Ethylenglycol

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Strukturformel
Strukturformel von Ethylenglycol
Allgemeines
Name Ethylenglycol
Andere Namen
  • Ethylenglykol (EG)
  • Äthylenglycol/-glykol
  • Monoethylenglycol/-glykol
  • Ethandiol
  • 1,2-Dihydroxyethan
  • 1,2-Ethandiol
  • Ethan-1,2-diol
  • Ethylenalkohol
  • Ethylenoxidhydrat
  • Glycol/Glykol
  • Genantin
  • Glysantin
Summenformel C2H6O2
Kurzbeschreibung

farblose, viskose Flüssigkeit mit süßlichem Geschmack[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 107-21-1
PubChem 174
Wikidata Q194207
Eigenschaften
Molare Masse 62,07 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,11 g·cm−3[2]

Schmelzpunkt

−16 °C[2]

Siedepunkt

197 °C[2]

Dampfdruck

5,3 Pa (20 °C) [2]

pKS-Wert

15,1 (25 °C)[3]

Löslichkeit

mischbar mit Wasser,[2] Ethanol und Aceton[1]

Brechungsindex

1,4318 (20 °C)[4]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[5] ggf. erweitert[2]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 302​‐​373
P: keine P-Sätze[6]
MAK

DFG/Schweiz: 10 ml·m−3 bzw. 26 mg·m−3[2][7]

Toxikologische Daten
Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−460,0 kJ/mol (l) −392,2 kJ/mol (g)[8]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

(Mono-)Ethylenglycol (MEG, Trivialname Glycol bzw. Glykol) ist der einfachste zweiwertige Alkohol mit der chemischen Bezeichnung Ethan-1,2-diol. Es ist das einfachste vicinale Diol. Der Trivialname leitet sich von süß-schmeckend (griechisch glykys ‚süß‘) ab.

Die Bezeichnung Glycole wird darüber hinaus für zwei Klassen von Diolen, die sich vom Ethylenglycol ableiten, verwendet. Zum einen 1,2-Diole wie 1,2-Propandiol. Zum anderen für α,ω-Diole, die durch Kondensation von Ethylenglycol entstehen: Polyethylenglycole. Beispiele sind Diethylenglycol (DEG), Triethylenglycol (TEG).

Gewinnung und Herstellung

Technisch wird Ethylenglycol durch Addition von Wasser an Ethylenoxid hergestellt:

Synthese von Ethylenglycol

Im neuen OMEGA-Prozess der Royal Dutch Shell wird Ethylenglycol mit hoher Selektivität (> 99 %) über die Zwischenstufe des Ethylencarbonats hergestellt, 2014 wurden 40 % des Weltbedarfs unter der Shell-Lizenz produziert.[9] 2010 betrug der weltweite Bedarf 21.000.000 jato,[10] hiervon waren 100.000 jato bio-Ethylenglycol.[11] Der Bedarf steigt jährlich um 3-4 Mio jato. Saudi Basic Industries Corporation (SABIC) war 2009 zweitgrößter Produzent der Welt.[12]

Eigenschaften

Ethylenglycol ist bei Raumtemperatur eine farblose, viskose Flüssigkeit. Der Schmelzpunkt liegt bei −16 °C. Unter Normaldruck siedet die Verbindung bei 197 °C. Die Dampfdruckfunktion ergibt sich nach Antoine entsprechend log10(P) = A−(B/(T+C)) (P in Torr, T in °C) mit A = 9,6, B = 3225 und C = 283 im Temperaturbereich von 53 °C bis 198 °C.[13]

Ethylenglycol besitzt bei 20 °C eine Viskosität von 20,81 mPas. Bei 30 °C sinkt die Viskosität auf 13,87 mPas.[14]

Ethylenglycol bildet oberhalb des Flammpunktes 111 °C entzündliche Dampf-Luft-Gemische.[15] Die Zündtemperatur beträgt 410 °C. Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T2.[13]

Ethylenglycol zersetzt sich bei Luftzutritt am Siedepunkt und setzt dabei unter anderem Glycolaldehyd, Glyoxal, Acetaldehyd, Methan, Formaldehyd, Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff frei.[2] Es bildet, abweichend von anderen Glycolethern, mit Wasser kein Azeotrop.

Bei Verwendung als Kühlflüssigkeit schwankt die Wärmekapazität je nach Wasserzusatz von 2,4 bis 4,2 kJ/(kg·K) für reines Wasser. Ein 50/50-Gemisch friert bei −40 °C, siedet bei 108 °C und erreicht eine Wärmekapazität von 3,5 kJ/(kg·K).[16][17]

Ethylenglycol wirkt schwach korrosiv auf Eisenrohre.[18]

Verwendung

Es wurde 1928 von der I.G. Farben in Ludwigshafen als frostsichere Kühlflüssigkeit für Verbrennungsmotoren entwickelt und unter dem Markennamen Glysantin vertrieben.[19]

(Mono)Ethylenglycol dient heute hauptsächlich zur Herstellung von Polyesterfasern und Polyethylenterephthalat, einem Polyester aus stöchiometrischen Mengen Terephthalsäure und Ethylenglycol mit 100 % Veresterungsgrad.[20] 45 % der weltweit produzierten Menge wird in China verarbeitet.

Wegen seiner hydrophilen Eigenschaften findet es als Absorptionsmittel für die Entfernung von Wasserdampf aus Erd- und Raffineriegas oder Kreislaufgasen der Hydroraffination Anwendung. Auf allen Verkehrsflughäfen werden Glycol/Wasser-Gemische als Enteisungsmittel für Flugzeuge und Verkehrsflächen genutzt.

In der Forschung wird Ethylenglycol als Lösungsmittel und Reduktionsmittel für die Flüssigphasensynthese von eindimensionalen Metallnanostrukturen verwendet.

Sicherheitshinweise

  • Die Hautdurchgängigkeit von Ethylenglycol ähnelt der von Ethanol und Glycerin. Ethylenglycol wird sehr schwer durch die intakte Haut aufgenommen. Rötung oder Entzündung kann auftreten, bei Kontakt von Augen oder Schleimhäuten können Reizeffekte empfunden werden.[21]
  • Wegen des geringen Dampfdrucks kann es praktisch nur als Aerosol oder Dampf von heißen Ethylenglycol-haltigen Produkten eingeatmet werden.[21]
  • Bei oraler Aufnahme von 30 ml oder mehr handelt es sich um eine schwere, bei mehr als 100 ml um eine lebensbedrohliche Intoxikation.[22] Das BfR gibt für Menschen eine toxische Dosis von 100 mg/kg Körpergewicht an.[23]

Orale Toxizität

Die Giftwirkung ähnelt der einer Methanolvergiftung (gepanschter Alkohol). Wegen des süßen Geschmacks von wasserverdünnten Frostschutzmitteln sind Vergiftungen durch Ethylenglycol nicht ungewöhnlich.[24] Als Antidot wird die sofortige Aufnahme von Trinkethanol empfohlen (150 ml Whisky oder Weinbrand), klinisch wird 4-Methylpyrazol (Fomepizol) oder Ethanol i.v. gegeben.[21]

Zelltoxisch wirkt nicht das Ethylenglycol selbst, sondern dessen Metaboliten mit Aldehydfunktionen, Glycolaldehyd, Glyoxal und Glyoxylsäure. Diese reagieren mit allen Thiol- und Aminofunktionen von Enzymen und Proteinen.[25] Das Enzym Alkoholdehydrogenase (ADH) katalysiert diese Oxidationsschritte (Alkohol → Aldehyd). Die empfohlenen Antidote wirken als kompetitive Hemmer der Alkoholdehydrogenase. Das Enzym Aldehydoxidase (AO) steuert den langsamen Oxidationsschritt (Aldehyd → Carbonsäure).

Unbehandelt verläuft die Vergiftung in drei Stadien über erste Symptome (Schwindel, Trunkenheit, Bewusstseinsstörungen), Schäden an Herz und Leber (nach 12-24 Stunden) bis zum urämischen Koma mit akutem Nierenversagen. Typische Abbau- und Folgeprodukte wie Glycolsäure, Hippursäure und Oxalsäure werden nachgewiesen.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Ethylenglykol – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Eintrag zu Ethylenglycol. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag
  2. a b c d e f g h i j Eintrag zu CAS-Nr. 107-21-1 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich).
  3. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Dissociation Constants of Organic Acids and Bases, S. 8-42.
  4. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-232.
  5. Eintrag zu Ethane-1,2-diol im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  6. Datenblatt Ethylene glycol bei Sigma-Aldrich (PDF). Angabe des Markenparameters in Vorlage:Sigma-Aldrich fehlerhaft bzw. nicht definiertVorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  7. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte
  8. CRC-Handbook, S. 5-22 (Memento vom 26. April 2015 im Internet Archive).
  9. SHELL OMEGA-Verfahren von 2007
  10. Shell factsheet
  11. Greencol Taiwan Corporation Bio-MEG Plant, Taiwan, China
  12. MENA-Region: Arabische Welt im Wandel 2013
  13. a b E. Brandes, W. Möller: Sicherheitstechnische Kenngrößen – Band 1: Brennbare Flüssigkeiten und Gase. Wirtschaftsverlag NW – Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bremerhaven 2003.
  14. Nikos G. Tsierkezos, Ioanna E. Molinou: Thermodynamic Properties of Water + Ethylene Glycol at 283.15, 293.15, 303.15, and 313.15 K. In: Journal of Chemical & Engineering Data. Band 43, Nr. 6, 1. November 1998, ISSN 0021-9568, S. 989–993, doi:10.1021/je9800914.
  15. Der Explosionsbereich liegt zwischen 3,2 Vol.-% (80 g/m3) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 43 Vol.-% (1090 g/m3) als obere Explosionsgrenze (OEG).
  16. schmidtler.de: Frostschutzmittel
  17. Datenblatt Glycosol N (PDF; 689 kB) bei glykolundsole.de
  18. Wolfgang Stichel: Einsatz von Frostschutzmitteln in Heizanlagen: Alterung von Glykol-/Wassergemischen. Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, 125 Jahre IKZ-Haustechnik, Ausgabe 21/1997, S. 32ff.
  19. BASF-History 1924-1944
  20. Bericht zur Weltmarktlage von PTA und MEG, 2007
  21. a b c BASF Medizinische Leitlinien bei akuten Einwirkungen von Ethylenglykol, Informationen und Empfehlungen für Rettungsassistenten/Notärzte/Ärzte vor Ort. (Stand: 2012; PDF; 36 kB)
  22. Als minimale letale Dosis für den Menschen werden etwa 100 ml (GESTIS) und 1,4 g/kg Körpergewicht (Agency for Toxic Substances and Disease Registry: Toxicological Profile for Ethylene Glycol, S. 50) angegeben. In Einzelfällen und mit optimaler medizinischer Therapie wurde auch die Aufnahme von zirka 1000 ml (GESTIS) Ethylenglycol überlebt.
  23. BfR - Ärztliche Mitteilungen bei Vergiftungen, S. 39-42 (2005)
  24. Merck Veterinary Manual - Overview of Ethylene Glycol Toxicity (rev. May 2013).
  25. G. Eisenbrand, M. Metzler: Toxikologie für Chemiker, Georg Thieme Verlag Stuttgart ISBN 3-13-127001-2, Seite 207.