Reine Stimmung
Die reine Stimmung (auch natürliche oder harmonische Stimmung) entstand in Westeuropa mit dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Tonsysteme in reiner Stimmung bestehen ausschließlich aus reinen Intervallen, die im unteren Bereich der Obertonreihe vorkommen und deren Frequenzverhältnisse demzufolge die Quotienten kleiner ganzer Zahlen sind. Im Gegensatz zur pythagoreischen Stimmung des Mittelalters mit rein gestimmten Oktaven (Frequenzverhältnis 2/1) und Quinten (Frequenzverhältnis 3/2) sind bei der reinen Stimmung idealerweise zusätzlich auch die großen Terzen (Frequenzverhältnis 5/4) rein gestimmt.
Gebrauch
Erstmals erwähnt wurde der Gebrauch der reinen Stimmung bei Walter Odington, der die Terz konsonant dachte. Die ars subtilior integrierte die Terz in eine neu entstehende Dreiklangskonzeption, bis Bartolomé Ramos de Pareja in einem musikalischen Traktat von 1482 diese Denkweise auch theoretisch für das Monochord erweiterte.[1] Durch Lodovico Foglianos‘ Schrift "Musica Theorica" von 1529 gewann die Idee der reinen Stimmung einen größeren Bekanntheitsgrad.[2]
In der mehrstimmigen Musik findet das Ideal der reinen Stimmung bis zum heutigen Tag in Gesangsensembles, Chören sowie Ensembles mit Blas- und Streichinstrumenten eine weite Verbreitung. In Chorgesangschulen wird schon seit fünf Jahrhunderten auf ein Hören jenseits der Halbtonschranke geachtet, um reine Akkorde zum Erklingen zu bringen. Wie richtig intoniert werden kann - nicht nur „etwas höher“ oder „etwas tiefer“ - wird mit Hilfe der Theorie der reinen Stimmung exakt erklärt.[3]
Bei Modulationen ändern sich nicht nur Töne mit Vorzeichenwechsel, sondern jeweils auch noch ein weiterer Ton um ein syntonisches Komma. Zum Beispiel benötigt G-Dur im Vergleich zu C-Dur statt des Tones F den Ton Fis, aber auch den Ton A um ein syntonisches Komma höher. (Siehe Modulationen in reiner Stimmung). Deshalb kann bei Tasteninstrumenten die reine Stimmung nur realisiert werden, wenn deutlich mehr als 12 Tasten pro Oktave vorhanden sind, wie beispielsweise beim Archicembalo. Solche Instrumente sind praktisch unspielbar und konnten sich nicht durchsetzen.
Auf Tasteninstrumenten mit fixierten 12 Tonhöhen pro Oktave musste ein Kompromiss - eine Temperierung - gefunden werden. Dabei muss man im Auge behalten, dass es sich bei jeder Temperierung um eine Abweichung vom Ideal der reinen Stimmung handelt. Die mitteltönige Stimmung im 16. bis 18. Jahrhundert beinhaltet rein gestimmte große Terzen wie in der reinen Stimmung. Dies wird durch enger gestimmte Quinten erreicht.
Beispiel von vier mitteltönigen Quinten und der dazugehörigen reinen Terz Vier -Komma-mitteltönige Quinten und eine reine Terz (a'=440 Hz)
Die mitteltönigen Stimmungen haben jedoch die Einschränkung, dass nicht alle Tonarten spielbar sind.
Die wohltemperierten Stimmungen und die gleichstufig temperierte Stimmung lassen das Spiel in allen Tonarten zu, entfernen sich aber vom Ideal der reinen Stimmung durch ein Verlassen der reinen Terz bei gegenüber der mitteltönigen Stimmung verbesserter Quinte.
Nicht nur in der abendländischen Musiktradition, auch in außereuropäischen Musikkulturen trifft man vielfach auf harmonisch-reine Intonationen. In Einzelfällen können auch weitere Intervalle der Obertonreihe einbezogen werden wie etwa die Naturseptime (7. Teilton)[4] oder das Alphorn-Fa (11. Teilton).
Tonarten in reiner Stimmung
Rein gestimmte Tonarten spielen in der Aufführungspraxis der Musik der Renaissance und des Barocks von A-cappella-Chören, Streichquartetten oder Orchestern eine ausschlaggebende Rolle. Bei reiner Intonation wird ein klares Grundtongefühl erreicht (wegen der Differenztöne) und ein schwebungsfreier Klang (wegen gemeinsamer Obertöne). Dies gilt natürlich auch für die Musik der Klassik und Romantik und wird idealerweise in deren Bläsersätzen angestrebt. Gleichzeitig kompliziert sich aber die Intonation durch die Erweiterung akkordischer Möglichkeiten weg von den einfachen Dreiklängen bis hin zu einer extremen Chromatisierung des Satzes, etwa bei Richard Wagner.
A-Dur Kadenz | rein
(Keine Schwebungen.) |
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mitteltönig
(Geringe Schwebungen, durch die
|
gleichstufig
(Heftige Schwebungen - etwa zehn mal |
Oktave, Quinte und große Terz bilden die Grundintervalle der reinen Stimmung. Alle weiteren Intervalle lassen sich aus diesen Grundintervallen zusammensetzen. Man nennt deshalb dieses System auch Quint-Terz-System.
Frequenzverhältnisse der Dur- und Molltonleiter in reiner Stimmung
Reine Tonleitern beruhen auf folgenden Frequenzverhältnissen:
C-Dur (als Beispiel) C D E F G A H c Intervall
Frequenzverhältnis zum GrundtonPrime
1/1große Sekunde
9/8große Terz
5/4Quarte
4/3Quinte
3/2große Sexte
5/3große Septime
15/8Oktave
2/1Frequenzverhältnis benachbarter Töne 9/8 10/9 16/15 9/8 10/9 9/8 16/15 c-Moll (als Beispiel) C D Es F G As B c Intervall
Frequenzverhältnis zum GrundtonPrime
1/1große Sekunde
9/8kleine Terz
6/5Quarte
4/3Quinte
3/2kleine Sexte
8/5kleine Septime
9/5Oktave
2/1Frequenzverhältnis benachbarter Töne 9/8 16/15 10/9 9/8 16/15 9/8 10/9
Die Akkorde der Tonika C-E-G bzw. C-Es-G, der Subdominante F-A-c bzw. F-As-c und der Dominante G-H-d bzw. G-B-d (in Moll) bestehen aus reinen Quinten und Terzen. Die Quinte D-A jedoch ist unrein. Ein Akkord auf der zweiten Stufe bedeutet deshalb schon eine (Zwischen-)Modulation in Richtung Subdominante. Bei den Tonleitern in reiner Stimmung ist zu beachten, dass es zwei Arten von Ganztönen gibt, zum Beispiel C nach D mit dem Frequenzverhältnis 9/8 und D nach E mit dem Frequenzverhältnis 10/9.
Dadurch weichen diese Tonleitern unüberhörbar von der Tonleiter in gleichstufigen Stimmung ab, bei der jeder Halbton genau ein Zwölftel der Oktave ausmacht und ein Ganzton genau zwei Halbtönen entspricht.
Die große Terz
Grundlegend ist die charakteristische reine Terz mit dem Frequenzverhältnis 5/4. Die mitteltönigen Stimmung mit ihren vielen reinen Terzen verwirklichte fast vollkommen die reine Stimmung für Tasteninstrumente - allerdings nur für eine begrenzte Zahl von Tonarten.
Erstmals erwähnt wurde die reine große Terz um 1300 von Walter Odington in seiner Schrift De Speculatione Musices.[5][6] Frühere Beschreibungen dieses Intervalls stehen im Bezug zum antiken griechischen Tonsystem.[7]
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Die reine Terz mit dem Frequenzverhältnis 5/4 wurde nun (im Gegensatz zur pythagoreischen Terz mit dem Frequenzverhältnis 81/64) als Konsonanz empfunden. Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis man die (der pythagoreischen Terz ähnliche) gleichstufige Terz akzeptierte.
In reiner und mitteltöniger Stimmung hört man bei der reinen Terz (386 Cent) keine Schwebung. Bei der mitteltönigen Stimmung hört man die etwas temperierte Quinte im zweiten Akkord in einer geringfügigen Schwebung. Die „geschärfte“ Terz in gleichstufiger (400 Cent) oder gar pythagoreischer (408 Cent) Stimmung mit einer starken Schwebung wird als Reibung empfunden. (Siehe dazu auch das Beispiel der großen Terz mit verstärktem Differenzton). |
Hinweis: Reine Intervalle sind durch ganzzahlige Frequenzverhältnisse charakterisiert, temperierte Intervalle haben dagegen meist ein irrationales Frequenzverhältnis. Deshalb erfolgt der Größenvergleich mit der Einheit Cent.
Der Akkord auf der zweiten Stufe
Bei der reinen Stimmung der C-Dur-Tonleiter mit dem D des Dominantenakkordes G-H-D und dem A des Subdominantenakkordes F-A-C ergibt sich eine Quinte D-A, die ein syntonisches Komma zu eng ist und damit dissonant erscheint.
Der Akkord auf der zweiten Stufe ist eine Zwischenmodulation in Richtung Subdominante. Mit dem D von a-Moll (oder F-Dur) ergibt sich ein reiner Mollakkord D-F-A. In der folgenden Kadenz ist dann das D im Akkord Sp der zweiten Stufe um ein syntonische Komma tiefer als im Akkord D der Dominante.
Wird dies nicht beachtet, kann das zum Absinken der Stimmung eines Chores kommen. (siehe „Kommafalle“.)
Der Akkord der II. Stufe kann jedoch auch - in der Literatur seltener diskutiert - als Doppeldominante - oft verdeutlicht als D-Fis-A gedeutet werden. In diesem Fall - Modulation in Richtung Dominante - erhöht sich das A um eine syntonisches Komma.
Mathematische Beschreibung
Der Intervallraum der reinen Stimmung ist das Quint-Terz-System .
Alle Intervalle lassen sich als Vielfache der drei Grundintervalle Ok (Oktave), Q (Quint) und T (große Terz) darstellen.
Intervall | Darstellung | Frequenzverhältnis |
---|---|---|
Oktave | Ok (Grundintervall) | 2:1 |
Quinte | Q (Grundintervall) | 3:2 |
Große Terz | T (Grundintervall) | 5:4 |
Quarte | Ok - Q | 4:3 |
Kleine Sexte | Ok - T | 8:5 |
Kleine Terz | Q - T | 6:5 |
Große Sexte | Ok + T - Q | 5:3 |
(Großer) Ganzton | 2Q - Ok | 9:8 |
Kleiner Ganzton | T - (Großer Ganzton) = Ok + T - 2Q | 10:9 |
Kleine Septime (1. Möglichkeit) | Ok - (Großer Ganzton) = 2Ok - 2Q | 16:9 |
Kleine Septime (2. Möglichkeit) | Ok - (Kleiner Ganzton) = 2Q - T | 9:5 |
Halbton | Quarte - T = Ok - Q - T | 16:15 |
Große Septime | Ok - Halbton = Q + T | 15:8 |
Syntonisches Komma | 2(Große Ganztöne) - T = 4Q - 2Ok - T | 81:80 |
ausführliche Tabelle |
Probleme bei Tasteninstrumenten
Bei Modulationen ändern sich Töne nicht nur um einen Halbton, sondern auch manche Töne um ein syntonisches Komma (siehe Modulation bei reiner Stimmung). Dies lässt sich auf einer Tastatur mit zwölf Tönen pro Oktave nicht verwirklichen. Man war gezwungen temperierte Stimmungen zu verwenden. Zuerst:
- die mitteltönigen Stimmungen, dann
- die wohltemperierten Stimmungen und schließlich
- die gleichstufige Stimmung.
Modulationen erfordern eine Anpassung der Tonhöhe
- Faustregel: Bei einer Modulation in eine Nachbartonart ändern sich zwei Töne, einer davon erkennbar mit Vorzeichenwechsel, der andere geringfügig um ein syntonisches Komma. (Frequenzverhältnis 81/8021,5 Cent. Das ist ungefähr 1/5 Halbton.)
Zum Beispiel erniedrigt sich bei einer Modulation von C-Dur nach F-Dur nicht nur das H um einen Halbton zu B, sondern auch das D um ein syntonisches Komma. Bei einer Modulation von c-Moll nach f-Moll erniedrigt sich das B um ein syntonisches Komma und das D um einen Halbton zu Des.
Entsprechend erhöht sich bei einer Modulation von C-Dur nach G-Dur nicht nur das F um einen Halbton zu Fis, sondern auch das A um ein syntonisches Komma. Bei einer Modulation von c-Moll nach g-Moll erhöht sich das F um ein syntonisches Komma und das As um einen Halbton zu A.
Vergleich der erweiterten reinen Stimmung mit der gleichstufigen Stimmung
Nimmt man zu den Tönen der Dur- und Molltonleiter das FIS von G-Dur und das DES von f-Moll dazu, erhält man die 12-stufige chromatische Skala der reinen Stimmung.[8][9]
Chromatische Skala der reinen Stimmung von C-Dur und c-Moll ergänzt um FIS und DES:
Hinweis: Beim Vergleich von Intervallen verwendet man die Einheit Cent. Dabei gilt: 1 Oktave = 1200 Cent.
Name des Tones C DES D ES E F FIS G AS A B H c Frequenz 264 281,6 297 316,8 330 352 371,25 396 422,4 440 475,2 495 528 In Cent 0 112 204 316 386 498 590 702 814 884 1018 1088 1200
Folgende Dreiklänge enthalten reine Quinten und reine kleine und große Terzen.
In dieser Stimmung kann man nur C-Dur und c-Moll sowie As-Dur und e-Moll (mit Molldominante H-D-Fis) rein spielen. (Wird das Dis im Dur-Dominantakkord H-Dis-Fis von e-Moll durch seine enharmonische Verwechslung ersetzt, so erhält man ein Es, das um 41 Cent zu hoch ist.) Um in allen Tonarten spielen zu können, werden bei der gleichstufigen Stimmung die Halbtöne angepasst. Dass hierbei kein Dreiklang mehr rein erklingt, wird als Kompromiss akzeptiert.
Chromatische Skala der gleichstufigen Stimmung:
Name des Tones C CIS/DES D DIS/ES E F FIS/GES G GIS/AS A AIS/B H c Frequenz 261,6 277,2 293,7 311,1 329,6 349,2 370 392 415,3 440 466,2 493,9 523,3 In Cent 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200
Die gleichstufige Stimmung erhält man auch, indem man das pythagoreische Komma im Quintenzirkel F-C-G-D-A-E-H-Fis-Cis-Gis-Dis-Ais-Eis-His=(C?) auf die zwölf Quinten verteilt. Die reine Quinte (702 Cent) unterscheidet sich von der gleichstufigen (700 Cent) nur geringfügig. Die große Terz (386 Cent) wird bei der gleichstufigen Stimmung (400 Cent) immerhin um 14 Cent "geschärft".
Frequenzverhältnisse der erweiterten Tonleiter
Nimmt man zur C-Dur- und c-Moll-Tonleiter noch das Fis von G-Dur (dominantisch) und das Des von f-Moll (subdominantisch) hinzu, erhält man zwölf Stufen. [10]
C-Dur/c-Moll chromatisch C Des D Es E F Fis G As A B H c Frequenzverhältnis zum Grundton 1/1 16/15 9/8 6/5 5/4 4/3 45/32 3/2 8/5 5/3 9/5 (16/9) 15/8 2/1 Frequenzverhältnis benachbarter Töne 16/15 135/128 16/15 25/24 16/15 135/128 16/15 16/15 25/24 27/25 (16/15) 25/24 (135/128) 16/15 in Cent 112 92 112 71 112 92 112 112 71 133 (112) 71 (92) 112
Hier ist das B als reine kleine Terz zu G gewählt (zu c-Moll gehörig). In manchen (quintenbetonten) Darstellungen wird das B als Quarte zu F gewählt (Angabe in Klammer) mit dem Vorteil, dass das Intervall AB ein diatonischer Halbton ist. Dann gehört dieses B aber schon zu F-Dur.
Wie man feststellen kann, ist ein in dieser Stimmung gestimmtes Instrument nur für C-Dur und c-Moll (bei geeignetem B) sowie As-Dur und e-Moll brauchbar und wird praktisch nicht realisiert.
Kleiner und großer Halbton
Bei der reinen Stimmung gibt es den großen, den diatonischen Halbton mit dem Frequenzverhältnis und die kleinen, die chromatischen Halbtöne[11] mit den Frequenzverhältnissen und
In der chromatisch erweiterten C-Dur-/c-Moll-Tonleiter:
- Diatonische Halbtöne mit 112 Cent: E→F und H→c, sowie C→Des, Cis→D, D→Es und Dis→E.
- Chromatische Halbtöne mit 92 Cent: C→Cis sowie Des→D.
- Chromatische Halbtöne mit 71 Cent: D→Dis sowie Es→E.
- (Beachte: C→D ist ein großer Ganzton mit 204 Cent und D→E ein kleiner Ganzton mit 182 Cent. Daher unterscheiden sich die zwei chromatischen Halbtöne um 21 Cent.)
Das Eulersche Tonnetz
Die zwei wichtigsten Intervalle bei der Dreiklangsbildung sind die Quinte und die Terz. Da die rein gestimmte Terz nicht mit rein gestimmten Quinten darstellbar ist, entwickelte Leonhard Euler die Darstellung eines Quint-Terz-Beziehungsgeflechtes, das aus verschiedenen reinen Quintenreihen im Abstand eines syntonischen Kommas besteht.
- ...-b-f-c-g-d-a-e... (Quinten mit dem Frequenzverhältnis 3:2)
- ...-,b-,f-,c-,g-,d-,a-,e... (Quinten mit dem Frequenzverhältnis 3:2 jeweils ein Terzkomma tiefer als in der ersten Reihe)
- Folgerung: Die Intervalle c-,e und d-,fis und e-,gis und f-,a und g-,h usw. haben das Frequenzverhältnis 5:4.
Dieses Tonnetz wurde von verschiedenen Musiktheoretikern wie Moritz Hauptmann, Hermann von Helmholtz und Arthur v. Oettingen weiterentwickelt und führte zu neuen Musikinstrumenten wie dem Reinharmonium.
Die reinen Tonleitern haben in dieser Darstellung eine stets gleiche Darstellung:
Dur | x | x | ,x | x | x | ,x | ,x | x | ,moll | ,x | ,x | x | ,x | ,x | x | x | ,x |
Bezeichnung: ,x ("Tiefkomma x") = x erniedrigt um ein syntonisches Komma | |||||||||||||||||
… | |||||||||||||||||
Es-Dur | es | f | ,g | as | b | ,c | ,d | es | ,c-Moll | ,c | ,d | es | ,f | ,g | as | b | ,c |
B-Dur | b | c | ,d | es | f | ,g | ,a | b | ,g-Moll | ,g | ,a | b | ,c | ,d | es | f | ,g |
F-Dur | f | g | ,a | b | c | ,d | ,e | f | ,d-Moll | ,d | ,e | f | ,g | ,a | b | c | ,d |
C-Dur | c | d | ,e | f | g | ,a | ,h | c | ,a-Moll | ,a | ,h | c | ,d | ,e | f | g | ,a |
G-Dur | g | a | ,h | c | d | ,e | ,fis | g | ,e-Moll | ,e | ,fis | g | ,a | ,h | c | d | ,e |
D-Dur | d | e | ,fis | g | a | ,h | ,cis | d | ,h-Moll | ,h | ,cis | d | ,e | ,fis | g | a | ,h |
A-Dur | a | h | ,cis | d | e | ,fis | ,gis | a | ,fis-Moll | ,fis | ,gis | a | ,h | ,cis | d | e | ,fis |
… | |||||||||||||||||
Alternativ zum Beispiel | c-Moll | c | d | 'es | f | g | 'as | 'b | c | ||||||||
Bezeichnung: 'x ("Hochkomma x") = x erhöht um ein syntonisches Komma |
Die Berechnung der zugehörigen Centwerte mit Oktave = 1200 Cent, Quinte = 701,955 Cent und syntonisches Komma = 21,506 Cent ergibt zum Beispiel mit c = 0 Cent gerundet:
- e = c + 4 Quinten - 2 Oktave = 408 Cent und ,e = e - syntonisches Komma = 386 Cent (= c + reine große Terz)
Die entsprechenden Frequenzwerte berechnen sich mit c = 264 Hz zu:
- und .
Klangbeispiel: Vergleich reine, mitteltönige und gleichstufige Stimmung
Anhören | |||
Reine Stimmung | Reine Stimmung langsam | 1/4-Komma-mitteltönige Stimmung | gleichstufige Stimmung |
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Hier sind in reiner Stimmung in g-Moll die Kadenzakkorde G-B-D, C-Es-G und D-Fis-A rein. Bei der Modulation zu B-Dur (Takt 6 und Takt 13) mit den reinen Kadenzakkorden B-D-F, Es-G-B und F-A-C erhöht sich der Ton C um ein syntonisches Komma. Die zugehörigen Frequenzen und Frequenzverhältnisse
weitere Klangbeispiele
Für die klangliche Darstellung reiner Stimmungen wurde ein bekanntes, freilich historisch nicht korrektes Beispiel gewählt, das es möglich macht, die diffizilen Unterschiede deutlich zu hören. Es wurde von Johann Sebastian Bach für eine der (vielen) wohltemperierten Stimmungen konzipiert; für welche genau, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren.
Johann Sebastian Bach: Präludium in C-Dur aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers, BWV 846
Beispiel 1: Takte 1 bis 5
- Die im Text beschriebene 7-stufige (reine) C-Dur-Tonleiter führt zwar zu einem melodisch sinnvollen großen Ganzton (9/8) c-d [bei a)], doch wird die Quinte d-a [bei b)] dadurch unrein (40/27 statt 3/2; sie ist mit ca. 680,448 Cent um ein syntonisches Komma zu klein).
- Durch Erweiterung der Skala um ein erniedrigtes d [bei a)] wird die Quinte d-a [bei b)] nun zwar bereinigt, doch entsteht zum einen ein unmelodischer kleiner Ganzton (10/9) und zum anderen eine deutlich hörbare (syntonische) Kommadifferenz (81/80) zwischen den d's des zweiten und des dritten Taktes [bei c)].
- Bei Annahme der Naturseptime (7/4 statt 9/5) im Dominantseptakkord [bei d)] entsteht ein zusätzliches „septimales Komma“ (64/63, ca. 27,264 Cent) zwischen dem f des zweiten und des dritten Taktes [bei e)]. Der Gleitton f-e wird als „septimaler Halbton“ (21/20, ca. 84,467 Cent) eng intoniert [bei f)].
Beispiel 2: Takte 5 bis 11
- Auch die 12-stufige chromatische Skala beinhaltet (nur) die unreine Quinte d-a (40/27), die hier zweimal als Teil des Doppeldominant-Septakkordes erklingt [bei a)].
- Der Ausgleich dieser Quinte erfordert nun ein pythagoreisch eingestimmtes a (27/16 statt 5/3), das gegenüber dem a als Grundton der Tonikaparallele um ein syntonisches Komma erhöht ist [bei b)]. Da die Kommadifferenzen hier in einer der Mittelstimmen erklingen, fallen sie kaum ins Gewicht – mit einem durchaus annehmbaren klanglichen Resultat.
- Im Gegensatz dazu führt der als Naturseptime intonierte Ton c der Doppeldominante wiederum zum deutlich hörbaren „septimalen Komma“ [bei c)].
Literatur
- Hermann von Helmholtz: Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. Vieweg, Braunschweig 1863 (Nachdruck: Minerva-Verlag, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-8102-0715-2, Auszug).
- Ludwig Riemann: Populäre Darstellung der Akustik in Beziehung zur Musik. Im Anschluss an Hermann von Helmholtz' „Lehre von den Tonempfindungen“. Vieweg, Braunschweig 1896.
- Albert Limbach: Die Kunst reiner Intonation. Studien zu unbegleitetem Solo- und Chorgesang in Oper und Konzert. Breitkopf und Härtel, Wiesbaden 1980, ISBN 3-7651-0168-0.
- Bettina Gratzki: Die reine Intonation im Chorgesang (= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 70). Verlag für systematische Musikwissenschaft GmbH, Bonn 1993, ISBN 3-922626-70-X (Exzerpt).
- Ross W. Duffin: How Equal Temperament Ruined Harmony (And Why You Should Care). W. W. Norton & Company, New York NY 2007, ISBN 978-0-393-06227-4 (Exzerpt).
- Adrian Wehlte: Trios zu zweit (Trio mit 2 Flöten und Kombinationston, Erläuterungen und Übungen zur reinen Stimmung) Tibia Heft 2/2012 Moeck-Verlag, Celle 2012, ISSN 0176-6511.
Weblinks
- „Die reine Stimmung“ von Joachim Mohr
- Just Intonation - Eine freie Software, mit der man Musik in reiner Stimmung spielen und hören kann, unabhängig von der Tonart
Siehe auch
- Solmisation
- Tonic sol-fa, dort auch der Bericht von Hermann von Helmholtz, einem Verfechter der reinen Stimmung
- Barbershop, dort reine Stimmung als wesentliches Kennzeichen dieser modernen Musikgattung
- Mitteltönige Stimmung
- Wohltemperierte Stimmung
- Gleichstufige Stimmung
- Quintenzirkel
Quellen
- ↑ Die Musik in Geschichte und Gegenwart 1986 Bd.13 S.217 «Temperatur und Stimmung»
- ↑ Die Musik in Geschichte und Gegenwart 1986 Bd.13 S.544 «Tonsysteme»
- ↑ Bettina Gratzki: Die reine Intonation im Chorgesang S. 25
- ↑ Johann Philipp Kirnberger, Vermischte Musikalien 1769 S. 26-27 und Flötensonate G-dur Adagio
- ↑ http://en.wikisource.org/wiki/Catholic_Encyclopedia_(1913)/Walter_Odington
- ↑ The Harvard dictionary of music, Don Michael Randel, 2003, ISBN 0674011635, Seite 56, Überschrift: Arithmetic and harmonic mean, Abschnitt 2 online
- ↑ Geschichte der Musik: Die ersten Zeiten der neuen christlichen Welt und Kunst. Die Entwickelung des mehrstimmigen Gesanges. 1864. Bd. 3. Im Zeitalter der Renaissance, bis zu Palestrina. 1868, Geschichte der Musik: Band 2, Wilhelm Bäumker, 1864, Seite 361 online
- ↑ Eine 12-stufige Skala der reine Stimmung ist rein theoretisch und daher willkürlich. Hier wird zum Beispiel das B des reinen g-Moll-Akkordes verwendet. Genauso berechtigt könnte man – und so sieht man es auch des Öfteren – das B als reine Quinte zu F wählen.
- ↑ Arnold Schönberg beschreibt in seinem musiktheoretischen Werk Harmonielehre. (Wien, 1911; 3te Auflage 1922) die reine Stimmung, wobei er dem Tritonus (Fis) die Oktavmitte (gleichschwebend) zuordnet.
- ↑ In der Schreibweise des Eulersches Tonnetzes wird die chromatische Skale folgendermaßen beschrieben:
- c 'des d 'es f ,fis g 'as ,a 'b (b) ,h c
- ↑ Der Begriff kleiner oder chromatischer Halbton hat sich so eingebürgert. Streng genommen handelt es sich um eine übermäßige Prim.