Glarner Hauptüberschiebung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. September 2016 um 22:06 Uhr durch Albinfo (Diskussion | Beiträge) (→‎Bedeutung für die Theorie der Gebirgsbildung: Infobox und diverse Kleinigkeiten). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Glarner Hauptüberschiebung an Atlas (rechts) und Tschingelhörnern (links)

Die Glarner Hauptüberschiebung ist eines der berühmtesten Geotope der Glarner Alpen in den Schweizer Kantonen Glarus, Graubünden und St. Gallen.

Die Glarner Hauptüberschiebung entstand, als sich aufgrund der Plattentektonik eine ältere Gesteinsschicht 40 Kilometer nach Norden auf eine jüngere Gesteinsschicht schob. Die zehn bis 15 Kilometer dicke obere Schicht aus rötlichem Verrucanogestein hat ein Alter von etwa 250 bis 300 Millionen Jahre (Rotliegend im Perm). Die untere jüngere Schicht aus schiefrigem Flysch ist dagegen lediglich 35 bis 50 Millionen Jahre alt (Paläogen). Teilweise ist das ältere Gestein auch von mesozoischen Schichten (Jura, Kreide) überschoben. Diese Schichtung von älterem über jüngerem Gestein ist dank einer hellen Trennschicht aus Kalkstein besonders gut erkennbar.[1]

Gut zu sehen ist die Überschiebung an den durch das Martinsloch bekannten Tschingelhörnern zwischen Elm und Flims sowie bei einer Lochsite genannten Stelle im unteren Sernftal bei Sool, einer leicht zugänglichen Stelle im Talgrund, von der im American Museum of Natural History in New York eine naturgetreue Kopie gezeigt wird.[2]

UNESCO Weltnaturerbe

Tektonikerbe Sardona
UNESCO-Welterbe UNESCO-Welterbe-Emblem

Glarner Hauptüberschiebung an Piz Dolf (rechts) und Piz Segnas (links) sowie im Vordergrund am Fil de Cassons
Vertragsstaat(en): Schweiz Schweiz
Typ: Natur
Kriterien: (viii)
Fläche: 328.5 ha
Referenz-Nr.: 1179
UNESCO-Region: [[Liste des UNESCO-Welterbes#Europa|Europa]]
Geschichte der Einschreibung
Einschreibung: 2008  (Sitzung 32)

Als Tektonikarena Sardona wurde die Hauptüberschiebung im Juli 2008 von der UNESCO zusammen mit einem 32'850 Hektar grossen Gebiet in das Weltnaturerbe aufgenommen. Zum Welterbegebiet gehören sieben Dreitausender – darunter der namensgebende Piz Sardona und der Ringelspitz – sowie der Pizol.[3] Die Arena erstreckt sich über mehrheitlich hochalpine Landschaft auf dem Gebiet von 13 Gemeinden zwischen Vorderrheintal, Linthtal und Walensee.[4] Von diesen liegen deren vier (Laax, Flims, Trin, Tamins) in Graubünden, deren sechs (Pfäfers, Bad Ragaz, Vilters, Mels, Flums, Quarten) im Kanton St. Gallen und die restlichen drei (Glarus Süd, Glarus und Glarus Nord – ehemalige Gemeinden Elm, Matt, Engi, Sool, Ennenda, Mollis, Filzbach, Obstalden, Mühlehorn) im Kanton Glarus.[5][6] Die Tektonikarena Sardona bildet das Kerngebiet des Geoparks Sardona.

Nachdem die Experten der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) der Hauptüberschiebung aufgrund des ihnen vorliegenden Dossiers zunächst keinen aussergewöhnlichen, universellen Wert zusprechen wollten, hat der Bund ein erstes Gesuch an die UNESCO zurückgezogen und 2006 ein überarbeitetes Dossier für einen neuen Antrag erstellt. Im März 2008 wurde die Kandidatur auf Empfehlung der IUCN auf die Bedeutung des Gebietes für Gebirgsbildungsprozesse und für das Verständnis der Plattentektonik erweitert.[7][8] Das Hauptaugenmerk legte die UNESCO auf den bildenden und wissenschaftlichen Aspekt der Region. Durch die gute Sichtbarkeit der Schichten ist auch für den Laien der Gebirgsbildungsprozess nachvollziehbar.[1]

Bedeutung für die Theorie der Gebirgsbildung

Glarner Hauptüberschiebung und Martinsloch, Bündner Seite, Aquarell von Hans Conrad Escher von der Linth
Hauptüberschiebung am Tschingelhorn, von Elm

Die Glarner Hauptüberschiebung trug zur Erkenntnis der Gebirgsbildung durch Überschiebung von Gebirgsdecken bei.

Untersuchungen an der Glarner Hauptüberschiebung veranlassten den Schweizer Wissenschaftler Hans Conrad Escher von der Linth 1809, die bis dahin gültige Theorie der Gebirgsbildung durch Erdschrumpfung anzuzweifeln. Sein Sohn Arnold Escher von der Linth, Geologieprofessor an der Universität Zürich, war weit zögerlicher und konnte sich nicht zu einer für die damaligen Geologen so neuartigen Interpretation durchringen, im Gegensatz zu dem berühmten englischen Geologen Roderick Murchison, den er 1848 als Gast empfing. Murchison sah dieses Erklärungsmodell durch Beobachtungen in Schottland unterstützt. Aufgrund der feindseligen und spöttischen Reaktionen auf die Erkenntnisse seines Vaters und Angst vor ähnlichen Diskreditierungen veröffentlichte er jedoch stattdessen 1866 eine andere Theorie und erklärte die Schichtung mit der „Glarner Doppelfalte“. Diese Theorie besagte, dass zwei von Norden und Süden aufeinander zulaufende Falten sich am Foopass trafen. An der Kontaktfläche beider Falten soll demnach eine mehrfach verworfene Flyschmulde entstanden sein.[1]

Unabhängig davon erkannte 1884 der französische Geologe Marcel Alexandre Bertrand eine Überschiebung als Ursache für die Gesteinsanordnung in den Glarner Alpen. Da er das aber an den Ardennen erkannte und nie in den Glarner Alpen gewesen war, wurde er von den prominenten Alpengeologen (Heim, Rothpletz) ignoriert. Auch im schottischen Hochland wurden Überschiebungen schon 1883 von Archibald Geikie herangezogen. Der Schweizer Geologieprofessor Albert Heim, Nachfolger von Escher von Linth an der ETH Zürich, war zunächst – zum Beispiel in einem Buch 1891 – einer der Hauptvertreter der Doppelfaltentheorie und lieferte sich in den 1890er Jahren einen heftigen Streit mit August Rothpletz, der Überschiebungen in den Alpen und anderen Gebirgszonen weltweit zu einem Haupterklärungsmodell machte, auch wenn er aus späterer Sicht und nach Heims Kritik öfter falschlag. Unterstützung erhielt die Deckentheorie aber durch Untersuchungen in der Westschweiz von Hans Schardt (1893) und Maurice Lugeon. Und auch Heim erkannte 1902 die Deckentheorie für die Glarner Überschiebung in einem Brief an Lugeon, den dieser publizierte, an.[9] Heute wird differenzierter auch eine ältere Faltungsphase in der Interpretation der Schichtenfolge der Glarner Hauptüberschiebung berücksichtigt, aus der später die Überschiebung entstand.[10]

Weblinks

Informationsschild an der Grenze des Welterbegebiets
Commons: Glarner Hauptüberschiebung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Martinsloch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Überschiebung an den Tschingelhörnern (auch „Tschingelhoren“) mit Martinsloch von Elm. Links Piz Segnas und rechts der Spitzen der Tschingelhörner der Ofen.
Überschiebung an (von links) Atlas, Piz Segnas und ganz rechts Piz Dolf. Der Dorn im Hintergrund ist der Piz Sardona. Sicht vom Fil de Cassons

Einzelnachweise

  1. a b c Birgit Adam: Faszinierendes Schauspiel der Gebirgsbildung. Schweizer Tektonikarena Sardona In: Einzigartiges Weltkulturerbe. wissenmedia GmbH Geschäftsbereich Verlag, Gütersloh/München 2009, ISBN 978-3-577-14384-4, S. 176–179.
  2. Authenticity / Integrity. Geopark Sardona, abgerufen am 20. März 2012 (englisch).
  3. The Glarus overthrust - a singular tectonic phenomenon. Geopark Sardona, abgerufen am 20. März 2012 (englisch).
  4. Die Rhätische Bahn als Welterbe anerkannt. Auch Glarner Hauptüberschiebung in der Unesco-Liste. In: Neue Zürcher Zeitung. 7. Juli 2008, abgerufen am 20. März 2012 (Schweizer Hochdeutsch).
  5. Nominationsdossier. (pdf) Archiviert vom Original am 5. November 2011; abgerufen am 26. März 2090 (Schweizer Hochdeutsch).
  6. Trägerschaft: Geschäftsstelle IG UNESCO-Weltnaturerbe Tektonikarena Sardona. IG Tektonikarena Sardona, abgerufen am 20. März 2012 (Schweizer Hochdeutsch).
  7. geo-life: Mark Feldmann Glarner Überschiebung
  8. BAFU: Swiss Tectonic Arena Sardona: Thematisch erweiterte Kandidatur als UNESCO-Welterbe Medieninformation
  9. Heim, Lettre ouverte de M. le Professeur A. Heim à M. le Professeur M. Lugeon. Bull. Soc.géol.France (4) 1, 1902, S. 823-825
  10. Rudolf Trümpy: The Glarus Nappes: A Controversy of a Century Ago. In: D. W. Mueller, J. A. McKenzie, H. Weissert (Herausgeber) Controversies in Modern Geology, Academic Press, 1999, S. 385-404