Dies ist ein als exzellent ausgezeichneter Artikel.

Paracetamol

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. November 2004 um 23:40 Uhr durch 217.227.120.149 (Diskussion) (→‎Nebenwirkungen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Datei:N-acetyl-para-aminophenol.png
Kalottenmodell des Paracetamols

Paracetamol (PCM) (in Nordamerika bekannt als Acetaminophen) ist ein schmerzstillender und fiebersenkender Arzneistoff, der in verschiedenen Darreichungsformen verfügbar ist. Er ist Bestandteil vieler Schmerz- und Erkältungsmedikamente, sowohl als Monopräparat als auch in Kombipräparaten. Seit ihrer Einführung zählen Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paracetamol weltweit zu den bekanntesten und meistverwendeten Schmerzmitteln neben jenen, die Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen enthalten.

Als Monopräparat in geringer Dosierung gilt Paracetamol als weitgehend unschädlich und kann unter medizinischer Überwachung sogar langfristig angewendet werden. In Kombination mit anderen Arzneistoffen oder Alkohol ergeben sich aber Wechselwirkungen, die besonders an Leber und Nieren langfristig Organschäden verursachen können (toxische Fettleber, Schmerzmittelnephropathie). Wegen der geringen therapeutischen Breite des Wirkstoffes und der einfachen Verfügbarkeit treten auch häufig versehentliche oder beabsichtigte akute Vergiftungen auf.

Indikationen sind vor allem leichte bis mittelstarke Schmerzen, etwa Kopfschmerzen, Migräne oder Zahnschmerzen, und Fieber. Bei Fieber von kleinen Kindern ist Paracetamol Mittel der ersten Wahl. Auch bei Sonnenbrand und arthrosebedingten Gelenkschmerzen ist Paracetamol wirksam.

Die beiden gebräuchlichen Namen leiten sich ab von der korrekten chemischen Bezeichnung des Stoffes, N-acetyl-para-aminophenol.

Handelsmarken und Darreichungsformen

Paracetamol gehört in die Gruppe der Nichtopioid-Analgetika und ist als Schmerzmittel (Analgetikum) und Fiebersenker (Antipyretikum) in deutschsprachigen Ländern von mehreren Herstellern unter verschiedenen Markennamen erhältlich, zum Beispiel ben-u-ron®, Captin®, Fensum®, Mexalen®, Paedialgon®, Paracetamol-Hexal®, Perfalgan®. In Amerika ist es vor allem als Tylenol® (McNeil-PPC, Inc.), Anacin-3® und Datril® bekannt, in Asien, Australien und Großbritannien als Panadol®. Das bekannteste Kombipräparat in Deutschland, welches Paracetamol enthält, ist Thomapyrin®, andere sind etwa Neuralgin® oder Dolomo®. Auch mit dem Opioid Tramadol wird Paracetamol kombiniert eingesetzt.

Paracetamol ist in entsprechender Aufbereitungsform in Deutschland zur oralen, rektalen und intravenösen Anwendung zugelassen. Erwachsenen wird es bevorzugt als Tablette oder Kapsel verabreicht, Kindern als Zäpfchen oder Sirup; außerdem wird es zum Beispiel nach Operationen als Infusion gegeben. In Deutschland ist der normale Wirkstoffgehalt einer Tablette für Erwachsene 500 Milligramm. International sind auch Tabletten à 1000 Milligramm verfügbar. Für Kinder gibt es Sirup mit 20 Milligramm pro Milliliter Wirkstoffgehalt sowie Zäpfchen à 125, 250 oder 500 Milligramm. Intravenös werden bis zu 1000 Milligramm verabreicht.

Paracetamol ist rezeptfrei erhältlich und apothekenpflichtig. Es hat bei korrekter vorsichtiger Dosierung wenige Nebenwirkungen, nur selten treten allergische Reaktionen auf. Bei Überdosierung (über 150 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht) kann es tödlich wirken, indem es die Leber irreparabel schädigt. Eine übliche Dosierung für Erwachsene ist 500 Milligramm alle vier Stunden.

Unterschied zu anderen Schmerzmitteln

Anders als andere bekannte Schmerzmittel wie Acetylsalicylate (vor allem als "Aspirin®" bekannt) oder Ibuprofen besitzt Paracetamol weniger entzündungshemmende (antiphlogistische) Wirkungen und hat weniger Nebenwirkungen. Es eignet sich auch für schwangere, magenempfindliche und gerinnungsgestörte Patienten.

Auch ein Einfluss auf den Gemütszustand, wie er etwa bei Opiaten vorkommt, ist bei Paracetamol nicht bekannt. Das Abhängigkeitspotenzial ist gering.

Paracetamol wird bei oraler Aufnahme vorwiegend im Dünndarm resorbiert. Der Abbau erfolgt vor allem in der Leber, wo der größte Teil des Stoffes durch Verbindung mit Sulfaten oder Glucuronid inaktiviert und dann über die Nieren ausgeschieden wird. Ein kleiner Teil wird über das Cytochrom P450-Enzym-System abgebaut.

Wirkungsweise

Die Wirkung von Paracetamol ist bis heute nicht vollständig geklärt, gemeinhin wird jedoch ein Einfluss auf die Prostaglandinsynthese angenommen:

Die Schädigung einer Zelle durch mechanischen, chemischen oder thermischen Reiz aktiviert zunächst ein Enzym, eine Cyclooxygenase mit der Bezeichnung COX-2, das die Produktion einer speziellen Klasse von Hormonen, der Prostaglandine, katalysiert. Prostaglandine sind nicht nur essentiell für die Regulation verschiedener Körperfunktionen, wie etwa des Blutdrucks oder der Nierenfunktion, sondern wirken auch entzündungsfördernd und schmerzverstärkend. Daher spielen sie eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Schmerzen, Fieber und Entzündungen. Paracetamol wirkt dem entgegen, indem es die Aktivität von COX-2 (und COX-3) herabsetzt und damit die Produktion der schmerzfördernden Prostaglandine verringert.

Während andere Medikamente das aktive Zentrum von COX direkt blockieren, wirkt Paracetamol indirekt. Diese indirekte Blockierung passiert im Gehirn, aber nicht in Immunzellen, die hohe Konzentrationen von Peroxiden haben. Dies ist der Grund, warum Paracetamol – im Gegensatz zu Aspirin® – keine entzündungshemmende Wirkung besitzt.

unerwünschte Wirkungen

Paracetamol ist vor allem dafür bekannt, dass es bei richtiger Anwendung nur sehr selten negative Begleiterscheinungen aufweist. Zu diesen meist als Überempfindlichkeitsreaktionen auftauchenden Nebenwirkungen zählen etwa Übelkeit, Hautrötungen und -ausschlag, Schweißausbrüche und Blutdruckabfälle. Extrem selten kommt es zu Störungen der Blutbildung (allergische Thrombozytopenie oder Leukopenie) oder zu einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur (Analgetika-Asthma).

Bei häufiger Anwendung in hoher Dosierung und/oder über einen langen Zeitraum kann die Leber nachhaltig geschädigt werden. Daher ist es nur ein Schmerzmittel zur Behandlung von seltenen Schmerzattacken oder kurzen Schmerzepisoden einiger Tage wie zum Beispiel nach einer Operation.

Gefahren

Die toxische Wirkung beim Abbau lässt sich auf ein in kleinen Mengen entstehendes Produkt zurückführen, das reaktive N-acetyl-p-benzochinon-Imin. Dieses wird durch Glutathion sofort weiter abgebaut. Bei einer Überdosierung bei Erwachsenen von mehr als 150 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht (oder 7,5 Gramm insgesamt) versagt der Abbaumetabolismus, da kein Glutathion mehr zum gezielten Abbau zur Verfügung steht. Das Chinonimin reagiert im Folgenden nun unkontrolliert mit anderen Verbindungen der Zellen, was zu einer irreversiblen Schädigung und damit zum Untergang der Leberzellen und im Ganzen zum Leberversagen führt. Dieses kann tödlich sein, wenn es nicht behandelt wird.

Ein geeignetes Gegenmittel bei einer Paracetamolvergiftung ist - als Thiolgruppen-Donator und als Ersatz für Glutathion - N-Acetylcystein (Handelsname Fluimucil®), falls es innerhalb von zehn Stunden verabreicht wird.

Paracetamol-Intoxikationen werden häufig in suizidaler Absicht herbeigeführt. „Klassische Suizidalmedikamente“ wie Brom und Barbiturate sind heute als Schlaf- oder Beruhigungsmittel kaum noch gebräuchlich. Stattdessen werden üblicherweise Benzodiazepine verschrieben. Diese sind akut kaum toxisch, daher wird verstärkt zu freiverkäuflichen Mitteln wie Paracetamol gegriffen. Problematisch ist hierbei, dass sich die lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen erst nach einer erheblichen, oft symptomfreien Latenzzeit von 12 bis 24 Stunden einstellen. Findet eine Therapie erst dann statt, kann die Leberschädigung schon weit fortgeschritten und irreversibel sein. Die Zahl der Lebertransplantationspflichtigen ist aus diesem Grund gerade bei jungen Menschen stark gestiegen.

Wer Alkohol zu sich genommen hat, sollte Paracetamol nicht verwenden, da die mit dem Alkoholabbau beschäftigte Leber dieses nicht mehr ausreichend verarbeiten kann. Entsprechende Wechselwirkungen gibt es mit praktisch allen Substanzen, die in der Leber abgebaut werden.

Chemischer Aufbau

Strukturformel des Paracetamol (Paracetamol)
Strukturformel des Paracetamol

Die chemische Verbindung Paracetamol lässt sich durch die Summenformel C8H9NO2 oder Halbstrukturformel HO-C6H4-NH-CO-CH3 beschreiben und ist ein Derivat des 4-Aminophenols, also ein Phenol und damit ein Aromat; gleichzeitig ist es ein Derivat des Anilins. Daneben lässt sich Paracetamol auch als Acetamid, also als Amid der Essigsäure auffassen und leitet sich auch vom Acetanilid (Phenylacetamid) ab, das selbst auch als Fieber- und Schmerzmittel wirkt. Phenacetin und Paracetamol gehören zur Schmerzmittelgruppe der Anilinderivate.

Der chemische Name von Paracetamol lautet 4-Hydroxyacetanilid oder para-(N-acetyl)aminophenol; von letztgenannter Bezeichnung leiten sich die Namen Paracetamol (para-(N-acetyl)aminophenol) und Acetaminophen (para-(N-acetyl)aminophenol) ab.

Stoffeigenschaften

Paracetamol ist ein weißer, kristalliner Feststoff mit einem Schmelzpunkt von 170 °C. Es ist in Alkoholen gut löslich, in kaltem Wasser dagegen nur mäßig (14 Gramm/Liter bei 20 °C), wohl aber in kochendem Wasser. Es hat eine Dichte von 1,293 Gramm pro Kubikzentimeter und eine Molmasse von 151,165 Gramm. Paracetamol ist als Phenol schwach sauer - der pH-Wert einer wässrigen Lösung liegt bei etwa sechs - und hat einen leicht bitteren Geschmack.

Synthese

Herstellung von Paracetamol

Historisches

Vor der Entwicklung des Paracetamol war als einziges Schmerzmittel die Rinde des Chinabaumes bekannt, aus der auch das Anti-Malaria-Mittel Chinin gewonnen wird. Als die Beschaffung dieser Rinde aufgrund der abnehmenden Anzahl der Bäume und der zunehmenden Nachfrage schwieriger wurde, entstanden in den 1880er Jahren zwei Alternativen, das Acetanilid (1886) sowie das Phenacetin (1887). Paracetamol selbst wurde erstmals 1873 (nach anderen Quellen 1878) von Harmon Northrop Morse hergestellt, als er p-Nitrophenol mit Zinn in Eisessig (Essigsäure) reduzierte. Vignolo führte eine gezieltere Synthese durch, die von Aminophenol ausging, das er mit Essigsäure umsetzte, Friedlander verbesserte das Verfahren weiter durch die Verwendung von Essigsäureanhydrid als Acetylierungsmittel. Bis 1893 wurde Paracetamol allerdings nicht medizinisch verwendet. In letzterem Jahr wurde der Stoff Paracetamol erstmals im Urin eines Menschen nachgewiesen, der Phenacetin zu sich genommen hatte, und zu einem weißen Pulver konzentriert. 1899 wurde das Paracetamol außerdem als Stoffwechselprodukt des Acetanilids erkannt - diese Entdeckung wurde jedoch weitgehend ignoriert.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Paracetamol bekannter, als es 1948 von Bernard Brodie und Julius Axelrod am New York City Department of Health ein zweites Mal als Metabolit von Phenacetin identifiziert wurde. Diese forschten im Regierungsauftrag nach neuen Schmerzmitteln und zeigten in ihrer Arbeit auf, dass der schmerzstillende Effekt des Acetanalin und des Phenacetin vollständig auf das Abbauprodukt dieser Stoffe, das Paracetamol, zurückzuführen ist. Sie regten an, diesen Stoff in seiner Reinform zu nutzen, um die toxischen Nebenwirkungen der Ursprungsstoffe zu vermeiden.

Ab 1956 war Paracetamol in Tablettenform mit 500 mg Wirkstoff erhältlich und wurde in Großbritannien unter dem Markennamen Panadol® verkauft, hergestellt von der Firma Frederick Stearns & Co, die ein Ableger der Sterling Drug Inc. war. Panadol® war ausschließlich auf Rezept zu bekommen und wurde als schmerzstillendes und fiebersenkendes Mittel beworben, welches zugleich den Magen schone. Die damals bereits bekannten Aspirin®-Derivate waren weniger magenfreundlich. 1958 kam zusätzlich eine Kinderversion des Präparates auf den Markt mit dem Namen Panadol Elixir®. 1963 wurde Paracetamol in den britischen Katalog der pharmazeutischen Stoffe aufgenommen, den „British Pharmacopoeia“. Dort wurde es als Analgetikum mit geringen Nebenwirkungen und wenig negativen Wechselwirkungen mit anderen Stoffen beschrieben; kurz danach wurde es auch in anderen europäischen Staaten eingeführt.

Die eigentliche Wirkweise des Stoffes war sehr lange unbekannt. Erst zu Beginn der 1970er Jahre fand der britische Pharmakologe John Vane heraus, dass die Wirkung von Paracetamol und anderen nichtsteroiden Schmerzmitteln auf der Hemmung der Cyclooxygenase COX beruht. Für diese Entdeckung erhielt Vane 1982 gemeinsam mit Sune Bergström und Bent Samuelsson den Nobelpreis für Medizin.

1982 starben sieben Patienten in Chicago, nachdem sie Paracetamolkapseln in Form des sehr stark dosierten Produktes Tylenol® zu sich genommen hatten, die offensichtlich auch Cyanide enthielten. In den Kapseln fand man später jeweils 65 Milligramm des starken Giftes und damit die etwa 10.000fache tödliche Dosis für eine erwachsene Person. Der Hersteller der Präparate Johnson & Johnson Corporation startete eine landesweite Rückrufaktion seiner Tylenol®-Kapseln und warnte in Medienberichten vor der Einnahme der Kapseln und Tabletten. Da spätere Analysen das Gift nur in Kapseln nachwiesen, wurde das weitere Vorgehen nur noch auf diese beschränkt. Dieser Vorfall kostete die Firma etwa 100 Millionen Dollar, sie wurde allerdings für ihre schnelle und konsequente Reaktion durchweg gelobt.

Siehe auch: Novaminsulfon, Tramadol

Literatur

  • Wolnik KA, Fricke FL, Bonnin E, Gaston CM, Satzger RD (1984): The Tylenol tampering incident--tracing the source. Anal Chem ;56:466A-8A, 470A, 474A.
  • Boutaud O, Aronoff DM, Richardson JH, Marnett LJ, Oates JA (2002): Determinants of the cellular specificity of acetaminophen as an inhibitor of prostaglandin H2 synthases. Proc Natl Acad Sci U S A. May 14;99(10):7130-5. (Medline abstract), (Full text)