Komplexifizierung
In der linearen Algebra ist eine Komplexifizierung eine Operation, die einem reellen Vektorraum einen komplexen Vektorraum zuordnet, der sehr ähnliche Eigenschaften hat.
Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt zwei unterschiedliche Möglichkeiten die Komplexifizierung eines reellen Vektorraums zu definieren. Die zwei Möglichkeiten, die nun vorgestellt werden, sind äquivalent.
Mittels der direkten Summe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sei ein Vektorraum über dem Körper der reellen Zahlen . Die Komplexifizierung von ist die direkte Summe
Auf dem neuen Raum wird die Addition komponentenweise
und die Skalarmultiplikation mit durch
definiert.
Dies macht zu einem Vektorraum über dem Körper der komplexen Zahlen .
In Analogie zur Schreibweise komplexer Zahlen schreibt man für das Paar auch .
Mittels des Tensorprodukts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Man kann die Komplexifizierung auch durch das Tensorprodukt definieren:
- .
Dann ist die Skalarmultiplikation mit durch gegeben, d. h., für mit und gilt
- .
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Komplexifizierung des euklidischen Raumes ergibt den unitären Raum .
- Die Komplexifizierung des Vektorraums der -Matrizen mit reellen Einträgen ergibt den Vektorraum der Matrizen mit komplexen Einträgen. Die Komplexifizierung abstrahiert also die einfache Tatsache, dass man reelle Zahlen insbesondere auch als komplexe Zahlen auffassen kann.
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Der reelle Vektorraum lässt sich mittels der Einbettung als reeller Untervektorraum von auffassen. Dabei ist genau dann in , wenn gilt.
- Auf ist auf natürliche Weise eine Involution definiert, die der komplexen Konjugation entspricht. Ein liegt genau dann in , wenn gilt.
- Ist eine Basis von , so ist eine Basis des -Vektorraums . Insbesondere haben der reelle Vektorraum und der komplexe Vektorraum die gleiche Dimension.
Komplexifizierung linearer Abbildungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jede -lineare Abbildung liefert eine -lineare Abbildung definiert durch
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für die komplexifizierte Abbildung gilt:
- für alle
- Die darstellende Matrix von bezüglich der Basis ist gleich der darstellenden Matrix von bezüglich der Basis .
Ist die zu betrachtende lineare Abbildung ein Endomorphismus, dann gilt außerdem:
- und haben dasselbe charakteristisches Polynom.
- hat alle Eigenwerte von .
Komplexifizierte Matrizen sind häufig einfacher zu beschreiben, als das reelle Original. So ist zum Beispiel jede komplexe Matrix trigonalisierbar, wobei die oben erwähnten normalen Matrizen sich sogar diagonalisieren lassen.
Komplexifizierung von Bilinearformen und Skalarprodukten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu einer Bilinearform gibt es eine Sesquilinearform gegeben durch
Es gilt , die Einschränkung von auf ist also wieder .
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Form ist genau dann ein reelles Skalarprodukt, wenn ein komplexes Skalarprodukt ist. Da das komplexe Skalarprodukt einfacher zu beschreiben ist als das reelle, komplexifiziert man es, um dann im komplexen Raum weiterzuarbeiten.
- Ist V euklidisch mit Skalarprodukt und der dazugehörige unitäre Vektorraum mit Skalarprodukt so gilt . Das heißt, die Operation der Komplexifizierung der Adjunktion können vertauscht werden. Daraus folgt, dass die Komplexifizierung gewisse Eigenschaften einer linearen Abbildung erhält. Die Abbildung hat also genau dann eine der folgenden Eigenschaften, wenn auch sie hat:
Komplexifizierung einer Lie-Algebra
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es sei eine Lie-Algebra über dem Körper . Die Komplexifizierung der Lie-Algebra ist die Lie-Algebra , die analog zum komplexifizierten Vektorraum durch
definiert ist.
Auch die Komplexifizierung einer Lie-Algebra kann als Erweiterung des zugrundeliegenden Körpers der Lie-Algebra von auf den Körper aufgefasst werden. Ein Element der Lie-Algebra kann als Paar mit verstanden werden. Die Operationen auf sind dann definiert durch
wobei und gilt. Außerdem ist die Addition und die Lie-Klammer in der Lie-Algebra.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Komplexifizierung von ist .
- Die Cartan-Zerlegung hat für die Gestalt
- ,
woraus in diesem speziellen Fall und damit folgt.
Komplexifizierung einer Lie-Gruppe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Komplexifizierung einer einfach zusammenhängenden Lie-Gruppe mit Lie-Algebra ist, per Definition, die (eindeutig bestimmte) einfach zusammenhängende Lie-Gruppe mit Lie-Algebra .
Allgemein, falls nicht einfach zusammenhängend ist, heißt eine komplexe Lie-Gruppe die Komplexifizierung von , wenn es einen stetigen Homomorphismus mit folgender universeller Eigenschaft gibt: zu jedem stetigen Homomorphismus in eine komplexe Lie-Gruppe gibt es einen eindeutigen komplex-analytischen Homomorphismus mit . Die Komplexifizierung muss nicht immer existieren, sie ist aber eindeutig, wenn sie existiert.
Beispiele: Die Komplexifizierung von ist , die Komplexifizierung von ist , die Komplexifizierung von ist .
Kategorientheorie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Sprache der Kategorientheorie ist die Komplexifizierung von Vektorräumen ein Funktor von der Kategorie der Vektorräume über den reellen Zahlen in die Kategorie der Vektorräume über den komplexen Zahlen. Die Morphismen der Kategorien sind jeweils die -linearen Abbildungen, wobei für die reellen und für die komplexen Vektorräume gilt. Der zu diesem Funktor rechts adjungierte Funktor ist der Vergiss-Funktor von der Kategorie komplexen Vektorräume in die Kategorie der reellen Vektorräume, der die komplexe Struktur der Räume „vergisst“.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Theodor Bröcker: Lineare Algebra und Analytische Geometrie, Birkhäuser Verlag, 2004, ISBN 3-7643-7144-7.
- Gerd Fischer: Lineare Algebra, Vieweg-Verlag, ISBN 3-528-97217-3.
- V. L. Popov: Complexification of a Lie algebra. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).