„Privatisierung“ – Versionsunterschied

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Bereiche der öffentlichen [[Daseinsvorsorge]] wie Gesundheit, Bildung, soziale Einrichtungen, [[Entsorgung]] von [[Abwasser]] und [[Müll]], [[Versorgung]] mit [[Trinkwasser|Wasser]] und [[Energie]], [[Kommunikation]], [[Verkehr]] etc.) dürften nicht einer reinen Marktlogik überantwortet werden ([[Kommodifizierung]]), da sie Aufgaben erfüllten, die über ökonomische Fragen hinausgingen, und somit nicht nach Maßstäben von ''Rentabilität'' geführt oder beurteilt werden dürften. Private Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren, so dass alle Kostenfaktoren wie beispielsweise Personal, Instandhaltung/Reparatur und Investitionen unter erhöhten Druck geraten. Dies führe nicht zu einer Verbesserung, sondern zu Verschlechterungen von Qualität und Verfügbarkeit, zu geringeren Löhnen und zur Verteuerung der privatisierten Dienstleistungen. Ist die Nachfrage nach einer Dienstleistung so gering, dass sie für einen Anbieter unrentabel ist, so unterbleibe sie.
Bereiche der öffentlichen [[Daseinsvorsorge]] wie Gesundheit, Bildung, soziale Einrichtungen, [[Entsorgung]] von [[Abwasser]] und [[Müll]], [[Versorgung]] mit [[Trinkwasser|Wasser]] und [[Energie]], [[Kommunikation]], [[Verkehr]] etc.) dürften nicht einer reinen Marktlogik überantwortet werden ([[Kommodifizierung]]), da sie Aufgaben erfüllten, die über ökonomische Fragen hinausgingen, und somit nicht nach Maßstäben von ''Rentabilität'' geführt oder beurteilt werden dürften. Private Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren, so dass alle Kostenfaktoren wie beispielsweise Personal, Instandhaltung/Reparatur und Investitionen unter erhöhten Druck geraten. Dies führe nicht zu einer Verbesserung, sondern zu Verschlechterungen von Qualität und Verfügbarkeit, zu geringeren Löhnen und zur Verteuerung der privatisierten Dienstleistungen. Ist die Nachfrage nach einer Dienstleistung so gering, dass sie für einen Anbieter unrentabel ist, so unterbleibe sie.


Allerdings gibt es kaum umfassende empirische Untersuchungen über Erfolg oder Misserfolg von Privatisierungen.<ref name="EH">Eske Hicken: ''Neue Nachdenklichkeit - Privatisierung hält selten, was sie verspricht'', Frankfürter Rundschau vom 21.01.2008</ref>. Eine Untersuchung der Weltbank aus dem Jahre 2002, die ausschließlich Länder in Afrika, Südamerika, Osteuropa und Asien betrachtet hat, zog eine überwiegend negative Bilanz, nach der Privatisierungen das Wirtschaftswachstum nicht gefördert und Unternehmen nicht effizienter gemacht haben <ref name="EH" />. Auch der Naturwissenschaftlers [[Ernst Ulrich von Weizsäcker]], der 2005 in seinem Bericht an den [[Club of Rome]] weltweit 60 Einzelfälle überprüft hat, kommt zu einem eher negativen Fazit: Einzelne Beispiele seien zwar geglückt, aber die Schattenseiten überwögen. Die Annahme, die Wirtschaft arbeite effizienter als der Staat, fand er ebenfalls nicht bestätigt <ref name="EH" />.
Eine Untersuchung der Weltbank aus dem Jahre 2002, die ausschließlich Länder in Afrika, Südamerika, Osteuropa und Asien betrachtet hat, zog eine überwiegend negative Bilanz, nach der Privatisierungen das Wirtschaftswachstum nicht gefördert und Unternehmen nicht effizienter gemacht haben. Auch der Naturwissenschaftlers [[Ernst Ulrich von Weizsäcker]], der 2005 in seinem Bericht an den [[Club of Rome]] weltweit 60 Einzelfälle überprüft hat, kommt zu einem eher negativen Fazit: Einzelne Beispiele seien zwar geglückt, aber die Schattenseiten überwögen. Die Annahme, die Wirtschaft arbeite effizienter als der Staat, fand er ebenfalls nicht bestätigt <ref name="EH">Eske Hicken: [http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/?em_cnt=1277970''Neue Nachdenklichkeit - Privatisierung hält selten, was sie verspricht'', Frankfürter Rundschau vom 21.01.2008]</ref>.


== Privatisierung öffentlichen Raums ==
== Privatisierung öffentlichen Raums ==

Version vom 14. Februar 2008, 22:47 Uhr

Unter Privatisierung werden alle Prozesse verstanden, bei denen öffentliche Verfügungsrechte über ökonomische Güter in private Verfügungsrechte übergehen.

Arten der Privatisierung

Es wird zwischen verschiedenen Arten der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben und öffentlichen Einrichtungen unterschieden:

  • formelle Privatisierung oder Organisationsprivatisierung: Die Umwandlung eines Unternehmens mit öffentlich-rechtlicher Rechtsform in ein Unternehmen mit privatrechtlicher Rechtsform (GmbH, AG).
  • echte bzw. materielle Privatisierung: die Umwandlung von staatlichem Eigentum in privates Eigentum, z. B. durch den Verkauf eines staatlichen Unternehmens an private Investoren.
  • funktionale Privatisierung: Die Übertragung von Aufgaben, die vorher von staatlichen Einrichtungen erfüllt wurden, auf private Unternehmen.

In der Praxis werden die verschiedenen Arten oft kombiniert oder nacheinander ausgeführt. Beispielsweise war die Umwandlung und Aufteilung der Deutschen Bundespost in drei AGs eine formelle, der Verkauf von Telekom-Aktien eine materielle und die Zulassung von privaten Telekommunikationsunternehmen eine funktionale Privatisierung.

Das Gegenteil der "Privatisierung" ist die Verstaatlichung.

Beispiele für Privatisierungen

Deutschland

Rechtliche Aspekte

Das Grundgesetz enthält keinen abgeschlossenen Katalog der Staatsaufgaben. Allerdings unterliegen nicht auf Vertrag beruhende Eingriffsrechte stets der staatlichen Aufsicht und bedürfen der Beleihung (z.B. TÜV). Eine weitere Grenze für Privatisierungen bietet in Deutschland der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz, der vorsieht, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den Beamten zu übertragen ist. Dies verhindert z.B., dass die polizeilichen Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden.

Soweit das Grundgesetz z.B. über das Sozialstaatsprinzip Aufgaben der Daseinsvorsorge vorsieht, schreibt es nicht vor, dass diese durch den Staat erfolgen müssen. Die Bundeshaushaltsordnung (§ 7) fordert sogar, staatliche Leistungen dahingehend zu überprüfen, ob sie nicht privat wahrgenommen werden können.

Der liberale Grundrechtskatalog begünstigt den Abbau staatlicher Aufgaben, da der Private nur in begründeten Fällen bei seinen gewerblichen Tätigkeiten in staatliche Konkurrenz geraten darf. Auch die zunehmende Europäisierung des Wirtschaftsrechts schränkt den Spielraum staatlicher Wirtschaftstätigkeit zunehmend ein, da Anbieter aus der EU bei gewerblicher Tätigkeit nicht diskriminiert werden dürfen.

Bedeutende Privatisierungen

In der Bundesrepublik Deutschland wurden mehrere große Einrichtungen und Sondervermögen des Bundes in private Eigentumsformen umgewandelt (ausgewählte Beispiele):

Österreich

Ganz oder teilprivatisiert wurden über die Österreichische Industrieholding unter anderem die OMV AG, VA Tech AG, Böhler-Werke, VOEST-ALPINE STAHL AG, VAMED AG, AT & S, Austria Metall AG, Austria Tabak, Telekom Austria, Österreichische Staatsdruckerei, Dorotheum sowie die Österreichische Post.

Schweiz

In der Schweiz finden sich staatliche Unternehmen meistens auf Kantons- und Gemeindeebene, der Bund ist nur im Infrastruktur- und Rüstungsbereich unternehmerisch tätig geworden. Viele Bundesbetriebe und kantonale Unternehmen, vor allem im Infrastruktur- und Bankenbereich, wurden bisher nur in privatwirtschaftliche Rechtsformen umgewandelt, jedoch nicht privatisiert. Beispiele dazu sind die SBB, Swisscom, Schweizerische Post, Ruag.

Ökonomische Diskussion

Privatisierungen folgen der wirtschaftsliberalen Maxime, dass der Staat grundsätzlich nicht unternehmerisch tätig sein solle, sondern sich auf die Schaffung eines ordnungspolitischen Rahmens für einen funktionierenden Wettbewerb beschränken solle. Dies fördere Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Privat geführte Unternehmen seien effizienter als die Öffentliche Hand, öffentlich geführte Unternehmen hingegen oft hochsubventionierte Verlustgeschäfte. Der Markt könne Bedürfnisse besser erfüllen als eine oft schwerfällige (staatliche) Verwaltung. Durch die Konkurrenz verschiedener Anbieter steige die Qualität. Durch den Wettbewerb komme es zu Preissenkungen für Produkte und Dienstleistungen. Auch führe Privatisierung zu Innovationen und somit neuen Dienstleistungen und Produkten. In den privatisierten Bereichen entstehe auch eine neue Service-Kultur, die an die Stelle einer vormaligen Beamtenmentalität trete.

Thorsten Beckers und Jan Peter Klatt kommen zum Ergebnis: "Empirische Studien bestätigen die Annahme, dass auf wettbewerblichen Märkten Unternehmen grundsätzlich nicht im öffentlichen Besitz sein sollten. Private Unternehmen bestehen tendenziell besser im Wettbewerb und weisen eine höhere Kosteneffizienz auf . Private Anbieter auf nicht-wettbewerblichen Märkten, die über Marktmacht verfügen, führen gemäß den Ergebnissen empirischer Studien allerdings nicht systematisch zu geringeren Kosten als öffentliche Unternehmen."[1]

Kritiker führen an, dass bei Privatisierungsvorhaben staatliche Monopole nicht einfach durch private Monopole ersetzt werden dürften. Durch geeignete Maßnahmen der Wettbewerbspolitik müsse verhindert werden, dass die Preise für privatisierte Produkte/Dienstleistungen steigen, da private Monopolhalter diese nun einfacher ihren Gewinn-Interessen anpassen können und Privatisierungen oft auch nur auf Grund solcher Gewinn-Interessen durchgesetzt werden.

Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Bildung, soziale Einrichtungen, Entsorgung von Abwasser und Müll, Versorgung mit Wasser und Energie, Kommunikation, Verkehr etc.) dürften nicht einer reinen Marktlogik überantwortet werden (Kommodifizierung), da sie Aufgaben erfüllten, die über ökonomische Fragen hinausgingen, und somit nicht nach Maßstäben von Rentabilität geführt oder beurteilt werden dürften. Private Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren, so dass alle Kostenfaktoren wie beispielsweise Personal, Instandhaltung/Reparatur und Investitionen unter erhöhten Druck geraten. Dies führe nicht zu einer Verbesserung, sondern zu Verschlechterungen von Qualität und Verfügbarkeit, zu geringeren Löhnen und zur Verteuerung der privatisierten Dienstleistungen. Ist die Nachfrage nach einer Dienstleistung so gering, dass sie für einen Anbieter unrentabel ist, so unterbleibe sie.

Eine Untersuchung der Weltbank aus dem Jahre 2002, die ausschließlich Länder in Afrika, Südamerika, Osteuropa und Asien betrachtet hat, zog eine überwiegend negative Bilanz, nach der Privatisierungen das Wirtschaftswachstum nicht gefördert und Unternehmen nicht effizienter gemacht haben. Auch der Naturwissenschaftlers Ernst Ulrich von Weizsäcker, der 2005 in seinem Bericht an den Club of Rome weltweit 60 Einzelfälle überprüft hat, kommt zu einem eher negativen Fazit: Einzelne Beispiele seien zwar geglückt, aber die Schattenseiten überwögen. Die Annahme, die Wirtschaft arbeite effizienter als der Staat, fand er ebenfalls nicht bestätigt [2].

Privatisierung öffentlichen Raums

Es gibt auch eine Privatisierung öffentlicher Räume, etwa von Fußgängerzonen, Einkaufspassagen usw. Darunter versteht man, dass Öffentlicher Raum in die Verantwortung von privaten Firmen und Sicherheitsdiensten gegeben wird, die dann darüber bestimmen, wer sich in diesem Raum aufhalten darf. Hier gilt dann das Hausrecht des Eigentümers. Eine Grauzone sind Innenstadtbereiche, die eigentlich öffentlichen Raum darstellen, auf deren Gestaltung und Kontrolle aber die dort Handel treibenden mittels politischer Institutionen (Handelskammer, Lobby) Einfluss nehmen. Es werden etwa Obdachlose, Junkies, Punks und ähnliche Minderheiten von der Nutzung ausgeschlossen und von Polizei oder Sicherheitsdiensten entfernt, wenn sie nach Meinung der Handeltreibenden eine Belästigung für Einkaufende darstellen. Gegen diese Formen von vermeintlichen oder ganz realen Privatisierungen wendet sich die Reclaim the Streets-Bewegung.

Eine andere Form der Reduzierung öffentlichen Raums findet sich in dem Verkauf von Einrichtungen oder Namensrechten an Großkonzerne, wie es der Fall bei verschiedenen deutschen Fußballarenen ist: Aus Volksparkstadion wurde "HSH Nordbank Arena", aus Niedersachsenstadion "AWD-Arena" und die "Allianz Arena" trug ihren Namen von Anfang an. Die Stadionbetreiber sind damit eine Verpflichtung eingegangen, Marketing für den jeweiligen Namensgeber zu betreiben bzw. Konkurrenzmarketing fernzuhalten. Als kritisch einzustufen ist auch die Tendenz, die Finanzierung öffentlicher Plätze potenten Sponsoren zu überlassen (Beispiel: Bitburgers Bolzplatzinintiative [3] mit Segen des DFB).

Die soziologischen Auswirkungen sind aus Kritikersicht jeweils ähnlich: Während die eigentlich in der Pflicht stehenden Gemeinden, Länder und Staat im Bewusstsein der Bürger immer weiter in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wird eine subtiler Druck auf den zum Konsumenten gewandelten Bürger aufgebaut.

Literatur

  • Hans Herbert von Arnim: Rechtsfragen der Privatisierung, Schriftenreihe des Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Heft 82), Wiesbaden 1985
  • Tim Engartner: Privatisierung und Liberalisierung – Strategien zur Selbstentmachtung des öffentlichen Sektors. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak: Kritik des Neoliberalismus, VS–Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-15185-4, S. 87-134
  • Wolfgang Däubler: Privatisierung als Rechtsproblem, Luchterhand, Neuwied 1980, ISBN 3-472-08022-1
  • Jörg Huffschmid (Hrsg.): Die Privatisierung der Welt - Hintergründe, Folgen, Gegenstrategien; Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac, Hamburg : VSA-Verl. 2004, ISBN 3-89965-109-X
  • Jörn Axel Kämmerer: Privatisierung. Typologie, Determinanten, Rechtspraxis, Folgen, Tübingen: Mohr Siebeck, 2001, ISBN 978-3-16-147515-3
  • Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates: Privatisierungspolitik in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14918-0
  • Michel Reimon/Christian Felber: Schwarzbuch Privatisierung. Ueberreuter 2003. ISBN 3-8000-3996-6
  • Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland - eine Bilanz, Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, ISBN 3-89691-630-0
  • Thieme, H. Jörg (Hrsg.): Privatisierungsstrategien im Systemvergleich. 1993. ISBN 978-3-428-07773-1
  • Ernst Ulrich von Weizsäcker: Grenzen der Privatisierung. Wann ist des Guten zu viel? Bericht an den Club of Rome. Hirzel, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-7776-1444-1

Einzelnachweise

  1. Thorsten Beckers/Jan Peter Klatt: (PDF) Privatisierung der Infrastruktur – Gefahr oder Allheilmittel?, TU Berlin, Forschungs-Centrum Netzindustrien und Infrastruktur (CNI)
  2. Eske Hicken: Neue Nachdenklichkeit - Privatisierung hält selten, was sie verspricht, Frankfürter Rundschau vom 21.01.2008
  3. http://www.bitburger.de/index.php?id=3333