Benutzer:Conakry/Achille Mbembe enzyklopädisch

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Achille Mbembe (2015)
Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 2015

Joseph-Achille Mbembe (* Juli 1957 in Malandè bei Otélé im Zentrum Kameruns), bekannt als Achille Mbembe, ist ein kamerunischer Philosoph, Historiker, Politikwissenschaftler und Theoretiker des Postkolonialismus.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mbembe entstammt dem Volk der Bassa. Er wurde in einem Internat der Dominikaner unterrichtet, bevor er 1978 ein Studium an der Universität Yaoundé, in der Hauptstadt Kameruns, aufnahm. Während der Schul- und Studienzeit war er für die Jeunesse estudiante chrétienne (JE) unter anderem als Verantwortlicher bei der Zeitschrift der Bewegung Au Large zuständig. Die Zeiten des Studiums waren nicht nur von Streiks gegen die autoritären Regimes der Präsidenten Kameruns Ahmadou Ahidjo bis 1982 und dessen Nachfolger Paul Biya unterbrochen, sondern sie ließen Mbembe auch ganz Kamerun einschließlich des englischsprachigen Westens und des muslimischen Nordens kennenlernen. Dort nahm er an Alphabetisierungskampagnen für die ländliche Bevölkerung, besonders in der Nähe von Maroua, dem großen Handelszentrum im Norden Kameruns, teil. Weitere Reisen führten Mbembe zum Beispiel in das Tansania von Präsident Julius Nyerere und machten ihn mit der dortigen Form des Sozialismus, Ujamaa, bekannt.

Studien und Lehrtätigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mbembe studierte ab 1982 an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und promovierte dort im Jahre 1989 im Fach Geschichte. Seine Ausbildung schloss er am Institut d’études politiques de Paris mit dem Diplôme d’études approfondies (DEA) ab. Seit seinen Pariser Jahren publiziert Mbembe in der linksliberalen und in der dezidiert linken Presse, etwa also in Le Monde diplomatique oder heute in der marxistisch fundierten jungen Welt, an deren jährlicher Rosa-Luxemburg-Konferenz er als Referent teilnahm.[1] In Paris war Jean-François Bayart sein geistiger Mentor, der die Zeitschrift Politique africaine für seine Ideen einer „Politik von unten“ öffnete.

Danach ging er 1986 für drei Jahre als Assistent an die Columbia University in New York. Es folgte eine einjährige Tätigkeit in Washington, D.C. an der Brookings Institution, bevor er an die University of Pennsylvania in Philadelphia, Pennsylvania ging. An der University of California, Berkeley, der Yale University in New Haven, Connecticut und der Duke University in Durham, North Carolina, unterrichtete er zeitweilig während seines Aufenthalts in den USA. 1996 wurde Mbembe an den in Dakar, Senegal, ansässigen Council for the Development of Social Science Research (CODESRIA) gerufen. Er verließ diese Einrichtung im Jahre 2000 enttäuscht über die inneren ideologischen Grabenkämpfe.

2001 begann er seine Tätigkeit am neu eingerichteten Institute of Social and Economic Research (WISER) an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg in Südafrika.

2019 hielt Mbembe als Albertus-Magnus-Professor eine Vorlesungsreihe an der Universität Köln.[2]

Seine Schriften wurden ins Arabische, Deutsche, Englische, Niederländische, Polnische, Portugiesische, Rumänische, Spanische und andere Sprachen übersetzt.[3]

Wissenschaftliche Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seine Forschungsschwerpunkte sind Philosophie, afrikanische Geschichte, Postcolonial Studies sowie Politik- und Sozialwissenschaften.

Afrika als Projektion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein bisher bedeutendstes Werk ist das 2000 erschienene Buch De la postcolonie. Essai sur l’imagination politique dans l’Afrique contemporaine (deutsch: Postkolonie. Zur politischen Vorstellungskraft im zeitgenössischen Afrika). In diesem Text argumentiert Mbembe, dass der akademische und populäre Diskurs über Afrika in einer Vielzahl von Klischees gefangen sei, die an westliche Phantasien und Ängste gebunden seien (ebd., S. 3). In Anlehnung an Frantz Fanon und Sigmund Freud vertritt Mbembe die Auffassung, dass diese Darstellung nicht die Widerspiegelung eines wirklichen Afrikas ist, sondern eine unbewusste Projektion, die an Schuld, Verleugnung und den Zwang zur Wiederholung gebunden ist. Wie James Ferguson, Valentin-Yves Mudimbe und andere interpretiert Mbembe Afrika nicht als einen definierten, isolierten Ort, sondern als eine spannungsgeladene Beziehung zwischen sich und dem Rest der Welt, die sich gleichzeitig auf politischer, psychischer, semiotischer und sexueller Ebene abspielt.

Nekropolitik als Erweiterung der Foucaultsschen Bio-Macht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mbembe behauptet, dass Michel Foucaults Konzept der Bio-Macht als ein Gefüge aus Disziplinierungsmacht und Biopolitik nicht mehr ausreiche, um diese zeitgenössischen Formen der Unterwerfung zu erklären. Foucaults Konzepten von souveräner Macht und Bio-Macht fügt Mbembe den Begriff der „Nekropolitik“ hinzu, der über die bloße „Einschreibung von Körpern in Disziplinarapparate“ hinausgeht.[4] An den Beispielen Palästina, Afrika und Kosovo analysiert Mbembe, wie die Macht der Souveränität durch die Schaffung von Zonen des Todes in Kraft tritt, in denen der Tod zur ultimativen Ausübung von Herrschaft und zur primären Form des Widerstands wird.[5]

Globalisierung als Universalgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In seinem Werk Critique de la raison nègre (deutsch: Kritik der schwarzen Vernunft) analysiert Mbembe die Entstehung des westlichen Kapitalismus aus dem transatlantischen Sklavenhandel und seine Weiterentwicklung im Zeichen der Globalisierung, die im selben Geist stattfinde. Voraussetzung der millionenfachen Ausbeutung sei die sprachliche Zurichtung und Entmenschlichung der Auszubeutenden. Deshalb verwendet Mbembe bewusst die von Antirassisten weltweit zurückgewiesenen Vokabeln Rasse und Neger. Sie seien „reale Fiktionen“, rassistische Konstruktionen, die gleichwohl die reale Welt bestimmten.[6]

"Brutalismus" als Neuform der Welt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen und Kontroversen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kontroversen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im März 2020 entdeckte der kulturpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion NRW, der Altgermanist Lorenz Deutsch, in der Internetausgabe der Zeitschrift "Radical Philosophie" einen Artikel Mbembes, in dem die Begriffe "Israel" "Apartheid" und "Holocaust" auftauchten. Da Mbembe als Gastredner für die Eröffnung der Ruhrtriennale 2020 geplant war, und Deutsch dieses verhindern wollte, entspann sich in den folgenden Wochen eine intensive Pressekampagne, an deren Ende Rufe nach der Entlassung des Antisemitismusbauftragten der BRD, Dr. Felix Klein standen. Die Debatte ist hier dokumentiert.

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1985: Les Jeunes et l’ordre politique en Afrique noire. Éditions L’Harmattan, Paris, ISBN 2-85802-542-5.
  • 1988: Afriques indociles. Christianisme, pouvoir et État en société postcoloniale. Karthala, Paris,
  • 1996: La naissance du maquis dans le Sud-Cameroun, 1920–1960: histoire des usages de la raison en colonie. Karthala, Paris.
  • 1999: Du gouvernement privé indirect. CODESRIA, Dakar, Senegal.
    • 2000: On Private Indirect Government. CODESRIA, Dakar, Senegal (englische Ausgabe von Du gouvernement privé indirect).
  • 2000: De la postcolonie. Essai sur l’imagination politique dans l’Afrique contemporaine. Karthala, Paris. (2. revidierte Auflage: 2005)
    • 2001: On the Postcolony University of California Press, ISBN 978-0520204355
    • 2016: Postkolonie. Zur politischen Vorstellungskraft im gegenwärtigen Afrika. Aus dem Französischen von Brita Pohl. Turia + Kant, Wien/Berlin 2016, ISBN 978-3-85132-781-6.
  • 2010: Sortir de la grande nuit. Essai sur l’Afrique décolonisée. Éditions la Découverte, Paris, ISBN 978-2-7071-6670-8.
    • 2016: Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonisiertes Afrika. Suhrkamp, Berlin 2016, ISBN 978-3-518-58691-4.
  • 2013: Critique de la raison nègre. Éditions la Découverte, Paris, ISBN 978-2-7071-7747-6.
  • 2013: Politiques de l’inimitié. Éditions la Découverte, Paris 2013, ISBN 978-2-7071-7747-6.
    • aus dem Französischen von Michael Bischoff: Politik der Feindschaft. Suhrkamp Berlin, Berlin 2017, ISBN 978-3-518-75424-5.

Mitarbeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mitherausgeber[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorwort[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zeitungsartikel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Israël, les Juifs et nous. In: Le Messager : journal d'information et de débat, Douala, April 1992 (ZDB-ID 2171823-4).[12]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Conakry/Achille Mbembe enzyklopädisch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Siehe etwa: Hans-Christoph Zimmermann, Der Traum von vollkommener Sicherheit, in: junge Welt, 14. Mai 2019.
  2. Erneut Vorwürfe der Israelfeindlichkeit. In: Jüdische Allgemeine. 26. März 2020, abgerufen am 13. April 2020.
  3. Sybille Wüstemann: Dr. Achille Mbembe erhält den Gerda Henkel Preis 2018. In: idw-online.de. 11. Juni 2018, abgerufen am 11. Juni 2018.
  4. 34
  5. Sign In. In: publicculture.dukejournals.org. Abgerufen am 4. Oktober 2016.
  6. Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft. Suhrkamp, Berlin 2014. Vgl. Detlev Claussen: Vordenker des Postkolonialismus: Reale Fiktionen. taz vom 22. Februar 2015; Ijoma Mangold: Rassismus: Wie rassistisch ist der Westen. In: Die Zeit vom 29. April 2020, S. 45.
  7. Geschwister-Scholl-Preis 2005: Achille Mbembe. In: Geschwister-Scholl-Preis.de. Abgerufen am 18. Mai 2018.
  8. Achille Mbembe erhält Ernst-Bloch-Preis. In: boersenblatt.net. 18. Mai 2018, abgerufen am 18. Mai 2018.
  9. Christiane Habermalz: Achille Mbembe: „Der Westen trägt einen Mühlstein von Schuld“, Deutschlandfunk Kultur, 9. Oktober 2018
  10. Albertus-Magnus-Professur 2019. Abgerufen am 10. Dezember 2019.
  11. Vgl. Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft . Suhrkamp-Verlagsseite, abgerufen am 19. Mai 2018 (Einleitung frei einsehbar).
    Neger heißen heute Arbeitsnomaden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. November 2014, Seite 12.
  12. Vgl. Thomas Weber: Mbembe-Debatte: Opfer werden zu Verfolgern. In: faz.net, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2020