Saif al-Islam al-Gaddafi

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 17. Oktober 2016 um 14:10 Uhr durch Hgzh (Diskussion | Beiträge) (Leerzeichen mit AWB). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Saif al-Islam al-Gaddafi, auch Qaddhafi, (* 25. Juni 1972 in Tripolis, arabisch سيف الإسلام القذافي, DMG Saif al-Islām al-Qaḏḏāfī) ist der zweitälteste Sohn des ehemaligen libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi und dessen zweiter Frau Safaja Farkash. Übersetzt bedeutet sein Name „Schwert des Islam“.

Er hat mehrere Brüder, von denen Mutassim Gaddafi in der Frage der Nachfolge Muammar Gaddafis als sein stärkster Konkurrent galt.[1]

Leben

Jugend und Ausbildung

Gaddafi erwarb im Herbst 1994 das Bachelor-Diplom in Ingenieurwissenschaften, möglicherweise aber in Architektur, an der Al-Fateh-Universität in Tripolis.[2] An der privaten Schule IMADEC in Wien erwarb er im Jahre 2000 ein MBA-Diplom. Während seines Aufenthalts in Österreich war er mit dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider befreundet.

2008 wurde ihm der Doktorgrad (Ph.D.) an der London School of Economics and Political Science (LSE) verliehen,[3] wo er von 2003 bis 2008 eingeschrieben war. Titel seiner Dissertation von 2007 ist: Die Rolle der Zivilgesellschaft für die Demokratisierung globaler Regierungsinstitutionen.[4] In der Folge wurden allerdings zahlreiche Anschuldigungen bekannt, dass die Dissertation zu großen Teilen von angestellten Consultants der Monitor Group geschrieben worden sei, einer Firma, die jährlich Millionenbeträge von Saifs Vater Muammar al-Gaddafi kassierte.[5][6][7]

Gaddafi spricht neben Arabisch Englisch, Französisch und Deutsch.

Politiker

Gaddafi war Vorsitzender der Gaddafi International Foundation of Charitable Associations (GIFCA). Sie wurde im Jahr 2000 bekannt im Zusammenhang mit der Entführung von 22 Geiseln durch Rebellen der Abu Sayyaf auf der philippinischen Insel Jolo, bei der die Stiftung das Lösegeld für die Freilassung der Geiseln bezahlt haben soll.

Danach verhandelte die Gaddafi-Stiftung auch über Entschädigungszahlungen für die Opfer des Lockerbie-Anschlags von 1988, des Anschlags auf den französischen UTA-Flug 772 von 1989, des Bombenattentats auf die Diskothek La Belle in Berlin 1986 und weiterer Aktivitäten, die Libyen außenpolitisch belasteten. Auch gehörte die Organisation von Hilfslieferungen nach Afghanistan und die Vermittlung in Konflikten unter anderem auf den Philippinen zu ihren Aufgaben. Gaddafi war zudem Vorsitzender der libyschen Organisation zur Drogenbekämpfung („General Meeting of the Organization to Fight Drug Abuse“).

An dem von der libyschen Regierung durchgeführten Programm zur Demobilisierung der Libyschen Islamischen Kampfgruppe und der Rehabilitierung ihrer Mitglieder war Saif federführend beteiligt.[8]

Im Gegensatz zu seinem Vater trat er in der Öffentlichkeit als gemäßigter, diplomatischer Staatsmann auf. Obwohl er kein offizielles politisches Amt bekleidete, äußerte er sich regelmäßig zu außenpolitischen und wirtschaftlichen Belangen des libyschen Staates.

Für Aufsehen sorgten in den letzten Regierungsjahren seines Vaters mehrere Interviews, in denen er die Politik seines Vaters hinterfragte. In der Affäre um den HIV-Prozess in Libyen gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt etwa gestand er ein, dass die Verdächtigten gefoltert und politisch missbraucht worden seien. Er äußerte mehrfach, dass er das politische System seines Vaters für reformbedürftig halte.[9]

Aufgrund dieser ihm vom Regime zugestandenen Freiheiten wurde er von westlichen Medien lange als möglicher Nachfolger seines Vaters betrachtet.

Bürgerkrieg 2011 und Gefangenschaft

Infolge der Massenproteste im Februar 2011 warnte Gaddafi in einer Fernsehansprache mit den Worten „Flüsse voller Blut werden durch alle Städte Libyens fließen“ vor dem Zerfall des Landes und daraus resultierenden lang anhaltenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Diese Aussage erregte als Aufhänger großes Medieninteresse.[10][11]

Während des Libyschen Bürgerkriegs im Jahr 2011 erlangte Gaddafi internationale Bekanntheit, da er an Stelle seines Vaters Muammar al-Gaddafi viele Medienauftritte wahrnahm und die libysche Bevölkerung regelmäßig zum Widerstand gegen die Rebellen aufrief, so am Abend des 31. August 2011 in einer Fernsehansprache.[12]

Am 16. Mai 2011 beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag einen Haftbefehl gegen Gaddafi wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Im Zuge des Aufstandes seien vom Gaddafi-Regime Folter, Morde und Vergewaltigungen ausgegangen, um die Bevölkerung einzuschüchtern und den Aufstand niederzuschlagen. Der Haftbefehl wurde am 27. Juni 2011 ausgestellt. Am 9. September 2011 wurde er, zusammen mit seinem Vater Muammar al-Gaddafi und dem Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi, von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben.[13]

Eine Meldung über seinen Tod am 20. Oktober 2011 wurde vom Staatsfernsehen zunächst bestätigt.[14] Aus Kreisen des Libyschen Übergangsrates wurde hingegen gemeldet, Gaddafi befinde sich auf der Flucht in Richtung Niger. Zwischenzeitlich war gemeldet worden, dass er sich als Gefangener in den Händen des libyschen Revolutionsrates befinde und am Rücken durch Schusswunden schwer verletzt sei.[15] Am 23. Oktober meldete sich Gaddafi mit einer Audiobotschaft beim Fernsehsender Al-Arabiya und kündigte an, den Widerstand gegen die neuen Machthaber fortzuführen.[16] Reuters meldete am 26. Oktober unter Berufung auf einen Vertreter des Übergangsrates, dass sich Gaddafi dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag freiwillig stellen wolle.[17] Er fordere dafür ein Flugzeug und Sicherheitszusagen.[18] Andere Berichte widersprachen dieser Darstellung.[19]

Am 19. November 2011 wurde Saif al-Islam nahe der Stadt Ubari im Süden Libyens von Sintan-Milizen festgenommen.[20] Während europäische Politiker den Nationalen Übergangsrat dazu aufforderten, Gaddafi an den Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen, wollte die libysche Übergangsregierung Gaddafi in seiner Heimat vor Gericht stellen und lehnte seine Überstellung nach Den Haag ab.[21] Saif al-Islam hatte zum Zeitpunkt der ersten Foto- und Videoaufnahmen nach seiner Verhaftung eine Verletzung an der rechten Hand. Laut dem Sender Libya TV sollen die Milizionäre, die Gaddafi festnahmen, ihm drei Finger abgeschnitten haben. In einem von den Rebellenkämpfern herausgegebenen Video[22] behauptet Saif al-Islam allerdings, die Verletzung stamme von einem einen Monat zuvor erfolgten NATO-Luftangriff.[23] Nach Angaben eines untersuchenden Arztes mussten Saif al-Islam die verletzten Finger amputiert werden, um der Verbreitung von Wundbrand vorzubeugen.[24]

Seit seiner Gefangennahme befindet sich Saif al-Islam in der Stadt Az-Zintan. Der Nationale Übergangsrat kann ihn erst dann an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausliefern, wenn er ihm von der dortigen Revolutionsbrigade übergeben wurde.[25] In einer am 22. November 2011 ausgestrahlten Video-Botschaft warnte Gaddafi vor Abd al-Hakim Balhaj, dem Vorsitzenden des Militärrates von Tripolis.[26] Gaddafi soll bei seiner Festnahme froh gewesen sein, dass er den Einheiten der Sintan-Brigaden in die Hände fiel und nicht denen von Misrata.[27] Die Kommandanten in Sintan sagten, sie hätten ihn deshalb nicht nach Tripolis ausgeliefert, weil sie ihm das Schicksal seines Vaters ersparen wollten.[28]

Anfang Juni 2012 eskalierte der Streit zwischen Libyen und dem IStGH über die Frage, wo Saif al-Islam vor Gericht gestellt werden solle. Im Anschluss an ein Treffen mit Saif al-Islam in Sintan wurden vier Mitarbeiter des IStGH wegen Spionageverdachts unter Hausarrest gestellt.[29] Im Mittelpunkt der Ermittlungen stand die australische Pflichtverteidigerin Saifs al-Islam; die Behörden werfen Melinda Taylor Spionage und „Kommunikation mit dem Feind“ vor. Bei einem Gespräch mit Saif al-Islam soll sie einen Stift mit einer integrierten Kamera und Dokumente von dessen einstigem Vertrauten, Mohammed Ismail, bei sich gehabt haben, der von der libyschen Justiz gesucht wird.[30]

Am 21. August 2012 wurde bekannt, dass Libyen die Auslieferung Gaddafis an den IStGH endgültig ablehnt. Der Prozess sollte ohne Beteiligung des IStGH im September 2012 in az-Zintan beginnen, wurde allerdings aufgrund der Überstellung von Abdullah al-Senussi von Mauretanien an Libyen verschoben.[31]

Im Frühjahr 2013 begann der Prozess gegen Saif al-Islam in az-Zintan. Ihm wurde vorgeworfen, durch Weitergabe von Informationen an eine IStGH-Anwältin die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Außerdem wurde eine Anklage wegen Kriegsverbrechen vorbereitet. In beiden Prozessen drohte ihm die Todesstrafe.[32] Ihm wurden die Anwerbung von Söldnern, Luftangriffe auf zivile Ziele und Schüsse auf Demonstranten vorgeworfen.[33]

Im Juli 2015 wurde Saif al-Islam in Tripolis zum Tod durch Erschießen verurteilt.[34] Er wurde unter anderem der Anstiftung zum Mord und der Vergewaltigung für schuldig befunden. Der Prozess stand unter heftiger Kritik, da er von den Libya-Dawn-Milizen unter fragwürdigen Rechtsstandards unter anderem mit Geständnissen, die unter Folter abgegeben wurden, geführt wurde, wie sein Anwalt sagte. Ob und wann es zu einer Vollstreckung des Urteils kommt, ist vollkommen unklar, da einerseits ein Einspruch des Verurteilten zugelassen wurde und er andererseits von Rebellen in den Bergen von Zintan festgehalten wird, nachdem er aus Tripolis geflohen ist. Diese Rebellen hatten sich geweigert, ihn an das Gericht in Tripolis auszuliefern, und er konnte an der Verhandlung nur per Videolink teilnehmen.[33]

Schriften

  • The role of civil society in the democratisation of global governance institutions: From ‘Soft Power’ to Collective Decision-Making? Diss., London 2007 (online; PDF; 1,9 MB)

Weblinks

Commons: Saif al-Islam al-Gaddafi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Verwirrung um Festnahme von Gaddafi-Sohn Mutassim Süddeutsche .de, 13. Oktober 2011
  2. Nevine Afiouni: Qaddafi’s children as controversial as father, in Al Arabiya, 26. Oktober 2011
  3. Katherine Sellgren: UK university reviews funding from Libya; BBC News, 22. Februar 2011.
  4. Alqadhafi, Saif Al-Islam: The Role of civil society in the democratisation of global governance institutions: from “soft power” to collective decision-making? LSE Catalogue
  5. Gaddafi son plagiarised his thesis at LSE, in The Independent, 2. März 2011
  6. Plagiatsvorwurf gegen Gaddafi-Sohn, Spiegel On-Line, 3. März 2011
  7. Gaddafi son's LSE thesis 'written by Libyan academic', in The Independent, 6. März 2011
  8. Christopher Boucek: Dangerous Fallout from Libya’s Implosion, 9. März 2011 (dt. Übersetzung)
  9. Hans-Christian Rößler: Saif al Islam Gaddafi. Der Exzentrische. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 12. August 2007, S. 12.
  10. Britannia Radio: Seif Al-Islam Al-Qadhafi, Libyan Leader's Son, Threatens To Fight to the Very Last Bullet; Warns: ‘Rivers of Blood Will Flow Through All the Cities of Libya’; gekürzte Transkription der von al-Arabiya am 20. Februar 2011 ausgestrahlten Rede, abgerufen am 13. September 2012.
  11. Ulrike Putz: Revolte gegen Gaddafi: Libyens Araberstämme drohen mit Ölförderstopp; Spiegel-Online, Bericht vom 21. Februar 2011.
  12. Seif-Al-Islam Al-Qaddafi: Full Speech Eve of September 1. Mathaba, Bericht vom 1. September 2011.
  13. Interpol schreibt Muammar al-Ghadhafi zur Fahndung aus. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. September 2011, abgerufen am 9. September 2011.
  14. Übergangsrat gibt Tod Gaddafis bekannt. FAZ.net, 20. Oktober 2011.
  15. Widersprüchliche Angaben über die Umstände von Gaddafis Tod. In: Berliner Tageszeitung.de am 21. Oktober 2011.
  16. Befreites Libyen feiert, Focus, 23. Oktober 2011 
  17. RIA Novosti: Gaddafis Sohn Saif al-Islam will sich Haager Gericht stellen. Abgerufen am 26. Oktober.
  18. Spiegel Online: Saif al-Gaddafi verlangt Flugzeug und Vermittler. Abgerufen am 27. Oktober.
  19. RIA Novosti: Gaddafis Sohn Saif al-Islam: Ich werde mich nie Den Haag ergeben. Abgerufen am 1. November.
  20. Gaddafi-Sohn Saif al-Islam festgenommen. Spiegel Online, 19. November 2011.
  21. Tripolis oder Den Haag: Wer Gaddafis Sohn den Prozess machen kann. DerStandard.at, 21. November 2011.
  22. http://de.rian.ru/video/20111123/261531619.html
  23. Drei Finger weg: Verwirrung um Verletzung Saif al-Islams. DerStandard.at, 21. November 2011.
  24. RIA Novosti: Gaddafi-Sohn Saif al-Islam müssen Finger amputiert werden.
  25. Gadhafi’s Bloody Shirt and Wedding Ring on Sale for $2M. ABC News am 2. Februar 2012.
  26. Katerina Nikolas: Saif Gaddafi sends warning about Abdel Hakim Belhadj im DigitalJournal.com am 22. November 2011.
  27. Special Report – Libya: divided it stands. Reuters am 16. Dezember 2011.
  28. Marie-Louise Gumuchian, Ali Shuaib Saif: Gaddafi to be moved to Tripoli, then tried. Reuters am 12. Februar 2012.
  29. ICC legal team held over Saif al-Islam visit. Aufgerufen 11. Juni 2012.
  30. Mitarbeiter des Strafgerichtshofs weiter in libyscher Haft (Memento vom 16. Juni 2012 im Internet Archive), aufgerufen 11. Juni 2012.
  31. Prozess gegen Saif al-Islam – Gaddafi-Sohn wird in Libyen angeklagt. Spiegel Online, 21. August 2012.
  32. Gaddafi-Sohn: Saif al-Islam erscheint vor Gericht. Spiegel online, 2. Mai 2013.
  33. a b Gaddafi's son Saif al-Islam sentenced to death by court in Libya. In: The Guardian, 28. Juli 2015, abgerufen am 28. Juli 2015.
  34. Gaddafi-Sohn Saif al Islam zum Tode verurteilt. In: Aargauer Zeitung, 28. Juli 2015.