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Praviršulio tyrelis

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Der Praviršulio tyrelis ist eine ausgedehnte Moorlandschaft mit vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten in Litauen. Seit 1969 steht das Moor unter Naturschutz als botanisch zoologisches Schutzgebiet (litauisch: Praviršulio tyrelio botaninis-zoologinis draustinis). Zudem wurde das Moor in gleicher Ausdehnung als Biotop-Schutzgebiet gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (Natura 2000) ausgewiesen. Das Schutzgebiet hat eine Fläche von 3316 ha.[1] Das Gebiet ist auch innerhalb Litauens kaum bekannt und vergleichsweise wenig erforscht.

Der See Praviršulis
Karte des Naturschutzgebietes
Fliegen-Ragwurz

Geographie

Das Moor befindet sich am Ostrand des niederlitauischen Rückens auf der Wasserscheide zwischen Dubysa im Westen und Nevėžis im Osten. Dabei fließt die Luknė, die historisch ihren Ursprung im See Praviršulis hat[2], zur Dubysa, während die Flüsse Šventupis und Žadikė in die Šušvė münden. Im südlichen Teil bei Vorlage:Koordinate Text Artikel befindet sich der für das Moorgebiet namensgebende See Praviršulis, ein Moorauge mit einer Fläche von 70 ha. Im westlichen Randbereich des Schutzgebietes befindet sich der See Kragų ežeras mit einer Fläche von 1,5 ha. Die tiefste Stelle befindet sich im Nordosten mit 110 m ü. Meeresspiegel, die höchste Erhebung ist eine Insel im Moor mit etwa 125 m über NN. Die Mächtigkeit des Torfes beträgt maximal acht Meter, der Torfvorrat wird auf 79 Mio m3 geschätzt.[3] Der Moorkomplex ist innerhalb Litauens die fünftgrößte geschlossene Moorlandschaft, wobei die größten Moore Žuvintų pelkė (68,5 km2) und Čepkelių raistas (58,6 km2)[4] teilweise als Totalreservat geschützt sind und auch als Ramsar Territorium gemeldet sind. Der Čepkelių raistas ist zudem Bestandteil des Nationalparks Dzūkija.

Die jährliche Niederschlagsmenge liegt bei 600 mm, die Verdunstungsmenge bei 390 mm.[5] Die jährliche Sonneneinstrahlung beträgt 85 kcal/cm2.[6]

Orte in der Umgebung des Moores sind Vosiliškis (ca. 300 Einwohner), Šaukotas (500), Papušinys (300) und Žaiginys (400). Das Moor wird nur am äußersten Nordrand von einer nicht asphaltierten Straße (Verbindung Šiluva - Grinkiškis), geschnitten. Im Moorgebiet gibt es keine Siedlungen. Die frühere Existenz von einigen Einzelhöfen ist jedoch noch aus Obstgärten und Natursteinfundamenten zu ersehen. Die Besiedlungsdichte liegt in der Region bei etwa 15 Einwohnern/km2.

Administrativ gehört das Naturschutzgebiet zu 97 % zum Kreis Radviliškis, der Rest zum Kreis Raseiniai. Die Verwaltung des Naturschutzgebietes obliegt der Direktion des Regionalparks Tytuvėnai.

Biotope

Kleinblütiges Einblatt

Der südliche Teil um den See Praviršulis ist durch Hochmoore bzw. durch Entwässerung daraus hervorgegangenen Moorheiden und Moorwälder geprägt. Der Ostrand des Sees neigt zur Verlandung und ist von Schwingrasen bedeckt. Die eigentliche, völlig baumfreie Hochmoorweite nimmt nur etwa 30 ha ein. Deren Randbereich ist durch Quellwasser geprägt, angezeigt durch Fieberklee. Der Moorrand und der ganze Nordteil wird von Bruchwäldern eingenommen. Ein kleiner, aber botanisch besonders wertvoller Teil besteht aus kalkhaltigen Niedermooren mit Kleinseggenried und Röhricht. Auf Erhebungen im Moor findet sich natürlicher Nadelmischwald mit einem hohen Anteil an Totholz. Vereinzelt sind Überreste von anthropogen geprägten Biotopen, Ergebnisse extensiver Landwirtschaft, zu finden.

Flora

Karlszepter
Traunsteiners Knabenkraut

Entsprechend der Vielzahl verschiedener Biotope ist auch die Flora artenreich, mit vielen Vertretern, die im litauischen Rotbuch geführt werden. Das Moor ist erst spät von der Botanik zur Kenntnis genommen wurden, in Standardwerken bis in die 1990er fehlt jede Erwähnung. Hier wurde von Vaclovas Stukonis erstmalig das Blutrote Knabenkraut in Litauen nachgewiesen, hier ist eine der wenigen Fundorte der Fliegen-Ragwurz und das ausgedehnteste Vorkommen des Karlszepters in Litauen anzutreffen. Weiter wachsen hier Sumpf-Läusekraut, Fettkraut, Baltisches Knabenkraut, Geflecktes Knabenkraut (auch in einer weißen Form), Strohgelbes Knabenkraut, Traunsteiners Knabenkraut, Zweiblättrige Waldhyazinthe, Grünliche Waldhyazinthe, Kleinblütiges Einblatt, Sumpf-Glanzkraut, Torfgränke, Moltebeere, Strauch-Birke, Sonnentau-Arten, Blasenbinse, Wollgräser, darunter das seltene Zierliche Wollgras, Lockerblütiges Rispengras, Mittlerer Lerchensporn.

Unsicher ist der Status von See-Brachsenkraut und Moor-Steinbrech von denen frühere Funde bekannt sind,[7] die aber gegenwärtig nicht verifiziert werden können.

Fauna

Birkhahn am Balzplatz
Ziegenmelker in der Moorheide
Rohrweihe, erwachsenes Männchen
Schreiadler

An seltenen Säugetieren sind Elch, Wolf, Schneehase und Otter anzutreffen. Im zentralen und südliche Teil sind zahlreiche Biber mit der Aufstauung des Entwässerungssystems beschäftigt. Recht häufig sind Reh, Fuchs und Wildschwein.

Brutvögel sind unter anderen Rohrweihe, Wachtelkönig, Birkhuhn, Ziegenmelker, Goldregenpfeifer, Kranich, Schreiadler und Schwarzstorch. Einige Insekten sind innerhalb Litauens bisher nur in dieser Moorlandschaft beobachtet worden, dazu gehören die Tanzfliegen Empis caudatula und Empis stercorea, die Minierfliege Phytomyza continua, die Schwebfliege Dasysyrphus arctuatus und die Bremse Chrysops rufipes.[8]

Pilze

In den Moorwäldern sind Birkenpilze häufig, die hier auch gesammelt werden. In höheren Lagen finden sich verschiedene Steinpilze. An Speisepilzen kommen zudem der Pfifferling und Edelreizker vor. Funde des sehr markanten violetten Schleierlings sind ebenfalls bekannt. Besonders zahlreich sind, durch das große Angebot an Totholz, verschiedene Baumpilze. Stellvertretend sei hier der im Rotbuch Litauens gelistete, sehr seltene Glänzende Lackporling genannt.

Anthropogene Beeinflussung

Im Gegensatz zu anderen Moorgebieten um die nahe gelegenen Orte Šiluva und Tytuvėnai, die teilweise komplett dem Torfabbau zum Opfer gefallen sind, ist das Moor Praviršulis gut erhalten, aber dennoch gekennzeichnet durch menschliche Tätigkeit. Stellen, an denen Beerensammler, Angler und Jäger verkehren - insbesondere am Ufer und an den Zugängen zum See Praviršulis sowie an Hochsitzen - sind vermüllt.

Hydromelioration

Das Moorgebiet war noch vor hundert Jahren wesentlich größer als heute. Weite Bereiche wurden trockengelegt und werden heute landwirtschaftlich genutzt. Teilweise wurden in unmittelbarer Nachbarschaft des Moores auch Flächen aufgegeben, die vernässen und verholzen - dieser Prozess hat aber mit der Zahlung von EU-Agrarsubventionen aufgehört und wird teils sogar rückgängig gemacht.

Die Luknė als (von Bibern aufgestauter) Kanal anstelle eines früheren Durchströmungsmoores

Die älteste bekannte Entwässerung stammt vom Ende des 19. Jh., als der Besitzer des Gutes Burbiškiai einen Entwässerungsgraben aus dem See Praviršulis graben ließ, um Weideland zu gewinnen. Sämtliche Fließgewässer wurden in den 1950er Jahren kanalisiert und begradigt und weitere Entwässerungsgräben angelegt.

In den 1950er bis 1960er Jahren wurde im südlichen Lagg des Hochmoores auf einer Fläche von ca. 70 ha Torf gestochen. Eine aktive Renaturierung erfolgte nicht. Mittlerweile hat sich ein Mosaik aus Schwingrasen mit Moosbeere in den ehemaligen Torfstichgräben und Moorwald mit Moorbirke, Kiefer und Sumpfporst gebildet.

In den 1980er Jahren wurden die Gräben um das Moor vertieft. Die Naturschutzgesetzgebung in Litauen formuliert, dass "das hydrologische Regime nicht verändert werden darf". Dieser Umstand macht es außerordentlich kompliziert, den sonst üblichen Moorschutz durch Verfüllung der Entwässerungsgräben durchzusetzen.

Insbesondere der Abfluss aus großen Teilen des Hochmoors durch Gräben, statt, wie früher durch den See Praviršulis, führt zu einer verringerten Durchflussrate im See, verbunden mit Eutrophierung und Verlandung. Zudem wurde der Wasserspiegel im See abgesenkt, was zu einer schnellen Sukzession der umliegenden Moorwälder führt.

Jagd

Elchspur im Schnee

Das Naturschutzgebiet wurde im Jahr 2000 per Ministererlass[9] der Landwirtschaftlichen Universität Litauens und dem Litauischen Waldinstitut als Jagdrevier zu Lehr- und Forschungszwecken für zehn Jahre zugeteilt.

Anwohner melden jedoch ernste Zweifel daran an, dass alle umliegenden Jagdpächter das Naturschutzgebiet respektieren.

Land- und Forstwirtschaft

Ein Teil des Territoriums wurde früher landwirtschaftlich genutzt, überwiegend als Wiese und Weideland in extensiver Nutzung. Zum Teil handelte es sich um Feuchtwiesen oder kleine Wieseneinsprengsel im Wald, die von der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie im Anhang II unter der Bezeichnung "*6530 Wiesen mit Gehölzen in Fennoskandien" als besonders schützenswerter Biotop bezeichnet werden. Diese Biotope sind wegen der Aufgabe kleiner Höfe in ihrer Existenz gefährdet. Daher sieht der Managementplan im Entwurf eine regelmäßige Entkusselung verschiedener Bereiche vor - allerdings bei völlig ungeklärter Finanzierung.

Nach dem Beitritt zur EU wurden viele brach liegende Flächen am Rande des Moores wieder einer intensiven Landwirtschaft zugeführt oder mit EU-Fördermitteln aufgeforstet. Damit wird erneut die Gefahr des Eintrags von Düngemitteln sowie Herbiziden und Pestiziden in die empfindliche Moorlandschaft aktuell. Daneben droht wertvollen Weidebiotopen die Zerstörung durch Bepflanzung mit Fichten.

Ein Projekt des regionalen Vereins Sargelių bendruomenės centras, das von der UNDP finanziert wird, hat die Zielsetzung, in den Rand- und Pufferbereichen des Moores mehr extensive und umweltverträgliche Landwirtschaft zu fördern.

Besonders die nördlichen Bereiche des Moores werden forstwirtschaftlich genutzt. Hier wachsen vor allem Schwarzerle, Gemeine Esche, Birken und in trockneren Lagen Espe und Fichte. Auf Kahlschlägen oder ehemaligen extensiv genutzten Wiesen und Weiden wurden Gemeine Kiefer und Fichte in Monokultur angepflanzt. Im Interesse der Forstwirtschaft und Jagdpächter werden teils Fahrwege freigehalten und Biberdämme zerstört. Zudem ist die Forstwirtschaft verantwortlich für Schneisen zwischen den Planquadraten in den Wäldern, eingeschlossen Moorwälder, die eigentlich keine forstwirtschaftliche Bedeutung haben. Seit 2004 wird in den Wäldern innerhalb des Schutzgebietes, die zum staatlichen Forst gehören, nicht mehr eingeschlagen.[10]

Geschichte

Stark eisenhaltiges Gewässer am Südrand des Moores

Von den an das Moor angrenzenden Ortschaften wurde als erste Tendžiogala im 14. Jahrhundert erwähnt im Zusammenhang mit der zeitweiligen Besetzung Niederlitauens durch den Deutschen Orden. Zu dieser Zeit war Tendžiogala ein regionales Zentrum - archäologisch wurden aber nur einige mittelalterliche Grablagen untersucht, und auch das nur in geringem Umfang.

Schlackefunde in Ortschaften am Moor und eisenhaltige Quellen machen den Abbau von Rasenerz nebst lokaler Verhüttung sehr wahrscheinlich. Ebenfalls in Tendžiogala wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts in dem Gut eine Schnapsbrennerei eingerichtet, die Moorwasser verwendete. Spätere Versuche, Wasser aus Brunnen oder Tiefenbohrungen zu verwenden, führten zu minderer Qualität.

Im II. Weltkrieg diente das Moor als Zuflucht der Bewohner - in manchen Dörfern wurden sämtliche Gebäude im Juni 1941 vernichtet. Nach dem Krieg verbargen sich antisowjetische Partisanen in verschiedenen Verstecken, darunter auch solchen im Moor Praviršulis.

Die wissenschaftliche Untersuchung des Moores ist eng mit der Hydromelioration zur Gewinnung von landwirtschaftlicher Nutzfläche und dem Abbau von Torf verbunden. Die Einstellung des Torfstichs und Inschutzstellung des Territoriums erfolgte auf Drängen einzelner Enthusiasten, speziell unter Verweis auf den Schreiadler als Brutvogel.

Name

Der Namensbestandteil tyrelis ist eine regional verwendete Bezeichnung für Moore, insbesondere die Hochmoorweite oder baumfreie Moorheide. Der Begriff ist verwandt mit tyras 'leer, klar, edel, ohne Beimengungen' und tyrė 'Brei'. Anwohner verwenden zumeist jedoch den hochsprachlichen Begriff pelkė, der auch teilweise in der Literatur anzutreffen ist.

Der namensgebende See wurde verschieden gedeutet. Wahrscheinlich ist der Bezug zu viršus 'oben', was sich dann wiederum auf die Lage des Sees im Hochmoor beziehen könnte.[11]

Ortssagen

Das bekannteste Sagenmotiv, das auch heute noch erzählt wird, beschäftigt sich mit der Ätiologie des Sees Praviršulis.

Der See befand sich ursprünglich an einer anderen Position weiter im Süden. Da der See keinen Namen hatte (in Varianten gibt es auch andere Gründe), erhob er sich eines Tages mit großem Lärm und hing nun als Wolke über mehreren Dörfern. Da das Herabfallen des Sees die Dörfer zerstören würde, galt es nun eine Lösung zu finden, indem jemand sich opferte, um den See in eine menschenleere Gegend zu führen und ihm dort einen Namen zu geben. Dazu fand sich schließlich Uršulė bereit, sie ging ins Moor und rief: „ich bin Uršulė und du sei Prauršulis“. Da fiel der See herab. Als die Anwohner herbeieilten fanden sie zu ihrer Überraschung Uršulė lebend auf einer Insel im See.[12]

Ein anderes Motiv existiert gleichfalls in verschiedenen Varianten und ist auch von anderen Seepaaren in Litauen bekannt.

In dem See Meiliškio ežeras ertrank einst eine Kuh, die dann später im fünf Kilometer entfernt liegenden See Praviršulis aufgefunden wurde.[13]

Einzelnachweise

  1. Lietuvos saugomos teritorijos - Protected Areas of Lithuania, Landkarte 1:400.000, Vilnius 2006
  2. Słownik Geograficznych Krolestwa Polskiego [Geografisches Wörterbuch des Polnischen Königreichs] Bd. IX, Warschau 1888, S. 68
  3. Lietuviškoji tarybinė enciklopedija Bd. 9, S. 184
  4. Lietuvos TSR geografija - Lehrbuch für Klasse 7/8. Kaunas 1982, S. 128
  5. Lietuvos TSR geografija - Lehrbuch für Klasse 7/8. Kaunas 1982.
  6. Managementplan, siehe Literatur
  7. Managementplan, siehe Literatur
  8. Managementplan, siehe Literatur
  9. Text des Erlasses (litauisch)
  10. Audit der Oberförsterei Radviliškis (litauisch)
  11. B. Gliwa. Praviršulis oder Prauršulė. Beiträge zur Namenforschung 40/3 (2005), 291-298.
  12. Daiva Šeškauskaitė (Hrsg.). Sargelių apylinko pasakojimai [Erzählungen aus dem Gebiet Sargeliai]. Sargeliai 2007. ISBN 978-9955-9939-0-2
  13. B. Gliwa. Einige litauische Ortssagen, bodenlose Gewässer und Frau Holle (KHM 24, ATU 480). Studia Mythologica Slavica 8 (2005), 187-224.

Literatur

  • Laura Penikaitė Janulaitienė, Raimondas Čiuplys, Justinas Janulaitis. Praviršulio tyrelio gamtotvarkos planas (Managementplan, 2005, bisher unbestätigter Entwurf)
  • Zigmantas Gudžinskas, Mindaugas Ryla. Lietuvos gegužraibiniai (Orchidaceae Lituaniae). Vilnius: Botanikos institutas. 2006. ISBN 9986-662-28-1
  • L. Balčiauskas et al. Lietuvos gamtinė įvairovė - Radviliškio rajonas. Kaunas 1997.

Weblinks