„Nervengift“ – Versionsunterschied

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Definition konkretisiert (Nervengifte schädigen Nerven ab einer geringen Menge). Alkohol und Flourid sind nicht als Gift, geschweige denn als Nervengift eingestuft. Coffein in geringen Mengen schädigt das Nervensystem nicht, sondern stimuliert es.
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'''Nervengifte''' oder '''Neurotoxine''' sind Stoffe, die bei Aufnahme in den Organismus ab einer bestimmten, geringen Dosis [[Nervenzelle]]n bzw. [[Nervengewebe]] schädigen bzw. hemmen und so Fehlfunktionen im Körper verursachen. Sie stören vor allem [[Membranprotein]]e und die Wechselwirkungen in [[Ionenkanal|Ionenkanälen]]. Nervengifte werden im Tierreich meistens als Verteidigungs- oder Beutegift gegen [[Wirbeltiere]] eingesetzt.
'''Nervengifte''' und '''Neurotoxine''' sind Stoffe, welche bereits in einer geringen Dosis eine Wirkung auf [[Nervenzelle]]n bzw. [[Nervengewebe]] erzielen. Nervengifte sind eine heterogene Gruppe von Stoffen mit einer Vielzahl an [[Wirkmechanismen]]. Die Mehrheit der Nervengifte sind [[exogen]]e Toxine, welche aus der Umwelt stammen und vom Organismus aufgenommen worden sind. Darunter existieren auch einige [[Gas]]e (z. B. [[Monophosphan]]), aber die meisten Nervengifte sind Feststoffe ([[Schwermetalle]] wie [[Arsen]], [[Cadmium]], [[Blei]], [[Quecksilber]], etc.) und Flüssigkeiten (z. B. [[Ethanol]], [[Formalin]]), weshalb die Bezeichnung »Nervengas«, insbesondere für Nervenkampfstoffe, meist irreführend ist.
Parallel zu diesen exogenen Neurotoxinen gibt es auch einige [[endogen]]e Neurotoxine, siehe [[Excitotoxizität]].


== Organische Stoffe ==
Die meisten Neurotoxine sind [[exogen]]e Toxine, sie stammen aus der Umwelt und werden vom Organismus aufgenommen. Darunter existieren auch einige [[Gas]]e (z. B. [[Monophosphan]]). Die häufigsten Nervengifte sind jedoch Feststoffe ([[Schwermetalle]] wie [[Arsen]], [[Cadmium]], [[Blei]], [[Quecksilber]] ...) und Flüssigkeiten (z. B. [[Ethanol]], [[Formalin]]). Die Wirkung hängt stark von der Dosierung ab.
Die meisten Nervengifte sind Toxine, das heißt, von Lebewesen synthesierte Nervengifte, und andere organische Stoffe.
Sie werden im Tierreich häufig zur Verteidigung oder als Beutegift zur Jagd anderer Tiere oder von Pflanzen und Pilzen als Fraßschutz eingesetzt.
Die Wirkung dieser Stoffe beruht meist auf der Interaktion der Stoffe mit bestimmten [[Rezeptor_(Biochemie)|Rezeptoren]] der Nervenzellen,
indem sie als [[Agonist (Pharmakologie)|Agonisten]] (z.B. [[Nicotin]] an [[nicotinischer Acetylcholinrezeptor|nicotinischen Acetylcholinrezeptoren]]) diese auslösen oder als [[Antagonist (Pharmakologie)|Antagonisten]] (z.B. [[Atropin]] an [[muskarinischer Acetylcholinrezeptor|muskarinischen Acetylcholinrezeptoren]]) diese blockieren, wodurch die Reizweiterleitung und damit die Funktion von Organen gestört wird.
Ein weiterer, häufiger Wirkmechanismus beruht auf der Öffnung oder auch dem Blockieren von [[Ionenkanal|Ionenkanälen]], wie beispielsweise der Öffnung von [[Calciumkanal|Calciumkanälen]] durch [[Alpha-Latrotoxin]], dem Gift der [[Europäische Schwarze Witwe|Europäischen Schwarzen Witwe]] oder der Blockade von [[Natriumkanal|Natriumkanälen]] durch [[Saxitoxin]], welches vorwiegend von [[Dinoflagellaten]] produziert wird.
Die Herkunft solcher Toxine sind beispielsweise
* [[Spinnentiere]]
** [[Skorpione#Fressfeinde_und_Verteidigung|Skorpione]]
** [[Echte Witwen]]
* [[Giftschlange|Schlangen]]
** [[Giftnattern]]
** [[Vipern]]
* [[Pilzgifte|Pilze]]
** [[Mutterkornalkaloide]] aus [[Mutterkorn]]
** [[Amatoxine]] aus [[Wulstlinge|Wulstlingen]]
* [[Bakterien]]
** [[Botulinumtoxin]] aus [[Clostridium botulinum]]
** [[Tetanospasmin]] aus [[Clostridium tetani]], dem Erreger von [[Tetanus]]
* [[Liste giftiger Pflanzen|Pflanzen]]
** [[Nachtschattengewächse]]
** [[Hyoscyamin]] aus der [[Schwarze Tollkirsche|Schwarzen Tollkirsche]]
* Sonstige Lebewesen
** [[Saxitoxin]] aus [[Dinoflagellaten]]
** [[Conotoxine]] aus der [[Kegelschnecken]]-Gattung [[Conus]]


Auch einige Medikamente und [[Alkaloide]] wirken auf Nervenzellen und zählen damit zu den Nervengiften.
Bekannte Nervengifte sind
* [[Tetrodotoxin]]
* [[Atropin]] bzw. [[Hyoscyamin]]
* [[Botulinumtoxin]] („Schönheitsmittel“ ''Botox'')


== Anorganische Stoffe ==
Parallel zu diesen exogenen Neurotoxinen gibt es auch [[endogen]]e Toxine, siehe [[Excitotoxizität]].
Es gibt aber auch einige anorganische Stoffe, deren Giftigkeit auf der Wirkung auf Nerven basiert.
* Einige Schwermetalle
** [[Cadmium]]
** [[Blei]]
** [[Quecksilber]], etc.
* [[Arsen]]
* [[Fluorid|Fluoride]]
* Einige [[Gase]]
** [[Kohlenstoffdioxid]]
** [[Monophosphan]]
** [[Edelgase]] sind zwar gegenüber Biomolekülen chemisch inert und zählen daher nicht als Gifte, aber über [[Van-der-Waals-Kräfte|induzierte Dipole]] können Atome des Gases jedoch mit biologischen Systemen wechselwirken. So wirkt Xenon beispielsweise durch einen noch nicht vollständig geklärten Mechanismus unter Beteiligung von [[NMDA-Rezeptor|Glutamat-Rezeptoren]] narkotisierend.<ref>Preckel B, Weber NC, Sanders RD, Maze M, Schlack W.: ''Molecular Mechanisms Transducing the Anesthetic, Analgesic, and Organ-protective Actions of Xenon'' In: ''Anesthesiology.'' Vol. 105, Nr. 1, 2006, S. 187-97.</ref>


== Nervenkampfstoffe ==
== Weitere Verwendungen und Vorkommen ==
Als '''Nervenkampfstoffe''' wird eine Klasse von [[Chemische Waffe|chemischen Waffen]] bezeichnet, welche auf die Weiterleitung von Signalen in den Nerven und zwischen den Nerven einwirken. Diese Nervengifte können über die Haut, Atmung und über Körperöffnungen in den Körper eindringen und führen zu schweren, systemischen Symptomen, welche schließlich zum Tod führen können. Solche Symptome können starke Muskelkrämpfe und Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Müdigkeit, Verwirrtheit, Angstzustände, Spannungen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfällen, unkontrollierter Harn- und Stuhlabgang, Appetitlosigkeit, Atemnot, Bewusstlosigkeit und Atemlähmung sein.
* Nervengifte finden in [[Chemische Waffe|chemischen Waffen]] Verwendung, beispielsweise in [[Nervenkampfstoff]]en wie [[Sarin]].

* [[Insektizid]]e enthalten Nervengifte wie [[Phosphorsäureester]] oder [[Parathion]].
=== Reihen ===
* [[Schlangengift]]e können neurotoxische Wirkung haben.
Bei den [[Liste chemischer Kampfstoffe#Nervenkampfstoffe|Nervenkampfstoffen]] unterscheidet man nach der Herstellung die G-Reihe, V-Reihe und die Novichok-Reihe.

=== G-Reihe ===
{{Belege}}
[[Datei:Nerve agent G series.svg|mini|300px|Die G-Reihe der Nervenkampfstoffe]]
Die G-Reihe wurde während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] vom deutschen Chemiker [[Gerhard Schrader (Chemiker)|Gerhard Schrader]], synthetisiert, daher auch der Name(»made in '''g'''ermany«).
Es handelt sich um [[Persistenz (Chemie)|nicht persistente]] [[Phosphor#Organische Verbindungen|phosphororganische Verbindungen]], welche als [[Phosphorsäureester]] angesehen werden können und einen ähnlichen Aufbau, wie in der Nebenstehenden Abbildung zu entnehmen ist, aufweisen. So enthalten alle, bis auf Tabun anstatt einer OH-Gruppe der Phosphorsäure ein [[Fluor]]atom; Tabun enthält stattdessen eine [[Nitril]]-Gruppe. Zu dieser Stoffreihe zählen [[Tabun]] (1936), [[Sarin]] (1939), [[Soman]] (1944), [[Cyclosarin]] (1949) und [[GV (Nervenkampfstoff)|GV]]. In Klammern jeweils das Jahr der Erstherstellung.
Die Wirkung dieser Nervenkampfstoffe beruht auf der Hemmung der [[Acetylcholinesterase]]. Die Gifte besetzen das [[Aktives Zentrum|aktive Zentrum]] des Enzyms und reagieren dort mit einem nukleophilen [[Serin]]-Rest unter Bildung einer [[kovalent]]en Bindung.<ref name=plos>{{Literatur
| Autor=Fredrik Ekström, Andreas Hörnberg, Elisabet Artursson, Lars-Gunnar Hammarström, Gunter Schneider, Yuan-Ping Pang, Joel L. Sussman
| Titel=Structure of HI-6•Sarin-Acetylcholinesterase Determined by X-Ray Crystallography and Molecular Dynamics Simulation: Reactivator Mechanism and Design
| Sammelwerk=[[PLoS ONE]]
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}}
</ref> Der durch die Enzymblockade gehemmte Abbau des [[Acetylcholin]]s führt zu einem drastischen Konzentrationsanstieg dieses Neurotransmitters im [[cholinerg]]en System und äußert sich im sogenannten [[akutes cholinerges Syndrom| akuten cholinergen Toxidrom]] mit Übererregung der Nerven und schließlich Blockade der Reizübertragung. Es kommt, je nach Stärke der Vergiftung, zu folgenden Symptomen: Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfällen, Augenschmerzen, Müdigkeit, Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, unkontrollierter Harn- und Stuhlabgang, Atemnot, Appetitlosigkeit, Angstzustände, Spannungen, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit. Der Tod tritt schließlich durch Atemlähmung ein.
Die Antidote der medizinischen Notfallausrüstung von NATO-Soldaten enthalten als [[Anticholinergikum]] [[Atropin]] und Enzymreaktivatoren wie z.B. [[Trimedoximbromid]] und [[Obidoximchlorid]]. Letztere gehören zur Stoffgruppe der [[Oxime]].

=== V-Reihe ===
{{Belege}}
[[Datei:Nerve agent V series.svg|mini|300px|Die V-Reihe der Nervenkampfstoffe]]
Diese Reihe hatte ihren Ursprung bei dem Chemiker Dr. Ranajit Ghosh, welcher für das britische Unternehmen [[Imperial Chemical Industries]] Pflanzenschutzmittel erforscht hatte. ICI brachte 1954 unter dem Namen Amiton das waffenfähige VG auf den Markt. Es galt jedoch als zu gefährlich für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel, fand aber schnell Verwendung bei den [[Streitkräfte des Vereinigten Königreichs|Streitkräften des Vereinigten Königreiches]], auch wenn es aufgrund von erheblichen Problemen bei der Produktion, Lagerung und Munitionierung nie großtechnisch hergestellt oder gelagert wurde.
Der Name leitet sich von »{{lang|en|'''V'''ictory}}« (»Sieg«), »{{lang|en|'''V'''enomous}}« (»giftig«) oder »{{lang|en|'''V'''iscous}}« ([[Viskosität|»viskos«]]) ab. Die Stoffe dieser Reihe werden gelegentlich auch »Tammelin's esters« genannt. [[Lars-Erik Tammelin]] hatte für das schwedische Forschungsinstitut der Verteidigung sich mit den chemischen Kampfstoffen des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieges]] und [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] beschäftigt und war seit 1952 ebenfalls an der Erforschung der V-Reihe beteiligt.
Es handelt sich ebenfalls um phosphororganische, den Phosphorsäurestern ähnlichen, Kampfstoffen, welche im Gegensatz zur G-Reihe stabiler und etwa 10-mal so giftig sind. Sie verbleiben daher länger auf dem Schlachtfeld, Kleidung, sowie anderen Gegenständen und können auch länger gelagert und beispielsweise in Granaten, Raketen und auch Landminen eingesetzt werden. Von der Konsistenz sind sie viskos und ölartig, weshalb die häufige Bezeichnung »Nervengas« irreführend ist. Neben den bekannten, hier abgebildeten Beispielen, von denen jedoch nur [[VX]] und [[VR (Nervenkampfstoff)|VR]]<ref>Radilov, A. ''et al.:'' Russian VX. ''In:'' Gupta, R. C. (ed): Handbook of Toxicology of Chemical Warfare Agents. Chap. 7, S. 69 ff. Elsevier, 2009, ISBN 978-0-12-374484-5.</ref> militärisch verwendet wurden, gibt es noch weitere Derivate mit ähnlichen Eigenschaften, welche sich von der untersten, rechten Struktur ableiten, wobei hier die Nummerierung willkürlich gewählt ist.
Die Wirkung und entsprechenden Gegenmaßnahmen sind denen der G-Reihe gleich.
Zu dieser Reihe zählen die Stoffe [[VE (Nervenkampfstoff)|VE]], [[VG (Nervenkampfstoff)|VG]], [[VM (Nervenkampfstoff)|VM]], [[VP (Nervenkampfstoff)|VP]], [[VR (Nervenkampfstoff)|VR]], [[VS (Nervenkampfstoff)|VS]] und [[VX]], sowie [[EA-2192 (Nervenkampfstoff)|EA-2192]] und [[EA-3148 (Nervenkampfstoff)|EA-3148]], wobei VX als der bekannteste und am besten erforschte Kampfstoff dieser Reihe gilt.

=== Novichok-Reihe ===
[[Datei:Novichok examples.svg|mini|300px|Einige Beispiele der Novichok-Reihe]]
Novichok (russisch »{{lang|ru|новичок}}«, so viel wie »Neuling« oder »Anfänger«), ist eine Reihe neuartiger sowjetischer Nervenkampfstoffe, welche etwa zwischen 1970 und 1990 entwickelt wurden.
Sie zählen zu den tödlichsten Nervenkampfstoffen, die jemals hergestellt worden sind, von denen einige etwa 5- bis 8-mal so stark wie [[VX]] sein sollen. Es gibt über hundert Varianten in dieser Serie, von denen einige rechts aufgelistet sind.
Die Wirkung und entsprechenden Gegenmaßnahmen sind denen der G-Reihe gleich.

=== Sonstige Nervenkampfstoffe ===
[[Diisopropylfluorphosphat]], kurz DFP, wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg von englischer Seite entwickelt und produziert. Es war gedacht, DFP als taktisches Gemisch mit [[Senfgas]] einzusetzen. Dadurch wäre es zu einem [[Kontaktgift]] geworden. Die tatsächliche Verwendung von DFP als [[Kampfstoff]] ist nicht bekannt.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Waltraud Stammel, Helmut Thomas: ''Endogene Alkaloide in Säugetieren. Ein Beitrag zur Pharmakologie von körpereigenen Neurotoxinen.'' In: ''Naturwissenschaftliche Rundschau.'' Jg. 60, Nr. 3, 2007, {{ISSN|0028-1050}}, S. 117–124.
* Waltraud Stammel, Helmut Thomas: ''Endogene Alkaloide in Säugetieren. Ein Beitrag zur Pharmakologie von körpereigenen Neurotoxinen.'' In: ''Naturwissenschaftliche Rundschau.'' Jg. 60, Nr. 3, 2007, {{ISSN|0028-1050}}, S. 117–124.


== Einzelnachweise ==
{{Gesundheitshinweis}}
<references />


{{Gesundheitshinweis}}
[[Kategorie:Nervengift| ]]
[[Kategorie:Chemie]]
[[Kategorie:Kampfstoffklasse]]
[[Kategorie:Nervengift]]
[[Kategorie:Nervenkampfstoff]]

Version vom 8. August 2015, 03:19 Uhr

Nervengifte und Neurotoxine sind Stoffe, welche bereits in einer geringen Dosis eine Wirkung auf Nervenzellen bzw. Nervengewebe erzielen. Nervengifte sind eine heterogene Gruppe von Stoffen mit einer Vielzahl an Wirkmechanismen. Die Mehrheit der Nervengifte sind exogene Toxine, welche aus der Umwelt stammen und vom Organismus aufgenommen worden sind. Darunter existieren auch einige Gase (z. B. Monophosphan), aber die meisten Nervengifte sind Feststoffe (Schwermetalle wie Arsen, Cadmium, Blei, Quecksilber, etc.) und Flüssigkeiten (z. B. Ethanol, Formalin), weshalb die Bezeichnung »Nervengas«, insbesondere für Nervenkampfstoffe, meist irreführend ist. Parallel zu diesen exogenen Neurotoxinen gibt es auch einige endogene Neurotoxine, siehe Excitotoxizität.

Organische Stoffe

Die meisten Nervengifte sind Toxine, das heißt, von Lebewesen synthesierte Nervengifte, und andere organische Stoffe. Sie werden im Tierreich häufig zur Verteidigung oder als Beutegift zur Jagd anderer Tiere oder von Pflanzen und Pilzen als Fraßschutz eingesetzt. Die Wirkung dieser Stoffe beruht meist auf der Interaktion der Stoffe mit bestimmten Rezeptoren der Nervenzellen, indem sie als Agonisten (z.B. Nicotin an nicotinischen Acetylcholinrezeptoren) diese auslösen oder als Antagonisten (z.B. Atropin an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren) diese blockieren, wodurch die Reizweiterleitung und damit die Funktion von Organen gestört wird. Ein weiterer, häufiger Wirkmechanismus beruht auf der Öffnung oder auch dem Blockieren von Ionenkanälen, wie beispielsweise der Öffnung von Calciumkanälen durch Alpha-Latrotoxin, dem Gift der Europäischen Schwarzen Witwe oder der Blockade von Natriumkanälen durch Saxitoxin, welches vorwiegend von Dinoflagellaten produziert wird. Die Herkunft solcher Toxine sind beispielsweise

Auch einige Medikamente und Alkaloide wirken auf Nervenzellen und zählen damit zu den Nervengiften.

Anorganische Stoffe

Es gibt aber auch einige anorganische Stoffe, deren Giftigkeit auf der Wirkung auf Nerven basiert.

Nervenkampfstoffe

Als Nervenkampfstoffe wird eine Klasse von chemischen Waffen bezeichnet, welche auf die Weiterleitung von Signalen in den Nerven und zwischen den Nerven einwirken. Diese Nervengifte können über die Haut, Atmung und über Körperöffnungen in den Körper eindringen und führen zu schweren, systemischen Symptomen, welche schließlich zum Tod führen können. Solche Symptome können starke Muskelkrämpfe und Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Müdigkeit, Verwirrtheit, Angstzustände, Spannungen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfällen, unkontrollierter Harn- und Stuhlabgang, Appetitlosigkeit, Atemnot, Bewusstlosigkeit und Atemlähmung sein.

Reihen

Bei den Nervenkampfstoffen unterscheidet man nach der Herstellung die G-Reihe, V-Reihe und die Novichok-Reihe.

G-Reihe

Die G-Reihe der Nervenkampfstoffe

Die G-Reihe wurde während des Zweiten Weltkrieges vom deutschen Chemiker Gerhard Schrader, synthetisiert, daher auch der Name(»made in germany«). Es handelt sich um nicht persistente phosphororganische Verbindungen, welche als Phosphorsäureester angesehen werden können und einen ähnlichen Aufbau, wie in der Nebenstehenden Abbildung zu entnehmen ist, aufweisen. So enthalten alle, bis auf Tabun anstatt einer OH-Gruppe der Phosphorsäure ein Fluoratom; Tabun enthält stattdessen eine Nitril-Gruppe. Zu dieser Stoffreihe zählen Tabun (1936), Sarin (1939), Soman (1944), Cyclosarin (1949) und GV. In Klammern jeweils das Jahr der Erstherstellung. Die Wirkung dieser Nervenkampfstoffe beruht auf der Hemmung der Acetylcholinesterase. Die Gifte besetzen das aktive Zentrum des Enzyms und reagieren dort mit einem nukleophilen Serin-Rest unter Bildung einer kovalenten Bindung.[2] Der durch die Enzymblockade gehemmte Abbau des Acetylcholins führt zu einem drastischen Konzentrationsanstieg dieses Neurotransmitters im cholinergen System und äußert sich im sogenannten akuten cholinergen Toxidrom mit Übererregung der Nerven und schließlich Blockade der Reizübertragung. Es kommt, je nach Stärke der Vergiftung, zu folgenden Symptomen: Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfällen, Augenschmerzen, Müdigkeit, Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, unkontrollierter Harn- und Stuhlabgang, Atemnot, Appetitlosigkeit, Angstzustände, Spannungen, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit. Der Tod tritt schließlich durch Atemlähmung ein. Die Antidote der medizinischen Notfallausrüstung von NATO-Soldaten enthalten als Anticholinergikum Atropin und Enzymreaktivatoren wie z.B. Trimedoximbromid und Obidoximchlorid. Letztere gehören zur Stoffgruppe der Oxime.

V-Reihe

Die V-Reihe der Nervenkampfstoffe

Diese Reihe hatte ihren Ursprung bei dem Chemiker Dr. Ranajit Ghosh, welcher für das britische Unternehmen Imperial Chemical Industries Pflanzenschutzmittel erforscht hatte. ICI brachte 1954 unter dem Namen Amiton das waffenfähige VG auf den Markt. Es galt jedoch als zu gefährlich für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel, fand aber schnell Verwendung bei den Streitkräften des Vereinigten Königreiches, auch wenn es aufgrund von erheblichen Problemen bei der Produktion, Lagerung und Munitionierung nie großtechnisch hergestellt oder gelagert wurde. Der Name leitet sich von »Victory« (»Sieg«), »Venomous« (»giftig«) oder »Viscous« (»viskos«) ab. Die Stoffe dieser Reihe werden gelegentlich auch »Tammelin's esters« genannt. Lars-Erik Tammelin hatte für das schwedische Forschungsinstitut der Verteidigung sich mit den chemischen Kampfstoffen des Ersten Weltkrieges und Zweiten Weltkrieges beschäftigt und war seit 1952 ebenfalls an der Erforschung der V-Reihe beteiligt. Es handelt sich ebenfalls um phosphororganische, den Phosphorsäurestern ähnlichen, Kampfstoffen, welche im Gegensatz zur G-Reihe stabiler und etwa 10-mal so giftig sind. Sie verbleiben daher länger auf dem Schlachtfeld, Kleidung, sowie anderen Gegenständen und können auch länger gelagert und beispielsweise in Granaten, Raketen und auch Landminen eingesetzt werden. Von der Konsistenz sind sie viskos und ölartig, weshalb die häufige Bezeichnung »Nervengas« irreführend ist. Neben den bekannten, hier abgebildeten Beispielen, von denen jedoch nur VX und VR[3] militärisch verwendet wurden, gibt es noch weitere Derivate mit ähnlichen Eigenschaften, welche sich von der untersten, rechten Struktur ableiten, wobei hier die Nummerierung willkürlich gewählt ist. Die Wirkung und entsprechenden Gegenmaßnahmen sind denen der G-Reihe gleich. Zu dieser Reihe zählen die Stoffe VE, VG, VM, VP, VR, VS und VX, sowie EA-2192 und EA-3148, wobei VX als der bekannteste und am besten erforschte Kampfstoff dieser Reihe gilt.

Novichok-Reihe

Einige Beispiele der Novichok-Reihe

Novichok (russisch »новичок«, so viel wie »Neuling« oder »Anfänger«), ist eine Reihe neuartiger sowjetischer Nervenkampfstoffe, welche etwa zwischen 1970 und 1990 entwickelt wurden. Sie zählen zu den tödlichsten Nervenkampfstoffen, die jemals hergestellt worden sind, von denen einige etwa 5- bis 8-mal so stark wie VX sein sollen. Es gibt über hundert Varianten in dieser Serie, von denen einige rechts aufgelistet sind. Die Wirkung und entsprechenden Gegenmaßnahmen sind denen der G-Reihe gleich.

Sonstige Nervenkampfstoffe

Diisopropylfluorphosphat, kurz DFP, wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg von englischer Seite entwickelt und produziert. Es war gedacht, DFP als taktisches Gemisch mit Senfgas einzusetzen. Dadurch wäre es zu einem Kontaktgift geworden. Die tatsächliche Verwendung von DFP als Kampfstoff ist nicht bekannt.

Literatur

  • Waltraud Stammel, Helmut Thomas: Endogene Alkaloide in Säugetieren. Ein Beitrag zur Pharmakologie von körpereigenen Neurotoxinen. In: Naturwissenschaftliche Rundschau. Jg. 60, Nr. 3, 2007, ISSN 0028-1050, S. 117–124.

Einzelnachweise

  1. Preckel B, Weber NC, Sanders RD, Maze M, Schlack W.: Molecular Mechanisms Transducing the Anesthetic, Analgesic, and Organ-protective Actions of Xenon In: Anesthesiology. Vol. 105, Nr. 1, 2006, S. 187-97.
  2. Fredrik Ekström, Andreas Hörnberg, Elisabet Artursson, Lars-Gunnar Hammarström, Gunter Schneider, Yuan-Ping Pang, Joel L. Sussman: Structure of HI-6•Sarin-Acetylcholinesterase Determined by X-Ray Crystallography and Molecular Dynamics Simulation: Reactivator Mechanism and Design. In: PLoS ONE. Band 4, Nr. 6, 18. Juni 2009, S. e5957, doi:10.1371/journal.pone.0005957.
  3. Radilov, A. et al.: Russian VX. In: Gupta, R. C. (ed): Handbook of Toxicology of Chemical Warfare Agents. Chap. 7, S. 69 ff. Elsevier, 2009, ISBN 978-0-12-374484-5.