Moderne Keramik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Oktober 2016 um 18:03 Uhr durch 95.33.68.15 (Diskussion) (→‎Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Abb. 1: Tatsuzo Shimaoka (JAP), Gefäß mit Seilstruktur, 1979

Moderne Keramik ist eine seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts übliche Bezeichnung für Keramikkunst als Teil der Bildenden Kunst, abgeleitet vom Begriff Moderne Kunst. Sie umfasst Objekte aus dem Werkstoff Keramik, die sich von der kunsthandwerklichen Tradition der Gebrauchsgegenstände und dekorativen figürlichen Darstellungen emanzipieren. Sie unterscheidet sich von historischer Keramikkunst, und unterliegt ähnlichen Entwicklungen wie andere Sparten der modernen und zeitgenössischen Bildenden Kunst.

Vorgeschichte

Abb. 2: Bernard Leach (UK), Tasse, 1958

Die Herstellung von Gefäßen, Skulpturen und anderen Werkstücken aus keramischen Werkstoffen hat eine lange kulturgeschichtliche Entwicklung, die sich in einer bis ca. 6000 Jahre v.Chr. zurückreichenden Geschichte der Keramik in Vorderasien und Europa, sowie in einer sogar seit 11000 v.Chr. belegten Tradition in Japan widerspiegelt. Seit diesen Anfängen entwickelte sich die Erzeugung von Keramik zu einem spezialisierten Handwerk der Produktion von Gebrauchsgegenständen (etwa Aufbewahrungs-, Koch- und Essgeschirr), aber auch für die ästhetische Gestaltung des menschlichen Ambiente (etwa durch Dekoration von Wänden und Böden durch Keramikfliesen, die schon im Alten Orient nachweisbar ist). Die Töpferscheibe war eine schon früh entwickelte Technik der Modellierung. Auf dieser handwerklichen Basis ergaben sich seit der Antike kunsthandwerkliche Gestaltungen und stilistische Verfeinerungen. Hier seien nur beispielhaft die chinesischen Terrakotta-Armeen oder Chinesisches Porzellan, die griechische Vasenmalerei, das römische Keramik-Mosaik, die koreanische Seladon-Keramik, die Majolika- und Fayence-Techniken der europäischen Renaissance, die Delfter Keramiken und andere von chinesischem Porzellan inspirierte Techniken genannt.

Hier hat sich in der Gestaltung von keramischen Objekten eine vielfältige ästhetische Vertiefung und spezialisierte Formensprache entwickelt, die solchen Erzeugnissen - obwohl als Gebrauchskeramik und Zierkeramik geschaffen - im kunst- und kulturgeschichtlichen Rückblick den Charakter von Keramikkunst zuweist.

Geschichte "Moderner Keramik"

Datei:S. Heller Frau und Kind (Kopf II) 1992.JPG
Abb. 3: Sabine Heller (BRD), Skulptur Frau und Kind, 1992

Die Entwicklung der Keramik in Europa ging dann von der kunsthandwerklichen Herstellung zunächst in Richtung industrieller Massenfertigung, um den wachsenden Bedarf an dekorativem Geschirr durch das Bürgertum zu decken. Nicht umsonst waren die ersten Vorläufer der Industrialisierung die im 18. Jahrhundert gegründeten Porzellanmanufakturen und Steinzeug-Fabriken. Stilistisch waren die dort gefertigten Produkte aber eher Kopien von traditionellen Formen und Dekorationen, als eigenständige Weiterentwicklungen und künstlerische Innovation.

Die als Einzelstücke in einem Atelier entstandene Keramik, im englischsprachigen Bereich hierfür auch zusammenfassend Studio pottery (Studio-Töpferei),[1] kommt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch den Einfluss vor allem ostasiatischer (chinesischer und japanischer) Keramik und in der Aufbruchsstimmung des Jugendstils zur Geltung. Vor allem die japanische Gefäßkeramik in ihrer freieren und abstrahierenden Formgebung, ihrem unkonventionellen Umgang mit dem Material Ton und den experimentellen Möglichkeiten der Glasurgestaltung (vgl. Abb. 1) inspirierten die Pioniere der modernen Kunstkeramik. Die Keramikerdynastie Massier im französischen Vallauris, wo heute noch eine Biennale für zeitgenössische Keramikkunst stattfindet, hatte daran erheblichen Anteil. Auch Pablo Picasso verbrachte einige Jahre seines Künstlerlebens (1948-1955) in Vallauris und schuf dort bedeutende Keramikskulpturen. In England war Bernard Leach - auch unter dem Einfluss japanischer Volkskunstkeramik - stilbildender Vorreiter (s. Abb. 2).

Im deutschen Sprachgebiet konnte sich nach der Jahrhundertwende die Moderne Keramik in Künstlergemeinschaften und Kunstschulen wie dem Werkbund oder dem Bauhaus weiterentwickeln. Hier bestand jedoch stets eine Spannung und Auseinandersetzung um die Frage, wie künstlerische Gestaltung und industrielle Techniken zu verbinden sind. So vertraten Walter Gropius (Bauhaus) und Hermann Muthesius (Werkbund) den Standpunkt, dass Künstler als Gestalter und Designer auftreten sollten, ihre Produkte dann aber in Serie gefertigt werden sollen, ähnlich wie bei der Gestaltung von Druckgraphik.

Aktuelle Situation

Abb. 4: Lucie Rie (UK), Thrown Jar (Krug) 1971
Abb. 5: Maria Baumgartner (AUT), Houses 2010
Abb. 6: Hans Josef Linnartz (BRD), Das Ding aus einer anderen Welt 2010
Abb. 7: Antoine de Vinck (BEL): Atlas 1987

Grundlagen moderner Keramikkunst

Während vorher moderne Keramikkunst in Werkstatt- und Meisterschulen wie dem Deutschen Werkbund oder dem Österreichischen Werkbund vermittelt wurde, wurde nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs Keramik als künstlerische Ausbildung in vielen Ländern Europas an den Akademien und Kunsthochschulen verankert, was dazu beitrug, dass eine wachsende Zahl von Keramikkünstler/innen tätig wurden. So entstand in ganz Europa und auch weltweit eine bis heute zunehmende Zahl von Keramik-Ateliers, die das keramische Einzelstück in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen. In Deutschland war dabei jene Künstlergruppe federführend, die die wichtige Biennale Form und Glasur (1969-2000) bestritten und gestalteten (darunter Volker Ellwanger[2], Brigitte Schuller, Görge Hohlt[3], Beate Kuhn, Karl[4] und Ursula Scheid[5], sowie Gerald[6] und Gotlind Weigel[7]). In Österreich trugen Künstler wie Robert Obsieger, Kurt Ohnsorg, Günter Praschak oder Franz Josef Altenburg wesentlich zur Etablierung der Modernen Keramik bei.

Die Formgebung der keramischen Objekte wurde und wird dabei immer freier. Als prototypisch für Moderne Keramik ist daher die Unikat-Keramik zu sehen, sei es als keramische Plastik (s. z.B. Abb. 3, 7), als Weiterentwicklung der Gefäßform (s. z.B. Abb. 4, 5, 8), oder als abstraktes Objekt (s. z.B. Abb. 6).

Keramiksammlungen und Keramikmuseen

Wichtig zur Etablierung Moderner Keramik im Kunstbetrieb war auch die Entwicklung privater und öffentlicher Sammlungen seit dem Zweiten Weltkrieg, und zwar insofern, als damals vermehrt durch private Mäzene und bestehende Keramikmuseen Werke der zeitgenössischen Keramikkunst angekauft und damit öffentlich sichtbar gemacht wurden. Inzwischen sind aber die meisten privaten Sammlungen in öffentlichen Besitz übergegangen. Zu nennen sind hier folgende Sammlungen und Museen:

Die aktuelle Keramikszene

Um sich über die aktuellen Entwicklungen im Feld Moderner Keramik zu orientieren, ist es sinnvoll, sich in den einschlägigen Zeitschriften umzusehen und das Geschehen bei Keramik-Symposien zu verfolgen. Hier einige Hinweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Die Zeitschrift Neue Keramik. Das Europäische Keramikmagazin wird vom Keramikmuseum Westerwald herausgegeben, erscheint sechsmal jährlich und hat auch eine englische Ausgabe[14].
  • Das Keramik Magazin Schweiz[15] ist ein Online-Portal mit allen News und Informationen zu Keramik, Töpfern, Keramikerinnen und Keramikern, herausgegeben von Schweizer Verband für Keramik in Zürich.
  • Die Zeitschrift Ceramic Review. The International Magazine of Contemporary and Historical Ceramic Art[16] erscheint sechsmal jährlich in London (UK).
  • Die Zeitschrift La revue de la céramique et du verre[17] erscheint ebenfalls im Zweimonatsrhythmus in Paris (FRA).
  • Die Zeitschrift Studio Potter[18] erscheint zweimal jährlich, sie wird vom britischen Verband der "Studio Potter" (Kunstkeramiker) herausgegeben.
  • Das weltbekannte Symposion Europäischer Bildhauer in Sankt Margarethen im Burgenland, das 1959 von Karl Prantl ins Leben gerufen und damit der Ahnherr aller Kunstsymposien wurde, wurde ab 1972 unter der damaligen Leitung von Maria Biljan-Bilger zu einem Keramiksymposium ausgebaut.
  • Das Internationale Keramiksymposium in Römhild (BRD) findet seit 1975 in unregelmäßigen Abständen statt.
  • Das Keramiksymposium Gmunden[19] wurde 1963 von Kurt Ohnsorg ins Leben gerufen, fand damals bis 1978 statt und war damit das erste Symposium speziell für Keramikkunst weltweit. 2003 wurde es wiederbelebt und findet seither jährlich statt.
  • Das Panevėžys international ceramic symposium[20] findet seit 1988 jährlich in der litauischen Stadt Panevėžys statt. Werke der teilnehmenden Künstler/innen werden in der Panevėžys Civic Art Gallery vor Ort und auch virtuell ausgestellt.[21] Hier sind inzwischen Werke von 183 Künstlern aus aller Welt zu sehen.
  • Das International Ceramics Studio[22] in Kecskemét (Ungarn) ist das Zentrum moderner Keramikkunst in Ungarn, veranstaltet seit 1978 Symposien und hat eine große Sammlung von Arbeiten der ca. 280 teilnehmenden Künstler/innen.

Literatur

Abb. 8: Arnold Annen (Schweiz), Zwei Schalen 2011
Abb. 9: Rosemary Wren (UK), Hippo-Figur 2004
  • Richard Borrmann: Moderne Keramik, Seemann, Leipzig 1902.
  • Jakob Hinder und Lotte Reimers: Moderne Keramik aus Deutschland, Museum für Moderne Keramik, Deidesheim 1971.
  • Ekkart Klinge: Deutsche Keramik heute, Verlagsanstalt Handwerk, Düsseldorf 1984.
  • Keramion - Museum f. Zeitgenöss. Keramische Kunst (Hg.): Europäische Keramik der Gegenwart: zweite internationale Ausstellung im Keramion, Greven & Bechthold, Köln 1986.
  • Societe d’Encouragement aux Metiers d’Art (SEMA) (Hg.)/ Bazin, Mireille (Red.): L'Europe des ceramistes, Metiers d'Art, Paris 1989.
  • Verein für keramische Kunst e.V. (Hg.) Bewegung. Europäische Keramik '96, Frechen b. Köln 1996.
  • Walter Helmut Lokau: Die gescheiterte Institutionalisierung. Eine kritische Bilanz der Rezeption zeitgenössischer Keramik in Deutschland nach 1945, Univ. Freiburg, Dissertation 2007, auch online.
  • Ingrid Vetter: Moderne Keramik des 20. Jahrhunderts. Arnoldsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 2007. ISBN 978-3-89790-275-6
  • France Kermer et al.: Moderne Keramik aus Frankreich 1970 bis 2000. Aus der Sammlung Kermer, Theodor-Zink-Museum, Kaiserslautern 2014. ISBN 978-3-936036-38-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. den Artikel in der englischsprachigen Wikipedia Studio pottery
  2. Infos Volker Ellwanger, abgefragt am 17. März 2016.
  3. Infos Görge Hohltabgefragt am 17. März 2016.
  4. Infos Karl Scheid,abgefragt am 17. März 2016.
  5. Infos Ursula Scheid, abgefragt am 17. März 2016.
  6. Infos Gerald Weigel,abgefragt am 17. März 2016.
  7. Infos Gotlind Weigel, abgefragt am 17. März 2016.
  8. Ekkart Klinge: Keramik des 20. Jahrhunderts. Sammlung Welle, Dumont, Köln 1996. ISBN 3-770138-59-7
  9. Niehoff, Franz (Hg.): Die Welt der Gefäße – Zeitgenössische Keramik – Sammlung Rudolf Strasser, Museen der Stadt. Landshut 2000. ISBN 3-924943-17-6
  10. Infos zur Sammlung Reimers, abgefragt 23. März 2016.
  11. Keramis, abgefragt 30. April 2016
  12. Keramiksammlung York Art Gallery, abgefragt 22. März 2016.
  13. Infos zum Gifu Ceramic Museum, abgefragt 22. März 2016.
  14. New Ceramics Info, abgefragt 22. März 2016.
  15. Infos zum Keramik Magazin Schweiz, abgefragt 22. März 2016.
  16. Infos zur Ceramic Review, abgefragt 22. März 2016.
  17. Infos zur Revue Céramique, abgefragt 22. März 2016.
  18. Infos zur Zeitschrift Studio Potter
  19. Infos zum Keramiksymposium Gmunden, abgefragt 22. März 2016.
  20. Infos zum Symposium in Panevėžys, abgefragt 22. März 2016.
  21. Infos zur Sammlung der Panevėžys Civic Art Gallery, abgefragt 22. März 2016.
  22. Infos zum ICS Kecskemét und der Sammlung Moderner Keramik, abgefragt 22. März 2016.