Harald Ewert

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Harald Ewert und ein weiterer Zuschauer
Pressefoto von Martin Langer
(Bitte Urheberrechte beachten)

Harald Ewert (* 1954; † 2006 in Rostock) wurde zu einer Symbolfigur der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen am 24. August 1992. Ein Schwarzweißfoto von ihm mit ausgestrecktem Arm zum Hitlergruß, bekleidet mit einem Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft und scheinbar eingenässter Jogginghose ging um die Welt.

Entstehung des Fotos[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ewert war gelernter Gärtner und absolvierte eine weitere Ausbildung zum Baumaschinisten, die er mit dem Facharbeiterbrief abschloss. Seit Anfang 1990 war er arbeitslos.

Der damals 38-jährige Ewert wohnte zum Zeitpunkt der Ausschreitungen in Rostock-Reutershagen. Als er im Fernsehen von den Krawallen am Asylbewerberheim in Rostock hörte, begab er sich nach Lichtenhagen und schloss sich der dort versammelten Menge an, die rund hundert Rechtsextremisten dabei beobachtete und anfeuerte, wie sie die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) mit Steinen und Molotow-Cocktails bewarfen und in Brand setzten. Er trug dabei eine graue Jogginghose und ein Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft. Offensichtlich betrunken und mit glasigem Blick reckte er im Moment der Aufnahme den rechten Arm zum Hitlergruß.

Für das Zeigen des Hitlergrußes wurde Ewert im Frühjahr 1993 wegen Verletzung des § 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) zu einer Geldstrafe in Höhe von 300 DM verurteilt.

Der Fotograf Martin Langer fertigte das Foto für den Spiegel an. Es zeigt einen dunklen Fleck im Schritt der Jogginghose und erweckt den Eindruck, dass sich Ewert eingenässt habe.[1] Gegenüber dem Stern bestritt Ewert, dass es sich um einen Urinfleck gehandelt habe. Vielmehr soll eine Bierdose, die er bei einer Autofahrt zwischen seinen Beinen eingeklemmt habe, übergeschwappt sein. Er könne dies jedoch nicht beweisen, weil er die Jogginghose aus Wut verbrannt habe. Der Hitlergruß sei durch Zufall entstanden; das „ging ganz automatisch – ich war blau“, soll er dem Stern berichtet haben.[1] Zehn Jahre später beteuerte Ewert gegenüber dem Tagesspiegel erneut, dass er nie ein Neonazi gewesen und der rechte Arm nur reflexartig nach oben gegangen sei. Er bereue den Fleck auf der Hose und wünsche sich, „dass sowas wie in Lichtenhagen nicht mehr passiert“.[2]

2006 starb Ewert mit Anfang 50[3][4] in derselben Wohnung, die er schon zum Zeitpunkt der Ausschreitungen bewohnt hatte.[5]

Außenwirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Bild mit Ewert wurde Teil der kollektiven Erinnerung an die Ausschreitungen und ist die bekannteste Aufnahme des viertägigen Pogroms. Es wurde weltweit bekannt und zum Synonym des „neuen hässlichen Deutschlands“.[3] Es wurde unter anderem in die Sammlungen des Hauses der Geschichte in Bonn und des Deutschen Historischen Museums in Berlin aufgenommen.

Popkulturelle Referenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Boxhamsters singen in dem Lied Konflikt (1993) die Textzeile „das Händchen in die Lüfte und das Höschen vollgepisst/ein flottes Liedchen und wir wissen, daß du guter Deutscher bist“.[6]
  • …But Alive verwendeten in ihrem Lied Nur Idioten brauchen Führer, das sich mit dem Wiedererstarken der rechtsextremen Szene nach 1990 beschäftigt, die Textzeile „reih dich ein in die Jogginghosen vollgepisst, du dummer mieser kleiner Rassist“.[7]
  • Eine eingefärbte Version des Bildes entstand als Gegenbewegung zur Initiative Du bist Deutschland.[8]
  • Das Satiremagazin Titanic erstellte eine falsche Werbeanzeige für eine „Herrenhose, pre-pissed“, die heute noch als Postkartenmotiv erhältlich ist.[9]
  • Die Broilers beziehen sich in ihrem Lied Der Rest und ich von ihrem 2014 erschienenen Album Noir auf Ewert: „Als der Rest schon klatschte, kam er ebenfalls raus, vollgepisste Jogginghose vor brennendem Haus.“
  • Die Deutschrock-Band Toxpack nimmt in ihrem Lied Nichts hören, sehen, sagen, eine Zusammenarbeit mit Stephan Weidner (Böhse Onkelz, Der W), ebenfalls Bezug auf Ewert: „So stehen sie wieder vorm Flüchtlingsheim. Wie vor 22 Jahren. Mit vollgepisster Hose und erhobenem rechten Arm.“[10]
  • Nachdem Jan Böhmermann Anfang 2015 wegen eines Twitter-Posts mit dem Foto von Fotograf Martin Langer abgemahnt worden war,[11] stellten er und sein Kollege William Cohn das Foto nach und veröffentlichten es über Twitter.[12][13]
  • Beim Bundesvision Song Contest 2015 trat die Bläsersektion der Gruppe Gloria um Klaas Heufer-Umlauf in Deutschlandtrikot und mit Pissfleck auf der Jogginghose auf.[14]
  • Die Band Affenmesserkampf bediente sich auf ihrem Album Clowns in Wut – Ein deutsches Herz hat aufgehört zu schlagen IV sowie dem darauf enthaltenen Lied 1992 der Symbolik des Fotos.[15][16]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christoph Koch: Neon vom Oktober 2007, S. 17 ff. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Die rechtsextremistische Szene. Einstiege – Gegenstrategien – Ausstiege in: Politik & Unterricht. Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung. Nr. 2, 2008, ISSN 0344-3531, S. 39 (politikundunterricht.de [PDF; 1,4 MB] mit Bild).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Markus Mohr: Vier Tage im August. In: Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): StandPUnktE 2012. Berlin 2012, S. 62 (online [PDF; 949 kB]).
  2. Torsten Hampel: Wofür schämt sich Harald Ewert? Tagesspiegel, 6. Januar 2002, abgerufen am 5. Oktober 2013.
  3. a b Christoph Koch: Das Sonnenblumen-Haus. Neon, 13. September 2007, abgerufen am 5. Oktober 2013.
  4. Werner Schmitz und Konrad Schwarz: Der Lichtenhagen-Nazi im Interview: "Hitler-Gruß? Das ging ganz automatisch". Stern.de, 31. August 2015, abgerufen am 20. Juni 2017.
  5. Christoph Koch: Das Sonnenblumenhaus. Mut gegen rechte Gewalt, 22. Oktober 2007, abgerufen am 20. Juni 2017.
  6. Boxhamsters: Prinz Albert, Bad Moon 1993
  7. Nur Idioten brauchen Führer. But Alive, abgerufen am 5. Oktober 2013.
  8. Du bist Deutschland. Jetzt, 27. Februar 2006, abgerufen am 5. Oktober 2013.
  9. Herrenhose, pre-pissed Postkarte. Offizielle Website, abgerufen am 7. Oktober 2013.
  10. Toxpack: Nichts hören, sehen, sagen. Album: Friss! (2014)
  11. Leonhard Dobusch: Abmahnung von Urheberrechtsverletzer Böhmermann: wie könnte eine Lösung aussehen? Netzpolitik.org, 25. Januar 2015, abgerufen am 25. Januar 2015.
  12. Jan Böhmermann, ein Hitlergruß in vollgepisster Jogginghose und ein Fotograf, dessen Ruf im Shitstorm untergeht. digitalista.de, archiviert vom Original am 26. August 2017; abgerufen am 25. Juli 2023.
  13. Daniel Völzke: Böhmermann-Ausstellung in Düsseldorf: Du bist Deuscthland. In: Monopol. 22. November 2017, abgerufen am 25. Juli 2023.
  14. TV-Kritik "Bundesvision Song Contest": Raab geht mit einem Paukenschlag. Stern.de, 30. August 2015, abgerufen am 20. Juni 2017.
  15. Bernd Cramer: AFFENMESSERKAMPF – Clowns in Wut – ein deutsches Herz hat aufgehört zu schlagen IV. Blueprint Fanzine, 12. April 2017, abgerufen am 18. Juni 2017.
  16. Thomas: Affenmesserkampf – Clowns in Wut – Ein deutsches Herz hat aufgehört zu schlagen IV (2017, Gunner Records). Handlemedown.de, 26. Mai 2017, abgerufen am 18. Juni 2017.