Neue Deutsche Welle

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Trio (1982)

Die Neue Deutsche Welle (NDW) ist ein Musikgenre, das ab 1976 als die deutschsprachige Variante des Punk und New Wave aufkam und Anfang der 1980er Jahre seine kommerzielle Hochphase hatte.

Die NDW war sehr mannigfaltig und kein einheitliches Musikgenre. Es lassen sich für viele der Künstler Attribute finden, die sie von der Masse anderer Künstler unterscheiden würden. Kennzeichnend waren vor allem die deutschsprachigen Songtexte, deren relative Kurzlebigkeit, Rohheit und Kühle. Auch ein Minimalismus der Darbietungen war oft ein Stilmittel. Viele der Künstler waren nur damals musikalisch aktiv oder erfolgreich.

Geschichte

Begriffsentstehung

Deutsch Amerikanische Freundschaft
Falco und Ursela Monn (1986)

Der Begriff Neue Deutsche Welle tauchte erstmals in einer Anzeige des Berliner Plattenversands Der Zensor (Burkhardt Seiler) im Hamburger Musikmagazin Sounds im August 1979 auf.[1] In der Anzeige wurde er zur Kategorisierung des ersten Albums der Deutsch Amerikanischen Freundschaft benutzt. Zwei Monate später wurde der Begriff, der sich vom Terminus New Wave bzw. Nouvelle Vague ableitet, von dem damaligen Musikjournalisten und späteren Musiklabelbetreiber Alfred Hilsberg für den Titel einer dreiteiligen Artikelserie in Sounds verwendet („Neue Deutsche Welle – Aus grauer Städte Mauern“).[2][3]

NDW als Untergrundmusik

Die auf das Jahr 1976 datierten Ursprünge der musikalischen Untergrundbewegung Neue Deutsche Welle sind auf die britische Punk- und New-Wave-Musik zurückzuführen. Schnell entwickelte sich jedoch eine eigene, originäre Formensprache, die stark geprägt war von der deutlich eckigeren und kantigeren Rhythmik der deutschen Sprache. Der weitaus größte Teil der Bands hatte sich bereits früh dazu entschieden, ihre Texte ausschließlich in deutscher Sprache zu verfassen. Zu den Vertretern dieser bis 1981 andauernden Phase zählen Mittagspause, Abwärts, The Wirtschaftswunder, Der Plan oder DAF. Soundspezifisch bildeten Synthesizer, die in jenen Jahren zu erschwinglichen Preisen auf den Markt kamen, die klangliche Basis für viele Werke, etwa elektronische Instrumente wie die Korg-Modelle MS-10 und MS-20.

Die NDW dieser Jahre hatte im Wesentlichen drei Hauptstädte, nämlich West-Berlin, Düsseldorf (Labels Rondo, Schallmauer-Records und Ata Tak) und Hamburg (Zickzack Records). Kleinere Nebenzentren waren unter anderem Limburg, der Raum Rhein-Main (Mainz, Wiesbaden, Frankfurt), Hagen und Hannover (No Fun Records).

NDW als Populärmusik

Bei den großen Plattenfirmen galt die NDW zunächst als unkommerziell und deshalb als schwer zu vermarkten. Auch bei den Bands gab es Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit der Industrie. Dies änderte sich allerdings, als erste Vermarktungskampagnen mit Gruppen wie Fehlfarben, Extrabreit, Ideal oder DAF auf überraschend viel Resonanz stießen. Als die NDW immer erfolgreicher wurde, vermarktete man unter diesem Etikett auch deutschsprachig singende Interpreten – darunter auch aus Österreich und der Schweiz –, die mit der NDW wenig oder nichts gemein hatten, oder schuf einschlägige Retortenbands. Das Genre wurde schließlich zunehmend von Interpreten beherrscht, die in modernisierter, teils auch ironischer Form Elemente des Schlagers verwendeten. Dazu gehörten etwa Hubert Kah, Markus und UKW.

Platin-Auszeichnung für Da Da Da von Trio in Kanada

Einige Interpreten kamen zu beachtlichen internationalen Erfolgen. Nena (99 Luftballons), Trio (Da da da), Falco (Der Kommissar) und Peter Schilling (Major Tom) konnten selbst im englischsprachigen Raum Hits platzieren, wobei sich hier meist eigens produzierte englische Versionen durchsetzten.

Die Kommerzialisierung durch die Musikindustrie führte bei den Urhebern der Bewegung, den Untergrund-Bands, zu Frustration, und die NDW-Bewegung löste sich schnell wieder auf. Aber auch die kommerzielle Variante der NDW büßte rasch an Bedeutung ein. Durch die inflationäre Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen und die massive Medienpräsenz des Genres war das Publikum bald übersättigt. Viele Musiker beendeten ihre Karrieren und nur wenige Projekte überlebten. So ging die NDW in den Jahren 1983–1984 zu Ende.

Neue Neue Deutsche Welle

Seit Anfang der 2020er Jahre erfährt das Genre als Neue Neue Deutsche Welle (NNDW) ein Revival. Diese Spielart ist musikalisch von viel Hall und hohem Tempo gepträgt. Die deutschen Texte handeln überwiegend von düsteren und nostalgischen Themen, die Qualität der Produktion ist gewollt niedrig. Der Begriff Neue Neue Deutsche Welle geht auf Edwin Rosen zurück, der diesen als Beschreibung seines Musikstils nutzte. Auch Temmis, Salò und Steintor Herrenchor werden der NNDW zugeordnet.[4][5][6]

Historische Bedeutung

Die NDW führte dazu, dass sich im Anschluss deutsch singende Musiker leichter kommerziell etablieren konnten, selbst wenn sie stilistisch nicht der NDW zuzuordnen waren, so beispielsweise BAP, Die Ärzte, Die Toten Hosen, Klaus Lage oder Herbert Grönemeyer.

Einige Künstler waren später als Songschreiber und Produzenten tätig. Dazu gehören unter anderem Annette Humpe, Hubert Kah – der in der Spätzeit der NDW eine Zusammenarbeit mit Michael Cretu einging – und die ehemaligen Mitglieder von Spliff.

Die NDW bildete einen Anknüpfungspunkt für neue musikalische Bewegungen, wie beispielsweise die Hamburger Schule.

Siehe auch

Literatur

  • Christian Graf: Das NDW-Lexikon - Bands und Solisten von A bis Z. Schwarzkopf&Schwarzkopf, Berlin 2003, ISBN 3-89602-529-5.
  • Ulrich Gutmair: Wir sind die Türken von morgen: Neue Welle, neues Deutschland. Klett-Cotta, 2023, ISBN 978-3-608-12141-4.
  • Günter Sahler: Edition Blechluft #1: Blecheimer und Luftpumpe. Günter Sahler Verlag, Lindlar, ISBN 978-3-942139-20-5.
  • Günter Sahler: Edition Blechluft #2: Neue deutsche Erinnerungswelle. Günter Sahler Verlag, Lindlar, ISBN 978-3-942139-21-2.
  • Günter Sahler: Edition Blechluft #3: Dies ist Hamburg und nicht Seattle, Dirk. Günter Sahler Verlag, Lindlar, ISBN 978-3-942139-22-9.
  • Günter Sahler: Edition Blechluft #4: Kassette sich wer kann. Günter Sahler Verlag, Lindlar, ISBN 978-3-942139-23-6.
  • Günter Sahler: Edition Blechluft #5: NDW-Archäologie. Günter Sahler Verlag, Lindlar, ISBN 978-3-942139-24-3.
  • Hollow Skai: Alles nur geträumt: Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle. Hannibal, Innsbruck 2009, ISBN 3-85445-302-7.
  • Frank Apunkt Schneider: Als die Welt noch unterging. Ventil, Mainz 2007, ISBN 978-3-931555-88-7.
  • Jürgen Teipel (Hrsg.): Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-39771-0.
  • M.O.C. Döpfner, Thomas Garms: Neue deutsche Welle – Kunst oder Mode? Ullstein, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1984, ISBN 3-548-36505-1.
  • Kid P.: Die Neue Deutsche Welle. Ihr Entstehen und Versagen. Ihre Sternchen und ihr Erscheinen in den Medien. In: Diedrich Diederichsen (Hrsg.): Staccato. Musik und Leben. Kübler Verlag Michael Akselrad, Heidelberg 1982, ISBN 3-921265-29-0, S. 9–55.
  • Barbara Hornberger: Geschichte wird gemacht. Die Neue Deutsche Welle. Eine Epoche deutscher Popmusik. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4288-1 (Film – Medium – Diskurs 30).[7]

Dokumentarfilm

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der Anfang. 28. August 2010, archiviert vom Original am 28. August 2010; abgerufen am 30. September 2023.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/burkhardt-zensor.de
  2. Katja Mellmann: Helden aus der Spielzeugkiste (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive) (PDF; 1,2 MB)
  3. Alfred Hilsberg: Neue Deutsche Welle – Aus grauer Städte Mauern. In: Sounds via highdive.de, 10/79.
  4. Sofia Paule: Neue Neue Deutsche Welle: Was hat es mit dem jungen Popmusik-Genre auf sich? In: Der Tagesspiegel Online. 12. Februar 2024, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 7. März 2024]).
  5. Neue Deutsche Welle ist zurück! Diese 10 Künstler:innen sollte man kennen. In: Diffus. 23. Februar 2022, abgerufen am 7. März 2024 (deutsch).
  6. Konstantin Nowotny: Kälte-Pop: Kühle Einblicke in die Neue Deutsche Welle. In: Der Freitag. ISSN 0945-2095 (freitag.de [abgerufen am 7. März 2024]).
  7. Annette Vowinckel: B. Hornberger: Geschichte wird gemacht. In: H-Soz-Kult, 26. Mai 2011, abgerufen am 26. Mai 2011.