Strebepfeilern verstärkt sind und von Rippenkuppeln gekrönt werden, die auf quadratischen, mit Trompen besetzten Tambouren ruhen.

Nach Beschreibungen der arabischen Geographen al-Maqdisi und al-Bakri aus dem 10. und 11. Jahrhundert bestanden in dieser Zeit etwa zehn Tore mit anderen als den heutigen Namen: Bab as-Simat, das zur Kairouaner Hauptstraße führte, Bab as-Saraffin (Tor der Wechsler), Bab al-Rahadina (Tor der Stoffhändler), Bab al-Sabbaghin (Tor der Gerber), Bab al-Haddadin (Tor der Schmiede), Bab Suk al-Chamis (Tor des Donnerstagmarkts), Bab as-Sauma'ā (Tor des Minaretts) an der Nordseite der Moschee, Bab al-Chassa (Tor der Notabeln), das für den Herrscher und sein Gefolge bestimmt war, usw. Diese alten Bezeichnungen gerieten seit der Herrschaft der Hafsiden außer Gebrauch, da im Gegensatz zu den übrigen Bauten im Bereich der Moschee die Ummauerung vielfach geändert und zur Sicherung der Stabilität mit zusätzlichen Strebepfeilern versehen wurde.

Kuppel über dem Vorbau des Westtors Bab al-Gharbi

Die vier Eingangstore auf der Westseite, beginnend an der südlichen Ecke, bieten folgenden Anblick:

  • Das erste Tor Bab al-Gharbi („Westtor“¨) führt zum Gebetssaal. Der Türsturz wird von einem Entlastungsbogen aus gebranntem Ziegelstein überragt. Seitlich des Bogens befinden sich zwei dekorative Rauten. Vor dem Tor steht ein Portikus von 3,48 m Breite und 3,6 m Tiefe. Die Toröffnung hat die Form eines Hufeisenbogens, mit einem zusätzlich erhobenen dekorativen Schlussstein. Der Bogen ruht auf zwei Säulen mit unterschiedlichen Schäften und Kapitellen. Darüber erhebt sich ein Fries mit neun kleinen Blendnischen aus gebranntem Ziegelstein.
  • Das zweite Tor, Bab al-Ma, umfasst einen Vorbau von 2,75 m Breite und drei Metern Tiefe, ebenfalls mit der Toröffnung in Form eines Hufeisenbogens. Die zwei stützenden Marmorsäulen an der Toröffnung haben identische Kapitelle.
  • Zum dritten Tor gehört ein Vorbau von 3,3 m Breite und 2,63 m Tiefe. Der dazugehörige Hufeisenbogen ruht auf zwei Säulen mit unterschiedlichen Kapitellen und wird von einer gezackten Brüstung überragt.
  • Das vierte Tor öffnet sich zum vorletzten Joch des westlichen Vorhofs. Es umfasst einen Vorbau von drei Metern Breite und 2.35 Metern Tiefe. Der obere Teil wird von einer Rippenkuppel abgeschlossen, die mit einer Blendarkade auf fünf Hufeisenbögen verziert ist.

Die vier Eingangstore auf der Ostseite, beginnend an der südlichen Ecke, sind:

  • Das erste Tor, Bab Lalla Rihana, führt zum Gebetssaal.
  • Das zweite Tor, ohne Vorbau, wird von zwei Säulen aus weißem Marmor flankiert. Die Säule zur Linken enthält zwei Inschriften: die eine ist auf dem Schaft angebracht, die andere, in Form eines Ringes, befindet sich unter dem Kapitell.
  • Das dritte Tor, mit einem Zierrahmen aus weißem Marmor, enthält einen Vorbau von geringer Tiefe. Es wird von einem quadratischen Gitterfenster überragt.
  • Das vierte Tor, mit einem ähnlichen Vorbau wie das dritte Tor, wird im Unterschied dazu von einer rechteckigen Blendnische überragt.

Innenhof[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blick von Südwesten her auf den Innenhof

In den Innenhof gelangt man durch eines der sechs Tore aus dem 9. und 13. Jahrhundert. Man entdeckt dann ein weiträumiges, unregelmäßiges Viereck unter freiem Himmel, mit folgenden Ausmaßen: 67 Meter auf der Westseite, 67,25 m auf der Ostseite, 50,25 m auf der Nordseite und 52,45 m auf der Südseite. Auf der Süd-, Ost- und Westseite ist der Innenhof von mehreren Arkadenreihen umsäumt. Die Nordseite mit dem Minarett enthält links und rechts davon nur eine Einzelreihe von Arkaden.

Die Laubengänge werden von Säulen aus verschiedenen Marmorarten, aus Granit oder Porphyr abgestützt. Die überwiegende Mehrzahl dieser Säulen sind Spolien aus römischen, frühchristlichen und byzantinischen Bauten und stammen ursprünglich meist aus Karthago. Die Kapitelle zeigen eine Vielfalt von Säulenordnungen: man findet hier komposite und ionische, meist jedoch korinthische Ordnung, mit Akanthus, tierischen (Adler, Stier- oder Widderbüsten) oder pflanzlichen Elementen ausgeschmückt.

Minarett[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Luftaufnahme des Minaretts, mit Rippenkuppel und Laterne

Das Minarett steht mitten in der nördlichen Ummauerung. Es erreicht eine Gesamthöhe von 31,5 Metern und steht auf einer quadratischen Basis von je 10,7 m Seitenlänge. Von außen ist der Turm unzugänglich, er besteht aus drei Ebenen, wobei die letzte von einer Rippenkuppel mit Laterne gekrönt wird. Die erste Ebene, mit einer Höhe von 18,9 Metern, verjüngt sich von der Basis bis zur Ende um etwa 50 Zentimeter. Die zweite Ebene, fünf Meter hoch und 7,65 m breit, ist auf allen vier Seiten mit drei hufeisenförmigen Blendarkadenn verziert, wobei die mittlere Arkade größer ist als die zwei seitlichen. Auf der Südseite enthält die mittlere Arkade ein viereckiges Tor.

Die oberste Ebene, mit einer Höhe von 5,45 m (ohne Kuppel) und einer Breite von 5,5 m, enthält auf allen vier Seiten eine offene, von Säulen gestützte Arkade, umgeben von jeweils zwei kleineren Blendarkaden. Den oberen Abschluss jeder Seite bilden fünf kleine Blendnischen, mit Ausnahme der offenen Nische in der Mitte der Südseite. Die krönende Rippenkuppel hat einen Umfang von 3,6 Metern. Das Eingangstor zum Minarett, auf der Innenseite der Ummauerung, ist 1,85 m hoch und einen Meter breit. Das Innere des Turms enthält einen Durchgang, der zu einer Treppe mit 129 Stufen führt. Diese Treppe wird von einem Tonnengewölbe überragt und bietet Zugang zu den Stockwerken und Wandelgängen des Minaretts.

Gebetssaal[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gebetssaal mit Mobiliar, Teppichen, Säulen und Bücherregalen

Der Gebetssaal befindet sich auf der Südseite des Innenhofs und ist über siebzehn Tore aus Zedernholz zugänglich. Vor dem Gebetssaal befindet sich ein Vorraum von 8,55 Metern Tiefe mit einer doppelten Säulenreihe. Der weiträumige Saal, ein Hypostyl, hat folgende Ausmaße: 70,6 m auf der Südseite, 69 Meter auf der Nordseite, 37,15 m auf der Ost- und 37,5 m auf der Westseite. Der Neubau der Hauptmoschee von 836 unter Ziyadat Allah I. übernimmt ein für diese Zeit bereits archaisch wirkendes Proportionsmuster des Betsaales der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Auch in Kairouan erreicht das Mittelschiff fast die doppelte Weite der Seitenschiffe.[15]

Der blaue Koran; Pergament. 10.–11. Jahrhundert: Sure Fatir, 1-4. Original im Nationalmuseum von Bardo.

Ein erstes, heute verschollenes Bücherinventar der Kairouaner Hauptmoschee wurde 1135 erstellt. Ein späteres Inventar aus dem Jahr 1294 blieb erhalten und ist ein außerordentlich bedeutsames Dokument zur buchwissenschaftlichen Erforschung der mittelalterlichen islamischen Welt. Dieses Inventar weist auf die Tatsache hin, dass zu jener Zeit zwei unterschiedliche Gruppen von Büchern nebeneinander bestanden: einerseits prachtvoll gebundene Koranexemplare, die zwei Drittel der Sammlung einnehmen, andererseits gelehrte Texte, die von Ulema innerhalb der Moscheemauern vorgetragen wurden.[16] Im Inventar von 1294 ist auch der berühmte „Blaue Koran“ (المصحف الأزرق, DMG al-Muṣḥaf al-ʾAzraq) verzeichnet, der damals aus sieben Bänden bestand und heute größtenteils im Nationalmuseum von Bardo sowie im Nationalmuseum islamischer Kunst im nahegelegenen Raqqada aufbewahrt wird.

Säulen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Säulenbündel, stilistisch unterschiedlich

In der Vorhalle und im Gebetssaal stehen über 300 Säulen, darunter 204 im Gebetssaal selbst. Insgesamt enthält die Moschee 546 Säulen. Alle Säulen auf dem Boden des Betsaales sind Spolien aus antiken Stätten wie Sufetula, Karthago, Hadrumetum und Simitthu. Sie bestehen aus verschiedenen Marmorvarianten, Onyx, Cipollino, unterschiedlich farbigen Granitarten oder aus Porphyr und werden in den meisten Fällen von Hufeisenbögen abgeschlossen. Die Säulenschäfte sind gewöhnlich weiß-grau, im Mittelbereich jedoch rot und grün.[17] Der Säulenwald verwirklicht eine äußerst sublimierte, als Ensemble auf zwei Ebenen geordnete Verwendung von Spolien.[18]

Von schlüsselartiger Bedeutung für die Beurteilung des Farbenschemas ist die Analyse der Säulenbündel auf der Höhe der Querarkade vor der Qibla. Je zwei ihrer Stützen gehören unbestreitbar der ersten Phase aus der Zeit der Aghlabiden an: die weiß-grauen Kopfsäulen der äußeren Mittelschiffreihen und die grünen beider anschließenden Flügel der Querarkade. Die beiden einzigen roten Porphyrschäfte des Betsaales wurden von Creswell der zweiten aghlabidischen Kampagne zugeordnet und dementsprechend datiert. Nach den Reinigungs- und Restaurationsarbeiten von 1981 erscheint Creswells These jedoch obsolet. Die beiden roten Porphyrsäulen erscheinen nun als eminent bedeutungsvolle Glieder des ursprünglichen Bauplanes. Dieser ist völlig auf einen Betrachter ausgerichtet, der vom Mittelschiff aus zum Mihrab hinblickt: Der Kopf des Mittelschiffes ist an jeder Flanke mit einem dreigliedrigen, dreifarbigen Säulenbündel ausgezeichnet. Die beiden Porphyrsäulen, aus den Achsen der Mittelschiffstützen nach innen gerückt, treten besonders deutlich in das Sichtfeld.[19]

Mihrab[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Oberer Teil des Mihrab

Der Mihrab ist die Gebetsnische, die die Qibla in Richtung Mekka anzeigt. Er befindet sich etwa mittig an der 70,6 Meter langen südlichen Mauer des Gebetssaales und hat die Form einer von zwei Marmorsäulen umrahmten Apsiskalotte, die von einer Halbkuppel aus bemaltem Holz gekrönt wird. Die Ausmaße sind zwei Meter Länge, 4,5 m Höhe und 1,6 m Tiefe. Er gilt als ältestes Beispiel eines konkaven Mihrab und stammt im Wesentlichen aus den Jahren 862−863. Allerdings war der Mihrab schon vom ursprünglichen Erbauer Okba ben Nafi an seiner jetzigen Stelle platziert worden und ist bis heute die ausgeschmückteste und am meisten verehrte Stelle der Moschee.[20]

Ein besonderes Kennzeichen ist die sorgfältig ausgeführte ornamentale Dekoration. Im oberen Teil und rundherum finden sich 161 metallisch reflektierende Keramikfliesen. 139 dieser Fliesen sind vollständig oder fast vollständig, die restlichen fragmentarisch erhalten. Die Fliesen sind schachbrettförmig aufgestellt, jede einzelne mit einer Seitenlänge von 21,1 Zentimetern und einer Dicke von einem Zentimeter. Die Fliesen stehen alle auf der Spitze – ein Schema, das in Tunesien unter den Aghlabiden recht verbreitet war und von den ersten Fatimiden in Ägypten übernommen wurde.[20] Farblich sind sie in zwei Gruppen aufgeteilt, zeitlich stammen sie aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und ähneln sowohl stilistisch aus auch fabrikationstechnisch den zur selben Zeit in Mesopotamien unter abbasidischer Herrschaft (dem heutigen Irak) hergestellten Exemplaren. Mit Forschungsarbeiten zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnte nachgewiesen werden, dass sie entweder in Samarra oder in Bagdad hergestellt und anschließend nach Kairouan importiert wurden.[21][22]

Minbar[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blick auf Minbar und Maqsura zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor der Restauration 1907–1908.

Der Minbar befindet sich rechts vom Mihrab und dient dem Imam als Kanzel zur Predigt während des Freitagsgebets und an Festtagen. Dies ist eine Treppe aus elf Stufen, von insgesamt 3,93 m Länge und 3,31 m Höhe. Sie wurde um 862 unter dem aghlabidischen Emir Abu Ibrahim Ahmad errichtet, besteht aus indischem Teakholz und gilt als ältestes erhaltenes Exemplar eines Minbars. Die Täfelung besteht aus über 300 Teilen, die mit vielfältigen pflanzlichen und geometrischen Motiven nach umayyadischen und abbasidischen Modellen geschmückt sind. Die Feinheit der Holzschnitzereien erinnert an Elfenbeinarbeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr der Minbar eine gründliche Restaurierung. Auch nach über elf Jahrhunderten sind mit Ausnahme von neun Exemplaren sämtliche Bestandteile in originalem und gut konserviertem Zustand erhalten.

Maqsura[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fassade der Maqsura aus geschnitztem und durchbrochenem Zedernholz, am Ende des Gebetssaals.

Die Maqsura befindet sich neben dem Minbar. Dies ist ein abgeschlossener Bereich, in dem der amtierende Statthalter und weitere hohe Würdenträger das Freitagsgebet getrennt von der Masse der einfachen Beter verfolgen können. Sie wurde in den 20er Jahren des 11. Jahrhunderts unter der Herrschaft des Ziriden-Herrschers al-Mu'izz ibn Badis al-Ziri errichtet und gilt als älteste noch bestehende Maqsura in der islamischen Welt. Ihre Ausmaße sind 2,8 m Höhe, acht Meter Länge und sechs Meter Breite. Sie besteht aus fein geschnitztem Zedernholz und trägt als Hauptschmuck einen Fries mit einer Inschrift in kufischer Kalligraphie, die anschließend an die Basmala und einen Segensspruch für den Propheten und seine Familie den Bauherrn al-Mu'izz ibn Badis und seinen Wesir Abū al-Qāsim al-Kātib preist, der mit dem Ehrentitel Zimām ad-daula („Zügel des Reichs“) bedacht wird. Zudem ist die Holzkonstruktion auf drei Seiten mit pflanzlichen Arabesken, verschiedenen geometrischen Motiven und perlenbesetzten Aufsätzen verziert.[23]

Bedeutung im Islam[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Zeit ihrer größten Prachtentfaltung vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, die mit der Blütezeit des Islam zusammenfällt, war die Stadt Kairouan eines der bedeutendsten Zentren der islamischen Kultur. Ihr Ruf als Zentrum von Gelehrten erstreckte sich über den ganzen Maghreb. In diesem Zeitraum war die Große Moschee von Kairouan sowohl ein Ort des Gebets als auch ein Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit in der malikitischen Tradition. Neben der islamischen Jurisprudenz wurden hier auch Mathematik, Astronomie, Medizin und Botanik unterrichtet. Zu den führenden malikitischen Juristen gehörten Sahnūn ibn Saʿīd und Asad ibn al-Furāt, unter den bedeutenden Medizinern seien Ishaq ibn Imran und Ibn al-Dschazzar erwähnt. Die Moschee, mit der ihr angeschlossenen Universität, verfügte in ihrer Bibliothek über zahlreiche wissenschaftliche und theologische Werke und wurde in diesen drei Jahrhunderten zum maßgeblichen kulturellen und intellektuellen Zentrum Nordafrikas.[24] Bereits im 13. Jahrhundert wurden in der Moschee in Kairouan bedeutende Sammlungen früher Manuskripte und Einbände aufbewahrt, und viele Gelehrte sind der Ansicht, dass dort der prächtige „Blaue Koran“ in der Mitte des 10. Jahrhunderts unter der Schirmherrschaft der Fatimiden kopiert wurde.[25]

Im Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kampfszene in Jäger des verlorenen Schatzes, dem ersten Film der Indiana Jones-Reihe von Steven Spielberg, spielt in Kairo, wurde jedoch 1981 in Kairouan auf dem Gelände der Großen Moschee aufgenommen.[26][27]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Friedrich Wilhelm Deichmann: Die Spolien in der spätantiken Architektur (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse. Jahrgang 1975, Heft 6). Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und C. H. Beck, München 1975, ISBN 3-7696-1473-9.
  • Christian Ewert und Jens-Peter Wisshak: Vorstufen. Hierarchische Gliederungen westislamischer Betsäle des 8. bis 11. Jahrhunderts: Die Hauptmoscheen von Qairawān und Córdoba und ihr Bannkreis. Philipp von Zabern, Mainz 1981. ISBN 3-8053-0471-4.
  • Paul Sebag: The Great Mosque of Kairouan. Collier-Macmillan, New York, 1965. (ursprünglich französisch)
  • Glaire D. Anderson, Corisande Fenwick, Mariam Rosser-Owen: The Aghlabids and Their Neighbors. Art and Material Culture in Ninth-Century North Africa. Handbuch der Orientalistik, Section One, Band 122. Brill Verlag. ISBN 978-90-04-35566-8. Online-Teilansicht
  • Antony Eastmond: Viewing Inscriptions in the Late Antique and Medieval World. Cambridge University Press, 2015. ISBN 978-1-107-09141-9. Online-Teilansicht
  • Thierry Blanquis, Pierre Guichard, Mathieu Tillier: Les débuts du monde musulman, VIIe-Xe siècle. De Muhammad aux dynasties autonomes Presses universitaires de France, 2012. ISBN 978-2-13-055762-3. Einführung (französisch)
  • Henri Saladin: Tunis et Kairouan. H. Laurens, Paris 1908.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hauptmoschee Kairouan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Hans Küng: Spurensuche. Sämtliche Werke. Herder, Freiburg 2018. ISBN 978-3-492-041034. S. 313.
  2. Sihem Lamine: The Zaytuna. The Mosque of a Rebellious City. In: Glaire D. Anderson, Corisande Fenwick, Rosser-Owen Mariam: The Aghlabids and their Neighbors: Art and Material Culture in Ninth-Century North Africa. S. 273.
  3. World Heritage List: Kairouan
  4. William Darrach Halsey und Emanuel Friedman: Collier's Encyclopedia, Bd. 13, Macmillan Educational Company, New York 1984. S. 701.
  5. Grove Encyclopedia of Islamic Art & Architecture: Three-Volume Set. OUP USA, 2009. S. 366. Online-Teilansicht
  6. Markus Hattstein, Peter Delius (Hrsg.): Islam. Kunst und Architektur. Könemann, Köln 2000. S. 132. ISBN 978-3-895-08846-9.
  7. Jack Finegan: The archeology of world religions. The Background of Primitivism, Zoroastrianism, Hinduism, Jainism, Buddhism, Confucianism, Taoism, Shinto, Islam, and Sikhism. Bd. 3. Princeton University Press, Princeton 1965. S. 522.
  8. Jonathan M. Bloom: Early Islamic art and architecture.Ashgate, Aldershot 2002. S. 376. ISBN 978-0-860-78705-1.
  9. Giovanni Teresio Rivoira: Moslem architecture : its origins and development. Oxford University Press, 1918. S. 28, 37−38.
  10. Walther Hinz: Islamische Masse und Gewichte: umgerechnet ins Metrische System. E.J. Brill, Leiden/Köln 1970. S. 4.
  11. Jacques Vérité: UNESCO-Bericht an die tunesische Regierung, 1981 (französisch)
  12. Glaire D. Anderson, Corisande Fenwick, Rosser-Owen Mariam: The Aghlabids and their Neighbors: Art and Material Culture in Ninth-Century North Africa. Brill 2017. S. 102.
  13. Gaston Mignon: Décor lustré dans la céramique musulmane à propos de publications récentes. Syria. Archéologie, Art et histoire. Bd. 10, Nr. 2. 1929. S. 130–136.
  14. Rainer Maria Rilke: Briefe. Herausgegeben vom Rilke-Archiv in Weimar in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. Insel Verlag. Bd. I. S. 273
  15. Christian Ewert und Jens-Peter Wisshak: Vorstufen. Hierarchische Gliederungen westislamischer Betsäle des 8. bis 11. Jahrhunderts: Die Hauptmoscheen von Qairawān und Córdoba und ihr Bannkreis. S. 15, 18.
  16. François Déroche: Autour de l'inventaire médiéval de la blibliothèque de la Mosquée de Kairouan in: Persée. Études d'Antiquités africaines. Jg. 2008, Bd. 1, S. 247–255.
  17. Christian Ewert und Jens-Peter Wisshak: Vorstufen. Hierarchische Gliederungen westislamischer Betsäle des 8. bis 11. Jahrhunderts: Die Hauptmoscheen von Qairawān und Córdoba und ihr Bannkreis. S. 31.
  18. Christian Ewert und Jens-Peter Wisshak: Vorstufen. Hierarchische Gliederungen westislamischer Betsäle des 8. bis 11. Jahrhunderts: Die Hauptmoscheen von Qairawān und Córdoba und ihr Bannkreis. S. 18.
  19. Christian Ewert und Jens-Peter Wisshak: Vorstufen. Hierarchische Gliederungen westislamischer Betsäle des 8. bis 11. Jahrhunderts: Die Hauptmoscheen von Qairawān und Córdoba und ihr Bannkreis. S. 33–35.
  20. a b Khadija Hamdi: Les carreaux verts et jaunes « cachés » du mihrab de la Grande Mosquée de Kairouan. In: Glaire D. Anderson, Corisande Fenwick, Rosser-Owen Mariam: The Aghlabids and their Neighbors: Art and Material Culture in Ninth-Century North Africa. S. 228.
  21. Where did the lustre tiles of the Sidi Oqba Mosque (ad 836-63) in Kairouan come from? Archaeoemetry, 10. November 2003
  22. Thierry Blanquis, Pierre Guichard: Magheb et Andalus, in: Les débuts du monde musulman, VIIe-Xe siècle. De Muhammad aux dynasties autonomes. S. 453.
  23. Maqsûra d'al-Mu‘izz in: Qantara, patrimoine méditerranéen (franz.)
  24. Nurdin Laugu: The Roles of Mosque Libraries through History. Al-Jami‘ah, Bd. 45, Nr. 1, S. 103 und 105, 2007.
  25. Jonathan M. Bloom: Erasure and Memory. Aghlabid and Fatimid Inscriptions in North Africa. In: Antony Eastmond: Viewing Inscriptions in the Late Antique and Medieval World. S. 72.
  26. Interview mit Terry Richards, der als Stuntman für den erkrankten Harrison Ford einsprang.
  27. ADAC-Reiseführer Tunesien. Gräfe und Unzer, 2019. S. 76–77. Online-Teilansicht

Koordinaten: 35° 40′ 53″ N, 10° 6′ 14″ O