Horten H IX

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. August 2016 um 23:53 Uhr durch Bergfalke2 (Diskussion | Beiträge) (Änderung 157410993 von 217.246.6.235 rückgängig gemacht;). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Horten H IX
Dreiseitenprojektion der H IX V1
Dreiseitenprojektion der H IX V1
Typ Jagdflugzeug
Entwurfsland

Deutsches Reich NS Deutsches Reich

Hersteller Gebrüder Horten
Gothaer Waggonfabrik (vorgesehene Produktionsfirma)
Erstflug 1. März 1944 (Horten H IX V1)
2. Februar 1945 (Horten H IX V2)
Indienststellung
Produktionszeit

erreichte nur Prototypenstadium

Stückzahl 3 bekannte Prototypen

Die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gebaute Nurflügel-Konstruktion Horten H IX war die konsequente Weiterführung des Nurflügelkonzeptes der Gebrüder Horten in das Jet-Zeitalter. H IX war die Bezeichnung der ersten beiden Prototypen. Das Reichsluftfahrtministerium vergab für die Serienproduktion die Nummer 8-229, wobei die 8 eine Codenummer für Flugzeuge im Allgemeinen war.

Teilweise wird auch die Bezeichnung Gotha Go 229 – nach der vorgesehenen Produktionsfirma Gothaer Waggonfabrik – verwendet. In der Praxis war jedoch im Allgemeinen die Produktionsfirma für die Namensgebung unerheblich. Da die Brüder Horten keine Angestellten der Gothaer Waggonfabrik waren und zudem offiziell eine eigene Flugzeugfirma – wenn auch ohne nennenswerte Produktionskapazitäten – unterhielten, ist die Namensgebung Horten Ho 229 wahrscheinlicher. Diese Bezeichnung wurde auch in den Wochenberichten der Erprobungsstelle Rechlin verwendet.

Geschichte

Entwicklung

Die Entwicklung dieses Flugzeugs verlief innerhalb des eigens in Göttingen geschaffenen „Sonderkommandos IX“. Die Konstruktionsarbeit leistete fast ausschließlich Reimar Horten. Der erste Prototyp H IX V1 war ein unmotorisiertes Segelflugzeug, das von Heinz Scheidhauer am 1. März 1944 erstmals geflogen wurde. Scheidhauer hatte große Erfahrung mit den Nurflügelkonstruktionen von Horten und bescheinigte dem Flugzeug ein sehr gutes Flugverhalten.

Der zweite Prototyp sollte mit Strahltriebwerken ausgerüstet werden. Geplant waren zunächst die BMW-003-Triebwerke. Da die Entwicklung bei BMW aber nicht in gewünschtem Maße voranschritt, musste auf Junkers Jumo 004-Triebwerke ausgewichen werden. Dieses Triebwerk war jedoch vor allem im Durchmesser größer als das Aggregat von BMW; daher musste der Rumpf umgebaut werden. Das Ergebnis war ein noch heute futuristisch anmutendes Düsenflugzeug, das vermutlich schon am 18. Dezember 1944 in Oranienburg mit Erwin Ziller einen kurzen ungeplanten und am 2. Februar 1945 dann den offiziellen Erstflug absolvierte. Auch dabei wurden dem Flugzeug gute Flugeigenschaften bescheinigt. Bei einem Vergleichsfliegen mit einer Messerschmitt Me 262 soll die H IX aufgrund der geringeren Flächenbelastung ein besseres Kurven- und Steigflugverhalten gezeigt haben. Diese Darstellung erscheint plausibel; die geringe Anzahl an insgesamt absolvierten Testflügen und das Fehlen von Dokumenten über dieses Ereignis geben jedoch Anlass zum Zweifel, ob dieses Vergleichsfliegen tatsächlich stattgefunden hat.

Hermann Göring war vom Entwurf dieses Flugzeuges derart fasziniert, dass er direkt danach einen Fertigungsauftrag über 40 Flugzeuge an die Firma Gothaer Waggonfabrik erteilen ließ. Beim dritten – bzw. mit dem Probeflug vom 18. Dezember 1944 vierten – Versuchsflug kam es am 18. Februar 1945 nach etwa 45 Minuten Flugzeit beim Landeanflug jedoch zu einem Unfall. Vermutlich wurde er durch den Ausfall des rechten Triebwerkes ausgelöst, das zugleich die Hydraulikpumpe antrieb und bereits vor dem Start Probleme bereitet hatte. Erwin Ziller versuchte zuvor noch, im Wellenflug das Triebwerk wieder in Gang zu bringen, und fuhr bereits in 400 Meter Höhe mit Hilfe der Pressluftreserve das Fahrwerk aus. Er konnte das Flugzeug aber nicht mehr unter Kontrolle bringen und stürzte, ohne den Schleudersitz betätigt zu haben, mit dem Flugzeug vor einem Bahndamm ab. Beim Aufprall wurde er aus dem Flugzeug gegen einen Baum im Garten eines Schrankenwärterhäuschens geschleudert und starb durch einen Genickbruch. Die dort ankommenden Beobachter sahen zudem die aus dem Rumpf nach vorn herausgeschleuderten Triebwerke am Bahndamm liegen, von denen das linke noch auslief und warm war, während das rechte Triebwerk bereits erkaltet war.

Damals stand die Front relativ nahe beim Flugplatz Oranienburg, auf dem die Versuche stattfanden. Das „Sonderkommando IX“ wurde bald aufgelöst.

Während des letzten motorisierten Flugversuches war keiner der Horten-Brüder anwesend. Reimar Horten arbeitete bereits an der Horten H XVIII, einem großen Langstrecken-Nurflügel-Bomber, mit dem Angriffe auf die Vereinigten Staaten geflogen werden sollten. Die Verwirklichung eines solchen Projektes war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr möglich.

Der Bau bei Gotha

Während das „Sonderkommando IX“ aufgelöst wurde, waren in Friedrichroda bereits weitere Prototypen unter der Leitung der Gothaer Waggonfabrik im Bau. Die Konstrukteure der Gothaer Waggonfabrik nahmen einige konstruktive Veränderungen vor, insbesondere einige Vereinfachungen im Hinblick auf die geplante Serienproduktion. Zunächst wurden V3 bis V5 in Auftrag gegeben. Die Serienproduktion wurde mit BMW-003-Triebwerken geplant, mangels Verfügbarkeit mussten V3 bis V5 jedoch noch mit Jumo-004-Triebwerken ausgerüstet werden, obwohl die Erprobungsstelle Rechlin dies als „wartungstechnisch und flugsicherheitsmäßig nicht zu verantworten“ bezeichnete. Bei der Gothaer Waggonfabrik wurde ein verändertes Mittelstück geplant, das einen breiteren Führersitz und einen größeren Triebwerksabstand haben sollte. Durch den größeren Triebwerksabstand hätten die Munitionskästen jedoch aus dem Mittelstück in die Außenflügel verlegt werden müssen, was auf Kosten der Treibstoffkapazität und damit der Reichweite gegangen wäre. V6 bis V8 wurden mit diesem geänderten Rumpf als Aufklärer geplant. Noch Ende März 1945 wollte sich die „Technische Luftrüstung“ mangels ausreichender Erprobung auf keinen konkreten Verwendungszweck festlegen. Es wurden aber noch zehn weitere Versuchsmuster V6 bis V15 in Auftrag gegeben. In Ilmenau wurde währenddessen außerdem eine Attrappe in der Auslegung der vorgesehenen V6 gebaut. Diese sollte als Muster für die Serienproduktion dienen und wurde daher laufend mit den während der Konstruktion durchgeführten Änderungen versehen.

Am 14. April 1945 erreichten US-Truppen die Fertigungsstätte in Friedrichroda und erbeuteten dabei neben Konstruktionsunterlagen den fast fertiggestellten Rumpf der V3.[1]

Der Konflikt zwischen Horten und Gotha

Die H IX sollte zunächst primär als Jagdflugzeug eingesetzt werden. Göring hatte bereits den Einsatz beim 1./JG 400 auf dem Flugplatz Brandis vorgesehen – dort waren zu diesem Zeitpunkt Me-163-Raketenflugzeuge stationiert. Bei der Gothaer Waggonfabrik zweifelte man an der Eignung dieses Flugzeuges als Jagdflugzeug; man sah es eher in der Rolle eines Bombers, da man annahm, die Horten könne mangels konventionellen Leitwerks gegnerische Bomber nicht präzise genug anvisieren. Die Horten-Brüder setzten anstelle eines konventionellen Seitenleitwerks Luftbremsen nahe den Flügelenden ein. Bei Gotha versuchte man mit einem Gegenentwurf, der Gotha P.60, ebenfalls ein Nurflügelflugzeug durchzusetzen – dies jedoch mit konventionellem Leitwerk und Seitenruder.

Die Weiterentwicklung bei Horten und Gotha erfolgte weitgehend unabhängig voneinander, was rückblickend zu Verwirrungen führt. So sollte die von Gotha geplante V6 (wie oben erwähnt) ein verbreitertes Cockpit erhalten und V6 bis V8 sollten als Aufklärer ausgerüstet werden. Die Brüder Horten entwickelten, offenbar in Unkenntnis der Planungen bei Gotha, eine zweisitzige Variante mit der Bezeichnung H IXb, die ebenfalls als V6 bezeichnet wurde, sowie einen zweisitzigen Nachtjäger mit der Bezeichnung V7.

Konstruktion

Der Rumpf bestand im Wesentlichen aus einem mit Sperrholz beplankten Rohrgerüst; die Tragflächen wurden ausschließlich aus Holz gefertigt. Ausfahrbare Klappen nahe den Flügelenden fungierten als Seitenruder. Das Flugzeug sollte ursprünglich mit einem federbetätigten Schleudersitz ausgerüstet werden. Da dieser jedoch von der Erprobungsstelle Rechlin als unzureichend beurteilt wurde, sollte schließlich ein mit einer Sprengkartusche betätigter Katapultsitz zum Einsatz kommen. Da keine Druckkabine vorhanden war, entwickelte die Firma Dräger für Flüge in großen Höhen einen ersten Druckanzug für den Piloten, der mit seinem Helm wie ein Vorläufer heutiger Raumanzüge anmutete, sich aber in der vorgesehenen Ausführung als unpraktisch erwies.

Verbleib

Verladung des Rumpfes einer Horten H IX im August 1945 zum Transport in die Vereinigten Staaten
Rumpf der Ho IX V3 in der Smithsonian Institution Garber Restoration Facility (2000)
Rückseite der Horten IX V3
Chassis der Horten Ho IX

Die V1 wurde nach der Untersuchung durch die Amerikaner schwer beschädigt zurückgelassen und schließlich wohl verbrannt.

Eine H IX gelangte ins Vereinigte Königreich, um in Farnborough untersucht zu werden. Es ist nicht geklärt, um welche Maschine es sich dabei handelte. Da Eric Brown, der zahlreiche erbeutete deutsche Flugzeuge für Großbritannien untersuchte, angab, die Maschine habe ausgesehen, als wäre sie abgestürzt, handelte es sich vermutlich um die Reste der V2 aus Oranienburg.

Der fast fertiggestellte Rumpf der V3 wurde von den Amerikanern in Friedrichroda erbeutet. Die ebenfalls noch unfertigen Tragflächen wurden in Sonneberg konfisziert und vermutlich in den USA fertiggestellt. Es war ursprünglich vorgesehen, auf Freeman Field Testflüge zu unternehmen. Diese blieben jedoch insbesondere wegen der Bedenken gegen die unzuverlässigen Jumo-004-Triebwerke aus. Die V3 wurde nach dem Krieg in den USA lackiert, um sie auf Beuteschauen zu zeigen. Danach gelangte sie in die Paul E. Garber Facility des National Air and Space Museum. Seit 2014 wird sie im Restoration Hangar des Steven F. Udvar-Hazy Center restauriert und kann von der Besuchergalerie aus besichtigt werden[2].

V4 wurde von den Amerikanern als zu zwei Dritteln fertiggestellt eingeschätzt. In das Rohrgerüst der V4 waren bereits die Triebwerke eingebaut. V5 war gerade erst begonnen worden, lediglich das Rohrgerüst war vorhanden. Der weitere Verbleib von V4 und V5 ist ungeklärt. Die Attrappe der V6 war beim Eintreffen der Amerikaner in Ilmenau bereits zerstört. Lediglich einige der Steuerflächen der V6 waren noch intakt.

Technische Daten

Kenngröße Horten IX V3[3]
Besatzung 1 Pilot
Länge 7,47 m
Spannweite 16,8 m
Höhe 2,81 m
Flügelfläche 50,20 m²
Leergewicht 4.600 kg
Nutzlast 1.000 kg
max. Startgewicht 8.100 kg
Höchstgeschwindigkeit 977 (1.000) km/h*
Steigrate 1.320 m/min*
Dienstgipfelhöhe 15.000 m*
Reichweite 1.900 km*
Triebwerke 2 × Jumo-004B2-Strahltriebwerk, je 8,7 kN Schub
Bewaffnung 4 × MK 108 (geplant)

* = geplante bzw. errechnete Daten (die Ho 229 V3 ist im Gegensatz zur H IX V2 nie geflogen)

Andere Nurflügel-Entwicklungen

Insbesondere in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich wurden während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls Nurflügelflugzeuge entwickelt und gebaut. Nennenswert sind beispielsweise die Baynes Bat und zahlreiche Konstruktionen bei Northrop. Es ist bekannt, dass sich 1945 insbesondere Mitarbeiter von Northrop die erbeuteten Horten-Konstruktionen genauer angesehen haben. Die Northrop-Konstruktionen wiesen immer wieder Probleme mit der Flugstabilität auf. Den Horten-Flugzeugen hingegen wurde nachgesagt, dass sie eine gute Flugstabilität gehabt hätten. Die Northrop B-2 wird oft als direkter Ableger der H IX dargestellt – dies ist jedoch nicht nachweisbar. Die B-2 ist ein später Nachfolger der Nachkriegs-Northrop-Konstruktionen XB-35 und YB-49.

Tarnkappeneigenschaften

Reimar Horten behauptete Anfang der 1980er-Jahre, er und sein Bruder Walter hätten gezielt Maßnahmen zur Radartarnung der H IX vorgenommen. Dazu sollte beispielsweise die Beimischung von Kohlenstaub im Leim dienen. Laut Karl Nickel, der für die Horten-Brüder unter anderem aerodynamische Berechnungen vornahm, diente diese Mischung jedoch „bloß als Spachtelmasse“ – der Kohlenstaub habe nur der Gewichtseinsparung gedient.

Die Behauptungen von Reimar Horten und die leichte optische Ähnlichkeit mit dem Tarnkappenbomber Northrop B-2 führten zum möglichen Mythos, die Ho 229 sei das erste Stealth-Flugzeug gewesen. In überlieferten zeitgenössischen Dokumenten finden sich jedoch keinerlei Hinweise auf geplante Radar-Tarntechniken. Die gelegentlich auftauchende Behauptung, im Anstrich sei Kohlenstaub gefunden worden, trifft jedenfalls nicht auf die Ho 229 V3 zu: Sie war unlackiert, als sie erbeutet wurde, und dies auch bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten. Die Lackierung wurde also erst dort aufgebracht.

Northrops Nachbau der Ho IX V3, ausgestellt im Air & Space Museum in San Diego

Anfang des Jahres 2009 wurde bei Northrop im Rahmen einer Dokumentation für den National Geographic Channel ein nicht flugfähiges 1:1-Modell der Ho 229 V3 angefertigt. Mit der aus Holz und Plastik gebauten Attrappe, deren Stahlrohrgerüst, Tanks, Triebwerke und sonstige Ausrüstung durch angeblich gleichermaßen reflektierenden Silber-Spezialanstrich simuliert wurden, machte man Tests bezüglich Radar-Reflexion.

Im Vergleich zu den konventionellen Bombern, die in der Luftschlacht um England in den 1940er-Jahren eingesetzt waren, ergab sich eine um etwa 20 % reduzierte Erfassungsreichweite für die Radaranlagen der Chain Home. In Verbindung mit der höheren Fluggeschwindigkeit hätte sich die Vorwarnzeit von 19 Minuten auf höchstens 8 Minuten verkürzt, bei der üblichen Anflughöhe von rund 15 Metern über See hätte sie vermutlich nur 2,5 Minuten betragen.[4][5]

Hochfrequenzuntersuchungen an der Originalzelle zeigten laut National-Geographic-Bericht eine radarabsorbierende Wirkung der Flugzeughülle.

Literatur

  • Reimar Horten, Peter F. Selinger: Nurflügel. Die Geschichte der Horten-Flugzeuge 1933–1960. Weishaupt, Graz 1993, ISBN 3-900310-09-2.
  • David Myhra: The Horten Ho 9/ Ho 229 Retrospective. Schiffer Publishing, September 2002, ISBN 0-7643-1666-4.
  • David Myhra: The Horten Ho 9/ Ho 229 Technical History. Schiffer Publishing, September 2002, ISBN 0-7643-1667-2.
  • Huib Ottens, Andrei Shepelev: Horten Ho 229 Spirit of Thuringia. Classic Publications 29. September 2006, ISBN 1-903223-66-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. mdr.de: Text zur Fernsehdokumentation „Der unsichtbare Flieger“ (Memento vom 14. Oktober 2013 im Internet Archive)
  2. Smithsonian National Air and Space Museum http://airandspace.si.edu/collections/artifact.cfm?object=nasm_A19600324000
  3. Russ Lee: Horten Ho 229 V3. National Air and Space Museum, 2. September 2004, abgerufen am 9. Januar 2011.
  4. Fernsehdokumentation, National Geographic Channel, s. Minuten 12–14 von 15; englisch.
  5. Fernsehdokumentation, National History Channel, Nachbau der Horten IX von Northrop und Test der Tarnkappeneigenschaften; deutsch.