Althochdeutsche Sprache

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Althochdeutsch

Gesprochen in

südlich der sogenannten „Benrather Linie
Sprecher seit ca. 1050 keine mehr
Linguistische
Klassifikation
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2

goh

ISO 639-3

goh

Als Althochdeutsch (abgekürzt Ahd.) bezeichnet man die älteste schriftlich bezeugte Form der hochdeutschen Sprache in der Zeit etwa von 750 bis 1050 n. Chr.

Das Wort „deutsch“ erscheint zum ersten Mal in einem Dokument aus dem Jahre 786 in der mittellateinischen Form theodiscus. In einer Kirchenversammlung seien die Beschlüsse „tam latine quam theodisce“ verlesen worden, also „sowohl lateinisch als auch in der Volkssprache“. Die althochdeutsche Form des Worts ist erst deutlich später belegt: In der Abschrift eines antiken Sprachlehrbuches in lateinischer Sprache, vermutlich im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts angefertigt, fand sich der Eintrag eines Mönches, der offenbar das lateinische Wort galeola (Geschirr in Helmform) nicht verstanden hatte. Er muss sich bei einem Mitbruder nach der Bedeutung dieses Wortes erkundigt und die deutsche Bedeutung hinzugefügt haben. Für seine Notiz verwendete er die althochdeutsche Frühform „diutisce gellit“ („auf Deutsch ‚Schale‘“).

Territoriale Eingrenzung und Gliederung

Die kontinental-westgermanischen Sprachregionen (ohne Langobardisch) im 10. Jahrhundert

Das Althochdeutsche ist keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen, die südlich der sogenannten „Benrather Linie“ (die heute von Düsseldorf-Benrath ungefähr in west-östlicher Richtung verläuft) gesprochen wurden. Diese Dialekte unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen durch die Durchführung der Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung. Die Dialekte nördlich der „Benrather Linie“, das heißt im Bereich der norddeutschen Tiefebene und im Gebiet der heutigen Niederlande, haben die Zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung Altsächsisch (auch: Altniederdeutsch) zusammengefasst. Aus dem Altsächsischen hat sich das Mittel- und Neuniederdeutsche entwickelt. Jedoch hat auch das Altniederfränkische, aus dem später das heutige Niederländisch entstanden ist, die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, wodurch dieser Teil des Fränkischen nicht zum Althochdeutschen zu zählen ist.

Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache gab, lassen sich die überlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von (Alt-)Südrheinfränkisch, Altbairisch, Altalemannisch etc. spricht. Diese westgermanischen Varietäten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nähe zueinander auf, in der die späteren Unterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Niederdeutsch begründet sind. So schreibt etwa Stefan Sonderegger, in Bezug auf die räumlich-sprachgeographische Gliederung sei unter Althochdeutsch zu verstehen:

„Die ältesten Stufen der mittel- und hochfränkischen, d. h. westmitteldeutschen Mundarten einerseits und der alemannisch und bairischen, also oberdeutschen Mundarten andererseits, sowie die in ahd. Zeit erstmals faßbare, aber gleichzeitig schon absterbende Sprachstufe des Langobardischen in Oberitalien. Deutlich geschieden bleibt das Ahd. vom Altsächsischen im anschließenden Norden, während zum Altniederländisch-Altniederfränkischen und Westfränkischen im Nordwesten und Westen ein gestaffelter Übergang festzustellen ist.“

Sonderegger[1]

Althochdeutsche Überlieferungen und Schriftlichkeit

Teil des Hildebrandsliedes, verfasst in althochdeutscher Sprache

Das lateinische Alphabet wurde im Althochdeutschen für die deutsche Sprache übernommen. Hierbei kam es einerseits zu Überschüssen an Graphemen wie <v> und <f> und andererseits zu ungedeckten deutschen Phonemen wie Diphthongen, Affrikaten (wie /pf/, /ts/, /tʃ/), und Konsonanten wie /ç/ <ch> und /ʃ/ <sch>, die es im Lateinischen nicht gab. Im Althochdeutschen wurde für das Phonem /f/ auch hauptsächlich das Graphem <f> verwendet, sodass es hier fihu (Vieh), filu (viel), fior (vier), firwizan (verweisen) und folch (Volk) heißt, während im Mittelhochdeutschen überwiegend für dasselbe Phonem das Graphem <v> verwendet wurde, hier heißt es dagegen vinsternis (Finsternis), vrouwe (Frau), vriunt (Freund) und vinden (finden). Diese Unsicherheiten, die sich bis heute in Schreibungen wie „Vogel“ oder „Vogt“ auswirken, sind auf die beschriebenen Graphemüberschüsse des Lateinischen zurückzuführen.

Der erste althochdeutsche Text ist der Abrogans, ein lateinisch-althochdeutsches Glossar. Generell besteht die althochdeutsche Überlieferung zu einem großen Teil aus geistlichen Texten (Gebeten, Taufgelöbnissen, Bibelübersetzung); nur vereinzelt finden sich weltliche Dichtungen (Hildebrandslied, Ludwigslied) oder sonstige Sprachzeugnisse (Inschriften, Zaubersprüche). Zum öffentlichen Recht gehören die Würzburger Markbeschreibung oder die Straßburger Eide von 842, die jedoch nur in der Abschrift eines romanischsprachigen Kopisten aus dem 10. und 11. Jahrhundert überliefert sind.

Der sogenannte „Althochdeutsche Tatian“ ist eine Übersetzung der Evangelienharmonie des syrisch-christlichen Apologeten Tatianus (2. Jh.) in das Althochdeutsche. Er ist zweisprachig (lateinisch-deutsch); die einzige erhaltene Handschrift befindet sich heute in St. Gallen. Der Althochdeutsche Tatian ist neben dem Althochdeutschen Isidor die zweite große Übersetzungsleistung aus der Zeit Karls des Großen.

Im Zusammenhang mit der politischen Situation ging im 10. Jahrhundert die Schriftlichkeit im Allgemeinen und die Produktion deutschsprachiger Texte im Besonderen zurück; ein erneutes Einsetzen einer deutschsprachigen Schriftlichkeit und Literatur ist ab etwa 1050 zu beobachten. Da sich die schriftliche Überlieferung des 11. Jahrhunderts in lautlicher Hinsicht deutlich von der älteren Überlieferung unterscheidet, bezeichnet man die Sprache ab etwa 1050 als Mittelhochdeutsch. Als Endpunkt der althochdeutschen Textproduktion wird oft auch der Tod Notkers in St. Gallen 1022 definiert.

Charakteristika der Sprache und Grammatik

Das Althochdeutsche ist eine synthetische Sprache.

Umlaut

Typisch für das Althochdeutsche und wichtig für das Verständnis bestimmter Formen in späteren Sprachstufen des Deutschen (wie die rückumlautenden schwachen Verben) ist der althochdeutsche Primärumlaut. Hierbei bewirken die Laute /i/ und /j/ in der Folgesilbe, dass /a/ zu /e/ umgelautet wird.

Endsilben

Charakteristisch für die althochdeutsche Sprache sind die noch vokalisch volltönenden Endungen (siehe Latein), zum Beispiel:

ahd.: neuhochdeutsch:
mahhôn machen
taga Tage
demo dem
perga Berge

Die Abschwächung der Endsilben im Mittelhochdeutschen ab 1050 gilt als Hauptkriterium zur Abgrenzung der beiden Sprachstufen.

Substantive

Das Substantiv hat vier Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) und Reste eines fünften (Instrumental) sind noch vorhanden. Man unterscheidet zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen (konsonantischen) Deklination.

Schwache Deklination

Fall maskulines Substantiv feminines Substantiv neutrales Substantiv
Singular
Nom. hano (Hahn) zunga (Zunge) hërza (Herz)
Gen. hanen, -in zungūn hërzen, -in
Dat. hanen, -in zungūn hërzen, -in
Akk. hanon, -un zungūn hërza
Plural
Nom. hanon, -un zungūn hërzun, -on
Gen. hanōno zungōno hërzōno
Dat. hanōm, -ōn zungōm, -ōn hërzōm, -ōn
Akk. hanon, -un zungūn hërzun, -on

Weitere Beispiele für maskuline Substantive sind stërno (Stern), namo (Name), forasago (Prophet), für feminine Substantive quëna (Frau), sunna (Sonne) und für neutrale ouga (Auge), ōra (Ohr).

Personalpronomen

Die Deklination der Personalpronomina im Althochdeutschen sieht wie folgt aus:

Numerus Person Genus Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ
Singular 1.   ih mīn mir mih
2.   dīn dir dih
3. Maskulinum (h)er (sīn) imu, imo inan, in
Femininum siu; sī, si ira, iru iro sia
Neutrum iz es, is imu, imo iz
Plural 1.   wir unsēr uns unsih
2.   ir iuwēr iu iuwih
3. Maskulinum sie iro im, in sie
Femininum siu iro im, in siu
Neutrum sio iro im, in sio
Höflichkeitsform 2.   ir iuwēr iu iuwih
  • Neben unser und iuwer findet sich auch unsar und iuwar,[2] und neben iuwar und iuwih findet sich auch iwar und iwih.[3]
  • Bei Otfrid findet sich auch der Genitiv Dual der 1. Person: unker (oder uncher, auch als unkar oder unchar angeführt).[4][5]

Demonstrativpronomen (Bestimmter Artikel) im Althochdeutschen

In der althochdeutschen Periode spricht man allerdings eher noch von dem Demonstrativpronomen, weil sich der bestimmte Artikel als ein grammatisches Phänomen erst im späten Althochdeutsch aus dem Demonstrativpronomen entwickelt hat.[6]

Singular männlich weiblich sächlich Plural männlich weiblich sächlich
Nominativ dër diu daȥ Nominativ dē, dea, dia, die deo, dio diu, (dei?)
Genitiv dës dëra, (dëru, -o) dës Genitiv dëru dëra dëru
Dativ dëmu, -o dëru, -o dëmu, -o Dativ dēm, dēn dēm, dēn dēm, dēn
Akkusativ dën dea, dia (die) daȥ Akkusativ dē, dea, dia, die deo, dio diu, (dei?)

Nominativ und Akkusativ sind im Plural recht willkürlich und von Dialekt zu Dialekt unterschiedlich, sodass eine explizite Trennung, welche dieser Formen ausdrücklich den Akkusativ und welche den Nominativ beschreibt, nicht möglich ist. Zudem kann man anhand dieser Aufstellung bereits einen langsamen Zusammenfall der verschiedenen Formen feststellen. Während es im Nominativ und Akkusativ Plural noch viele recht unregelmäßige Formen gibt, sind Dativ und Genitiv, sowohl im Singular als auch im Plural, relativ regelmäßig.

Verben

Auch bei den Verben wird zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen Konjugation unterschieden. Die Zahl der schwachen Verben war zu jeder Zeit höher als die der starken Verben, aber die zweite Gruppe war im Althochdeutschen deutlich umfangreicher als heute. Neben diesen beiden Gruppen gibt es die Präteritopräsentien, Verben, welche mit ihrer ursprünglichen Präteritumsform eine Präsensbedeutung aufweisen.

Starke Verben

Bei den starken Verben kommt es im Althochdeutschen zur Veränderung des Vokals im Grundmorphem, welches die lexikalische Bedeutung des Wortes trägt. Die Flexion (Beugung) der Wörter wird durch Flexionsmorpheme (Endungen) gekennzeichnet. Man unterscheidet im Althochdeutschen sieben verschiedene Ablautreihen, wobei die siebte nicht auf einen Ablaut, sondern auf Reduplikation zurückgeht.

Ablautreihen
Ablaut-
reihe
Infinitiv 1. Person
Singular
Indikativ
Präsens
1. + 3. Person
Singular
Indikativ
Präteritum
1.+3. Person
Plural, 2. Pers. Singular
Indikativ
Präteritum
Partizip
Präteritum
I.a ī + Konsonant
(nicht h oder w)
ī ei i i
I.b ī + h oder w ī ē i i
II.a io + Konsonant
(nicht h oder Dental)
iu ou u o
II.b io + h
oder Dental
iu ō u o
III.a i + Nasal
oder Konsonant
i a u u
III.b e + Liquid
oder Konsonant
i a u o
IV. e + Nasal
oder Liquid
i a ā o
V. e + Konsonant i a ā e
VI. a + Konsonant a uo uo a
VII. ā, a, ei
ou, uo
oder ō
ā, a, ei
ou, uo
oder ō
ie ie ā, a, ei
ou, uo
oder ō

Beispiele in rekonstruiertem und vereinheitlichtem Althochdeutsch:

  • Ablautreihe I.a: rītan – rītu – reit – ritun – giritan (nhd. reiten, fahren)
  • Ablautreihe I.b: zīhan – zīhu – zēh – zigun – gizigan (nhd. bezichtigen, zeihen)
  • Ablautreihe II.a: biogan – biugu – boug – bugun – gibogan (nhd. biegen)
  • Ablautreihe II.b: biotan – biutu – bōt – butun – gibotan (nhd. bieten)
  • Ablautreihe III.a.: bintan – bintu – bant – buntun – gibuntan (nhd. binden)
  • Ablautreihe III.b.: werfan – wirfu – warf – wurfun – giworfan (nhd. werfen)
  • Ablautreihe IV.: neman – nimu – nam – nāmun – ginoman (nhd. nehmen)
  • Ablautreihe V.: geban – gibu – gab – gābun – gigeban (nhd. geben)
  • Ablautreihe VI.: faran – faru – fuor – fuorun – gifaran (nhd. fahren)
  • Ablautreihe VII.: rātan – rātu – riet – rietun – girātan (nhd. raten)
Finite und infinite Flexionsformen
Infinite Formen Verbform
Infinitiv werfan
Partizip
Präsens
werfanti/
werfenti
Partizip
Präteritum
giworfan
Finite Formen Pronomen Präsens Präteritum
Indikativ Singular
1. Person ih wirfu warf
2. Person wirfis/wirfist wurfi
3. Person er, siu, iz wirfit warf
Indikativ Plural
1. Person wir werfemēs (werfēn) wurfum (wurfumēs)
2. Person ir werfet wurfut
3. Person sie, siu werfent wurfun
Konjunktiv Singular
1. Person ih werfe wurfi
2. Person werfēs/werfēst wurfīs/wurfīst
3. Person er, siu, iz werfe wurfi
Konjunktiv Plural
1.Person wir werfēm (werfemēs) wurfīm (wurfīmēs)
2. Person ir werfēt wurfīt
3. Person sie, siu werfēn wurfīn
Imperativ
2. Person Singular wirf
2. Person Plural werfet

Beispiel: werfan – wirfu – warf – wurfun – giworfan (nhd. werfen) nach der Ablautreihe III. b

Schwache Verben

Die schwachen Verben des Althochdeutschen lassen sich morphologisch und semantisch über ihre Endungen in drei Gruppen einteilen:

1. Verben mit der Endung -jan- mit kausativer Bedeutung (etwas machen, bewirken) oder für denominative Bildungen, Beispiel *taljan → ahd. zellen ‚(auf-, er-, zu-)zählen, (aus-)sagen, sprechen‘:

Finite Formen Pronomen Präsens Präteritum
Indikativ Singular
1. Person ih zellu zellita
2. Person zellis zellitos
3. Person er, siu, iz zellit zellita
Indikativ Plural
1. Person wir zellumēs zellitum
2. Person ir zellet zellitut
3. Person sie, siu zellent zellitun
Konjunktiv Singular
1. Person ih zele zeliti
2. Person zellēst zelitīs
3. Person er, siu, iz zele zeliti
Konjunktiv Plural
1.Person wir zelēm zelitīm
2. Person ir zelēt zelitīt
3. Person sie, siu zelēn zelitīn
Imperativ
2. Person Singular zel
2. Person Plural zellet

2. Verben mit der Endung -ōn mit instrumentaler Bedeutung (etwas benutzen),

3. Verben mit der Endung -ēn mit durativer Bedeutung (vollziehen, werden).

Erstere sind für das Verständnis der im Mittelhochdeutschen sehr häufig und auch heute noch teilweise vorhandenen schwachen Verben mit Rückumlaut elementar, da hier das /j/ in der Endung den oben beschriebenen Primärumlaut im Präsens bewirkt.

Besondere Verben

Das althochdeutsche Verb sīn ‚sein‘ wird als Verbum substantivum bezeichnet, weil es für sich allein stehen kann und ein Dasein von etwas beschreibt. Es zählt zu den Wurzelverben, welche zwischen Stamm- und Flexionsmorphem keinen Bindevokal aufweisen. Diese Verben werden auch als athematisch (ohne Binde- oder Themavokal) bezeichnet. Das Besondere an sīn ist, dass sein Paradigma suppletiv ist, also aus verschiedenen Verbstämmen gebildet wird (idg. *h₁es- ‚existieren‘, *bʰueh₂- ‚wachsen, gedeihen‘ und *h₂ues- ‚verweilen, wohnen, übernachten‘). Im Konjunktiv Präsens besteht weiterhin das auf *h₁es- zurückgehende sīn (die mit b-anlautenden Indikativformen gehen hingegen auf *bʰueh₂- zurück), im Präteritum jedoch wird es durch das starke Verb wesan (nhd. war, wäre; vgl. auch nhd. Wesen) ersetzt, welches nach der fünften Ablautreihe gebildet wird.

Präsens Pronomen Indikativ Konjunktiv
Singular
1. Person ih bim, bin
2. Person bist sīs, sīst
3. Person er, siu, ez ist
Plural
1. Person wir birum, birun sīn
2. Person ir birut sīt
3. Person sie, sio, siu sint sīn

Tempus

Im Germanischen gab es lediglich zwei Tempora: Das Präteritum für die Vergangenheit und das Präsens für die Nicht-Vergangenheit (Gegenwart, Zukunft). Mit Einsetzen der Verschriftlichung und Übersetzungen aus dem Latein ins Deutsche begann man, deutsche Entsprechungen für die lateinischen Tempora wie Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II im Althochdeutschen zu entwickeln. Zumindest Ansätze für das haben- und sein-Perfekt lassen sich schon im Althochdeutschen ausmachen. Die Entwicklung wurde im Mittelhochdeutschen fortgeführt.

Aussprache

Die Rekonstruktion der Aussprache des Althochdeutschen basiert auf dem Vergleich der überlieferten Texte mit der Aussprache des heutigen Deutschen, deutscher Dialekte und verwandter Sprachen. Daraus ergeben sich folgende Ausspracheregeln:[7]

  • Vokale sind grundsätzlich kurz zu lesen, es sei denn, sie sind durch einen Überstrich oder Zirkumflex ausdrücklich als Langvokale gekennzeichnet. Erst im Neuhochdeutschen werden Vokale in offenen Silben lang gesprochen.
  • Die Diphthonge ei, ou, uo, ua, ie, ia, io und iu werden als Diphthonge gesprochen und auf dem ersten Bestandteil betont. Dabei ist zu beachten, dass auch der Buchstabe <v> gelegentlich den Lautwert u hat.
  • Die Betonung liegt immer auf der Wurzel, selbst wenn eine der folgenden Silben einen Langvokal enthält.
  • Die Lautwerte der meisten Konsonantenbuchstaben entsprechen denen des heutigen Deutsch. Da die Auslautverhärtung erst im Mittelhochdeutschen erfolgte, werden <b>, <d> und <g> im Auslaut anders als im modernen Deutsch stimmhaft gesprochen.
  • Der Graph <th> wurde im frühen Althochdeutsch als stimmhafter dentaler Frikativ [ð] (wie <th> in englisch the) gesprochen, ab etwa 830 aber kann man [d] lesen.
  • <c> wird – ebenso wie das häufiger auftretende <k> – als [k] gesprochen, und zwar auch dann, wenn es in Verbindung mit <s> – also als <sc> – erscheint.
  • <z> ist zweideutig und steht teils für [ts], teils für das stimmlose [s].
  • <h> wird im Anlaut als [h] gesprochen, im In- und Auslaut als [x].
  • <st> wird auch im Wortanlaut [st] gesprochen (nicht wie heute [ʃt]).
  • <ng> wird [ng] gesprochen (nicht [ŋ]).
  • <qu> wird wie im heutigen Deutsch [kv] gesprochen.
  • <uu> (das oft als <w> transkribiert wird) wird wie der englische Halbvokal [w] (water) gesprochen.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Eberhard Gottlieb Graff: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. I–VI. Berlin 1834–1842, Neudruck Hildesheim 1963.
  • Hans Ferdinand Massmann: Vollständiger alphabetischer Index zu dem althochdeutschen Sprachschatze von E. G. Graff. Berlin 1846, Neudruck Hildesheim 1963.
  • Rolf Bergmann u. a. (Hrsg.): Althochdeutsch.
  1. Grammatik. Glossen. Texte. Winter, Heidelberg 1987, ISBN 3-533-03877-7.
  2. Wörter und Namen. Forschungsgeschichte. Winter, Heidelberg 1987, ISBN 3-533-03940-4.

Weblinks

Wiktionary: Althochdeutsch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: althochdeutsch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource: Althochdeutsche Texte – Quellen und Volltexte
  • Online Wörterbuch, Wikiling: Althochdeutsch (und andere alte Sprachen)
  • Althochdeutsches Wörterbuch
  • Althochdeutsch in der World Loanword Database
  • Althochdeutsch in der International Dictionary Series. In: wayback.archive.org. Archiviert vom Original am 8. April 2014; abgerufen am 17. März 2016.

Einzelnachweise

  1. Stefan Sonderegger: Althochdeutsche Sprache und Literatur, Seite 4
  2. Oscar Schade: Altdeutsches Wörterbuch. Halle, 1866, Seite 664.
  3. Adalbert Jeitteles: K.A. Hahns althochdeutsche Grammatik nebst einigen Lesestücken und einem Glossar 3. Aufl., Prag, 1870, Seite 36 f.
  4. Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch, Buch III, Kapitel 22, Vers 32
  5. Adalbert Jeitteles: K.A. Hahns althochdeutsche Grammatik nebst einigen Lesestücken und einem Glossar 3. Aufl., Prag, 1870, Seite 37.
  6. Ludwig M. Eichinger: Flexion in der Nominalphrase. (2006). In: Dependenz und Valenz. 2. Halbband, Hg.: Vilmos Ágel u. a. De Gruyter, Berlin/New York, S. 1059.
  7. Rolf Bergmann, Claudine Moulin, Nikolaus Ruge: Alt- und Mittelhochdeutsch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8252-3534-5, S. 171ff.
  8. Rolf Bergmann, Claudine Moulin, Nikolaus Ruge: Alt- und Mittelhochdeutsch- Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 173.