Günter Amendt

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Günter Amendt (* 8. Juni 1939 in Frankfurt am Main; † 12. März 2011 in Hamburg) war ein deutscher Sozialwissenschaftler und Autor. Er befasste sich vor allem mit den Themen Sexualität und Drogen. Der Soziologe Gerhard Amendt ist sein Zwillingsbruder.

Leben

Als „prägende Erfahrung“ seiner Jugend und Beginn seiner Politisierung bezeichnete Amendt Probleme mit der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in den 1950er Jahren.[1] Nach dem Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg am Hessenkolleg in Frankfurt am Main studierte er Soziologie, Psychologie und Germanistik. Er betätigte sich auch politisch: zunächst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund, nach dessen Auflösung in der neu gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei.

Amendt wurde 1972 in Gießen mit einer empirischen Untersuchung zum Sexualverhalten von Jugendlichen in der Drogensubkultur promoviert. In den 1970er Jahren war Amendt freier Mitarbeiter der damaligen Abteilung für Sexualforschung (heute: Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie) im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und gehörte dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung an. Aus dieser Zeit stammen seine bekanntesten Bücher Sex-Front (seit 1970 mehr als 500.000 Exemplare)[2] und Das Sex-Buch (1979). Amendt bezeichnete sich selbst als „einen Mann, der aus seiner Homosexualität keinen Hehl macht“.[1]

Ab dem Jahre 1976 war Amendt als Autor der Zeitschrift konkret tätig und veröffentlichte mehr als 130 Artikel. Für einige Zeit war er auch deren Redakteur. Im Jahr 1978 begleitete Amendt auf Einladung des Impresarios Fritz Rau den Sänger Bob Dylan und dessen Band auf einem Teil ihrer Europatournee. Amendt sollte den Musikern während der Reise bei Fragen über die Bundesrepublik Deutschland Auskunft geben.[3]

Anfang der 1990er Jahre zog sich Amendt aus der sexualwissenschaftlichen und sexualpolitischen Diskussion zurück. Die Schwerpunkte seiner späteren Arbeit waren Drogenpolitik und das Drogenproblem. Er arbeitete als Therapeut in einer Hamburger Drogenklinik und veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema. Er war ein Kritiker der Keine-Macht-den-Drogen-Kampagne.[4]

Für den Hörfunk schrieb er zahlreiche Radio-Features, Hörspiele und Essays, zum Beispiel die dreistündigen Lange Nacht zum Sechzigsten von Bob Dylan (Juni 2001)[5] und Die Lange Nacht vom LSD (März 2008)[6] – beide vom Deutschlandfunk ausgestrahlt.

Im Jahr 2002 las Amendt, gemeinsam mit dem Schauspieler Martin Semmelrogge und dem Musiker Smudo, den 1971 von Hunter S. Thompson geschriebenen Roman Fear and Loathing in Las Vegas ein. Die Session wurde aufgezeichnet, umfasste am Ende 3:57 Stunden und wurde von Kein & Aber Records veröffentlicht. Gemeinsam mit Semmelrogge und Smudo ging Amendt 2000/01 mit einer leicht gekürzten Fassung des Werks auf Lesetour durch Deutschland.

Günter Amendt wohnte und arbeitete in Hamburg. Dort kam er am 12. März 2011 ums Leben, als er zusammen mit anderen Personen auf dem Gehweg von einem Auto erfasst wurde. Bei dem Unfall starben auch Dietmar Mues und dessen Ehefrau Sibylle, die mit Amendt eng befreundet waren, sowie die Bildhauerin Angela Kurrer.[7][8] Der Unfallverursacher, 39 Jahre alt, hatte in den Vorjahren mehrere Verkehrsunfälle verursacht.[9] Der Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete den Entzug der Fahrerlaubnis an.[10]

Posthum wurde von Andreas Leobell im Mai 2014 eine Sammlung von drogenpolitschen Vorträgen Amendts publiziert.[11] Einige der Vorträge sind auf der Website des Verlags als Hörbeispiele abrufbar.[12]

Rechtslage zum „Sex-Buch“

Zwei deutsche Amtsgerichte stuften ein im Sex-Buch abgedrucktes Foto als „kinderpornografisch“ ein. Damit könnte bereits der bloße Besitz eines der insgesamt etwa 200.000 verkauften Exemplare dieses populären Aufklärungsbuchs strafbar sein.[13] Das Amtsgericht Mannheim ließ im Dezember 1998 beim Herausgeber einer Schülerzeitung, in der das Bild abgedruckt wurde, neben den Restexemplaren der Zeitschrift selbst auch die in seinem Besitz befindlichen Exemplare von Amendts Büchern Sexfront und Das Sex-Buch beschlagnahmen.[14] In einem anderen Fall bezeichnete das Amtsgericht Mühldorf am Inn das Bild als „eindeutig kinderpornographisches Material“ und erwirkte im November 1999 gegen eine Privatperson eine Hausdurchsuchung wegen Besitzes desselben.[15] Allerdings existiert bisher kein bundesweit gültiger gerichtlicher Beschlagnahmungsbeschluss nach § 184b StGB und es wurde auch keine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ausgesprochen. Daher wird das Buch im Buch- und Antiquariatshandel angeboten und von öffentlichen Bibliotheken für Personen jeden Alters zur Ausleihe bereitgehalten.

Rezeption von Sexfront

In Bezug auf die „Jugendgefährdung“ von Sexfront schrieb der Hamburger Erziehungswissenschaftler Friedrich Koch 1971: „Man mag zu dem Ansatz von Amendt stehen wie man will: Sein Buch übertrifft weitaus das meiste, was an Informationen zum Verhältnis der Geschlechter von Broschürenverfassern beigetragen wurde. Dabei scheint uns sein ethischer Ansatz weiter zu reichen, als manch eine individualistisch-elitäre Konzeption klerikaler Provenienz. Schließlich ist es schwer vorstellbar, dass ein Leser nach dieser Lektüre in Zwangsgrübeleien und Selbstmordneigungen verfällt, was nach der Indoktrination durch kirchlich orientierte Autoren nicht immer ausreichend gewährleistet scheint.“[16] Natias Neutert lobte ausdrücklich Amendts darüber noch hinausreichenden politischen Weitblick: „Amendt verharrt nicht in der Sexualaufklärung: wie jeder gescheitere Aufklärer geht er aufs Ganze. Von allen angeschnittenen Problemen zog er die politische Wurzel, z. B. vom (so genannten) ‚Frauenschicksal‘ zur Frauenemanzipation – SEXFRONT empfehle ich, weil es der Lesermasse nicht nach dem Munde, sondern nach deren Interesse redet.“[17]

Schriften

  • (Hrsg.) Kinderkreuzzug oder Beginnt die Revolution an den Schulen? Rowohlt, Reinbek 1968, ISBN 3-499-11153-5
  • Sexfront. März, Frankfurt am Main 1970; zuletzt in: Die große März-Kassette. Area, Erftstadt 2004, ISBN 3-89996-029-7[18]
  • Zur sexualpolitischen Entwicklung nach der antiautoritären Schüler-und Studentenbewegung. In: Hans-Jochen Gamm, Friedrich Koch (Hrsg.): Bilanz der Sexualpädagogik. Frankfurt am Main / New York 1977, S. 17 ff.
  • Sexfront. Revisited. In: Zeitschrift für Sexualforschung. 19. Jg., 2006, Heft 2, S. 159 ff.
  • Sucht, Profit, Sucht. Politische Ökonomie des Drogenhandels. März, Frankfurt am Main 1972; Rowohlt, Reinbek 1990, ISBN 3-499-18777-9
  • Haschisch und Sexualität. Eine empirische Untersuchung über die Sexualität Jugendlicher in der Drogensubkultur. Enke, Stuttgart 1974, ISBN 3-432-01836-3
  • Das Sex-Buch. Weltkreis, Dortmund 1979; Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-19945-9
  • Reunion Sundown, Jokerman 84 revisits Highway 61. Eine Robertage über Dylans Europa-Tournee 1984. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1985
  • Der große weiße Bluff. Die Drogenpolitik der USA. Eine Reportage. Konkret, Hamburg 1987, ISBN 3-922144-65-9
  • (Hrsg.) Natürlich anders. Zur Homosexualitätsdiskussion in der DDR. Pahl-Rugenstein, Köln 1989, ISBN 3-7609-1293-1
  • The Never Ending Tour. Günter Amendt über Bob Dylan. Konkret, Hamburg 1991, ISBN 3-89458-104-2
  • Die Droge – Der Staat – Der Tod. Auf dem Weg in die Drogengesellschaft. Rasch und Röhring, Hamburg 1992; Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-19942-4
  • XTC. Ecstasy und Co. Alles über Partydrogen. Rowohlt, Reinbek 1997, ISBN 3-499-60425-6
  • Back to the Sixties. Bob Dylan zum Sechzigsten. Konkret, Hamburg 2001, ISBN 3-89458-199-9
  • No Drugs – no Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-203-75013-9
  • Die Legende vom LSD. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-86150-862-5
  • mit Gunter Schmidt und Volkmar Sigusch: Sex tells. Sexualforschung als Gesellschaftskritik. Konkret, Hamburg 2011, ISBN 978-3-930786-61-9
  • Legalisieren! Vorträge zur Drogenpolitik. Herausgegeben von Andreas Loebell. Rotpunktverlag, Zürich 2014 (mit beigelegter CD: Günter Amendt spricht), ISBN 978-3-85869-590-1

Nachrufe

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Günter Amendt: Eine Absage als Nachwort. In: Werner Pieper (Hrsg.): Alles schien möglich … Die grüne Kraft, Löhrbach 2007, S. 246
  2. Laut verzeichneter Publikationen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, Stand Februar 2007
  3. Manfred Helfert: Renowned Dylan author Günter Amendt & actor Dietmar Mues among four dead killed in freak accident. bobdylanroots.blogspot.de, 14. März 2011
  4. G. Amendt: Kicks, Koks, Kohl. Die verlogene Kampagne „Keine Macht den Drogen“. In: Die Zeit, Nr. 17/1998.
  5. Eine Lange Nacht zum Sechzigsten von Bob Dylan im Deutschlandfunk, 19. Mai 2001.
  6. Die Lange Nacht vom LSD im Deutschlandfunk, 8. März 2008.
  7. Amendt und Mues sterben bei Horror-Unfall. Spiegel Online, 13. März 2011
  8. Tragödie in Hamburg. Eppendorfer trauern um vier Persönlichkeiten. Hamburger Abendblatt, 14. März 2011
  9. Todesfahrt mit Ansage. Spiegel Online, 10. November 2011
  10. ndr.de
  11. Legalisieren! Vorträge zur Drogenpolitik. Herausgegeben von Andreas Loebell. Rotpunktverlag, Zürich 2014
  12. rotpunktverlag.ch
  13. fluter – Das Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung 29. Juli 2003.
  14. die tageszeitung, 22. Januar 1999, S. 16: Ganz schön extrem. Weil er ein Bild aus einem uralten Aufklärungsbuch veröffentlichte, wird in Mannheim gegen den Herausgeber einer Schülerzeitung ermittelt.
  15. Johannes Glötzner: „Der Zensor geht um“ oder „In welcher Zeit leben wir?“ In: Mitteilungen der Humanistischen Union, Nr. 116, 2000, S. 16; abgerufen 19. Februar 2007.
  16. Friedrich Koch: Sprachliche Aspekte der Sexualerziehung. In: Bildung und Erziehung, Nr.1/1971, S. 29 ff. hier: S. 36
  17. Natias Neutert: Lustgewinn für alle. In: Hamburger Morgenpost, 3. Februar 1971
  18. In dieser 13-bändigen Ausgabe als Band Reader Sexualität, zusammen mit Gunter Schmidts Werk Das große Der die Das. Über das Sexuelle von 1986.