Große Wappenkartusche

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Große Wappenkartusche am Eosanderportal des Berliner Schlosses (2023)

Die Große Wappenkartusche, auch Große Adlerkartusche genannt, ist eine neobarocke Bauplastik von Otto Lessing, die am Eosanderportal des Berliner Schlosses das Wappen Preußens darstellt.

Berninins geflügeltes Papstwappen Alexanders VII. im Petersdom als mögliches Vorbild

Die 7,30 Meter breite und 5,35 Meter hohe, in Kupferblech getriebene Kartusche stellt das preußische Staatswappen dar. Es setzt auf dem Hauptgesims des Eosanderportals in der Mittelachse der Westfassade des Schlosses auf und wölbt sich aus der Fläche der Attika nach vorne, dem Betrachter an der Schloßfreiheit, dem heutigen Schloßplatz, entgegen.

Auf dem vollplastischen, barocken Wappenschild prangt – als Halbrelief ausgebildet und durch Vergoldung hervorgehoben – der bekrönte preußische Adler mit dem Monogramm „FR“ für Fridericus Rex, in seinen Fängen ein Zepter und einen Reichsapfel haltend. Ebenfalls vergoldet sind die fast zwei Meter hohe vollplastische Darstellung der preußischen Königskrone, die als Rangkrone auf einem muschelförmigen Bogen über dem Schild ruht, sowie die Collane des Schwarzen Adlerordens, die den Schild im Halbrelief ornamental umgibt.

Als Schildhalter sind spiegelsymmetrisch nicht die sonst in preußischer Staatsheraldik üblichen Wilden Männer sondern zwei vollplastisch ausgeführte, eng mit dem Wappenschild verbundene, großteils von ihm verdeckte Adler zu sehen. Sie recken ihre Hälse in Richtung der Krone. Ihre exponierten Schwingen flankieren die Wappenfigur ebenso wie die als Friedenssymbol im Halbrelief ausgeformten Palmwedel am Fuße des Schilds. Wie in einer manieristischen Groteske scheinen die geöffneten Adlerschwingen dem Wappenschild Flügel zu verleihen, etwa so wie die Engelsflügel dem Papstwappen am Grabmal Alexanders VII. im Petersdom. Ikonografisch verweisen sie auf das christliche Motiv der Himmelfahrt bzw. das Konzept der Divinisierung im römischen Kaiserkult und steigern die theatralische Wirkung des Wappens allegorisierend, glorifizierend und sakralisierend.

Seitlich wird die ca. 7,35 Meter hohe und ca. 8,30 Meter breite Gesamtfigur durch die Halbreliefs zweier Festons gerahmt, die aus dem Sandstein der Fassade gebildet sind.[1] Als unteren Abschluss zeigt das Werk das Ordenskreuz vom Schwarzen Adler. Im Unterschied zu den Gliedern der Collane ist es nicht vergoldet, sondern wie andere dunkle Teile der Wappenkartusche bloß mit einer Schutzschicht gegen Oxidation überzogen. In vollplastischer Darstellung hat das Ordenskreuz Voluten, die sich am Fuß des Wappenschildes ausrollen, durchbrochen und hängt frei vor dem Hauptgesims des Eosanderportals.

Die Gesamtkomposition des Wappens ist von barocker Spiegelsymmetrie und Dynamik der Figuren geprägt. Symmetrische Bewegungen, die der Schild, seine Voluten sowie die Figuren von Adler und Palmwedel zu vollziehen scheinen, greift ein über dem Wappen befindlicher Sprenggiebel ebenfalls mit Voluten auf.

In den Jahren 1902/1903 ließ Wilhelm II. nach einem bereits 1888 entstandenen neobarocken Entwurf des Bildhauers Otto Lessing die originale Wappenkartusche mit der Darstellung des preußischen Staatswappens herstellen und als Apotheose preußischen Königtums über dem Haupteingang seiner Berliner Residenz anbringen. Lessing, seinerzeit führender Bauplastiker der Reichshauptstadt, hatte sich bei seinem Entwurf besonders von Figuren an den von Andreas Schlüter entworfenen Schlossportalen IV und V inspirieren lassen. Schlüter seinerseits war vom römischen Hochbarock Gian Lorenzo Berninis beeinflusst.

Als Verdachung überwölbt wird die Wappenkartusche von einem Sprenggiebel aus Voluten, mit dem Johann Friedrich Eosander das bis 1713 nach dem Vorbild des Septimius-Severus-Bogens bzw. Konstantinsbogen gestaltete Eosanderportal des Schlosses (Portal III) barock überformt hatte. Diesen Sprenggiebel mit Voluten hatte Eosander bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts für Friedrich I. in seinen Plan für einen etwa 100 Meter hohen kuppelgekrönten Schlossturm über dem Hauptportal gezeichnet, wohl um auf diese Weise von der durch horizontale Linien geprägten Ordnung des Triumphbogens in die Vertikale des Turms überzuleiten. Der Giebel wurde realisiert, das ambitionierte Turmprojekt strich der sparsame Nachfolger Friedrich Wilhelm I. jedoch. Der Klassizist Karl Friedrich Schinkel ließ den Sprenggiebel um 1830 entfernen und ihn durch ein für Triumphbögen typisches Gesims ersetzen. In den Jahren 1845 bis 1853 errichtete Friedrich August Stüler unter Friedrich Wilhelm IV. sodann die monumentale Schlosskuppel. In einer weiteren Bauphase in den 1900er Jahren, die einer Grundsanierung des Hauptportals folgte, ließ Wilhelm II. durch Ernst von Ihne den ursprünglichen Sprenggiebel Eosanders über der bis 1903 schon ausgeführten Lessing’schen Wappenkartusche wiederherstellen.

Die verschiedenen Baumaßnahmen reflektieren somit die Paradigmenwechsel in den herrschenden Architekturauffassungen. Die weitere Ausgestaltung der Fassade durch das prunkvolle neobarocke Wappen entspricht in besonders typischer Weise dem Geschmack des Kaisers und seinem persönlichen Repräsentationsbedürfnis. Durch die Wahl des preußischen Wappens stellte er sich allerdings als Nachfolger der Könige in und von Preußen dar, nicht als Kaiser des 1871 gegründeten Deutschen Reichs.

In Potsdam aufgefundenes Ordenskreuz der Großen Wappenkartusche

Vor der Schlosssprengung 1950 wurde die Große Wappenkartusche abgenommen und auf den Bauhof des Berliner Magistrats verbracht. Danach verschwand sie spurlos. Vermutlich wurde sie eingeschmolzen.[2] Im Zuge der 2012 begonnenen Planungen zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses wurde nur der Ordensstern von einem Mitarbeiter des beauftragten Architekturbüros von Franco Stella in Potsdam noch aufgefunden. Dieses Stück wurde danach denkmalgerecht restauriert.

Im Übrigen entstand die Große Wappenkartusche im Auftrag der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss als kunsthandwerkliche Rekonstruktion in der Werkstatt von Andreas Hoferick, zunächst als Kleinmodell im Maßstab 1:3 aus Ton, dann 1:1 als Tonmodell, schließlich 1:1 aus Gips. Die Firma Fittkau Metallgestaltung fertigte das Werkstück abschließend in Kupfer auf einem Tragwerk aus Edelstahl.[3] Am 4. April 2023 wurde die fünf Tonnen schwere Wappenkartusche am Eosanderportal angebracht.[4] Die Gesamtkosten beliefen sich auf etwa zwei Millionen Euro und wurden aus privaten Spenden finanziert.[5]

  • Peter Stephan: Die Adlerkartusche am Berliner Schloss – ein Meisterwerk der neobarocken Bauplastik. In: Berliner Extrablatt. Heft Nr. 99 (2023), S. 4–13 (Digitalisat).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Große Kartusche, Webseite im Portal berliner-stadtschloss.de, abgerufen am 12. Oktober 2024
  2. Die Laterne (und Kartusche) aus Weißensee für das Schloss an der Spree, Vortrag von Stefan Fittkau vom 30. März 2023, Beitrag im Portal berliner-stadtschloss.de, abgerufen am 12. Oktober 2024
  3. Arbeiten für die Große Wappenkartusche an Außenportal III, Beitrag vom 1. Februar 2021 im Portal berliner-schloss.de, abgerufen am 12. Oktober 2024
  4. Geschafft: Die Große Wappenkartusche ist am Eosanderportal vom Berliner Schloss angebracht! Beitrag vom 6. April 2023 im Portal berliner-schloss.de, abgerufen am 12. Oktober 2024
  5. Christiane Peitz: Schloss-Eingang mit Krone: Am Humboldt Forum wurde vergoldeter Portalschmuck installiert, Tagesspiegel, 5. April 2023, abgerufen am 12. Oktober 2024