Häuserkampf (Militär)

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US-Soldaten 2004 in Falludscha, Irak

Der Orts- und Häuserkampf ist ein militärischer Begriff für den Kampf in und um Häuser. Das Gefecht in Ortschaften und Städten wird als Kampf in dicht bebautem – urbanem – Gelände bezeichnet. Er ist vor allem infanteristisch geprägt und kann nur bedingt primär von Schützenpanzern, gegen feindliche Panzerfahrzeuge auch von Kampfpanzern unterstützt werden.

Im Angriff fordert er einen eigenen hohen Kräfteansatz, schwächeren Kräften ermöglicht er eine erfolgreiche Verteidigung. Neben den Mitteln moderner Kampfführung und dem Einsatz von Distanzwaffen ist er geprägt vom Kampf auf nahe Entfernungen, Mann gegen Mann. Der Häuserkampf unterscheidet sich vom Kampf im offenen oder teilbedecktem Gelände, dem klassischen Gefechtsfeld, vor allem durch den Kampf auf mehreren Ebenen, mit der Möglichkeit sich unterirdisch (z. B. U-Bahn- oder Kanalnetz) zu bewegen und durch die vergleichsweise niedrigen Kampfentfernungen. Der Kampf als Gefechtshandlungen in bedecktem Gelände ist der Waldkampf.

Im Englischen wird Orts- und Häuserkampf als FIBUA für Fight In Built Up Area oder FISH für Fighting In Someone elses House oder MOUT für Military Operations in Urban Terrain bezeichnet und umschreibt alle militärischen Operationen im urbanen Gelände einschließlich des Häuserkampfes selbst.

Taktik im Häuserkampf

Szene aus dem Ersten Tschetschenienkrieg

Allgemeines

Kennzeichnend für den Orts- und Häuserkampf ist, dass das Gefechtsfeld durch Bebauung geprägt ist, die die Sichtlinien oft blockiert. Angreifer und Verteidiger bekämpfen sich insbesondere im Inneren von Gebäuden auf extrem kurze Distanz. Der Angreifer kann seine technische Überlegenheit nur schwer am entscheidenden Punkt konzentrieren und seine überlegenen Feuermittel nur begrenzt einsetzen. Unterstützung aus der Luft kann wegen der Bebauung, der Gefahr von Kollateralschäden und der Gefahr von Friendly Fire nur begrenzt eingesetzt werden. Bereits bei der Erstürmung von nur schwach verteidigten Gebäuden, muss der Angreifer oftmals einen deutlich höheren Kräfteansatz für seinen Angriff wählen, da er gleichzeitig den eigenen rückwärtigen Bereich vor Feindangriffen, z. B. durch die Kanalisation, sichern muss.

Geschichte

Häuserkampf in der Schlacht von Stalingrad

In den Häuserkämpfen des Zweiten Weltkrieges wurde erstmals intensiv an Taktiken gearbeitet, um ein Haus mit möglichst geringen Verlusten einnehmen zu können. Vor allem in den monatelangen Häuserkämpfen in der Schlacht um auf Stalingrad waren die Soldaten mit der Situation überfordert und mussten erst neue Taktiken entwickeln, da die Masse der deutschen Truppen mechanisiert waren, und damit bedingt infanterieschwächer als Infanteriedivisionen.

Neben der rein infanteristischen Taktik in der Gliederung zum Stoßtrupp für den Handstreich musste beim Häuserkampf auch das Zusammenwirken mit schweren Waffen wie den Einsatz von Geschützen und Panzerabwehr­waffen zur Ausschaltung von feindlichen Stellungen neu entwickelt werden.

Verteidigung

Der Verteidiger im Orts- und Häuserkampf kann seine Stellungen durch Drahthindernisse im Vorfeld, Sandsäcke und Maschendraht an Fenstern, Sprengfallen an den Eingängen und durch Durchbrechen von Kellerwänden als Fluchtwege sowie durch sich überschneidende Feuerbereiche sichern. Fenster und auch bedingt Türen, soweit sie nicht für die geplante Bewegung beim Stellungswechsel benutzt werden müssen, können vor Handgranaten mit Maschendraht geschützt werden. Der Einblick ins Gebäude, aber auch Sichtstrecken innerhalb können mit Stoffstreifen behindert werden. Dringt der Angreifer in ein Gebäude ein, reichen oft geringe Kräfte beim sofortigen Gegenstoß, um ihn wieder zurückzuwerfen, da im Orts- und Häuserkampf schnell das Zusammenwirken im Angriff und die Verbindung verloren geht. Zerstörungen in bebauten Gebieten, wie Häuserruinen, kommen den Verteidigern zugute. Sie bieten Deckungsmöglichkeiten und behindern einen raschen und sicheren Vormarsch des Angreifers durch Schuttberge sowie gute Tarnung für verdeckte Stellungen. Der Verteidiger ist zudem durch die Unübersichtlichkeit des Schlachtfeldes begünstigt. Während der Angreifer sich in der angegriffenen Stellung nicht auskennt und Zimmer für Zimmer sichern muss, kann der ortskundige Verteidiger den Angreifern in die Flanke oder den Rücken fallen sowie von oben, aber auch von unten angreifen. Besonders bei einer längerfristig vorbereiteten Verteidigung von urbanem Gelände werden auch vorhandene Tunnelsysteme genutzt, selten diese sogar angelegt. Diese ermöglichen dem Verteidiger ebenso wie die Kanalisation im Rücken des Angreifers einen Gegenangriff zu führen.

Angriff und Gefechtsführung

Urbanes Gelände wird nach Möglichkeit umgangen. Muss dieses aber genommen werden, wird es zunächst von eigenen Kräften umgangen und in der Tiefe abgeriegelt, um dem Feind die Möglichkeit zur Verstärkung und für Nachschub zu nehmen.

Beim Angriff im urbanen Gelände rücken eigene Kampfverbände entlang der Hauptverkehrsachsen vor, besetzen wichtige Einrichtungen, riegeln einzelne Stadtteile für den nachfolgenden Angriff ab und durchkämmen diese danach. Wichtige Objekte sind hohe, beherrschende Gebäude, die guten Überblick bieten, Verwaltungsgebäude zur Sicherung der Kontrolle über die Bevölkerung, ökonomische Schlüsselobjekte wie Wasserwerke, Umspannanlagen für Strom und Gaswerke sowie Schwerindustriekomplexe.

Taktisch wesentlich im Ort- und Häuserkampf ist eine tiefe Gliederung. Meist wird einer Kompanie nur eine Hauptstraße zugewiesen und die Züge tief gestaffelt links und rechts der Straße eingesetzt sowie mindestens ein Zug als örtliche Reserve bereitgehalten, da der Gegner in urbanem Gelände eigene Kräfte schnell über verdeckte Wege wie Hinterhöfe oder die Kanalisation umgehen kann.

Im Angriff wird pro Haus zumeist ein Infanterie­zug benötigt, der sich in Sturmgruppe, Deckungsgruppe, Sprengtrupp und Trägertrupp gliedert. Der Angreifer versucht, den Verteidiger durch starkes, ununterbrochenes Feuer niederzuhalten, und greift mit Sprengkörpern und Nahkampfwaffen an, wobei er nicht über offenes Gelände vorgeht, sondern sich von Haus zu Haus durch Mauerdurchbrüche vorzuarbeiten sucht. Die Vorgehensweise ist langsam und aufwendig, weil die Situation in den Häusern unklar ist und einen hohen Verbrauch an Sprengmitteln und Munition erfordert. Soweit möglich wird versucht, Häuser von oben nach unten zu durchkämmen, weil die Handgranate als eines der Hauptkampfmittel im Häuserkampf so am besten geworfen werden kann. Nach Möglichkeit erfolgt der Übergang von einem Haus zum nächsten über Durchbrüche im Dachstuhl, um so dieses von oben nehmen zu können. Der Angriff erfolgt in Stoßtruppgliederung.

Die Deckungsgruppe hält den Feind im anzugreifenden Haus mit Sperrfeuer nieder und zwingt diesen in die Deckung. Mit Einsetzen des Deckungsfeuers sprengt der Sprengtrupp äußere Hindernisse wie Drahtsperren. Um eindringen zu können, kann auch mit schweren Waffen eine Bresche in das anzugreifende Haus geschossen oder durch den Sprengtrupp gesprengt werden bzw. dieser sprengt verbarrikadierte Türen oder Fenster auf. Danach greift die Sturmgruppe das Haus unterteilt in Drei-Mann-Sturmtrupps an. Nach Überwinden der äußeren Hindernisse (Sprengung durch Spreng- und Blendtrupp) wird versucht, die vorbereitete Bresche im Haus bzw. eine Tür/Fenster zum Eindringen zu nutzen. Dies soll nach Möglichkeit soweit oben wie möglich geschehen. Die Sturmgruppe setzt dazu Sturmleitern, Steckleitern oder Wurfanker mit Kletterseil ein, um in ein oberes Stockwerk zu gelangen.

Der erste Sturmtrupp dringt mit Handgranaten und Maschinenwaffen in den ersten Raum ein. Dabei wird vor Erstürmung des Raumes eine Handgranate geworfen und nach der Explosion aus der Deckung heraus blind ein Feuerstoß in den Raum abgegeben. Erst danach nimmt der Sturmtrupp den Raum. Ist dieser feindfrei, rückt der nächste Sturmtrupp nach. Der Kampf Raum um Raum wird überschlagend weitergeführt. Das Prinzip ist immer gleich (Handgranate, Feuerstoß in den Raum, Eindringen, Melden der örtlichen Feindlage, Raum feindfrei, nachrücken).

Wesentlich insbesondere im Angriff ist ein ununterbrochener Munitionsnachschub sowie das Sichern bereits genommener Räume und Häuser, um einen gegnerischen Gegenstoß abzuwehren. Beides erfordert in erheblichem Maße eigene Kräfte, die dem unmittelbaren Kampf entzogen werden. Daher sind die angesetzten Züge überschlagend einzusetzen, damit eigene Kräfte im Angriff immer wieder durch frische Teileinheiten abgelöst werden.

Waffen für den Häuserkampf

Primäre Handwaffen

Deutsche Soldaten durchsuchen ein Haus. Sie sind dabei mit dem Gewehr G36 (aufgrund der Enge Schulterstütze eingeklappt) und der Pistole P8 bewaffnet.

An eine Primärwaffe für den Häuserkampf bestehen verschiedene grundlegende Anforderungen:

  • Hohe Trefferwahrscheinlichkeit auf kurze Entfernung auf bewegliche Ziele.
  • Hohe Wirkung der Waffe im Ziel, um den weiteren Kampf des Feindes zu verhindern.
  • Gute Handhabbarkeit – in engen Räumen muss die Waffe bei überraschend auftauchendem Feind schnell ins Ziel geführt werden können. Wird eine Hand für anderes benötigt (z. B. Türen öffnen), kann die Möglichkeit zur Einhandbedienung von Vorteil sein.

Hauptsächlich kommen beim Häuserkampf Sturmgewehr und Handgranate zum Einsatz. Maschinenwaffen mit einklappbarer oder einschiebbarer Schulterstütze sind dabei in engen Räumen besser handhabbar. Als weitere Handfeuerwaffen kommen auch Pistole, Maschinenpistole und Vorderschaftrepetierflinte zum Einsatz.

Insbesondere im Kampf mit einem asymmetrischen Gegner, bei dem es für die eigene Seite wesentlich ist, die Zivilbevölkerung durch Schonung für die eigene Seite zu gewinnen, aber auch in einem symmetrischen Gefecht in urbanem Gelände, das von der Zivilbevölkerung nicht geräumt wurde, stellen Sprengmittel und Handgranaten für Zivilpersonen eine besondere Gefahr dar, da sich in jedem angegriffenen Raum eines Gebäudes, das gestürmt wird, Zivilisten befinden können.

Sekundäre Handwaffen

Als Sekundärwaffen werden zur unmittelbaren Feuerunterstützung Maschinengewehr, Granatpistole und Panzerabwehrhandwaffen (Panzerfaust 3, RPG-7, M72 LAW, FGM-148 Javelin) verwendet und im Angriff in der Deckungsgruppe zusammengefasst, um der Sturmgruppe Feuerunterstützung zu geben.

Früher wurden im Orts- und Häuserkampf Flammenwerfer eingesetzt, die aber heute nicht mehr gebräuchlich sind. Die Bundeswehr verfügte bis zum Jahr 2001 stattdessen über die Handflammpatrone.

Im unmittelbaren Kampf Mann-gegen-Mann kamen und kommen auch Blankwaffen wie Kurzspaten, Grabendolch oder ein Streitkolben zum Einsatz. Beispiele bietet der Stellungskrieg während des Ersten Weltkriegs.

Hilfsmittel

Als Hilfsmittel kommen beim Orts- und Häuserkampf im Angriff Werkzeuge wie Axt, Brechstange, Rammbock, Sturmleiter und Steckstrickleiter, Wurfanker und Sprengladungen an einem Galgen zum Einsatz, um sich Zugang zu Gebäuden zu verschaffen. Pyrotechnische Detonationsmittel wie Nebelwurfkörper und Blitz-Knall-Granaten werden im Angriff, Bodenleuchtkörper in der Verteidigung eingesetzt. Beim Kampf in der Kanalisation ist der Einsatz von Gasdetektoren empfehlenswert, da eine hohe Konzentration von Faulgasen zum Tod führen kann.

In der Verteidigung kommen neben Antipersonenminen vor allem Drahthindernisse wie S-Draht, Spanischer Reiter aber auch Krähenfüße zum Einsatz, um den feindlichen Angriff zu verlangsamen und in bestimmte Richtungen zu lenken, die vor die Hauptschussrichtung flankierend eingesetzter Maschinenwaffen führen. Bandstacheldraht kann im Orts- und Häuserkampf nur mit Pflöcken auf Freiflächen eingesetzt werden. Bandstacheldraht wird dabei hinter Sichthindernissen kniehoch und möglichst tief verlegt, um Feind ein schnelles Überwinden von freien Flächen zu erschweren und diesen möglichst lange eigener Waffenwirkung auszusetzen. Alle Drahtsperren sind durch Feuer zu überwachen.

Schwere Waffen

Mittelbare Feuerunterstützung erfolgt durch Mörser. Auswirkungen der Granaten und Raketen sind Splitter-, Spreng-, Brand-, Rauch- oder Blendwirkung. Spezielle Gefechtsköpfe nach Art einer Aerosolbombe, wie bei der TBG-7V, einem RPG-7 Modell für den Orts- und Häuserkampf, erzeugen zunächst ein feinverteiltes Brennstoff-Luft-Gemisch. Dieses Gemisch kann leicht in Gebäude und Deckungen eindringen und sich dort verteilen. Anschließend wird das Gemisch entzündet und entfaltet eine große Wirkung durch Druck und Hitze. Sprengmitteln und Granatenwaffen kommt eine hohe Bedeutung zu. Einerseits benötigen sie keine direkte Schusslinie, welche oft versperrt ist, andererseits ist der Schütze keinem direkten Feindbeschuss ausgesetzt. Sprengmittel dienen u. a. dazu, Mauerdurchbrüche zu schaffen.

Die Infanterie wird heute meistens von Schützen- und Kampfpanzern, Artillerie und der Luftwaffe unterstützt, um den Feind im Gefecht der verbundenen Waffen zu bezwingen. Insbesondere Schützenpanzer stellen dabei aus rückwärtigen Feuerpositionen, aber auch als Deckung im Angriff, eine wesentliche Unterstützung dar.

Bedeutung im 21. Jahrhundert

Soldaten des US Marine Corps beim MOUT-Training (2002)

Bereits jetzt lebt ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten, besonders auch in jenen Regionen, die als Krisenherde gelten. Die Entwicklung einer umfassenden Doktrin für militärische Operationen in bebautem Gelände versucht dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Als Vorbild gelten dabei unter anderem die Erfahrungen der israelischen Streitkräfte in den Libanon­feldzügen und beim Einsatz in den besetzten Gebieten. Auch die Entwicklung militärischer Technik steht verstärkt unter dem Aspekt urbaner Einsatzszenarien. Dabei geht die Tendenz zur weiteren Nutzung verbesserter Sensoren, Echtzeitkommunikation mit der Einsatzleitung und dem vermehrten Einsatz von Drohnen. Beim Großgerät, wie Kampfpanzern und Radfahrzeugen, soll deren Nutzbarkeit durch neue Munitionssorten, besseren Schutz gegen Hinterhalte und fernlenkbare Maschinengewehren erweitert werden.

Dabei tritt zunehmend das „klassische“ Erobern von Ansiedlungen in den Hintergrund und das dauerhafte Kontrollieren von Städten in den Vordergrund. Wichtigstes Beispiel sind die Auseinandersetzungen der US-Besatzungstruppen mit Aufständischen im Irak seit 2003: Dabei geht es nicht um das Erobern der Städte, sondern um die Durchsetzung eines Gewaltmonopols der mit den Vereinigten Staaten verbündeten irakischen Regierung. Die Beteiligung irregulärer Kämpfer und der gleichzeitige Alltag anwesender Zivilbevölkerung stellt eine weitere Herausforderungen dieses „neuen“ Häuserkampfes dar.

Beispiele (Auswahl)

Das Blutbad in Bazeilles

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Häuserkampf – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Häuserkampf – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen