Ita Wegman

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Ita Wegman 1899 in Berlin

Maria Ita Wegman (* 22. Februar 1876 in Parakan-Terus bei Batavia (heute Jakarta/ Indonesien); † 4. März 1943 in Arlesheim, Schweiz), zeitlebens Ita Wegman genannt, war als Ärztin gemeinsam mit Rudolf Steiner Begründerin der anthroposophischen Medizin.

1921 gründete die sozial engagierte Frauenärztin eine anthroposophische Privatklinik in Arlesheim, aus der die heutige Klinik Arlesheim hervorging. Dort entwickelte sie auch die Rhythmische Massage als anthroposophisch geprägte Richtung der Klassischen Massage. Von 1923 bis 1935 gehörte sie dem Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft an und leitete die Medizinische Sektion der zugehörigen Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach. 1935 wurde sie aus der Anthroposophischen Gesellschaft ausgeschlossen.

Leben

Ita Wegman wurde 1876 in Parakan-Terus nahe Batavia (dem heutigen Jakarta) geboren. Sie wuchs im großbürgerlichen Milieu unter Niederländern in der damaligen Kolonie Niederländisch-Indien auf. Ihr Vater verwaltete dort eine Zuckerfabrik. Nach einer Verlobung im Jahr 1894 kam die Hochzeit nicht zustande, weil der Verlobte starb. Daraufhin wendete sie sich der von Helena Petrovna Blavatsky begründeten modernen Theosophie zu, die damals in Indien recht bedeutend war. 1900 ging sie nach Europa, wo sie 1902 ein Diplom „in Schwedischer Heilgymnastik und Massage“ erwarb und in Berlin ein Therapeutikum für physikalische Therapie eröffnete. Dort lernte sie 1902 Rudolf Steiner kennen, der gerade zum Generalsekretär der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, einem Ableger der in Indien beheimateten Theosophischen Gesellschaft Adyar, ernannt worden war.[1][2]

Facharztausbildung

1906 begann sie das Studium der Medizin an der Universität Zürich, weil das Medizinstudium zu diesem Zeitpunkt in Deutschland für Frauen noch nicht möglich war. 1909 bis Ende 1910 wechselte sie für zwei Semester nach München. 1911 erhielt sie die Approbation als Ärztin in Zürich. Von Oktober 1912 bis zirka August 1914 war sie am Spital Theodosianum in Zürich tätig. Ab 1915 war sie Assistenzärztin an der Frauenklinik in Zürich. Nach Abschluss ihrer Facharztausbildung eröffnete sie in Zürich ihre eigene Praxis. Im April 1919 arbeitete sie mit der Frauenärztin Anna Baltischwiler in einer von Ferdinand Sauerbruch gegründeten Privatklinik. Zirka 1920 ging sie nach Basel, wo sie zwischen Januar 1921 bis 1928 als Gynäkologin arbeitete.[3]

Sanatorium in Arlesheim

Klinik Arlesheim

Wegman interessierte sich schon in den 1910er Jahren für Steiners gelegentliche Anregungen zu einer anthroposophisch ausgerichteten alternativen Medizin, und im März und April 1920 war sie als Vortragende an dem dreiwöchigen „Ersten Ärztekurs“ beteiligt, bei dem Steiner erstmals ausführlich die Grundlagen der künftigen Anthroposophischen Medizin entwickelte.[4] Am 27. September 1920 kaufte sie für ein geplantes Sanatorium für 65.000 Franken eine Liegenschaft in Arlesheim bei Basel, in unmittelbarer Nähe des Goetheanums, des Zentrums der anthroposophischen Bewegung in Dornach. Am 8. Juni 1921 eröffnete sie ihr anthroposophisches Sanatorium (heute Klinik Arlesheim). Zur Eröffnung erschien auch der in der Nähe gelegenen Villa Hansi wohnende Steiner, der anregte, das Behandlungshaus in Klinisch-Therapeutisches Institut umzubenennen. In dem Sanatorium, für das sich im Laufe der Zeit der von Steiner vorgeschlagene Name einbürgerte, konnten 12 bis 15 Patienten aufgenommen werden. Steiner glaubte, dass sich in dem Institut die Mysterien enthüllen würden. Parallel dazu und eng an Wegmans Institut angeschlossen entstand eine Heilmittelfabrikation, aus der die spätere Internationale Laboratorien AG und schließlich die heutige Weleda AG hervorging.[5] 1922 gründete Wegman das heilpädagogische Heim Haus Sonnenhof für „seelenpflege-bedürftige“ Kinder, ebenfalls in Arlesheim.

Begründung der Anthroposophischen Medizin

Bei der Begründung der Anthroposophischen Medizin war Wegman Steiners engste Mitarbeiterin.[6] Zunächst unregelmäßig, später täglich kam Steiner zu Visiten in Wegmans Klinik, um die Krankengeschichten der jeweiligen Patienten in Augenschein zu nehmen, den Therapieverlauf zu kontrollieren und Vorschläge für deren Therapie zu machen. Nach der Visite besprach er sich mit Wegman und deren Assistenzärzten und gab dezidierte Ratschläge zu deren medizinischer Behandlung. Am 28. Dezember 1923 betraute er Wegman mit der Leitung der Medizinischen Sektion[7] der frisch gegründeten Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum. Zugleich wurde sie zur Schriftführerin des Vorstands der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (AAG) bestimmt.[8] Am 1. Januar 1924 stellte Steiner Wegmann in den Mittelpunkt der Esoterischen Schule, die durch ihre Anregung 1924 erneut entstanden sei. Am 11. März 1924 erschien das erste und einzige Rundschreiben für Ärzte, das von Steiner und Wegman gemeinsam unterzeichnet war. Zugleich gab Steiner kund, dass Wegman zukünftig Meditationen geben wird, eine Auszeichnung, die er seiner Frau stets versagte.[7]

Liebesbeziehung mit Steiner

Aus Wegmans privilegiertem Zugang zu Steiner entstand eine Liebesbeziehung, die im Sommer 1924 schwärmerische Züge annahm und durch die Liebesbriefe Steiners an seine Freundin dokumentiert ist. Da freie Liebe nicht zu den lebensreformerischen Zielen der anthroposophischen Bewegung gehörte, deutete Steiner die Beziehung zu Wegman karmisch und behauptete, sie hätten beide zur Zeit des Philosophen Aristoteles ein gemeinsames Leben geführt. Wegman soll laut Steiner in einem Vorleben zudem eine Persephone-Priesterin gewesen sein und wurde von ihm auch mit „Meine liebe Mysa-Ita“ angeschrieben.[9] Steiner entwarf für Wegman den Bauplan für ihr eigenes Wohnhaus, das 1924 bezugsfertig wurde.[10]

Steiners Tod

Steiner zog zum Sterben aus dem mit seiner Frau bewohnten Haus Hansi aus, und quartierte sich im Atelier der Schreinerei ein, wo er Zugriff auf seine Arbeitsmaterialien hatte. Am 1. Oktober 1924 zog seine Geliebte Ita Wegman in ein Nebenzimmer seines Krankenlagers im Atelier um ihn pflegen und medizinisch versorgen zu können. Am 29. März 1925 informierte Wegman die auf einer Eurythmiereise befindliche Ehefrau Steiners über den verschlechterten Gesundheitszustand ihres Mannes, doch die sofort Herbeigeeilte traf ihren Mann nicht mehr lebend an.[11] Ende 1925 gab Wegman postum das mit Steiner gemeinsam verfasste Buch Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen heraus.[12]

Verstoßung aus der AAG und posthume Rehabilitation

Mit Steiners Tod verlor Wegman ihre wichtige umfängliche Protektion innerhalb der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (AAG). Sie versuchte vergeblich die „esoterische“ Leitungsfunktion der AAG zu übernehmen, da ihre Gegner, insbesondere die Witwe Marie Steiner, versuchten, sie aus dem Zentrum der Anthroposophie in Dornach zu verdrängen. Von langer Hand eingefädelt, wurde sie schließlich am 14. April 1935 auf der turbulent verlaufenden Generalversammlung aus der AAG ausgeschlossen. Die Motive hinter den vielleicht berechtigten aber auch infamen Anwürfen waren auch machtorientierter und auch finanzieller Natur.[13] Dabei kamen auch persönliche Differenzen zum Tragen. Marie Steiner (bis zur Heirat 1914 Marie von Sievers) war seit 1902 Rudolf Steiners engste Mitarbeiterin gewesen, während er Wegman erst in seinen letzten Lebensjahren in den führenden Kreis aufgenommen hatte.Daneben sei auch Wegmans ärztliche Tätigkeit immer öfter zum Gegenstand offener Kritik geworden, bei der es etwa um Fragen der „richtigen“ Krebstherapie ging.[8] Auf der Generalversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft im Jahre 1948 wurde Wegman posthum rehabilitiert und ihr Ausschluss aufgehoben.[14]

Daneben kam es im Vorstand der AAG zu einem Konflikt über die zukünftige Ausrichtung der Arbeit, bei dem Wegman und Marie Steiner gegensätzliche Positionen vertraten. Marie Steiner war der Meinung, dass ohne den verstorbenen geistigen Lehrer nur noch das Erreichte bewahrt werden könne, und wollte sich künftig vor allem der Herausgabe des literarischen Nachlasses widmen. Dagegen postulierte Wegman, der Verstorbene könne auch aus der geistigen Welt weiterhin in den von ihm eingesetzten Vorstand hineinwirken, und dieser müsse die auf diese Weise erfolgenden geistigen Impulse weiter aktiv umsetzen.[15]

Zentrale Figur in der anthroposophischen Ärzteschaft

Trotz ihrer Verstoßung aus der AAG stieg Wegman zu einer zentralen Figur der anthroposophischen Ärzteschaft auf. Nach ihrem Ausschluss aus der AAG 1935 gründete sie mit ihren verbliebenen Anhängern die Vereinigten Freien Anthroposophischen Gruppen. Weiterhin blieb sie die Leiterin der Arlesheimer Klinik und gründete eine Dependance im Tessin, die Casa Andrea Cristoforo.[16] In der Schweiz und den angrenzenden Ländern widmete sie sich dem Aufbau anthroposophisch-medizinischer Zentren und Heilstätten. 1936 gründete sie ein medizinisches Zentrum der anthroposophischen Bewegung in Paris, das nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 wieder geschlossen wurde. Während der Kriegsjahre hielt sie sich überwiegend in der von ihr 1936 gegründeten Privatklinik in Ascona auf. 1943 starb sie im Alter von 67 Jahren in Arlesheim.[17]

Tod und Nachlassverwaltung

Ihre Urne wurde in einer von der Künstlerin und Kunsttherapeutin Liane Collot d’Herbois – einer engen Freundin Wegmans – gestalteten Kapelle in Brissago beigesetzt. Den umfangreichen Nachlass Wegmans beherbergt heute das Archiv des Ita Wegman Instituts in ihrem ehemaligen Wohnhaus auf dem Gelände der Klinik Arlesheim.

Werke

Literatur

  • Klinisch-Therapeutisches Institut (Hrsg.): Erinnerungen an Ita Wegman. Arlesheim 1945; 3. A. ebd. 1987, ISBN 3-85817-063-1
  • Ita-Wegman-Fonds (Hrsg.): Ita Wegmans Lebenswirken aus heutiger Sicht. Natura, Arlesheim 1976; 2. A. ebd. 1980, ISBN 3-85817-064-X
  • Willem F. Daems: Ita Wegman: Zürcher Zeit 1906–1920. Erste ärztliche Krebsbehandlung mit der Mistel. Verlag am Goetheanum, Dornach 1986, ISBN 3-7235-0440-X
  • J. Emanuel Zeylmans van Emmichoven: Wer war Ita Wegman. Eine Dokumentation. 3 Bände Reutlingen 1990–92 und Dornach 1992–2004; Band 4: Arlesheim 2009
  • Wolfgang Weirauch (Hrsg.): Ita Wegman und die Anthroposophie. Ein Gespräch mit Emanuel Zeylmans. Flensburger Hefte, Sonderheft Nr. 17, Flensburg 1996, ISBN 3-926841-77-X
  • Peter Selg: „Ich bin für Fortschreiten“. Ita Wegman und die Medizinische Sektion. Verlag am Goetheanum, Dornach 2002, ISBN 3-7235-1140-6
  • Peter Selg: Die letzten drei Jahre. Ita Wegman in Ascona 1940–1943. Verlag am Goetheanum. Dornach 2004, ISBN 3-7235-1205-4
  • Peter Selg: Der Engel über dem Lauenstein. Siegfried Pickert, Ita Wegman und die Heilpädagogik. Verlag am Goetheanum, Dornach 2004, ISBN 3-7235-1209-7
  • Peter Selg: Sterben, Tod und geistiges Leben. Die Kondolenzbriefe Ita Wegmans und das Todesverständnis der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Verlag am Goetheanum, Dornach 2005, ISBN 3-7235-1228-3
  • Peter Selg: Geistiger Widerstand und Überwindung. Ita Wegman 1933–1935. Verlag am Goetheanum, Dornach 2005, ISBN 3-7235-1229-1

Weblinks

Commons: Ita Wegman – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1531f.
  2. Bodo von Plato: Zur Entwicklung der Anthroposophischen Gesellschaft. Ein historischer Überblick. Freies Geistesleben, Stuttgart 1986. S. 65f.
  3. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1532.
  4. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1489f.
  5. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1532 und S. 1547f.
  6. Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Beck, München 1996, S. 253f.
  7. a b Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1534.
  8. a b Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Beck, München 1996, S. 254.
  9. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1535f und S. 1548.
  10. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1535.
  11. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1537f.
  12. Rudolf Steiner und Ita Wegmann: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. PDF-Download im RUDOLF STEINER ONLINE ARCHIV
  13. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1539f.
  14. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1540.
  15. Bodo von Plato: Zur Entwicklung der Anthroposophischen Gesellschaft. Ein historischer Überblick. Freies Geistesleben, Stuttgart 1986. S. 76-78. Siehe auch Plato, S. 63, zur „esoterischen“ Funktion des Vorstandes.
  16. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1540.
  17. Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Beck, München 1996, S. 252 und S. 254.