Lepra

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24-Jähriger mit lepromatöser Lepra (Aufnahme aus dem 19. Jahrhundert)

Lepra (auch Aussatz genannt) ist eine chronische Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Mycobacterium leprae ausgelöst wird. Den bakteriologischen Nachweis erbrachte 1873 der Norweger Gerhard Armauer Hansen, nach dem die Krankheit auch als Morbus Hansen oder Hansen-Krankheit (Hansen's disease, HD) bezeichnet wird.

Etymologie und Synonyme

Die Bezeichnung Lepra wurde im Deutschen erst im 18./19. Jahrhundert gebräuchlich und ist dem griechisch-lateinischen Wort lépra entlehnt. Dieses ist vom griechischen Adjektiv leprós abgeleitet, das „schuppig, rau“ und „aussätzig“ bedeutet. Das zugehörige griechische Verb lépein bedeutet „[ab]schälen“.[1]

Der ursprüngliche deutsche Name der Krankheit ist Aussatz. Die von der Lepra befallenen Kranken mussten außerhalb menschlicher Siedlungen leben − sie waren ausgesetzt.[2] Jedoch ist die Bedeutungsgleichheit von Aussatz und Lepra erst im 13. Jahrhundert entstanden. Zuvor konnte das Wort Aussatz auch für andere Erscheinungen stehen[3], wie zum Beispiel die Schuppenflechte.[4]

Deutsche Übersetzungen der hebräischen Torah übersetzen mit Aussatz das Wort Zaraat[5] (hebräisch צרעת), den „schneeweißen Aussatz“ an Haut, Kleidung und Häusern (siehe 2. Buch Mose 4:6–7 und 4:30 EU; 3. Buch Mose 13:2, 13:47 und 14:34 EUEU; 4. Buch Mose 12:10 EU). Nach Maimonides bezeichnet das Wort Zaraat eine zeichenhafte Veränderung, die üble Nachrede, Verleumdung und Klatsch (hebr. laschon hara) bestrafen und davor warnen soll.[6]

Das heute nicht mehr geläufige Synonym Miselsucht ist abgeleitet vom lateinischen Wort misellus, das „arm“ und „unglücklich“ bedeutet.[7]

Geschichte

Ursprung

Übereinstimmend mit den Wanderungsbewegungen des frühen Menschen wird der Ursprung von Lepra in Ostafrika angenommen: Vor zehntausenden von Jahren hätten sich von dort aus die Bakterien einerseits nordwestwärts nach Europa und andererseits Richtung Osten nach Indien und Asien ausgebreitet. Eine zweite Annahme geht von der Möglichkeit der Entstehung in Indien aus.[8]

Der Lepraerreger hat sich in der Zeit seiner weltweiten Ausbreitung genetisch kaum verändert, was für Bakterien extrem ungewöhnlich ist. Trotz der sehr geringen genetischen Unterschiede ließ sich der Verbreitungsweg der Lepra nachträglich mit hoher Genauigkeit feststellen.

Altertum

Lepra[9][5] ist eine der ältesten bekannten Krankheiten und sie wird schon in den frühesten Schriften wie z. B. dem Papyrus Hearst (um 1500 v. Chr.) erwähnt. Um 250 v. Chr. soll „Lepra“ von griechischen und ägyptischen Ärzten beschrieben worden sein.[10] Man nimmt an, dass aufgrund des unvollständigen medizinischen Wissens viele Hautkrankheiten früher als „Aussatz“ bezeichnet wurden. Es wurde vermutlich nicht streng zwischen Lepra und anderen Hautkrankheiten wie z. B. Lupus unterschieden. Woran ein in Überlieferungen erwähnter Aussätziger erkrankt war, kann daher nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Zur Zeit von Cicero, im ersten vorchristlichen Jahrhundert, scheint Lepra in Griechenland und in Italien häufig vorgekommen zu sein. Ansteckung war bereits ein von der Pest bekanntes Phänomen. Schon in der Antike war Aussatz als ansteckende Krankheit gefürchtet, weshalb Aussätzige aus der Gemeinschaft verstoßen und ein Kontakt mit ihnen vermieden wurde.[11]

Mittelalter und frühe Neuzeit

Frühneuzeitliche Lepraratsche, mit der Erkrankte vor sich warnen sollten

Im 7. und 8. Jahrhundert war die Krankheit unter den Langobarden verbreitet.

Das Leprosorium an der Königsstraße nach Maastricht in Aachen-Melaten kann nach Ausgrabungsergebnissen auf das 8. Jahrhundert datiert werden. Im Umfeld größerer Städte entwickelte sich ab dem 11. Jahrhundert mit den Leprosenhäusern eine eigene Hospizform. In Würzburg wurde im 11. Jahrhundert ein Hospital für Leprakranke gegründet. Das Bremer Leprosenhaus St.-Remberti-Hospital, das dem Heiligen Rembert gewidmet war, findet erstmals im 13. Jahrhundert urkundlich Erwähnung.[12] Ein komplettes Ensemble aus Siechenhaus, Kapelle, Bildstock zum Almosensammeln und Leprosenfriedhof hat sich in Trier erhalten.[13]

Die allgemeinere Verbreitung des Aussatzes in Europa im Mittelalter wird oft den Kreuzzügen zugeschrieben. Sie erreichte ihren Höhepunkt im 13. Jahrhundert und verschwand mit dem Ende des 16. Jahrhunderts weitgehend aus der Reihe der chronischen Volkskrankheiten in Mitteleuropa. Im Verlauf der Kolonialisierung gelangte der Erreger nach Westafrika und Amerika und durch den Sklavenhandel in die Karibik und nach Brasilien.

Bereits im Mittelalter konnte anhand spezifischer Symptome, die sowohl bei der Lepraschau[14][15] in heilkundlicher als auch in der Unterhaltungsliteratur[16] beschrieben wurden, die Lepra diagnostisch festgestellt werden.[17][18][19]

Meyers Konversationslexikon von 1888 weist darauf hin, dass Lepra in Skandinavien, auf Island und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland und auf den Inseln des Mittelmeers regelmäßig vorkam.

19. und 20. Jahrhundert

Am weitesten verbreitet sei die Krankheit im 19. Jahrhundert in Norwegen gewesen, wo man 1862 noch 2.119 Aussätzige bei nicht ganz zwei Millionen Einwohnern zählte. In Deutschland wurden zur gleichen Zeit nur vereinzelt Fälle registriert.

Der Ordenspriester Damian de Veuster kümmerte sich ab 1873 um etwa 600 ausgestoßene Leprakranke auf der Hawaii-Insel Molokaʻi und wurde so zum „Apostel der Leprakranken“. Er infizierte sich und starb 1889 an den Folgen. Heute wird er als Heiliger verehrt. Der Damien-Dutton Award, eine Auszeichnung für Engagement in der Leprabekämpfung, ist nach ihm und einem weiteren Helfer benannt. Die britische Krankenschwester Kate Marsden (1859–1931) setzte sich für Leprakranke in Jakutien ein.

In Japan wurde ein erstes spezialisiertes Krankenhaus 1870 von Gotō Masafumi eingerichtet, gesetzliche Seuchenkontrollen wurden 1907 eingeführt. Im 20. Jahrhundert wurden Infizierte in Japan unmenschlich behandelt. Aufgrund eines Gesetzes von 1953 wurden sie lebenslänglich in geschlossenen Anstalten inhaftiert, auch als es schon Behandlungsmöglichkeiten gab. Viele wurden zwangssterilisiert, Schwangere wurden zur Abtreibung gezwungen. Das Gesetz wurde erst 1996 aufgehoben.[20] 1995 wurden noch etwa 12.000 Patienten gezählt. Die letzten privaten Sanatorien wurden 2006/2007 geschlossen.[21] 2009 gab es noch 13 staatliche Lepra-Sanatorien mit 2.568 verbliebenen Patienten, von denen die meisten dort ihr ganzes Leben verbracht haben, so dass eine Re-Integration in die japanische Gesellschaft kaum möglich ist, zumal Behinderte in Japan generell diskriminiert werden.[22] Diese Insassen, die aufgrund der Zwangssterilisierungen keine Nachkommen haben, sind heute im Durchschnitt über 80 Jahre alt. Seit Jahren wird im Parlament an einem Entschädigungsgesetz gearbeitet, aber man kommt nicht vorwärts.[22]

Die Zahl der registrierten Leprapatienten ging im Zeitraum 1985 bis 1993 in den meisten Regionen deutlich zurück:[23]

Geografische Region 1985 1990 1993 Veränderung zwischen 1985 und 1993
Asien 3.812.049 2.793.017 1.708.528 −55,2 %
Afrika 987.607 482.669 194.666 −80,3 %
Südamerika 305.999 301.704 313.446 +2,4 %
Pazifik 245.753 125.739 67.067 −72,7 %
Europa 16.794 7.246 7.874 −53,1 %
Welt 5.368.202 3.710.375 2.291.581 −57,3 %

Neue Forschungen gehen davon aus, dass Lepra hauptsächlich durch die Tuberkulose zurückgedrängt wurde. Die von der Lepra geschwächten Personen wurden oft auch von der Tuberkulose befallen, die die Kranken ziemlich schnell tötete und so eine Ausbreitung der Lepra verhinderte.

Andere Autoren gehen von einer Art natürlicher Selektion durch genetische Ursachen aus, da auch paläoepidemiologisch mit dem Rückzug der Lepra mehr Fälle von Psoriasis festgestellt wurden, wobei die Erkrankung an beiden Krankheiten zugleich offenbar ausgeschlossen ist.[24]

Memel

1848 wurde im Kreis Memel der erste Leprakranke gemeldet. 1894 wurden es mehr. Auf Anregung von Robert Koch wurde 1898/99 das in Deutschland einzige Lepraheim gebaut. Es lag 2 km südlich von Memel und konnte 16, ab 1909 22 Kranke aufnehmen. Die Zahl der bis zum 30. September 1944 gemeldeten Fälle belief sich auf 42 Männer und 52 Frauen. Die ärztliche Leitung des Heimes und die Behandlung der Kranken war stets dem jeweiligen Kreisarzt (Amtsarzt) als Seuchenspezialist übertragen. Die beiden Krankenschwestern kamen aus dem Königsberger Diakonissen-Mutterhaus der Barmherzigkeit. Im Oktober 1944 wurden die Kranken des Lepraheims unter schwierigsten Umständen nach Königsberg (Preußen) überführt und der Obhut des Diakonissen-Krankenhauses der Barmherzigkeit übergeben. Nur einer der Erkrankten blieb am Leben.[25]

Epidemiologie

Übersicht über Neuinfektionen mit Lepra im Jahr 2003

Durch die Zusammenarbeit aller weltweit tätigen Leprahilfswerke in der ILEP (International Federation of Anti-Leprosy Associations) ist die Lepra heute unter Kontrolle. Die Zahl der Neuinfektionen weltweit ist seit Jahrzehnten deutlich rückläufig und seit einigen Jahren ungefähr konstant.[26][27] Im Jahr 2013 wurden 215.656 Neuerkrankungen berichtet; am Jahresende stand die Zahl der erkrankten Patienten bei 180.618 (Daten der WHO aus 103 Ländern).[28]

Es ist erklärtes Ziel der Weltgesundheitsorganisation, die Krankheit auszurotten, ähnlich wie es mit den Pocken gelungen ist. Aufgrund der ungewöhnlich langen Inkubationszeit bei der Lepra wird man hiervon aber noch lange nicht ausgehen können.

Entwicklungsländer

Leprafuß in Äquatorialguinea (2010)
dazugehöriges Röntgenbild

In vielen Entwicklungsländern ist die Krankheit nach wie vor ein ernstzunehmendes Problem. Ein Großteil der Erkrankten lebt in Indien. Auch in Afrika gibt es viele Kranke, und in Brasilien ist Lepra auch noch ein ernstes Problem. In vielen der von Lepra betroffenen armen Länder wurden mit Entwicklungsgeldern spezielle Behandlungszentren errichtet.

Länder mit guter Gesundheitsversorgung

Aufgrund der Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika ist Lepra inzwischen in Ländern mit entwickelter Gesundheitsversorgung nahezu ausgerottet.

Das letzte speziell für die Behandlung eingerichtete Sanatorium in Europa liegt in dem kleinen spanischen Dorf Fontilles im Hinterland der Costa Blanca. Hier im Sanatorio San Francisco de Borja lebten früher bis zu 400 Leprakranke. Zurzeit werden noch etwa 60 akut Kranke oder von der Krankheit gezeichnete Personen betreut.

Erreger

Lepra wird durch Mycobacterium leprae hervorgerufen, das viele Eigenschaften mit anderen Mykobakterien, etwa dem Erreger der Tuberkulose, Mycobacterium tuberculosis, gemeinsam hat. So ist M. leprae ein säurefestes Stäbchenbakterium, dessen Zellwandaufbau in vielem dem anderer Mykobakterien ähnelt, etwa darin, dass sie verschiedene Mykolsäuren und zahlreiche Wachse enthält.

Eine weitere Ähnlichkeit ist, dass M. leprae wie der Tuberkulose-Erreger seine Verdauung in den Lysosomen der Leukozyten verhindert und dadurch der körpereigenen Immunabwehr entkommt: Die Lepra-Bakterien werden zwar per Phagozytose von den Leukozyten aufgenommen, die Endosomen mit den eingeschlossenen Bakterien aber anschließend nicht mit den (die Verdauung des Endosomeninhalts besorgenden) Lysosomen verschmolzen. Was diese Verschmelzung verhindert, ist noch weitgehend unbekannt, neuere Untersuchungen jedoch haben einen engen Zusammenhang mit der Proteinkinase G aufgedeckt, einem von den Bakterien gebildeten Enzym.[29] Erst durch die Hydrolasen in den Lysosomen aber würden die Bakterien abgetötet und schließlich verdaut, in den Endosomen der Leukozyten dagegen können sie sich weiterhin unbehelligt vermehren. Nach den Leukozyten werden schließlich auch die Schwann-Zellen von den Bakterien befallen, was erklärt, warum in der Folge vor allem das Nervensystem der Erkrankten angegriffen wird.

Eine Anzüchtung des Erregers in vitro ist bis heute noch nicht gelungen. Ab 1960 gelang es jedoch, M. leprae in Mäusepfoten zu züchten. Wegen ihrer ungewöhnlich niedrigen Körpertemperatur sind seit 1971 Neunbinden-Gürteltiere die für die Anzüchtung des Erregers geeignete Tiergruppe. Dies macht sie auch unentbehrlich bei der Erforschung von Impfstoffen.

Ein der Lepra ähnliches Krankheitsbild (Lepromatose) wird – vor allem in Südamerika – durch das Bakterium Mycobacterium lepromatosis verursacht.[30]

Übertragung

Für die Übertragung bzw. die Infektion mit dem Erreger bedarf es eines langfristigen engen Kontakts mit einem Infizierten. Die Übertragung geschieht durch Tröpfcheninfektion.[28] Da Lepra nur schwach ansteckend ist, liegt die Ursache der Neuerkrankungen oft auch in mangelnder Hygiene, Unterernährung und somit einem geschwächten Immunsystem. Mutationen im TLR-2-Gen können zu erhöhter Anfälligkeit für Leprainfektionen führen.[31]

Die Inkubationszeit ist ungewöhnlich lang und hängt auch vom Zustand des Immunsystems ab. Sie dauert mindestens einige Monate,[32] im Schnitt etwa fünf Jahre, sie kann aber auch 20 Jahre dauern.[28]

Klassifikation

Klassifikation nach ICD-10
A30 Lepra (Aussatz)
A30.0 Indeterminierte Lepra
A30.1 Tuberkuloide Lepra
A30.2 Borderline-tuberkuloide Lepra
A30.3 Borderline-Lepra
A30.4 Borderline-lepromatöse Lepra
A30.5 Lepromatöse Lepra
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Symptome der Lepra variieren von Patient zu Patient sehr stark. Um die unterschiedlichen Erscheinungsformen klassifizieren zu können, wurde auf dem VI. Internationalen Lepra-Kongress 1953 in Madrid folgende Einteilung vorgenommen:

  • indeterminierte Lepra
  • tuberkuloide Lepra
  • Borderline-tuberkuloide Lepra
  • Borderline-Lepra
  • Borderline-lepromatöse Lepra
  • lepromatöse Lepra

Symptomatik

Bei dieser Krankheit sterben die Nerven ab und die Gefäße der Arterien und Venen verstopfen durch eine Verdickung des Blutes. Die Betroffenen verlieren meist das Gefühl für Kälte, Wärme und auch Schmerz. Ohne Behandlung verletzen sich die Patienten oft unbemerkt und infizieren sich über die Wunden an lebensgefährlichen Krankheiten wie z. B. Tetanus. Daher stammt auch die Vorstellung, Lepra würde zum Abfallen von Armen, Händen oder Ohren führen. Da die Erkrankten keine Schmerzen spüren, werden Wunden oft unbehandelt gelassen, und durch Entzündungen können diese Körperbereiche absterben.

Frühstadium

typische Hauterscheinungen bei Lepra

Im Frühstadium spricht man von indeterminierter Lepra. Sie äußert sich in unscharf abgegrenzten Flecken auf der Haut. Bei dunkelhäutigen Menschen sind diese heller als die gesunde Haut, bei hellhäutigen sind sie gerötet. Die Flecken selbst fühlen sich für den Erkrankten taub an. In dieser Phase kann die Krankheit stagnieren, spontan abheilen oder sich zur tuberkuloiden, lepromatösen oder Borderline-Lepra weiterentwickeln.

Tuberkuloide Lepra (Paucibazilliäre Lepra)

Diese Form der Lepra entwickelt sich bei guter Abwehrlage des Organismus und verläuft langsamer und gutartiger als die lepromatöse Lepra. Sie ist nur gering ansteckend und befällt v. a. die Nerven und die Haut, selten auch die Lymphknoten. Organbefall kommt nicht vor. Die Hautflecken sind hier oft flach oder gering erhaben, stets scharf begrenzt und von rötlicher bis rötlich-violetter Farbe. Im Gegensatz zur lepromatösen Lepra ist die Verteilung der Hautveränderungen asymmetrisch. Zu Beginn besteht im Bereich der Hautläsionen eine Überempfindlichkeit (Hyperästhesie), im Verlauf geht dann zuerst das Temperaturempfinden und später das Berührungs- und Schmerzempfinden verloren. Die Haut verliert die Fähigkeit, Schweiß zu bilden (Anhidrosis).[33] An den betroffenen Stellen fallen die Haare aus. Neben der Haut sind vor allem die peripheren Nerven knotig verdickt. Der Befall ist auch hier asymmetrisch. Mit fortschreitender Krankheit nimmt der Tastsinn immer weiter ab, bis der Patient nichts mehr spürt. Die Folge sind oft schwere Verletzungen und daraus resultierend weitere Verstümmelungen. Der Befall motorischer Nerven äußert sich in Muskelschwäche, Muskelrückbildung und Lähmungserscheinungen.

Borderline-Lepra

Borderline-Lepra gilt als instabile Krankheitsvariante, die sich je nach Zustand des Immunsystems weiterentwickelt. Bei weitgehend intaktem Immunsystem bildet sich die bakterienarme, tuberkuloide Form heraus. Bei geschädigtem Immunsystem vermehren sich die Bakterien nahezu ungestört. Es kommt zur Ausbildung der bakterienreichen, ansteckenden lepromatösen Form. Die Symptome im Borderline-Stadium können sowohl denen der tuberkuloiden Lepra ähneln, als auch deutliche Abweichungen zeigen. So können die Hautflecken symmetrisch sein; auch der Befall der Nerven kann symmetrisch erfolgen.

Lepromatöse Lepra (Multibazilliäre Lepra)

Deformationen der Hände durch Lepra (Indien, ca. 1990)

Die lepromatöse Lepra ist die schwerste Form der Krankheit. Durch ungehemmte Vermehrung der Bakterien verbreiten sich diese über Blutbahnen, Nervengewebe, Schleimhäute und das Lymphsystem (mit möglicher Ausbildung einer Elephantiasis)[34] im ganzen Körper. Die Haut ist stark verändert und von Knoten und kleinen Flecken überzogen. Charakteristisch sind die hellroten bis braunen Leprome, die das Gesicht und andere Körperteile zersetzen. Besonders im Gesicht verschmelzen diese zu einem „Löwengesicht“ (Facies leonina). Im weiteren Verlauf kann ein geschwüriger Zerfall mit Befall von Knochen, Muskeln und Sehnen und einem Befall der inneren Organe erfolgen.

Der Tod tritt nicht unmittelbar durch den Erreger, sondern durch Sekundärinfektionen ein.

Therapie

Grundsätzlich gilt Lepra heutzutage als heilbar. Zwischen 1995 und 2015 wurden weltweit fast 16 Millionen Patienten geheilt.[28]

Ein erster großer Fortschritt im Kampf gegen die Lepra war die Entdeckung des Krankheitserregers, des Bakteriums Mycobacterium leprae, durch den norwegischen Arzt Gerhard Armauer Hansen im Jahr 1873. Der deutsche Dermatologe Eduard Arning begann am 28. September 1884 ein vierjähriges Menschenexperiment an dem damals 48-jährigen gesunden Polynesier Keanu, das den Nachweis der Übertragbarkeit der Lepra erbrachte.

Erste Therapieansätze gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Chemikerin Alice Ball fand 1916 einen Weg, das Öl der Chaulmoograpflanze zu extrahieren, das zunächst erfolgreich eingesetzt werden konnte.[35] In den 1930er Jahren hatten die Bakterien jedoch Resistenzen entwickelt.[36] Einen Durchbruch in der Lepratherapie gab es in den 1940er Jahren durch die Sulfonamidtherapie. 1947 führte Robert G. Cochrane das bis heute bedeutende, allerdings nur bakteriostatisch wirkende Antibiotikum Dapson (DDS) in die Therapie ein.[37]

Die Heilungsaussichten sowie die geeignete Therapieform hängen von der Erscheinungsform und dem Fortschritt der Erkrankung ab. Zur Klärung wird hierzu ein Lepromintest durchgeführt. In Abhängigkeit von der Diagnose ist eine monate- bis jahrelange Kombinationstherapie mit den Medikamenten Dapson, Clofazimin (ab 1962) und dem bakterizid wirkenden Rifampicin (ab 1971) erforderlich. Es kommt vor, dass ein Wechsel der Immunitätslage zu einer Verschlechterung des Zustandes führt. Diese Veränderung wird Lepra-Reaktion genannt. Die hierbei gegebenen komplexen Vorgänge müssen von einem Spezialisten mit einer auf den Patienten individuell abgestimmten Therapie behandelt werden.

In den 1970er Jahren wurden Kombinationstherapien mit mehreren Antibiotika entwickelt und in einem mehrjährigen Feldversuch auf Malta erfolgreich getestet. Daher empfiehlt die WHO seit 1982 die Polychemotherapie in einer bis heute kaum abgewandelten Form. Wirksam bei der Behandlung des Erythema Nodosum Leprosum (ENL) ist der Wirkstoff Thalidomid. Aufgrund der schädigenden Nebenwirkungen während der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind (Embryopathie) gelten strenge therapiebegleitende Sicherheitsvorkehrungen. Obwohl es immer noch Versorgungsschwierigkeiten mit den benötigten Medikamenten in Entwicklungs- und Schwellenländern gibt, konnte die Lepra in den 1990er Jahren weiter zurückgedrängt werden. Die WHO ist mit der Ausrottung dieser Seuche befasst.

Museen

Innerhalb Deutschlands gibt es als Museen zum Thema Lepra das

In Norwegen besteht in der Stadt Bergen ebenfalls ein Lepramuseum.[40]

Siehe auch

Aussätzigensarg, Aussätzigenhut, Ratsche und Aussätzigenmantel in der Leprosenkapelle Bad Wurzach

Literatur (Auswahl)

  • Andreas Kalk: Lepra in Zentralasien: Die fast vergessene Krankheit . In: Deutsches Ärzteblatt. Band 97, Nr. 13. Deutscher Ärzte-Verlag, 31. März 2000, S. A-829 / B-714 / C-650.
  • Anna Bergmann: Tödliche Menschenexperimente in Kolonialgebieten. Die Lepraforschung des Arztes Eduard Arning auf Hawaii 1883–1886. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.) „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft.“ Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag. Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2
  • Friedrich Bühler: Der Aussatz in der Schweiz. Zürich 1902 (= Medicinisch-historische Studien, 1).
  • Luke Demaitre: Leprosy in Premodern Medicine: A Malady of the Whole Body. Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 2007, ISBN 978-0-8018-8613-3
  • Rod Edmond: Leprosy and Empire: A Medical and Cultural History. Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-86584-5
  • Philipp Gabriel Hensler: Vom abendländischen Aussatze im Mittelalter, nebst einem Beitrage zur Kenntnis und Geschichte des Aussatzes. Gebrüder Herold, Hamburg 1790. Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek; Nachdruck, Bachmann und Gundermann, Hamburg 1794.
  • Huldrych M. Koelbing, Monica Schär-Send, Antoinette Stettler-Schär und Hans Trümpy: Beiträge zur Geschichte der Lepra. Zürich 1972 (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, Neue Reihe, 92).
  • Ernest Persoons (Hrsg.): Lepra in de Nederlanden (12de–18de eeuw). Brüssel 1989 (= Algemeen rijksarchief en rijksarchief in de provinciën: educatieve dienst dossiers, II, 3).
  • Horst Müller-Bütow: Lepra: Ein medizinhistorischer Überblick unter besonderer Berücksichtigung der mittelalterlichen arabischen Medizin. (Phil. Dissertation Saarbrücken) Frankfurt am Main 1981.
  • Jörn Henning Wolf (Hrsg.): Aussatz, Lepra, Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel, Teil II: Aufsätze, Würzburg 1986 [eigentlich 1987] (= Kataloge des Deutschen medizinhistorischen Museums, Beiheft 1)
  • über: Georg Sticker: Lepra und Syphilis um das Jahr Tausend in Vorderasien, Janus 28 (1924), S. 394
  • Karl Friedrich Schaller: Die Klinik der Lepra. In: Jörn Henning Wolf (Hrsg.): Aussatz, Lepra, Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel, Teil II: Aufsätze, Würzburg 1986, S. 17–26.
  • A. Schelberg: Leprosen in der Mittelalterlichen Gesellschaft. Dissertation, Göttingen 2000 (PDF-Datei; 2,50 MB)
  • Alois Paweletz Lepradiagnostik im Mittelalter und Anweisungen zur Lepraschau. Medizinische Dissertation, Leipzig 1915.
  • Evelyne Leandro: Ausgesetzt. Der Kampf mit einer längst vergessenen Krankheit. Ein Tagebuch aus dem heutigen Berlin. Create Speace, 2014, ISBN 978-1-50297997-1
  • Ortrun Riha: Aussatz als Metapher. Aus der Geschichte einer sozialen Krankheit. In: Dominik Groß und Monika Reiniger: Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie. Festschrift für Gundolf Keil. Königshausen & Neumann, Würzburg 2003, S. 89–105

Weblinks

Commons: Lepra – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Lepra – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Vorlage:RKI

Einzelnachweise

  1. Herkunftswörterbuch: Lemma Lepra. Dudenverlag, Mannheim o.a.O. 2007.
  2. Herkunftswörterbuch: Lemma Aussatz. Dudenverlag, Mannheim o.a.O. 2007.
  3. Märta Åsdahl-Holmberg: Die deutsche Synonymik für 'aussätzig' und 'Aussatz'. In: Niederdeutsche Mitteilungen 26, 1970, S. 25–71.
  4. Benedikt Ignatzek: Aus der Geschichte der Dermatologie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 23, 2004, S. 524–527; hier: S. 524.
  5. a b Zaraat, soviel wie Aussatz. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Abgerufen am 25. Juni 2014.
  6. Die Bedeutung von Zaraat. Chabad-Lubawitsch Media Center, abgerufen am 25. Juni 2014.
  7. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Walter de Gruyter, Berlin 1975, Lemma Aussatz.
  8. Skelettfund: Lepra quälte die Menschheit schon vor 4000 Jahren. In: Spiegel Online. 27. Mai 2009, abgerufen am 28. Dezember 2014.
  9. Aussatz - Leuke bei den Griechen. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Abgerufen am 25. Juni 2014.
  10. Horst Kremling: Historische Betrachtungen zur präventiven Heilkunde. Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 24, 2005, S. 222–260, hier S. 227 f.
  11. Otto Betz: Der Aussatz in der Bibel. In: Aussatz, Lepra, Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel, Teil II: Aufsätze. Hrsg. von Jörn Henning Wolf, Würzburg 1987 (= Kataloge des Deutschen medizinhistorischen Museums, Beiheft 1), S. 45–62.
  12. Werner Kloos: Bremer Lexikon. Hauschild, Bremen 1980, Lemma Leprosenhaus.
  13. siehe: Eintrag zu Sankt Jost – Bildstock (Bildstock zwischen Biewer und Pallien) in der Datenbank der Kulturgüter in der Region Trier, abgerufen am 2015-9-15. und Karl Duerr. In: karlduerr.de. , abgerufen am 28. Dezember 2014.
  14. Alois Paweletz (1915).
  15. Gundolf Keil, Friedrich Lenhardt: Lepraschau. In: Verfasserlexikon, V, Sp. 723–726.
  16. Norbert H. Ott: Miselsuht - Die Lepra als Thema erzählender Literatur des Mittelalters. In: Aussatz, Lepra, Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel. Teil II: Aufsätze. Hrsg. von Jörn Henning Wolf, Würzburg (1986) 1987, S. 273–283.
  17. Armin Hohlweg: Zur Geschichte der Lepra in Byzanz. In: Aussatz, Lepra, Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel. Teil II: Aufsätze. Hrsg. von Jörn Henning Wolf, Würzburg (1986) 1987, S. 69–78, hier: S. 71
  18. Konrad von Würzburg: Engelhard. Hrsg. von Ingo Reiffenstein, 3. Aufl. Tübingen 1982 (= Altdeutsche Textbibliothek, 7), Verse 5144–5171
  19. Antoinette Stettler-Schär: Leprologie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Huldrych M. Koelbing, Monica Schär-Send, Antoinette Stettler-Schär, Hans Trümpy (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Lepra. Zürich 1972 (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, Neue Reihe, 92), S. 55–93.
  20. Koizumi apologises for leper colonies BBC News, 25. Mai 2001 (englisch)
  21. 療養所について. In: ハンセン病のリンク集. Archiviert vom Original am 23. Juni 2009; abgerufen am 9. Oktober 2012 (japanisch).
  22. a b Susan Burns: Rethinking 'Leprosy Prevention' …; In: Journal of Japanese Studies Vol. 38 (2012), S. 297–323
  23. H. Feldmeier: Lepra, in: Hans Schadewaldt (Hg.): Über die Rückkehr der Seuchen 1994, S. 48
  24. Ioannis D. Bassukas, Georgios Gaitanis, Max Hundeiker: Leprosy and the natural selection for psoriasis. Med Hypotheses. 2012 Jan;78(1):183–190. Epub 2011 Nov 12. PMID 22079652.
  25. Kurt Schneider: Das Vorkommen von Lepra im Kreise Memel und das deutsche Lepraheim bei Memel 1899 bis 1945. Medizin in und aus Ostpreußen. Nachdrucke aus den Rundbriefen der »Ostpreußischen Arztfamilie« 1945–1995, herausgegeben von Joachim Hensel, S. 409–410.
  26. Lepra Mission. In: lepramission.ch. Abgerufen am 28. Dezember 2014.
  27. Daniel Gerber: Medikamente bis 2020 zugesichert – Lepra-Mission und Novartis gehen «zähe letzte Meile». livenet.ch, 19. Juli 2012, abgerufen am 1. September 2012.
  28. a b c d WHO: Fact Sheet Leprosy Stand: Mai 2015 (englisch)
  29. Biozentrum, University of Basel, Switzerland – Archive (Memento vom 15. Oktober 2010 im Internet Archive)
  30. Pushpendra Singh et al.: Insight into the evolution and origin of leprosy bacilli from the genome sequence of Mycobacterium lepromatosis. In: PNAS. Band 112, Nr. 14, 2015, S. 4459–4464, doi:10.1073/pnas.1421504112
  31. UniProt O60603
  32. Robert Koch-Institut (2011): Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten, S. 74 (PDF-Download)
  33. O. Braun-Falco: Dermatologie und Venerologie. Springerverlag 2005
  34. Huldrych M. Koelbing und Antoinette Stettler-Schär: Aussatz, Lepra, Elephantiasis Graecorum. Zur Geschichte der Lepra im Altertum. In: Huldrych M. Koelbing, Monica Schär-Send, Antoinette Stettler-Schär, Hans Trümpy (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Lepra. Zürich 1972 (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, Neue Reihe, 92), S. 34–54.
  35. Jeannette Brown: African American Women Chemists. Oxford University Press, 2011, ISBN 978-0-19-991272-8, S. 178. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  36. Paul Wermager, Carl Heltzel: Alice A. Augusta Ball. In: ChemMatters. 25. Jahrgang, Nr. 1, Februar 2007, S. 16–19 (pbworks.com [PDF; abgerufen am 2. April 2016]).
  37. Christina Hohmann: Die "Strafe Gottes" ist heilbar. In: Pharmazeutische Zeitung online. GOVI-Verlag, 2002, abgerufen am 4. Dezember 2013.
  38. Eckart Roloff und Karin Henke-Wendt: Krücken, Klappern und ein Maler namens Mahler (Das Leprosenhaus Bad Wurzach). In: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie. Band 2, Süddeutschland. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015, S. 30-32, ISBN 978-3-7776-2511-9
  39. Eckart Roloff und Karin Henke-Wendt: Der Aussatz brachte Ausgrenzung und sozialen Tod (Das Lepramuseum in Münster-Kinderhaus). In: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie. Band 1, Norddeutschland, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015, S. 144-146, ISBN 978-3-7776-2510-2.
  40. The Leprosy Museum - St. Jørgen Hospital. Abgerufen am 2. April 2016.