Benutzer:PaulAsimov/Kopie oder Tod

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Deutschsprachige Übersetzung (manuell, mit Hilfe von DeepL) von Auszügen aus Giorgio Jackson Drago & Paula Espinoza Orcaistegui: Copia o Muerte. Una Decisión Urgente para Nuestra Supervivencia. Saber Futuro, Santiago de Chle 2019. ISBN 978-956-09412-0-6. Veröffentlicht unter CC BY-SA 4.0-Lizenz.

Synopsis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zusammenfassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Giorgio Jackson Drago, Wirtschaftsingenieur und ehemaliger Studierendenführer, war 2022 Minister des chilenischen Präsidialamtes, ist seitdem Minister für soziale Entwicklung und Familie und einer der populärsten progressiven Politiker des Landes. Zusammen mit der Publizistin und Sozialwissenschaftlerin Paula Espinoza Orcaistegui hat er kurz vor Beginn seiner Amtszeit die Vision einer naturwissenschaftlich inspirierten Kollaboration beschrieben, die weit über einzelne Branchen der Forschung und Entwicklung, Produktion, Kunst oder Kultur hinausgeht. Gemeinsam entwerfen sie – auf historische Beispiele und Vorbilder gestützt – eine Transformation des geistigen Eigentums mit Perspektiven für klimagerechte, soziale Technologien, Praktiken und Teilhabe. Denn das Kopieren, Ausprobieren und Weiterentwickeln, so Jackson und Espinoza eindrücklich, ist seither jeher Teil der Evolution und des Lebens an sich.

Der Versuch einer praktischen „Philosophie der Offenheit“ wirft aktuelle Tendenzen zu Protektionismus und Sicherheit zugunsten einer bunten Sammlung aus Gemeingütern, Wissenschaften über den Haufen und erweckt dabei den Glauben an universelle Menschenrechte und globale Solidarität neu zum Leben. Das Buch für Fans von Everything is a Remix, Open-Source und alle, die auf die Rettung der chilenischen Verfassung hoffen.

Das spanischsprachige Original Copia o Muerte. Una Decisión Urgente para Neuestra Superviencia erschien im Oktober 2019 unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0; die kommerzielle Verwendung und Veröffentlichung unter gleicher Lizenz ist daher bei Namensnennung frei.

Umfang: 208 S. zzgl. Anhang mit Fußnoten (~300 Wörter pro Seite); einfarbige, optionale Abbildungen

Buch-Trailer (Transkript)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2016 sagte Marcos Aguirre: „Das Warten tötet uns.“ Marcos erkrankte an Hepatitis C, aber es war ihm unmöglich, sich die Behandlung zu leisten. Eine Behandlung, die bis zu 20.000 US-Dollar kosten kann – obwohl die Produktionskosten einhundert Mal niedriger sind. Wie kommt es dazu? Das Patentsystem, das den Anlegern Rendite verspricht, verhindert die Entwicklung gleichwertiger Medikamente – und damit letztlich die Erstellung von Kopien wissenschaftlicher Erkenntnisse. Erkenntnisse, die notwendig sind für den Lebensunterhalt und Fortbestand der Bevölkerung. Deshalb tötet das Warten uns.

Vor Jahrzehnten machte der Wissenschaftler Richard Dawkins den Begriff des Replikators populär. Er bezieht sich auf ein Molekül, ein Supermolekül, das in der Lage ist, sich selbst zu kopieren und so eine Masse aus Repliken zu schaffen. Dieser – nicht fehlerfreie – Prozess, ist der Ursprung für die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten.

Wann beginnt alles? 1989 nimmt die Band De La Soul ihre CD „Three Feet High and Rising“ auf, bei der sie ein Sample für die Konstruktion ihrer Lieder nutzt. Das heißt, sie nehmen Teile einer Tonaufnahme und verwenden diese in ihrer Musik wieder. Das Album, welches als Meisterwerk des Hip-Hop gilt, kann nicht kommerziell auf Plattformen wie Spotify vertrieben werden, weil es Gesetze zum geistigen Eigentum verletzen würde. Dieser Fall hat die Geschichte des Hip-Hop geprägt und seither unterliegt das Genre der Zensur und, noch schlimmer, der Selbst-Zensur. Wann ist das Kopieren, Wiederholen, Samplen zu einer bedauerlichen und sogar illegalen Handlung geworden? Wer hat das entschieden? Wie funktioniert die Kopie in der digitalen Welt, wenn wir doch alle Kopier-Maschinen sind? Kann die Technologie alles verändern? Kann sie alles zerstören?

Giorgio Jackson, chilenischer Präsidialamtsminister, Ingenieur und ehemaliger Studentenvertreter

Vitae[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Giorgio Jackson Drago[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kenneth Giorgio Jackson Drago ist chilenischer Wirtschaftsingenieur und Politiker. Nachdem er als Sprecher verschiedener Studierendenvertretungen und Parteigründer der Revolución Democrática eine zentrale Figur der Studierendenproteste 2011 und Mobilisierungen war, die zur Wahl einer linken Regierung bei den jüngsten Parlamentswahlen führten, wurde er unter Gabriel Boric zum Präsidialsamtsminister (Stabschef des Präsidenten) ernannt, dessen Amt er bis zum 6. September 2022 ausübte, bevor er zum Minister für soziale Entwicklung und Familie ernannt wurde.

Paula Espinoza Orcaistegui[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Paula Espinoza Orcaistegui ist Direktorin des Technologie-Think-Tanks Foundación Saber Futoro und arbeitete dabei unter anderem mit der in Deutschland rezipierten Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz zusammen. Zuvor war die studierte Publizistin, Hispanistin und Kunsttheoretikerin unter anderem am Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-PAL) des Massachussetts Institute of Technology (MIT) als Forschungsmanagerin tätig.

Leseprobe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einführung, Kapitel 1 (Auszug, S. 15–25)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Was ist das, ein Original oder eine Kopie? Wenn wir uns eine solche Frage stellen, dann deshalb, weil wir das Gefühl haben, dass es einen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Status gibt. Wir scheinen uns davor zu hüten, uns zu irren und zu glauben, dass das, was wir für ein Original halten, in Wirklichkeit nur eine Kopie ist. Diese Bedenken können in den verschiedensten Zusammenhängen auftreten, etwa beim Kauf einer Uhr, beim Erwerb von Software oder beim Besuch eines Museums. Kurzum ist es für uns wichtig, wer der Autor ist, und zwar sehr wichtig. Dies gilt umso mehr, als es heutzutage weit verbreitet ist, Kopien oder Nachahmungen mit Plagiaten oder Fälschungen zu verwechseln.

Die Schriftstellerin Siri Hustvedt, die sich für die Art und Weise interessiert, wie Menschen Dinge wahrnehmen und bewerten, erinnert an das Experiment der Neuroökonomin Hilke Plassmann, welches zeigt, dass der gleiche Wein als besser wahrgenommen wird, wenn auf dem Etikett ein höherer Preis steht. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, setzte Plassmann die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) ein, die es ihr ermöglichte, Hirnregionen der untersuchten Personen zu scannen. Für Hustvedt ist dieses Experiment reduktionistisch und geht von einer alleinigen Rolle des Gehirns bei unseren Wahrnehmungen aus, aber sie ist daran interessiert, weil es ein wesentliches Element in die Überlegungen einbezieht: Es gibt keine reinen Empfindungen oder Bewertungen. Dabei spielen psychologische, soziale und politische Faktoren eine Rolle, die zweifellos unser Urteilsvermögen beeinflussen. Hustvedt nutzt dieses letzte Argument, um die Hintergründe zu erklären, die z. B. zu der ungleichen Präsenz von Frauen im Vergleich zu Männern in der Kunstwelt führen.

In den 1980er Jahren schenkte der Philanthrop Mark Landis verschiedenen Museen und Galerien in den Vereinigten Staaten Kunstwerke, die bekannten Malern zugeschrieben werden. Landis’ Altruismus wurde 2008 jäh unterbrochen, als das Oklahoma City Museum of Art, das bereits andere Schenkungen von derselben Person erhalten hatte, feststellte, dass es sich bei den Werken um Repliken handelte. Wie erkannten sie die Täuschung? Landis hatte einige der Gemälde mehrfach kopiert und an verschiedene Museen verteilt. War es ein Übermaß an Großzügigkeit oder ein außer Kontrolle geratenes zur Schau stellen von Virtuosität? Wir werden es nie erfahren. Heute ist Mark Landis – der für die Tat nicht belangt wurde, da die Bereitstellung der Werke nicht mit einer Geldzahlung verbunden war – berühmt für seine Gerissenheit und, aus unserer Sicht, für sein Talent. Denn was uns an dieser Geschichte reizt, ist die Möglichkeit, dass Landis’ Aktion Menschen in den Genuss von Werken gebracht hat, welche sie ohne die Kopien wahrscheinlich nicht kennengelernt hätten.

Was mit Landis geschah, erinnert uns an eine Geschichte, die sich 1887 in Chile ereignete, als das Museo de Bellas Artes fast die Hälfte seiner Gründungssammlung entfernte. Der Grund? Eine Gruppe von Werken wurde als mamarrachos („Monstrositäten“, „Mist“) bezeichnet. Diese abwertende Bezeichnung spiegelt den geringeren Wert wider, der diesen Gemälden aufgrund ihres Status als Kopien beigemessen wurde. Sie waren in der Tat Reproduktionen europäischer Werke. Aus der Ferne betrachtet war die Entscheidung des Museums eher unglücklich, wenn man bedenkt, dass es bei seiner Gründung im Jahr 1840 unter anderem das Ziel hatte als Zufluchtsort für Kopien zu fungieren; sodass diese Kopien den Kunst-Studierenden ermöglichen würden, zu lernen und dadurch ein landeseigenes kulturelles Erbe zu entwickeln.

Natürlich lässt sich niemand gerne täuschen. Aber die Geschichten von Landis wie die der Mamarrachos werfen einige interessante Fragen auf. Wie konnte die Bevölkerung im Chile des späten 19. Jahrhunderts – einer ehemaligen Kolonie – Zugang zur visuellen Kultur des Westens erhalten? Und im Fall von Landis: Warum sollte man den Zugang zu Bildern, die Teil der Kunstgeschichte sind, beschränken? Warum und wann haben wir begonnen, die Kopien zu fürchten? Diese Frage mag sogar absurd klingen, wenn man bedenkt, dass es schon seit Jahren Werkzeuge gibt, die es ermöglichen, Objekte, wie z. B. Kunstwerke, zu reproduzieren. Aus offensichtlichen kommerziellen Gründen wurden solche Entwicklungen nicht massenhaft befördert, was dazu beiträgt, dass Länder und Bevölkerungsgruppen, die seit jeher von Wohlstand und Reichtum ausgeschlossen sind, in diesem Zustand verharren. Einer der faszinierenden Aspekte von Technologien wie dem 3D-Druck ist daher die Vorstellung, dass es möglich ist, die Art und Weise, wie materielle Güter produziert werden, so zu verändern, um global zu entwerfen und lokal zu bauen. Dies würde nicht nur die Kosten senken, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht leisten.

In diesem Buch bedeutet Kopieren die Möglichkeit, über Wissen aus der Perspektive des Gemeinwohls nachzudenken, denn wir wissen, dass heute wie nie zuvor ein großer Teil der Chance zur Überwindung der Ungleichheit zwischen Ländern und Menschen in seiner Beherrschung liegt. Wir sprechen hier von einer postkapitalistischen Wirtschaft, die auf dem Konzept des Peer-to-Peer (P2P) basiert, d.h. einer Entwicklung auf Augenhöhe, bei der Gleichheit ein Ausgangspunkt und kein unerreichbares Ziel ist. So versuchen wir die Parameter von Wirtschaft und Gesellschaft neu zu gewichten. Es ist ein Bekenntnis zu einer Kultur der Zusammenarbeit, die Technologie nutzt, um den Zugang zu Wissen zu erweitern.

Kopieren, Kopieren, Irren und Kopieren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Leben ist kapriziös. Die organische Evolution und die molekularen Strukturen, die ihre Entwicklung ermöglichten, verdanken ihre Existenz ganz besonderen Umständen. Der Wissenschaftler Richard Dawkins, der den Darwinismus vertritt, beschreibt das Auftauchen eines Moleküls als ein außergewöhnliches Ereignis, das unser Schicksal bestimmt. Das Molekül, auf das er anspielt, hat eine Superkraft: das Kopieren. Insbesondere kann es sich selbst kopieren, weshalb es auch als Replikator bezeichnet wird. Diesem Molekül wird zugeschrieben, eine große Population von Replikaten zu entwickeln, die ihrerseits neue Kopien erzeugen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass diese Mikroorganismen, ob in Form von Bakterien, Archaeen oder eukaryotischen Zellen, den gemeinsamen Vorfahren des Lebens auf unserem Planeten darstellen. Noch wichtiger ist, dass Fehler ein Schlüsselelement für die Entwicklung und das Funktionieren dieser biologischen Replikatoren sind. Mit anderen Worten: Die biologische Vielfalt, aus der sich das Leben entwickelt hat, war nur möglich, weil nicht alle Replikate exakt waren. Was diese Erklärung für uns so grundlegend macht, ist der Wert des Kopierens und der Ungenauigkeit, der Raum für eine wesentliche Prämisse dieses Buches schafft: Ohne Kopieren gibt es kein Leben, und ohne Fehler gibt es keine Evolution.

Einer der interessantesten Ansätze von Dawkins ist die Ähnlichkeit, die er zwischen der biologischen Evolution und der kulturellen Entwicklung sieht. Er geht davon aus, dass sich kulturelle Manifestationen – Sprache, Gewohnheiten, künstlerische Ausdrucksformen – ähnlich zu genetischen Informationen (Erbgut) verhalten. Die Evolution der Gene wird mit Hilfe der Figur des Mems erklärt. Nun, Gene haben sich aufgrund ihrer Fähigkeit zur Replikation und Veränderung entwickelt. Wie in der Welt der sozialen Netzwerke, wo einige Meme überleben und andere nicht, verdanken im biologischen Bereich die überlebenden Gene ihre Existenz der Replikation oder Mutation, während die verschwundenen Gene gerade deshalb verschwunden sind, weil sie nicht kopiert werden konnten.

Offensichtlich funktionieren Kopieren, Irrtum und Veränderung auch im kulturellen Bereich. Der südkoreanische Philosoph Byung-Chul Han reflektiert genau dies anhand des umstrittenen Phänomens der chinesischen Technologie-Imitationen, bekannt als Shanzhai. Laut Han sind High-Tech-Objekte oft Shanzhai der Produkte der Natur. In diesem Sinne kollidiert dieses Argument mit dem von Dawkins insofern, als die biologische Welt, in den Worten von Han, kreativer ist als der coolste Mensch. Die Ursache? Der kontinuierliche Prozess der Variation, Kombination und Mutation in der Natur. Han selbst kann sich jedoch – offensichtlich beeinflusst durch die Entwicklung der chinesischen Kultur – das menschliche Handeln nicht ohne die Merkmale vorstellen, die er der Natur zuschreibt. Mit anderen Worten: Das menschliche Handeln ist ein lebendiger Akt, der sich ständig verändert und in den verschiedene Akteure eingreifen. Dem folgend weist er unerbittlich darauf hin, dass der Westen sich selbst der Kreativität der Shanzhai entzieht, indem er sie als Betrug, Plagiat und Verletzung des geistigen Eigentums betrachtet. Auf diese Weise verleiht er dem Kopieren eine gewisse Ehrfurcht, denn die Kreativität entsteht und hängt davon ab.

Was ist strittig?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Angesichts der Argumentation von Han und der erklärten Absichten dieses Buches wollen wir uns einem Beispiel zuwenden, das die besten Seiten des Wissens für das Gemeinwohl zeigt. Nach fünfzehn Jahren internationaler Zusammenarbeit und fast drei Milliarden Dollar öffentlicher Investitionen wurde das erreicht, was der britische Biologe John Sulston die „Anleitung zur Herstellung eines menschlichen Wesens“ nannte. Dieses Ergebnis ist auf die Erforschung des menschlichen Genoms zurückzuführen, eine der ehrgeizigsten intellektuellen Herausforderungen, die sich die wissenschaftliche Gemeinschaft je gestellt hat. Eines der Hauptziele dieses vom International Human Genome Sequencing Consortium durchgeführten Megaprojekts war es, alle Ergebnisse frei zugänglich zu machen. Mit einer solchen Ausrichtung sollte gefördert werden, dass die Forschungsdaten für neue Studien zur biomedizinischen Innovation genutzt werden.

Bis zu diesem Punkt in der Geschichte glaubten wir, dass die Vorteile, die mit der gemeinsamen Nutzung von Wissen verbunden sind, klar sind. Im Laufe der Zeit geriet jedoch das angestrebte Ziel des Projektkonsortiums in Gefahr. In den späten 1990er Jahren begann der Wettlauf um das menschliche Genom. Einer der ersten Schläge kam von Celera, einem Unternehmen, das von dem Wissenschaftler und Unternehmer Craig Venter gegründet wurde. Im Jahr 1998 gab das Unternehmen bekannt, dass es auf dem besten Weg sei, die Sequenzierung des menschlichen Genoms in drei Jahren abzuschließen. Das Risiko bei Venters Schritt war die potenzielle Privatisierung des Zugangs zum Wissen über unsere eigene DNA. Angesichts dieser Bedrohung beschleunigte das Konsortium die Veröffentlichung eines Vorentwurfs, den es im Laufe des Jahres 2000 herausgab. Schließlich wurde die vollständige Version des menschlichen Genoms 2003 veröffentlicht und beruhigte die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft.

Die gängigste Art, über ein Problem wie das der menschlichen Genomsequenz nachzudenken, ist, dass es sich um Regeln handelt, die unter dem Begriff des geistigen Eigentums zusammengefasst werden. Und ja, als wir mit dem Schreiben dieses Buches begannen, haben wir uns sehr darauf konzentriert, das Geflecht von Gesetzen und kommerziellen Vereinbarungen zu verstehen, das die Art und Weise, in der Wissen heute kontrolliert wird, ermöglicht. Vor allem dann, wenn aufgedeckt wird, dass die mächtigsten Länder und großen Unternehmen der Welt versuchen, ihre Privilegien bei der Entwicklung von Gütern, die wir für Gemeingüter halten, zu erhalten. Vor allem, wenn ein großer Teil der geltenden Rechtsvorschriften für die Länder des so genannten Globalen Südens, von denen die meisten ehemalige Kolonien sind, das Ergebnis von Handelsabkommen zwischen Nationen ist, die sich in völlig unterschiedlichen Positionen befanden. Denn die Asymmetrie zwischen den Nationen, die daran interessiert sind, geistiges Eigentum als globales Thema zu etablieren, und denjenigen, die sich gerade von jahrzehntelanger kolonialistischer Ausbeutung oder verheerenden Diktaturen erholt haben, ist offensichtlich.

Wir haben jedoch bald erkannt, dass das geistige Eigentum zwar ein unvermeidlicher Konfliktpunkt ist, seine Aufhebung aber nicht unbedingt das Ende unserer Probleme bedeuten würde. Denn die – noch aus dem 18. Jahrhundert stammende – Geisteshaltung bliebe bestehen. Wir beziehen uns auf Überlegungen und Überzeugungen in Bezug auf das Wissen, eine Art der Erkenntnis, die dem geistigen Eigentum zugrunde liegt und uns nicht erkennen lässt, dass jede intellektuelle Anstrengung, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist, eine Änderung unserer Denk- und Handlungsweise erfordert. Nämlich die Beziehungen zwischen dem Individuum und der Welt radikal zu verändern. Mit anderen Worten: Es ist dringend notwendig, uns als soziale Wesen zu erkennen, die kollektiv schaffen. Erst dann wird das Wissen wieder allen gehören und nicht nur einigen wenigen.

Die Technologieexpertin Mercedes Bunz sieht in der Digitalisierung von Informationen eine radikale Umwälzung der Gesellschaft. Ihre Argumentation basiert auf dem Verständnis der binären Sprache der Computerwelt und einem vielleicht unerwarteten Ergebnis: Es ist nun möglich, identische Kopien zu erstellen, was den Sinn von Ursprung und Hersteller in Frage stellt. Diese neue Realität öffnet einen Riss in den kapitalistischen Produktionsformen und in den Formen der Informationszirkulation. Diese Provokation lässt uns nicht gleichgültig; im Gegenteil, sie ermutigt uns, daran zu denken, dass es eine echte Möglichkeit gibt, auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu reagieren: Soziales Wohlergehen für alle und dies in Harmonie mit dem Planeten zu erreichen.

Sternenstaub oder Datencluster?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der berühmte Populärwissenschaftler Carl Sagan prägte den Satz „Wir sind Sternenstaub“, um die Astronomie zu popularisieren. Er tat es auch, um uns zu zeigen, dass das, was uns formt, Materialien entspricht, die irgendwann in der Milchstraße zusammenstießen und unseren Planeten schufen. Uns gefällt Sagans Vorschlag, erstens, weil er uns als Spezies und nicht als Individuen anspricht, und zweitens, weil er uns an die richtige Stelle setzt: unbedeutend angesichts der Unermesslichkeit des Universums. Die Tiefe dieser Überlegungen hängt mit dem anderen Universum zusammen, in dem wir uns klein fühlen: den Daten.

Algorithmen, d. h. Mechanismen zum Empfangen, Speichern, Kopieren und Verarbeiten von Daten, verfügen über eine scheinbar allgegenwärtige Macht, die unsere sozialen Organisationsformen und unsere Subjektivität neu definiert. Denn während wir uns als individuelle Subjekte zeigen, die durch verschiedene Etiketten definiert werden (#Animalisten, #Feministen, #Terraplanisten), kategorisiert uns das, was wir als Big Data kennen, nach seinen eigenen Parametern (Rasse, biologisches Geschlecht, Alter). Dies bedeutet, dass wir täglich mit Situationen konfrontiert werden, die Paranoia hervorrufen. Dafür gibt es viele Beispiele, die fast immer mit einer Anekdote der Art beginnen: Wir haben über die Möglichkeit einer Reise gesprochen, Du nennst ein Land oder eine Stadt wie Lima und Minuten später erhalten wir über unsere sozialen Netzwerke Angebote für Reisen in diese Stadt. Dann entsteht Misstrauen und ein seltsames Gefühl der Winzigkeit angesichts des Datenuniversums.

Plötzlich sind wir wieder in einer Situation, die wir überwunden zu haben glaubten: Wir sind wieder kolonisiert. Aber dieses Mal wissen wir nicht einmal, wer der König ist. Darüber hinaus arbeiten wir ohne unsere Zustimmung für dieses neue Imperium und schaffen Werte. Die Daten werden Seite an Seite von Mechanismen beobachtet und verarbeitet, die wir nicht kennen, ohne die Möglichkeit, sie zu hinterfragen oder ihre Absicht zu verstehen. Das mag verschwörerisch klingen, aber wenn wir beim Schreiben dieses Buches etwas gelernt haben, dann ist es, dass Daten und ihre Interpretation niemals harmlos sind. Han warnt uns vor den Gefahren eines datengesteuerten Denkens, bei dem die Projektion des menschlichen Lebens auf der Grundlage der gesammelten Informationen bestimmt würde. Diese Vermutung soll nicht beunruhigen, sondern eine Debatte über die demokratische Verwaltung unserer Daten anstoßen, einer Ressource, die bereits als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ gehandelt wird.

Ubuntu ist eine Philosophie, die aus Südafrika kommt und an das kollektive Gefühl der Menschlichkeit appelliert. Etwa so: Ich bin, weil wir sind. Wir verwenden dieses Konzept, weil es durch ein Betriebssystem populär gemacht wurde, das auf der Grundlage früherer Betriebssysteme entwickelt wurde. Darüber hinaus beruht die Wartung auf dem freiwilligen Beitrag von Tausenden von Programmierern, die zur Optimierung des Quellcodes beitragen. Dieser Fall, der mit den Werten der Gemeinschaft der freien Software übereinstimmt, entspricht einer Form der aktiven Beteiligung an der Nutzung von Daten und Technologien. Es ist auffällig, dass wir noch nicht ausreichend mobilisiert sind, um Beispielen wie diesem zu folgen und die Ubuntu-Ethik zu einer Option zur Überwindung des Kapitalismus zu machen. Trotz des Einzugs der Technik in den Alltag haben wir nach wie vor Angst vor der Technik. Es könnte kaum anders sein. Wir werden mit Informationen bombardiert, die sie zu einem Feind machen, die anspruchsvoll und fast unmöglich zu verstehen sind. Künstliche Intelligenz scheint also eher ein Zaubertrick zu sein als eine geistige Entwicklung, für die wir verantwortlich sind.

All dies geschieht vor dem Hintergrund einer Debatte, die die Technologie entweder in eine utopische Chance oder in den Weg zur Verwirklichung der schlimmsten Dystopie verwandelt. Das Geheimnis dieser Szenarien besteht darin, dass sie eher einer rhetorischen Floskel entsprechen, die uns ruhigstellt. Die Herausforderung für ein politisches Projekt im 21. Jahrhundert besteht daher darin, im gegenwärtigen Stand der Technik ein utopisches Potential zu erkennen, d.h. eine Chance, die menschlichen Fähigkeiten zu erweitern und die Ordnung der Dinge neu zu denken. Dazu müssen wir nicht nur die Kontrolle über sie übernehmen, sondern auch ihre Nutzung als politische Subjekte thematisieren.

Eine Einladung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wir möchten Ihnen die folgende Übung zur Lektüre vorschlagen. Der Philosoph John Rawls verwendet in seiner Theorie der Gerechtigkeit die Figur des „Schleiers der Unwissenheit“. Dazu gehört, dass wir Argumente wie die in diesem Text analysieren, ohne zu wissen, welche soziale Stellung wir einnehmen, welche familiären Bindungen oder Freundschaften wir haben, welche physischen oder intellektuellen Fähigkeiten wir besitzen und ohne zu wissen, welche materiellen oder immateriellen Vermögenswerte wir besitzen. Dies ist eine Position der Distanz, von der aus es – so glauben wir – möglich ist, sich den verschiedenen im Buch aufgeworfenen Fragen besser zu stellen. Vor allem, wenn wir erkennen müssen, wer gerecht und wer ungerecht ist.

Die obige Übung scheint einfach zu sein, aber sie stellt die Perspektive in Frage, aus der wir unsere Position beziehen. Wir versuchen, diesen Weg zu gehen. Wir waren sowohl Autoren als auch Kopisten. Und wir sagen ohne Scham, dass dieser Text nicht mehr als ein Remix oder eine Ubuntu-Übung ist. Eine Kopie und ein Dialog, an dem verschiedene Menschen, Bücher, Musik, Filme und mehr beteiligt waren. Aber was wirklich wichtig ist, ist, dass es eine bewusste Einladung ist, Möglichkeiten für die Zukunft zu eröffnen. Wir sind überzeugt, dass es machbar und dringend notwendig ist, über alternative Wege nachzudenken. Ohne den Anspruch zu erheben, alle Antworten zu kennen, glauben wir, dass es sich lohnt zu hinterfragen, ob die derzeitige Ordnung der Dinge der beste Weg ist, um Wissen zu verwalten oder nicht.

Viel Spaß mit Ihrem Exemplar.

„Manifest“ (Anhang, S. 197–208)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1. Sensibilisiert euch![Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wir leben in einer Welt voller Widersprüche. Wir sollten akzeptieren, dass wir sie täglich erleben. Der erste Schritt besteht nicht darin, sie als natürlich anzunehmen, sondern sie zu reflektieren und das, was wir als normal akzeptieren, schrittweise zu dekonstruieren. Jede Form der Organisation von Information und Wissen prägt eine Art der Wahrnehmung. Das heißt, sie bestimmt, wie wir die Welt sehen und wie wir uns zu ihr verhalten. Denke also daran, dass wir bei Fragen, die vom geistigen Eigentum bis hin zu Wert und Art der Innovation reichen, eine Position zu der Art von Welt einnehmen, die wir wollen, und zu der Bedeutung, die wir der Zusammenarbeit und der Freiheit beimessen. Das rechtfertigt das Kopieren. Stell‘ Dir das so vor: Jede Schöpfung – biologisch oder kulturell – ist ein Remix, der auf den drei Säulen der Kreativität beruht: Kopieren, Umwandeln und Kombinieren.

Kopieren ist eine Form des Lernens. Vergiss nie, dass Du auch kopierst, wenn Du Dich von der Arbeit eines anderen inspirieren lässt oder Referenzen und Zitate verwendest. Es gibt keinen Grund, sie zu verstecken. Es ist das, was jede:r von uns tut, um zu schaffen. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Hier ist es wichtig, sich klarzumachen: Plagiat und Kopie sind nicht dasselbe. Im ersten Fall handelt es sich um eine Täuschung, im zweiten Fall nur um eine neue Verwendung. Wir lehnen jede Form von Plagiaten ab, denn die Menschen haben ein Recht darauf zu erfahren, was wir konsumieren oder verwenden.

Wann immer Du das Wort „Piraterie“ hörst, denke an ein flatterndes Segel, eine schwarze Flagge mit Totenkopf, Boote und Raubüberfälle auf hoher See. Wenn Du keines der oben genannten Merkmale siehst, handelt es sich wahrscheinlich nicht um Piraterie, sondern um etwas Anderes. Letzteres ist bei der Überarbeitung des Textes sehr wichtig. Die Figur des Piraten wurde verwendet, um uns glauben zu machen, dass es sich bei der Nachahmung um Diebstahl handelt. Was jedoch übersehen wird, ist, dass das Immaterielle – eine Idee – in seiner Verwendung nicht erschöpft ist und unendlich viele Variationen haben kann. Also, warum sollte man ihre Freizügigkeit kriminalisieren?

Wenn Du mit einer Kopie konfrontiert wirst, denke zweimal nach, bevor Du ein abfälliges Urteil darüber fällst. Diejenigen, die wir oft als „Nachahmer:innen“ beschuldigen, verhalten sich wie das menschliche Leben selbst, das sich durch diesen Mechanismus entwickelt hat. Denke daran, dass wir nur durch Kopieren und Fehler existieren. Deshalb betonen wir: Ohne Kopieren gibt es kein Leben, ohne Kopieren keine Kultur! Das digitale Zeitalter hat nicht nur die Darbietungsformen, sondern auch die der Rezeption verändert. Es ist daher dringender denn je, die Art und Weise zu hinterfragen, in der wir Wissen produzieren. Dies bedeutet, dass die aktuellen Erscheinungsformen von Grenzüberschreitungen der Übergangsphase nicht sanktioniert, sondern gefördert werden sollten. Es ist wichtig, sich für andere Modelle der Verbreitung und der Beteiligung an der Schaffung von Wissen zu öffnen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich der willkürlichen Sperrungen im Internet bewusst zu sein und sie zu hinterfragen. Zum Beispiel, wenn chinesische Jugendliche alternative Trailer für eine neue Version der Star-Wars-Saga drehen und ihre Videos auf Druck von Disney aus dem Netz entfernt werden, um sie an Intermediäre wie YouTube weiterzuleiten. Vergiss nicht, dass die derzeitigen Monopole der Wissenskontrolle nicht die Staaten sind, sondern vor allem große Konzerne wie Facebook, Amazon und WalMart. Was sie mit unseren Daten machen, umfasst sowohl die Informationen, die sie uns selektiv geben, als auch die Beeinflussung unserer Konsumpräferenzen sowie die Mobilität in Gebieten und die Kosten von Produkten. Wir befinden uns in der Situation, unermüdlich zu fordern, dass diese Konzerne nicht die Möglichkeit haben, unsere Daten zu sammeln.

2. Vergiss niemals: Das Internet ist nicht der Feind[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es stimmt, dass das Internet tagtäglich zur Verbeitung von Fehlinformation und Hassreden genutzt wird, und es ist ein Raum, in dem Phänomene auftauchen, die uns missfallen und uns Angst machen. Es ist jedoch wichtig, andere als den gewohnten Blickwinkel einzunehmen und zu prüfen, ob es uns wirklich stört, dass Inhalte wie ein Gedicht, ein wissenschaftliches Paper, ein Film, ein Lied oder technische Baupläne frei zirkulieren können. Wir möchten, dass letztere mehr und nicht weniger zwischen uns zirkulieren. Wir leben in einem Zeitalter der explodierenden Kreativität. Auch wenn wir immer mehr kopieren, haben wir noch nie so viele Formen der Kreativität gekannt wie heute, wo Informationen im Internet praktisch frei fließen.

Wir laden Dich ein, Dich für Open-Access-Modelle, wie Creative Commons, zu entscheiden. Einerseits kannst Du damit veröffentlichen, ohne geistige Rechte an Verlage oder Dritte abzutreten, und andererseits ermöglichst Du einen besseren Zugang zum kollektivem Wissen. Wenn Du Lehrer:in bist, egal auf welcher Bildungsstufe, organisiere Dich mit Deinen Kolleg:innen, um Lernmethoden zu hinterfragen, im Internet verfügbare Materialien zu sammeln und Plattformen für den offenen Austausch von Unterrichtsvorbereitungen, Lehrmaterialien und euren Erfahrungen zu schaffen.

Im akademischen Bereich laden wir Dich ein, Formen des freien Zugangs zu Wissen vorzuziehen, z. B. freie Repositorien oder Open-Access-Journals wie RedALyC, Latindex oder Scielo.[1] Wenn Du kulturschaffend oder kuratierend tätig bist – sei es, dass Du einen Song aufgenommen, ein Fotoshooting gemacht oder ein Buch geschrieben hast – und davon leben willst, solltest Du Dich nicht gegen das Internet aussprechen, sondern bedenken, dass der Download und die Vervielfältigung Deines Werks ein wirksames Mittel ist, um dessen Verbreitung und damit auch Deinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Dieses Buch zum Beispiel ist ein Beispiel in diesem Sinne. Es erscheint auf Papier, weil wir von dem Objekt Buch fasziniert sind und an seine Wertschöpfungskette glauben, und gleichzeitig ist es frei zum digitalen Download verfügbar.

Es stimmt, dass wir eine Tatsache nicht ignorieren können: Kreative Unternehmen sind risikoreicher als andere. Ein gutes Beispiel ist die Poesie. Es gibt kaum so etwas wie „kommerzielle Poesie“, aber das bedeutet nicht, dass es keine Poesie geben sollte. In der Tat werden heute viele Gedichte geschrieben, und zwar aus dem Bedürfnis heraus, sich auszudrücken. Die Idee, Kunst zu machen, ist also mit einem Maß an Leidenschaft verbunden, das, wirtschaftlich ausgedrückt, irrational ist. Allerdings können bei dem derzeitigen Modell nur sehr wenige von ihrer künstlerischen Tätigkeit leben, aber das ist nicht die Schuld des Internets. Wenn Du mit Deiner künstlerischen Arbeit Deinen Lebensunterhalt verdienen möchtest, sind Deine Talente entscheidend. Gleichzeitig sind jedoch sowohl Ausdauer als auch Wissen über die Funktionsweise der virtuellen Welt erforderlich. Daher kann Kritik am Internet an sich oder an Deinem potenziellen Publikum für Deine Lebensumstände viel unfruchtbarer sein als eine gute Nachfrage, Verhandlungen mit Verlagen oder – je nach Bereich – mit Entscheidungstragenden und Fördermittelgebenden.

Wenn Du an einem der in diesem Buch angesprochenen Themen interessiert bist, recherchiere, veröffentliche und verbreite sie! Wir laden Dich ein, mit Deinen Überlegungen oder Beispielen dazu beizutragen, dass dieses Buch wächst. Das kannst Du jetzt unter www.copiaomuerte.org[2] tun.

3. Wir sind das neue Kognitariat: Rebelliere gegen den Kapitalismus 2.0[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heute ist der:die Einzelne durch seine kreative Fähigkeit gefordert, die ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ist. Denke daher immer daran, dass wir keine Unternehmer:in, keine Freiberufler:innen, keine Plattformunternehmen, sondern Arbeitnehmer:innen sind: Wir sind das neue Kognitariat.

Wenn wir diesen neuen Formen der Prekariat und der intellektuellen Ausbeutung abschließen wollen, besteht eine Möglichkeit darin, zunächst einmal zu bekräftigen, dass Arbeitszeit vergütet werden muss. Ist das Wissen einmal „produziert“, gibt es keinen Grund mehr, seine Reproduktion oder Veränderung zu verhindern. Im Gegenteil: Es ist in unser aller Interesse, dass es sich möglichst ungehindert ausbreitet. Aber das ist nicht kostenlos. Wenn wir nicht wollen, dass Wissen privatisiert wird, müssen wir kollektiv bereit sein, um diese Zeit des Ausprobierens zu entlohnen, die kreatives Arbeiten kennzeichnet. Dies reicht von der gemeinsamen Finanzierung von Projekten bis hin zu öffentlichen Finanzierungsmaßnahmen auf nationaler oder globaler Ebene, die ein solches Risiko belohnen, aber den Zugang zu Informationen offen zu halten.

Nutze die Vorteile der Technologien, um sich mit denjenigen zusammenzutun, die sich in einer ähnlichen Situation wie Du befinden, um für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen und kooperative Plattformen aufzubauen; seien es Labels, Verlage oder was auch immer ihr braucht oder erträumt.

4. Erkenne: Wir leben in einer Abwärtsspirale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wir erreichen den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, was den Klimanotstand betrifft. Wenn wir als Spezies unter materiellen Bedingungen überleben wollen, bei denen jeder Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Wasser oder Strom hat, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun. Die Freiheit, vorhandenes Wissen zu nutzen, ist das Mindeste. Vielleicht verfügen wir heute bereits über die Teile des Puzzles, die es uns ermöglichen würden, Leben zu retten oder die Situation des Planeten zu verbessern. Monopoly-Preise für denjenigen, der zuerst ein Patent anmeldet, sind nicht nur ein Hindernis für den Zugang, sondern ermutigen auch jeden, sein Teil des Wissens zu behalten, bis er sein eigenes Puzzle zusammengesetzt hat. Es ist dringend notwendig, diese absurde Prämisse zu beenden und den Zugang zum Wissen zu öffnen.

Lass‘ uns nach Alternativen zur Idee des unendlichen Wachstums suchen. Dies erfordert eine Diskussion über Mittel und Zweck. Wie wichtig sind uns zum Beispiel die Umweltkosten wirklich? In internationalen Handelsabkommen werden die mit der Produktion und dem Transport von Produkten verbundenen Umweltkosten nicht berücksichtigt, was die Umweltverschmutzung weiter anheizt. Als solche sind sie eher ein Hindernis für die globale ökologische Kooperation als eine Lösung. Wir werden nicht in der Lage sein, über Formen der Zusammenarbeit nachzudenken, ohne die Grundlagen des internationalen Handels radikal zu verändern. Der nächste Schritt wäre eine planetarische technologische Infrastruktur, die es uns ermöglicht, global zu entwerfen und lokal zu produzieren sowie Technologien und Know-how zu transferieren. Denken wir an Gemeinschaften, die ihre Souveränität dadurch finden, dass sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig als Gleiche verstehen.

5. Es gibt kein Zurück mehr: Kopie oder Tod[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Technologie ist kodifiziertes soziales Wissen und war schon immer Teil unseres Lebens: von der Sprache über die Schuhe, die Du trägst, bis hin zum Smartphone in Deiner Tasche. Wir erkennen die Technologie als ein Instrument zur Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten an, das ein utopisches Potential für das soziale Wohlergehen hat. Heute dient sie jedoch vor allem dazu, ein Modell der Akkumulation, des Raubbaus, der Ungleichheit und des Müßiggangs zu fördern.

Maschinen werden von Menschen programmiert und mit unseren Daten verknüpft. Heute bilden sie ein System der Interaktion und Überwachung, das sich auf alle Bereiche unseres Lebens auswirkt – auch auf die Konstruktion von Subjektivität. Daher gibt es keinen Grund, warum ihre Gestaltung und Verwaltung nicht ein politisches Thema sein sollte. Als Datenarbeiter:innen sollten wir die Kontrolle und Verantwortung für die Technologie übernehmen. Dies ist von grundlegender Bedeutung dafür:

  • Digitalkompetenz erlangen
  • Identifizierung von Erfassungs-, Speicher- und Verarbeitungsgeräten
  • Grenzen der Cyber-Souveränität und der Privatsphäre festlegen und verteidigen
  • Mitspracherecht darüber verlangen, wer unsere Daten wie und zu welchem Zweck verwendet

Alle Produktivitätsgewinne, die durch Technologien erzielt wurden, sind durch die Anhäufung von sozialem Wissen ermöglicht worden. Paradoxerweise führt dies zu Arbeitslosigkeit, Akkumulation durch wenige und Ungleichheit. Wir sollten uns darauf einigen, dafür zu kämpfen, dass diese neue Form des Überflusses sich für die Gemeinschaft auszahlt. Es ist möglich, mehr freie Zeit und ein allgemeines Grundeinkommen zu fordern, um besser zu leben und unser kreatives Potential zu entfalten.

Der „Technologiestapel“ ist wie eine Straße aus der Vergangenheit. Daher ist es wichtig, eine gemeinsame digitale Infrastruktur aufzubauen. Wir wissen zwar nicht, ob diese von Genossenschaften oder öffentlichen Einrichtungen verwaltet wird, aber es ist wichtig, dass sie den Gemeinschaften dienen und nicht einer Handvoll von Unternehmen, die alle digitalen Aktivitäten monopolisieren.

Die öffentliche Hand muss darauf vorbereitet sein, künstliche Intelligenz ethisch zu verwalten, anstatt diese Aufgabe an Unternehmen zu delegieren, die sich mittels unserer Daten einmieten und die eingerichteten Kapazitäten inkorporieren. Algorithmen, die Daten monopolisieren, müssen offen sein, damit wir genau wissen, welche Aktionen in jedem Szenario, in dem sie eingesetzt werden, durchgeführt werden. Es ist wichtig, dass sie sich an veränderte Umstände anpassen können, d.h. dass wir sie entsprechend unseren Bedürfnissen modifizieren können. Als Quellen der Macht werden Algorithmen und ihre Programmierer:innen zur Verantwortung gezogen. Letztlich kann die Souveränität aber niemals beim Programmierenden oder Algorithmus selbst liegen, sondern bei all jenen, die von seiner Funktionsweise betroffen sind.

Heute ist es mehr denn je notwendig, über Emanzipation nachzudenken. Aber sei Dir darüber im Klaren, dass dies nie ein Einzelfall im Sinne eines individuelle Vorgangs ist. Und in diesem Beispiel wird dies auch kein lokales Phänomen sein. Ohne den kollektiven und globalen Horizont aus den Augen zu verlieren, versucht dieses Manifest einen Vektor, eine Kartographie zu entwerfen, die es uns ermöglicht, den zu beschreitenden Weg zu erahnen.

Zugleich leben wir in formalen Demokratien. Es ist schwer, heute demokratische Mechanismen zu erkennen, die eine echte Beteiligung ermöglichen und es uns erlauben, zwischen anderen Optionen als dem engen Pfad des Status Quo zu entscheiden. Es gibt viele Interessen, den Zugang zu und die Nutzung von Wissen zu beschränken. Es besteht dringender Bedarf an einem kollektiven Diskurs über den Umgang mit Fähigkeiten und Wissen, aber im Dienste der Vielen und nicht der Wenigen. Wenn wir die Zerstörung der Ökosysteme rückgängig machen, für unsere auf Selbstversorgung beruhende Ernährungssicherheit kämpfen und eine auf Gemeingütern basierende Peer-to-Peer-Wirtschaft aufbauen wollen, ist eine echte Rebellion erforderlich.

Wir sprechen aus dem Süden in die ganze Welt. Uns wird gesagt, wir sollten in die Welt hinausgehen und als Gleiche konkurrieren, aber wir wissen, dass zwischen dem globalen Süden und Norden keine gleichwertigen strukturellen Bedingungen herrschen. Die Meritokratie ist eine Fata Morgana, eine optische Täuschung.

Es gibt keinen Ausweg, wenn Entwicklungsländer weiterhin miteinander dabei konkurrieren, billigere Rohstoffe an den globalen Norden zu verkaufen, während diese sich Monopole sichern, um uns teure Dienstleistungen zu verkaufen. Es ist an der Zeit, Partnerschaften einzugehen und die „Süd-Süd-Zusammenarbeit“ effektiv zu gestalten. Und wenn wir vom Globalen Süden sprechen, beziehen wir uns nicht ausschließlich auf den geografischen Kontext, sondern auf die materiellen Lebensbedingungen.

Menschen des Globalen Südens und des Kognitariats weltweit, vereinigt euch für die Kopie! Es geht nicht darum, dass das Wissen selbst frei sein will, sondern darum, dass Menschen frei sein wollen, das Wissen zu nutzen, das uns ein besseres Leben ermöglicht.

Mach‘ Dich bereit, einen Krieg zu führen, der Leben rettet, anstatt zu töten. Anstatt Ressourcen zu verschwenden, ist es eine Chance, Wohlstand und ökologisches Gleichgewicht zu schaffen. Es ist an der Zeit, sich für eine Seite zu entscheiden: Kopieren oder Sterben!

Fußnoten und Belege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Referenz ergänzen
  2. Deadlink/Website offline, WebArchive-Link ergänzen