Josef Škvorecký

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Josef Škvorecký – Náchod 2004

Josef Škvorecký (* 27. September 1924 in Náchod, Tschechoslowakei; † 3. Januar 2012 in Toronto, Kanada) war ein tschechischer Schriftsteller, Übersetzer und Verleger. Ab 1969 bis zu seinem Tod 2012 lebte er in Kanada.

Leben

Seine Eltern waren der Bankbeamte Josef Škvorecký (1897–1967) und Anna, geborene Kurážova (1896–1947), die aus dem Chodenland stammte.[1][2] Josef Škvorecký besuchte das Alois-Jirásek-Gymnasium seiner Heimatstadt, das er 1943 mit dem Abitur abschloss. Da die tschechischsprachigen Hochschulen von der deutschen Besatzung des Protektorats bereits 1939 durch die Sonderaktion Prag geschlossen worden waren, konnte er nicht studieren; stattdessen wurde er zum Arbeitseinsatz bei der Firma Metallbauwerk Nachod KG Zimmermann, Schilling & Co.[3] verpflichtet, wo u. a. Zubehörteile für die Messerschmitt BF 111, die V1 und Focke-Wulf hergestellt wurden. Später wurde er für kurze Zeit nach Nové Město nad Metují und bei Kriegsende für die Textilwerke der Brüder Josef und Cyril Bartoň in Nachod zwangsverpflichtet.[4] Diese Zeit beschreibt er in den Romanen Der Seeleningenieur und Feiglinge, während die Gymnasialzeit der letzten Schuljahre in Eine prima Saison erinnert wird. Noch während der Gymnasialzeit gründete er in Náchod die Band „Red Music“, in der er Saxophon spielte. Nach Kriegsende begann er ein Medizinstudium an der Karlsuniversität Prag, wechselte jedoch nach einem Semester an die Philosophische Fakultät, wo er Anglistik und Philosophie studierte. Nach Abschluss des Studiums 1949 arbeitete er zwei Jahre lang in Broumov, Police und Hořice als Lehrer. 1951 promovierte er an der Karls-Universität mit einer Dissertation über Thomas Paine (Thomas Paine a jeho vztah k dnešku). Nach einem zweijährigen Militärdienst ging er als Redakteur zum Státní nakladatelství krásné literatury (Staatlicher Verlag für schöne Literatur), seit 1956 war er Redakteur der von ihm mitbegründeten Zweimonatsschrift Světová literatura. Wegen des Skandals, den sein 1948/1949 geschriebener, aber erst 1958 veröffentlichter Erstlingsroman Zbabělci (Feiglinge) auslöste, wurde er an eine untergeordnete Stelle im Verlag versetzt. In dem Roman werden die nationalsozialistische Okkupation und die Náchoder Ereignisse am Kriegsende ohne jedes Pathos aus der Sicht eines jungen Jazzfreaks geschildert. Erst 1963, während der Phase der Liberalisierung des kulturellen Lebens in der Tschechoslowakei, die zum Prager Frühling führte, durfte er erneut publizieren. 1969 erhielt er ein einjähriges Stipendium für einen Aufenthalt in Kalifornien. Nachdem im selben Jahr die Veröffentlichung seines Romans Tankový prapor von den tschechoslowakischen Behörden verweigert wurde, beschloss er, nicht zurückzukehren. Nach Ablauf des Stipendiums ließ er sich gemeinsam mit seiner Frau, der Schriftstellerin Zdena Salivarová, in Toronto nieder, wo er an der Universität lehrte. Gemeinsam mit seiner Frau gründete er in Toronto den Exilverlag 68 Publishers, wo 1971 die Erstausgabe von Tankový prapor erschien. Der Verlag wurde zu einem Mittelpunkt tschechischer Exilliteratur mit Autoren wie Václav Havel, Milan Kundera oder Ludvík Vaculík.

Škvorecký übersetzte moderne amerikanische Autoren wie Ernest Hemingway, Raymond Chandler, Henry James und William Faulkner ins Tschechische. Daneben - gemeinsam mit Jan Zábrana - auch Kriminalromane.

1978 wurde ihm die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit entzogen.[5]

In vielen seiner Romane, die immer wieder um die Jugend seines Erzählers Daniel Smiřický (genannt Danny) kreisen, beschäftigt er sich mit jüdischer Thematik, wie sie sich unvermeidbar unter deutscher Herrschaft im Protektorat darstellte und im Bekanntenkreis seines Erzählers Gestalt annimmt. Zentral wird diese Thematik in „Lvíče“, erschienen 1969;[6] deutsch unter dem Titel „Junge Löwin“, 1969 bzw. „Die Moldau. Eine politische Liebesgeschichte“, 1996. Škvorecký erzählt von der jungen KZ-Überlebenden, Leona Silbersteinová („slečna Stříbrná“), die nach dem Krieg Rache an einem Mann nimmt, der seine Verlobung mit deren älteren Schwester wegen ihrer jüdischen Herkunft löste und sie dadurch dem Zugriff durch die Deutschen und damit der Vernichtung auslieferte.[7][8]

Sein Hauptwerk stellen die fünf Romane mit seinem literarischen alter ego Danny Smiřický dar (Zbabělci, Tankový prapor, Mirákl, Prima sezóna, Příběh inženýra lidských duší). Er verfasste jedoch auch eine Vielzahl anderer Werke, u. a. eine Detektiv-Trilogie. 1980 wurde ihm der Neustadt International Prize for Literature verliehen. Er gehörte dem Schriftstellerverband Obec spisovatelů an.

1982 war er für den Nobelpreis vorgeschlagen. 1999 stellte Sigrid Löffler bei einer Besprechung der 1997 und 1998 auf Deutsch erschienenen Romane Eine prima Saison und Der Seeleningenieur in Die Zeit fest: „In ihm haben wir einen großen mitteleuropäischen Autor, den es noch zu entdecken gilt.“[9] 1985 verlieh ihm die Stadt Toronto den Toronto Book Awards für seine englische Fassung von Der Seeleningenieur. Eine lebenslange Freundschaft verband ihn mit dem Musikschriftsteller Lubomír Dorůžka, mit dem er mehrere Jazz-Publikationen herausgab.[10]

Nach der Samtenen Revolution verlieh ihm 1990 Präsident Václav Havel die höchste tschechoslowakische Auszeichnung, den Orden des Weißen Löwen. Seine Heimatstadt Náchod ernannte ihn am 14. Mai 1990 zum Ehrenbürger. In Prag wurde die Josef-Škvorecký-Gesellschaft gegründet, die ein gleichnamiges Privatgymnasium betreibt. Die Josef-Škvorecký-Literaturakademie bietet Lehrgänge in kreativem Schreiben und Medienkultur an. Aus Anlass seines 80. Geburtstages 2004 fand in seiner Heimatstadt Náchod eine Konferenz statt, an der neben Präsident Václav Klaus zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie in- und ausländische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler teilnahmen. Der Tagungsband erschien 2005 unter dem Titel: Škvorecký 80 – sborník z mezinárodní konference o díle Josefa Škvoreckého, která se uskutečnila v Náchodě u příležitosti autorova životního jubilea ve dnech 22.–24. září 2004 ISBN 80-86877-13-2.

Am 6. Dezember 2009 wurde ihm in Breslau der polnische Angelus-Preis für mitteleuropäische Literatur verliehen, und zwar für „Der Seeleningenieur“ als das beste in polnischer Sprache erschienene Buch des vergangenen Jahres.[11]

Werke

  • Zbabělci. Praha 1958. (deutsch: Feiglinge. Neuwied und Berlin: Luchterhand 1969.)
  • Legenda Emöke. Praha 1963. (deutsch: Legende Emöke. München: Hanser 1966.)
  • Bassaxofon. Praha 1967. (deutsch: Das Baßsaxophon. Jazzgeschichten. Stuttgart: DVA 2005, ISBN 3-421-05250-6.)
  • Lvíče. Praha 1969. (deutsch unter dem Titel Junge Löwin. Neuwied: Luchterhand 1971, sowie unter dem Titel Die Moldau. Eine politische Liebesgeschichte. Reinbek: Rowohlt 1996, ISBN 3-499-15799-3.)
  • Tankový prapor. Toronto 1971, Prag 1990.
  • Mirákl. Toronto 1972, Praha 1991. (deutsch: Das Mirakel. Wien: Deuticke 2001, ISBN 3-216-30438-8.)
  • Prima sezóna. Toronto 1975, Praha 1990. (Eine prima Saison. Wien: Deuticke 1997, ISBN 3-216-30322-5.)
  • Příběh inženýra lidských duší. Toronto 1977. (deutsch: Der Seeleningenieur. Wien: Deuticke 1998, ISBN 3-216-30397-7.)
  • Příběh neúspěšného tenorsaxofonisty – Dichtung und Wahrheit – Vlastní životopis. ISBN 80-901731-0-1.

Literatur

  • Jiří Holý: Jazz-Inspiration: Erzählungen und Novellen von Josef Škvorecký. In: Josef Škvorecký: Das Baßsaxophon. Jazz-Geschichten, Nachwort von Jiří Holý, übersetzt von Marcela Euler, Kristina Kallert, Andreas Tretner. DVA, München 2005, ISBN 3-421-05250-6, S. 339–360.
  • Walter Klier: Hinweis auf den Erzähler Josef Škvorecký: „Es war sehr interessant, zu leben“. In: Josef Škvorecký: Eine prima Saison. ein Roman über die wichtigsten Dinge des Lebens, Originaltitel: Prima sezóna. (= Piper-TB 2804). übersetzt von Marcela Euler. München / Zürich 1999, ISBN 3-492-22804-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Aleš Fetters: Josef Škvorecký a Náchod. Nakladatelsti Bor, Liberec 2012, ISBN 978-80-87607-05-3, S. 13–18.
  2. exilarchiv.de
  3. Metallbauwerk Nachod KG Zimmermann, Schilling & Co., Nachod Protektorat  in der Deutschen Digitalen Bibliothek
  4. slovnikceskeliteratury.cz Slovník české literatury
  5. „Angelus“-Verleihung
  6. Rezension. (tschechisch)
  7. Kennerischer Hohn. In: Der Spiegel. Nr. 22, 1971 (online).
  8. Andrea Daniela Schutte: Die jüdische Thematik im Werk Jiří Weils. (PDF; 1,8 MB) S. 31–32.
  9. Sigrid Löffler: Windbeutel und Schlitzohr. In: Die Zeit, Nr. 6/1999; über zwei Romane
  10. Lubomír Dorůžka: Milý Errole! In: Škvorecký 80 - sborník o mezinárodní konference o životě a díle Josefa Škvorckého. ISBN 80-86877-13-2, S. 384f.
  11. „Angelus“-Verleihung am 6. Dezember 2009