Jingmen Tick Virus

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Jingmen-Zeckenvirus
Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria
Reich: Orthornavirae
Phylum: Kitrinoviricota
Klasse: Flasuviricetes
Ordnung: Amarillovirales
Familie: Flaviviridae
Gattung: Jingmenvirus
Taxonomische Merkmale
Genom: (+)ssRNA linear, segmentiert
Baltimore: Gruppe 4
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
„Jingmen Tick Virus“
Kurzbezeichnung
JMTV
Links
Rhipicephalus microplus von oben und unten.
Rhipicephalus microplus, die Zeckenart in der JMTV erstmals und am häufigsten gefunden wurde. Rücken- (links) und Bauchansicht eines Männchens (oben) und Weibchens.

Jingmen Tick Virus“ (JMTV, deutsch: Jingmen-Zeckenvirus) ist der vorgeschlagene Name einer Spezies von RNA-Viren. Die Art ist namensgebendes Mitglied der Jingmenvirus-Gruppe. Das einzelsträngige Genom ist in vier getrennte Abschnitte segmentiert. Er wurde ursprünglich in der Region Jingmen in der Provinz Hubei im östlichen Zentralchina in Zecken der Art Rhipicephalus microplus gefunden, die 2010 gesammelt wurden. Die Arbeit wurde 2014 veröffentlicht.[1]

Da gleichartige Sequenzen unabhängig voneinander isoliert wurden, hat JMTV auch andere Namen bekommen: Mogiana Tick Virus (MGTV; 93 bis 97 % Übereinstimmung bei der Sequenz der Aminosäuren), Kindia tick virus, Guangxi tick virus, Amblyomma virus und Manych virus (je über 95 % identische RNA-Sequenzen).[2]

Genetik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die vier Genomsegmente bestehen aus einzelsträngiger RNA, die am 3'-Ende polyadenyliert sind, wie das auch bei mRNA der Fall ist. Ob am anderen Ende eine 5′-Cap-Struktur vorhanden ist wie in anderen Flaviviridae ist noch nicht untersucht (Stand 2022). An beiden Enden der Genomsegmente ist je eine neun Basen lange Sequenz vorhanden, die zwischen den Segmenten konserviert ist. Die Gesamtlänge des Genoms liegt mit 11401 Nukleotiden ähnlich wie bei der Gattung Flavivirus.[2][3]

Die Segmente 1 und 3 enthalten jeweils ein Gen, das große Ähnlichkeit mit den Proteinen NS3 beziehungsweise NS5 der Viren der Gattung Flavivirus hat. Daher wird die Gruppe in die Familie der Flaviviridae eingeordnet. Das NS5-ähnliche Protein wird auch als NSP1 bezeichnet. „NSP“ steht für Nicht-Struktur-Protein, also ein Protein das kein Bestandteil des Kapsids oder der Virushülle ist. Es handelt sich um eine RNA-abhängige RNA-Polymerase. Das NS3-ähnliche Protein wird auch als NSP2 bezeichnet. Es ist eine Helikase und Serinprotease.[2]

Die Genomsegmente 2 und 4 enthalten offene Leseraster (ORFs) für die Proteine VP1 beziehungsweise VP2 und VP3. Es wird angenommen, dass dies Kapsidproteine, Hüllenproteine und Membranproteine sind. VP steht für Virusprotein. Biochemische Analysen zeigten, dass die Viruspartikel eine Hülle haben. Als nuORF wird ein kurzes offenes Leseraster bezeichnet, das mit dem von VP1 auf Segment 2 fast vollständig überlappt[2]

Genomsegmente von JMTV[2]
Segment Länge (Nukleotide) Anzahl ORFsa Nameb Flavivirus-Homolog Funktion(en)
1 3072 1 NSP1 NS5 RNA-abhängige RNA-Polymerase und Methyltransferase
2 2785 2 VP1, nuORF - vermutetes Hüllprotein, unbekannt
3 2793 1 NSP2 NSB2/NS3 Transmembrandomäne, Serinprotease und Helikase
4 2751 2 VP2, VP3 - vermutetes Capsidprotein, vermutetes Membranprotein
aORF, Open Reading Frame, offenes Leseraster. Hier ist die Zahl der möglichen Proteine angegeben, die von diesem Segment codiert werden können. bName der codierten Proteine oder des ORFs.

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weltweite Verbreitung in Zecken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Brasilien wurde 2013 aus Rhipicephalus microplus eine Teilsequenz eines JMTV-Genoms sequenziert und noch vor der Veröffentlichung von JMTV 2014 als Mogiana Tick Virus (MGTV) bezeichnet. Später stellte sich heraus, dass es sich ebenfalls um JMTV handelte, mit 93 bis 97 % Übereinstimmung bei der Sequenz der Aminosäuren. Verschiedene RNA-Sequenzen, die über 95 % identisch sind und daher wohl JMTV zugerechnet werden können, wurden ursprünglich als Kindia tick virus, Guangxi tick virus, Amblyomma virus und Manych virus bezeichnet. Bis 2022 konnte JMTV festgestellt werden in Proben aus folgenden weiteren Ländern: Laos, Japan, Türkei, Italien, Kosovo, Rumänien, Russland, Trinidad und Tobago, Französische Antillen, Kolumbien, Uganda, Guinea und Kenia.[2]

Am häufigsten wurde JMTV in Rhipicephalus microplus entdeckt. In manchen Populationen waren über die Hälfte der Zecken infiziert, beispielsweise 53–63 % der untersuchten Tiere in China und 25–67 % in Brasilien. Diese Art als die weltweit wichtigste Rinderzecke angesehen, da sie eine Reihe von Krankheiten übertragen kann und in tropischen und subtropischen Regionen weltweit auftritt. Auf Grund des Klimawandels wird angenommen, dass sie bis nach Westeuropa vordringen wird. In den USA wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 40 Jahre lang eine zunächst erfolgreiche Ausrottungskampagne durchgeführt, am Beginn des 21. Jahrhunderts war sie jedoch wieder eingewandert.[2]

Aber auch Proben von 25 weiteren Zeckenarten aus mehreren Gattungen waren JMTV-positiv, darunter Rhipicephalus, Amblyomma, Dermacentor, Haemaphysalis, Hyalomma und Ixodes. Auch bei diesen wurden in manchen Untersuchungen in China hohe Durchseuchungsraten gefunden, bei Haemaphysalis campanulata und Dermacentor nutalli waren es je 75 %. Proben aus zwei Stechmückenarten waren ebenfalls positiv.[2]

Verbreitung in Wirbeltieren und Menschen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den Wirbeltieren, in denen JMTV-RNA nachgewiesen wurde, gehören Rinder, Primaten, elf Fledermausarten aus sechs Gattungen, elf Nagetierarten aus sieben Gattungen sowie kenianische Pantherschildkröten (Stigmochelys pardalis)[4]. Die Häufigkeit der Infektion lag niedriger als bei Zecken. Untersuchungen in China fanden an Rindern fand 3,5–10 % Befall, an Fledermäusen 12 % und an Nagetieren 7 %. Brasilianische Rinder waren zu 14 % positiv, kenianische Pantherschildkröten, die ebenfalls von Zecken befallen werden, zu 67 %. Antikörper gegen JMTV konnten in Rindern aus China ebenfalls nachgewiesen werden, in drei Regionen lag die Positivrate zwischen 18 und 37 %.[2]

Bei einem von 70 Patienten mit Zeckenbissen aus Frankreich wurden Anti-JMTV-Antikörper gefunden. Bei zwölf Patienten, die von 2013 bis 2015 im Kosovo am Krim-Kongo-Fieber erkrankten wurden neben dem Erreger der Krankheit auch noch weitere Virengenomsequenzen nachgewiesen, darunter bei drei Patienten JMTV.[2]

Eine 2019 veröffentlichte chinesische Studie untersuchte von 16 Patienten Biopsien der Haut aus der Nähe von Zeckenbissen. Aus vier der Biopsien konnten Genomsequenzen von JMTV isoliert werden und auch aus dem Blut dieser vier Patienten. In-situ-Hybridisierungen an Schnitten der Biopsien zeigten starke Anreicherung von Virussequenzen in manchen Bereichen, welche die Autoren als Nachweis einer Virusvermehrung im Menschen ansahen. Die Autoren der Studie fanden bei den betroffenen Patienten häufig einen juckenden oder schmerzhaften Wundschorf und eine histologisch nachweisbare Nekrose an der Einstichstelle sowie häufig geschwollene Lymphknoten. Außerdem wurden Blutproben 509 ehemaliger Patienten auf Anti-JMTV-Antikörper untersucht. Bei acht von ihnen war der Nachweis positiv, aber negativ für Antikörper gegen FSME-Viren. Diese acht Patienten erkrankten zwischen 2010 und 2018 und zeigten teils stärkere klinische Symptome wie hohes Fieber, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen. Es blieb unklar, inwieweit die beobachteten Symptome tatsächlich auf die JMTV-Infektion zurückgingen oder möglicherweise auf parallele Infektion mit einem weiteren Erreger. Tatsächlich waren drei der ehemaligen Patienten auch mit Rickettsien infiziert, welche ebenfalls durch Zecken übertragen werden.[5][2]

Zusammengenommen legen die vorhandenen Daten nahe, dass sich JMTV auch in Wirbeltieren und Menschen vermehren kann, auch wenn unklar ist in welchen Zelltypen und welche pathologischen Folgen dies hat.[2]

Übertragung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Generell ist noch wenig über den Übertragungszyklus des Virus bekannt. Es wurde in allen Entwicklungsstadien von Zecken gefunden: ausgewachsenen Tieren, Nymphen und auch in Larven, die noch kein Blut gesaugt hatten. Dies lässt vermuten, dass auch eine Übertragung von Zecke zu Zecke möglich ist, zumindest von der Mutter auf die Nachkommen. Der Nachweis im Speichel infizierter Zecken macht es wahrscheinlich, dass JMTV beim Biss an die Wirtstiere weitergegeben wird. Ein Vergleich von Gensequenzen ergab, dass diese sich mit zunehmender geografischer Entfernung stärker voneinander unterscheiden, dass es aber keine Rolle spielte, ob die Sequenz aus Zecken oder Wirbeltieren stammte. Dies spricht ebenfalls für eine wechselseitige Übertragung zwischen Zecken und deren Wirtstieren.[2]

Eine dauerhafte Vermehrung von JMTV im Labor ist bisher (Stand 2022) nicht gelungen, in Säugetier-Zellkulturen lediglich ein Infektion von Zelllinien über einige Passagen. Dies reichte jedoch um Viruspartikel zu isolieren. Elektronenmikroskopische Untersuchungen ergaben einen Durchmesser von etwa 70–80 nm mit erkennbaren Vorsprüngen. Eine Arbeit, die eine Vermehrung in einer Zecken-Zellkultur beschreibt, gibt nicht an für wie viele Passagen dies gelang.[5][2]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Xin-Cheng Qin, Mang Shi, Jun-Hua Tian, Xian-Dan Lin, Dong-Ya Gao, Jin-Rong He, Jian-Bo Wang, Ci-Xiu Li, Yan-Jun Kang, Bin Yu, Dun-Jin Zhou, Jianguo Xu, Alexander Plyusnin, Edward C. Holmes, and Yong-Zhen Zhang: A tick-borne segmented RNA virus contains genome segments derived from unsegmented viral ancestors. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 111, Nr. 18, 21. April 2014, S. 6744–6749, doi:10.1073/pnas.132419411.
  2. a b c d e f g h i j k l m n Agathe M. G. Colmant, Rémi N. Charrel, Bruno Coutard: Jingmenviruses: Ubiquitous, understudied, segmented flavi-like viruses. In: Front. Microbiol. Band 13, 997058, doi:10.3389/fmicb.2022.997058.
  3. Hayley M. Bennett: Split reality for novel tick virus. In: Nature Reviews Microbiology. Band 12, 9. September 2014, S. 464, doi:10.1038/nrmicro3297.
  4. Edwin O. Ogola, Anne Kopp, Armanda D. S. Bastos, Inga Slothouwer, Marco Marklewitz, Dorcus Omoga, Gilbert Rotich, Caroline Getugi, Rosemary Sang, Baldwyn Torto, et al. 2022.: Jingmen Tick Virus in Ticks from Kenya. In: Viruses. Band 14, Nr. 5, 13. Mai 2022, 1041, doi:10.3390/v14051041, PMID 35632782, PMC 9147648 (freier Volltext).
  5. a b Na Jia, Hong-Bo Liu, Xue-Bing Ni, Lesley Bell-Sakyi, Yuan-Chun Zheng, Ju-Liang Song, Jie Li, Bao-Gui Jiang, Qian Wang, Yi Sun, Ran Wei, Ting-Ting Yuan, Luo-Yuan Xia, Yan-Li Chu, Wei Wei, Lian-Feng Li, Jin-Ling Ye, Qing-Yu Lv, Xiao-Ming Cui, Yi Guan, Yi-Gang Tong, Jia-Fu Jiang, Tommy Tsan-Yuk Lam, Wu-Chun Cao: Emergence of human infection with Jingmen tick virus in China: A retrospective study. In: EBioMedicine. Band 43, 17. April 2019, S. 317–324, doi:10.1016/j.ebiom.2019.04.004, PMID 31003930, PMC 6557783 (freier Volltext) – (englisch).