Karsten Bott

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Karsten Bott (* 1960 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Konzeptkünstler, der sich in seinem Werk vor allem mit Alltagsdingen und ihrer Bedeutung auseinandersetzt. Seit 1988 sammelt er Konsumartikel und Gegenstände des täglichen Bedarfs ab Mitte des 20. Jahrhunderts, um ein „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“ zu schaffen. In Ausstellungen setzt er die Objekte thematisch in Beziehung zueinander.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1986 bis 1991 absolvierte Bott ein Kunststudium an der Frankfurter Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule, besuchte dort die Filmklasse bei Peter Kubelka[2] und studierte 1991 im Rahmen eines Studentenaustauschs am School of the Art Institute of Chicago.[3]

Zwischen 1993 und 2006 war Bott Stipendiat verschiedener Künstlerförderungen und arbeitete, gefördert durch Atelierstipendien, in London, Budapest und im tschechischen Český Krumlov.[3] Bott hielt Gastvorträge an Hochschulen, unter anderem 2002 am College of Design and Art in Cincinnati, 2005 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, 2011 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und 2013 an der Bauhaus-Universität Weimar.[4][5] Von 2012 bis 2014 lehrte er an der Kunsthochschule Kassel.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Archiv für Gegenwarts-Geschichte“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bott sammelt, katalogisiert und archiviert seit 1988 Alltagsgegenstände bevorzugt ab den 1950er Jahren in einem „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“[6][7] mit dem Ziel, „von jedem Ding eines“ in seiner Sammlung zu konservieren, um die „Gesellschaft, in der wir leben, über die Dinge zu repräsentieren oder darzustellen.“[8] „Seinen Wert im kapitalistischen Kreislauf hat all das verloren; stattdessen erfährt es eine Neubewertung im Kontext der Kunst.“[9] Räumlich besteht das Archiv neben der Einsortierung aus einem Lagerraum mit etwa 5000 gefüllten Bananenkartons und etwa 500.000 großen Objekten wie Fenster, Briefkästen oder Lampen. In der Einsortierung werden die Gegenstände am Computer erfasst, nummeriert, eine Karteikarte mit Foto angelegt und die verschiedenen Zuordnungen in einem „Alphabetischen Bestandskatalog“ vermerkt, bevor sie eingelagert werden. 2007 entstand ein fotografischer Katalog mit etwa 2000 Dingen, der „wie eine Enzyklopädie unseres Alltagslebens funktioniert.“[10] Das Ergebnis dieser Spurensicherung „ist eine riesige Sammlung. Alles hängt mit allem irgendwie zusammen, denn Karsten Bott geht es immer um die historische und gesellschaftliche Dimension beim Prozess des Sammelns, Archivierens und Erinnerns.“[3] „Bott verkauft nichts. Er vertritt eine dokumentarische Richtung in der Kunst und steht außerhalb des Kunstmarktes.“[6]

Für Ausstellungen in Museen verwendet Bott die Dinge aus seinem Archiv[2] oder stellt Objekte ortsbezogen zusammen, indem er Gegenstände verwendet, die er in der jeweiligen Stadt findet, in Trödelläden oder aus dem Sperrmüll wählt,[11] wie etwa für die Ausstellungen im Offenen Kulturhaus Oberösterreich in Linz 1993 oder im MoMA PS1 in New York 1998.[7] Er ordnet sie in dafür gefertigten Vitrinen und Regalen an oder flächendeckend auf dem Boden. Über Stege, die eine Draufsicht ermöglichen, sind die Ausstellungsflächen begehbar. Seine Stege, Regale und Vitrinenböden sind stets in RAL-Grau 7040 gehalten.[2] Die Objekte sind so angeordnet, dass sie nicht übereinander liegen oder sich gegenseitig verdecken. Bei den Bodenarbeiten sind die kleineren Gegenstände nah am Steg angeordnet, die größeren weiter hinten.[7] Botts Installationen sind „nach Themenkomplexen strukturiert, die allesamt in wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen und dazu in einem Dialog untereinander stehen.“[9][12] Er ordnet die ausgestellten Alltagsgegenstände dazu nach bestimmten Themen wie etwa Fortbewegung, Krieg, Nahrungsaufnahme, Küche, Jugend, Familie, Krankenhaus, Medizin oder Sexualität.[3][8] Bei den Bodenarbeiten markiert er Felder, die dann mit den thematisch passenden Objekten belegt werden, bei den Regal- und Vitrinenarbeiten dienen die einzelnen Fächer zur Themenabgrenzung.[7] „Man erkennt sofort, dass der Inhalt der Fächer nicht zufällig zusammengestellt wurde, sondern einem Ordnungsprinzip unterworfen ist“, das der Betrachter sich selbst erschließen muss.[13][14]

2021 fanden unter dem Titel Von Jedem Eins eine Reihe von Musikperformances mit Oliver Augst und Marcel Daemgen im Atelierhaus basis in Frankfurt am Main statt.[15]

„Hosentaschensammlung“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit den 1990er Jahren sammelt Bott täglich die Dinge, die er im Laufe des Tages in seinen Hosentaschen getragen hat, eigene Gebrauchsgegenstände, Fragmente von Dingen, aber auch Fundstücke. In Ausstellungen präsentiert er sie, nach Woche des Sammels und nach Größe geordnet, in Vitrinen, „in der die Exponate ihrer ursprünglichen Verwendung endgültig enthoben sind und Bleistiftstummel, Knöpfe, Schrauben, Handydisplays und eine Menge Undefinierbares zu einer einzigen Struktur des Alltags verschmelzen.“[7][9]

Kurzfilme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während und nach seinem Studium drehte Bott zwischen 1988 und 1994 mehrere Kurzfilme. Mit dem 17-minütigen 16mm-Farb-Kurzfilm American Bread & Breasts gewann Bott 1992 beim 30. Ann Arbor Film Festival.[3][16] Vereinzelt wurden die Filme im Rahmen seiner Ausstellungen gezeigt, wie etwa 2000 in der Ausstellungshalle Frankfurt[17] oder 2014 im Neuen Kunstverein Wuppertal.[18] Der 30-minütige Super-8-Farb-Kurzfilm Tag und Nacht Wäschefrau von 1988 „widmet sich auch filmisch dem Studium des Alltags.“ Dazu entstand ein halbes Jahr lang mit einer festmontierten Kamera automatisch alle acht Minuten ein Bild vom Küchenfenster einer Frau und der dort aufgehängten Wäsche.[19] 2014 wurde der Film im Rahmen des achtzigsten Geburtstags von Peter Kubelka im Österreichischen Filmmuseum gezeigt.[20]

Auszeichnungen und Stipendien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ständige Ausstellungen / Werke im öffentlichen Raum

  • Seit 2017: Installation Von jedem eins in der Dauerausstellung „Frankfurt Einst?“ des Historischen Museums Frankfurt in einem der beiden Studierzimmer[26]
  • Seit 2001: raumgreifende Skulptur Möbel und Kuchen aus in Beton gegossenen Alltagsgegenständen[27] im SkulpTourenPark in Dietzenbach, der im Rahmen des Hessentages 2001 angelegt wurde[22]
  • Seit 2000: Installation Von jedem eins – kopfgross in der historischen Kunst- und Wunderkammer des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe[28]

Einzelausstellungen (Auswahl)

Gruppenausstellungen (Auswahl)

Publikationen und Ausstellungskataloge (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Anne Berk: Liebes Ding – Object Love. Ausstellungskatalog. Museum Morsbroich (Hrsg.), Verlag für moderne Kunst, Wien, 2020, ISBN 978-3-903320-49-9
  • Gleiche Vielfache – Karsten Bott. Ausstellungskatalog. Historisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Frankfurt am Main, 2015, ISBN 978-3-89282-056-7
  • Anette Hüsch: From Trash to Treasure. Vom Wert des Wertlosen in der Kunst. Ausstellungskatalog. Kunsthalle Kiel, Anette Hüsch (Hrsg.), Kerber art, Bielefeld/Berlin, 2011, ISBN 978-3-86678-626-4
  • Karsten Bott: Von Jedem Eins. Bildband. König, Köln, 2007, ISBN 978-3-86560-267-1 (engl. Ausgabe: One of each. König, Köln, 2007, ISBN 978-3-86560-307-4)
  • Menschen, Mächte, Märkte. Kunst und Erinnerung. Ausstellungskatalog. Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, Stadt Villingen-Schwenningen (Hrsg.), 1999, ISBN 978-3-927987-55-5
  • Deep Storage: Collecting, Storing, and Archiving in Art. Ausstellungskatalog. Prestel Verlag, München, 1998, ISBN 978-3-79131-920-9
  • Karsten Bott, Daniel Stier, Iris Reepen: Gelbe Säcke. Ausstellungskatalog. Kunsttage Dreieich 8. Städtische Galerie (Dreieich) (Hrsg.), Dreieich, 1998
  • Karsten Bott, Andreas Exner, Ulrike Gabriel, Nikolaus List, Charlotte Malcolm-Smith, Susanne Paesler, Andreas Schlaegel, Martin Schmidt/Florian Haas, Markus Zuckermann: Absolventen der Städelschule Frankfurt. Neunte Ausstellung der Jürgen Ponto-Stiftung 1995. Ausstellungskatalog. Frankfurter Kunstverein Steinernes Haus am Römerberg (Hrsg.), Jürgen Ponto-Stiftung zur Förderung junger Künstler, Frankfurt am Main, 1995

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sabiene Autsch: Der Umgang mit den Dingen im Archiv für Gegenwarts-Geschichte. Karsten Bott im Gespräch mit Sabiene Autsch. In: Material und künstlerisches Handeln: Positionen und Perspektiven in der Gegenwartskunst. Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hrsg.), transcript Verlag, Wien, 2017, ISBN 978-3-839434-17-8, S. 133–144
  • Jean-Christophe Ammann: Kunst? Ja, Kunst!: Die Sehnsucht der Bilder. Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2014, ISBN 978-3-864895-46-3, Kap. 4, Gesellschaft: Weltumfangend – Karsten Bott, S. 169–175

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Anna von Münchhausen: Das Ding hat überlebt. In: Die Zeit, Ausgabe 03 vom 15. Januar 2015. Abgerufen am 8. September 2020
  2. a b c d e Werkleitz Gesellschaft: Karsten Bott. Abgerufen am 28. August 2020
  3. a b c d e f Silogespräche der Universität Paderborn: Karsten Bott. Das Archiv für Gegenwarts-Geschichte - "Von Jedem Eins". Mitteilung vom 17. Juni 2013. Abgerufen am 15. August 2020
  4. Bauhaus-Universität Weimar: One of Each: The Archive of Contemporary History vom 16. Dezember 2013. Abgerufen am 6. September 2020
  5. Website von Karsten Bott: Info. Abgerufen am 6. September 2020
  6. a b Marc Peschke: Wo Kunst wie ein Riesenflohmarkt ausschaut. In: Handelsblatt vom 4. April 2011. Abgerufen am 15. August 2020
  7. a b c d e f Sabiene Autsch: Der Umgang mit den Dingen im Archiv für Gegenwarts-Geschichte. Karsten Bott im Gespräch mit Sabiene Autsch. In: Material und künstlerisches Handeln: Positionen und Perspektiven in der Gegenwartskunst. Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hrsg.), transcript Verlag, Wien, 2017, ISBN 978-3-839434-17-8, S. 133–145
  8. a b Karsten Bott: Der Allessammler. SWR2 „Matinee“ vom 24. Mai 2020, 9:00 min. Abgerufen am 16. August 2020
  9. a b c d Christoph Schröder: Die Dingwelt spricht. In: Frankfurter Rundschau vom 7. März 2011. Abgerufen am 15. August 2020
  10. Website von Karsten Bott: Archiv. Abgerufen am 15. August 2020
  11. Denise Wilde: Dinge sammeln: Annäherungen an eine Kulturtechnik. transcript Verlag, Bielefeld, 2015, ISBN 978-3-8376-2940-8, S. 205
  12. a b Maximilian Burk: Ausstellung "Liebes Ding" im Museum Morsbroich. WDRWest ART“ vom 25. Januar 2020, (03:35 min), Min. 01:55-03:35. Abgerufen am 16. August 2020
  13. a b Hans Riebsamen: Schau „Gleiche Vielfache“: Die Welt in 5000 Bananenkisten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. April 2015. Abgerufen am 15. August 2020
  14. Jean-Christophe Ammann: Kunst? Ja, Kunst!: Die Sehnsucht der Bilder. Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2014, ISBN 978-3-864895-46-3, Kap. 4, Gesellschaft: Weltumfangend - Karsten Bott, S. 169–175
  15. Stefan Michalzik: Dinge und wie sie klingen: Blubbern und Fiepen. In: fr.de. 19. Dezember 2021, abgerufen am 30. Januar 2024.
  16. a b Programmheft: 30th Ann Arbor Film Festival. Abgerufen am 15. August 2020
  17. a b Sandra Danicke: Die Dinge. Karsten Botts Sammlung . Artikel der Frankfurter Rundschau, Kulturspiegel vom 20. Mai 2000 auf der Seite der Ausstellungshalle Frankfurt. Abgerufen am 3. September 2020
  18. a b Neuer Kunstverein Wuppertal: Karsten Bott - Dinge. Abgerufen am 3. September 2020
  19. Website von Karsten Bott: Filme. Abgerufen am 28. August 2020
  20. Österreichisches Filmmuseum: Studieren bei Kubelka – Städelschule 3. Abgerufen am 28. August 2020
  21. Egon Schiele Art Centrum: Künstler. Abgerufen am 9. Juli 2023
  22. a b Kreisstadt Dietzenbach: SkulpTouren Park. Abgerufen am 3. September 2020
  23. Hessische Kulturstiftung: Scholarship Recipients: Karsten Bott. Abgerufen am 6. September 2020
  24. Jürgen Raap: Nachrichtenforum: Preise & Stipendien. In: Kunstforum International: Pandoras Box: Design - Zu einer Ikonografie der Gestaltung des Nützlichen. Malerei: Folge I, Bd. 130, 1995, S. 18–21
  25. Karsten Bott, Andreas Exner, Ulrike Gabriel, Nikolaus List, Charlotte Malcolm-Smith, Susanne Paesler, Andreas Schlaegel, Martin Schmidt/Florian Haas, Markus Zuckermann: Absolventen der Städelschule Frankfurt: Neunte Ausstellung der Jürgen Ponto-Stiftung 1995. Frankfurter Kunstverein (Hrsg.), Jürgen Ponto-Stiftung zur Förderung junger Künstler, Frankfurt 1995
  26. Historisches Museum Frankfurt: Künstlergespräch: Karsten Bott - Thomas Bayerle. Abgerufen am 3. September 2020
  27. Kreisstadt Dietzenbach: Möbel und Kuchen. Abgerufen am 3. September 2020
  28. Woher und Wohin? Sammeln im Museum. Museumsverbandstexte, Heft Nr. 15, Hessischer Museumsverband e. V. (Hrsg.), Kassel 2013, S. 16–18
  29. Werkgespräch mit Karsten Bott in der Kunsthalle. In: Rhein Zeitung vom 23. März 2011. Abgerufen am 15. August 2020
  30. Museum Morsbroich: 26. Januar 2020 - 01. Juni 2020. Abgerufen am 16. August 2020
  31. Jörg Mayer: Die lieben Dinge. WDR 5 „Scala“ vom 24. Januar 2020 (11:31 min), Min. 09:15-11:12. Abgerufen am 16. August 2020
  32. Schader-Stiftung: Die subtile Gewalt der Dinge vom 31. Oktober 2012. Abgerufen am 27. August 2020
  33. Hatje Cantz Verlag: Frankfurter Kreuz. Transformationen des Alltäglichen in der zeitgenössischen Kunst. Abgerufen am 6. September 2020
  34. Gabriele Hoffmann: Konzentrierte Verweigerung. In: taz vom 16. Juli 2001, Ausgabe 6497, S. 14. Abgerufen am 6. September 2020
  35. MoMA PS1: Deep Storage. Abgerufen am 15. August 2020
  36. Haus am Lützowplatz: Ausstellungschronik-1990-1999. Abgerufen am 6. September 2020