„Volumenviskosität“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Messung und weitere Quellen
Zeile 1: Zeile 1:
Die '''Volumenviskosität''' oder der '''Zähigkeitskoeffizient''' (Formelzeichen ζ, μ' oder ξ, Dimension [[Masse (Physik)|M]]·[[Länge (Physik)|L]]<sup>−1</sup>·[[Zeit|T]]<sup>−1</sup>, Einheit [[Pascal (Einheit)|Pa]]·[[Sekunde|s]]) bezeichnen die [[Viskosität]] von Flüssigkeiten und Gasen ([[Fluid]]en) bei Volumenänderungen.
Die '''Volumenviskosität''', der '''Zähigkeitskoeffizient''' oder die ''zweite Viskosität'' (Formelzeichen ''ζ, μ', μ''<sub>b</sub> '', η''<sub>V</sub>'', ν''<sup>0</sup> oder ''ξ'', Dimension [[Masse (Physik)| M]]·[[Länge (Physik)| L]]<sup>−1</sup>·[[Zeit| T]]<sup>−1</sup>, Einheit [[Pascal (Einheit)| Pa]]·[[Sekunde| s]]) bezeichnen die [[Viskosität]] von Gasen ([[Fluid]]en) bei Volumenänderungen. Die Volumenviskosität ist verantwortlich für die Energiedissipation eines Fluids von gleichförmiger Temperaturverteilung bei einer endlichen Volumenänderung<ref name="schlichting">{{Literatur| Autor=Hermann Schlichting, Klaus Gersten| Titel=Grenzschicht-Theorie| Verlag=Springer| Ort=Berlin| ISBN=978-3-662-07555-5| Datum=1997| Online={{Google Buch| BuchID=ZguzBgAAQBAJ| Seite=69}}| Zugriff=2017-04-15| Seiten=69 ff.}}</ref>.


Über die Volumenviskosität liegen Anfang des 21. Jahrhunderts neben ζ ≥ 0 noch keine gesicherten Daten vor. In der Praxis kann bei einatomigen Gasen und nicht zu hohen Drücken von der '''Stokes’schen Hypothese''' ausgegangen werden, die ζ = 0 fordert. Die Annahme einer von Null verschiedenen Volumenviskosität führt nicht zu sehr auffälligen Effekten<ref name="fluegge">{{Literatur |Autor=Josef Meixner |Hrsg=S. Flügge |Titel=Prinzipien der Thermodynamik und Statistik |Sammelwerk=Handbuch der Physik |Band=Bd. III/2 |Verlag=Springer |Datum=1959 |ISBN=978-3-642-45912-2 |Seiten=477 ff. |Online={{Google Buch |BuchID= mnSjBgAAQBAJ |Seite=477}}}}</ref>.
In der Praxis kann bei einatomigen Gasen und nicht zu hohen Drücken von der '''Stokes’schen Hypothese''' ausgegangen werden, die ''ζ'' = 0 fordert. Bei angenommener [[Inkompressibilität]] kann die Volumenviskosität vernachlässigt werden.

Eine von Null verschiedenen Volumenviskosität führt nicht zu sehr auffälligen Effekten<ref name="fluegge">{{Literatur| Autor=Josef Meixner| Titel=Prinzipien der Thermodynamik und Statistik| Sammelwerk=Handbuch der Physik| Band=Bd. III/2| Hrsg=S. Flügge| Verlag=Springer| Jahr=1959| ISBN=978-3-642-45912-2| Seiten=477 ff.| Online={{Google Buch| BuchID=mnSjBgAAQBAJ| Seite=477}}| Zugriff=2017-04-02}}</ref>. Die Volumenviskosität hat einen nennenswerten Einfluss in Flüssigkeiten mit Gasblasen, in [[Stoßwelle]]n und bei der Schallausbreitung. Einige Fluide, insbesondere [[Kohlenstoffdioxid]], besitzen Volumenviskositäten, die über tausend mal größer sind als ihre [[Scherviskosität]]<ref name="Cramer">{{Literatur| Autor=M. S. Cramer| Titel=Numerical estimates for the bulk viscosity of ideal gases | Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]]| Band=24| Jahr=2012| Monat=Juni| DOI=10.1063/1.4729611| Sprache=en}}</ref>, was in solchen Gasen einen erheblichen Einfluss auf die [[hydrodynamische Grenzschicht]] bei [[Überschallgeschwindigkeit|Überschallströmungen]] hat<ref name="hypersonic">{{Literatur| Titel=Effect of bulk viscosity on a hypersonic boundary layer| DOI=10.1063/1.858322| Autor=George Emanuel| Jahr=1992| Band=4| Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]]| Sprache=en}} </ref>. Die Volumenviskosität von verdünnten, mehratomigen Gasen spielt eine wichtige Rolle beim Eintritt in planetarische Atmosphären.<ref>{{Literatur| Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]]| Sprache=en| Band=2| Jahr=1990| DOI=10.1063/1.857813| Autor=G. Emanuel| Titel=Bulk viscosity of a dilute polyatomic gas}}</ref>


== Definition ==
== Definition ==
Die Volumenviskosität tritt bei der reinen Kompression oder Expansion von Gasen als Ursache einer in allen Richtung wirkenden [[Normalspannung]]
Die Bewegung eines linear viskosen, [[Isotropie|isotropen]] Fluids gehorcht den [[Navier-Stokes-Gleichungen]], die sich aus dem [[Materialmodell]] der klassischen [[Kontinuumsmechanik#Materialtheorie|Materialtheorie]]


:<math>\boldsymbol{\sigma}
:<math>
\sigma^V
=-p(\rho)\mathbf{1}+2\mu\mathbf{d}+\lambda\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
=-\zeta\frac{\dot\rho}{\rho}
=-p(\rho)\mathbf{1}+2\mu\mathbf{d}^{\rm D}+\zeta\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
=\zeta\nabla\cdot\vec v
=\zeta\operatorname{div}\vec v
</math>
</math>


neben dem [[Druck (Physik)| Druck]] auf<ref>{{Literatur| Autor=Fritz Kurt Kneubühl| Titel=Repetitorium der Physik| Verlag=Vieweg+Teubner Verlag| Ort=Stuttgart| Jahr=1994| ISBN=978-3-322-84886-4| Online={{Google Buch| BuchID=jpodBgAAQBAJ| Seite=149}}| Zugriff=2017-04-14}}</ref>. Hier ist
herleiten lassen. Es bezeichnen μ die [[dynamische Viskosität]], λ die erste [[Lamé-Konstante]],
* ''ζ'' die Volumenviskosität,
* ''ρ'' die [[Dichte]],
* <math>\vec{v}</math> die Geschwindigkeit eines [[Teilchen]]s in der Strömung,
* der [[Punkt (Oberzeichen)#Als wissenschaftliches Symbol| Überpunkt]] die [[Substantielle Ableitung| substantielle Zeitableitung]] und
* „·“ das (formale) [[Skalarprodukt]] mit dem [[Nabla-Operator]] <math>\nabla</math>, das die [[Divergenz eines Vektorfeldes]] div bildet.

Die Divergenz der Geschwindigkeit ist ein Maß für die [[Geschwindigkeitsgradient#Linien-, Flächen- und Volumenelemente| Volumenänderungsgeschwindigkeit]] eines (infinitesimal) kleinen Volumenelements d''V'': <math>\dot{\mathrm{d}V}=\operatorname{div}(\vec v)\,\mathrm{d}V</math>. Dies begründet bei gleichbleibender Masse ''ρ'' d''V'' des Volumenelements die [[Kontinuumsmechanik#Massenbilanz | Massenbilanz]]

:<math>\dot\rho+\rho\operatorname{div}\vec v=0
\quad\Leftrightarrow\quad
\operatorname{div}\vec v=-\frac{\dot\rho}{\rho}
,</math>

die in obiger Definitionsgleichung eingesetzt wurde.

In einem [[Newtonsches Fluid| newtonschen Fluid]] gilt der Zusammenhang


:<math>\zeta=\lambda+\frac23\mu</math>
:<math>\zeta=\lambda+\frac23\mu</math>


mit der [[Scherviskosität]] ''μ'' und der ersten [[Lamé-Konstante]] ''λ''.
die Volumenviskosität, ''p''(''ρ'') den von der [[Dichte]] ''ρ'' abhängigen (statischen) Druck, '''σ''' den [[Spannungstensor]], '''d''' den [[Symmetrische Matrix|symmetrischen]] Anteil des [[Geschwindigkeitsgradient]]en, den ''Verzerrungsgeschwindigkeitstensor''

Bei [[Inkompressibilität]] verschwindet die Divergenz der Geschwindigkeit, sodass in dem Fall keine Volumenviskosität auftreten kann.

== Newtonsche Fluide ==
Die Bewegung eines linear viskosen, [[Isotropie| isotropen]] newtonschen Fluids gehorcht den [[Navier-Stokes-Gleichungen]]

:<math>\rho\dot{\vec{v}}
=-\nabla p(\rho,T)+\mu\Delta\vec{v}+\left(\zeta+\frac{\mu}{3}\right)\nabla (\nabla\cdot\vec{v})+\vec{f}.</math>

Hier ist ''p''(''ρ, T'') der von der Dichte und Temperatur ''T'' abhängige (statische) [[Druck (Physik)| Druck]], Δ ist der [[Laplace-Operator]] und der Vektor <math>\vec{f}</math> steht für eine [[Volumenkraft]]dichte, wie beispielsweise die [[Gravitation]] oder die [[Corioliskraft]] jeweils bezogen auf das Einheitsvolumen.

Die Navier-Stokes-Gleichungen lassen sich aus dem [[Materialmodell]]

:<math>\boldsymbol{\sigma}
=-p(\rho,T)\mathbf{1}+2\mu\mathbf{d}+\lambda\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
=-p(\rho,T)\mathbf{1}+2\mu\mathbf{d}^{\rm D}+\zeta\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
</math>

der klassischen [[Kontinuumsmechanik#Materialtheorie| Materialtheorie]] herleiten. Hier bezeichnet '''σ''' den [[Spannungstensor]], '''d''' den [[Symmetrische Matrix| symmetrischen]] Anteil des [[Geschwindigkeitsgradient]]en, den ''Verzerrungsgeschwindigkeitstensor''


:<math>\mathbf{d}
:<math>\mathbf{d}
Zeile 27: Zeile 66:
</math>
</math>


'''1''' den [[Einheitstensor]], Sp die [[Spur (Mathematik)|Spur]] und das hochgestellte D den [[Deviator]]. Im Verzerrungsgeschwindigkeitstensor sind <math>v_{x,y,z}</math> die [[Geschwindigkeit]]skomponenten der Fluidelemente in x-, y- bzw. z-Richtung eines [[Kartesisches Koordinatensystem|kartesischen Koordinatensystems]].
'''1''' den [[Einheitstensor]], Sp die [[Spur (Mathematik)| Spur]] und das hochgestellte D den [[Deviator]]. Im Verzerrungsgeschwindigkeitstensor sind <math>v_{x,y,z}</math> die [[Geschwindigkeit]]skomponenten der Fluidelemente in x-, y- bzw. z-Richtung eines [[Kartesisches Koordinatensystem| kartesischen Koordinatensystems]]. Die Spur des Verzerrungsgeschwindigkeitstensors ist die Divergenz der Geschwindigkeit:


:<math>\operatorname{div}\vec{v}
Die Volumenviskosität ist nur in [[Kompressibel|kompressiblen]] Fluiden definiert, denn bei [[Inkompressibilität]] verschwindet die [[Divergenz eines Vektorfeldes|Divergenz]] der Geschwindigkeit <math>\operatorname{div}\vec{v}=\tfrac{\partial v_x}{\partial x}+\tfrac{\partial v_y}{\partial y}+\tfrac{\partial v_z}{\partial z}</math>, so dass in dem Fall wegen <math>\operatorname{Sp}(\mathbf{d})=\operatorname{div}\vec{v}=0</math> keine Volumenviskosität auftreten kann.
=\tfrac{\partial v_x}{\partial x}+\tfrac{\partial v_y}{\partial y}+\tfrac{\partial v_z}{\partial z}
=\operatorname{Sp}(\mathbf{d})</math>


Aus den Modellgleichungen oben lässt sich der Zusammenhang <math>\zeta=\lambda+\tfrac23\mu</math> ableiten.
Die [[fluiddynamische Grenzschicht]] ist in Strömungen viskoser Fluide bedeutsam. In der sie behandelnden [[Grenzschichttheorie]] werden [[Normalspannung]]en gegenüber den [[Scherspannung]]en vernachlässigt, weswegen die Volumenviskosität in der Grenzschicht nicht gebraucht wird.<ref name="hak">{{Internetquelle |autor=Mohamed Gad-el-Hak |url=http://homepage.ntu.edu.tw/~wttsai/Adv_Fluid/Stokes%20hypothesis2.pdf |titel=Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid |datum=1995-03-01 |zugriff=2017-04-02 |format=PDF |sprache=en}}<br />

Die in der Definition auftretende Normalspannung <math>\sigma^V=-\zeta\tfrac{\dot\rho}{\rho}</math> ist Bestandteil der Spur des Spannungstensors:

:<math>\bar{p}:=\frac13\operatorname{Sp}\boldsymbol{\sigma}
=\frac13\left[-3p(\rho,T)+3\zeta\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\right]
=-p(\rho,T)+\zeta\operatorname{div}\vec v
=-p(\rho,T)-\zeta\frac{\dot\rho}{\rho}
</math>

Hier wurde benutzt, dass die Spur des Einheitstensors gleich der Raumdimension ist und der Deviator [[per definitionem]] spurfrei ist.

Die [[fluiddynamische Grenzschicht]] ist in Strömungen viskoser Fluide bedeutsam. In der sie behandelnden [[Grenzschichttheorie]] werden [[Normalspannung]]en gegenüber den [[Scherspannung]]en vernachlässigt, weswegen die Volumenviskosität in der Grenzschicht nicht gebraucht wird.<ref name="hak">{{Internetquelle| autor=Mohamed Gad-el-Hak| titel=Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid| datum=1. März 1995| format=pdf| sprache=en| url=http://homepage.ntu.edu.tw/~wttsai/Adv_Fluid/Stokes%20hypothesis2.pdf| zugriff=2017-04-02}}<br />
oder<br />
oder<br />
{{Literatur |Autor=Mohamed Gad-el-Hak |Hrsg=American Society of Mechanical Engineers |Titel=Questions in Fluid Mechanics |TitelErg=Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid |Sammelwerk=Journal of Fluids Engineering |Band=117 |Nummer=1 |Datum=1995-03-01 |Seiten=3-5 |Sprache=en |Online=http://fluidsengineering.asmedigitalcollection.asme.org/article.aspx?articleid=1427896&resultClick=3 |Abruf=2017-04-05}}</ref>
{{Literatur| Autor=Mohamed Gad-el-Hak| Titel=Questions in Fluid Mechanics| TitelErg=Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid| Sammelwerk=Journal of Fluids Engineering| Band=117| Nummer=1| Herausgeber=American Society of Mechanical Engineers| Jahr=1995| Monat=März| Tag=1| Seiten=3-5| Originalsprache=en| Online=http://fluidsengineering.asmedigitalcollection.asme.org/article.aspx?articleid=1427896&resultClick=3| Zugriff=2017-04-05}}</ref> Neuere Untersuchungen zeigen jedoch einen nennenswerten Einfluss einer hohen Volumenviskosität auf die Grenzschicht bei Überschallströmungen<ref name="hypersonic" />.


== Stokessche Hypothese ==
== Stokessche Hypothese ==
Die Stokes’sche Hypothese besagt,
Die Stokes’sche Hypothese besagt, dass die reine Kompression eines Fluids reversibel ist<ref>{{Literatur |Autor=G. G. Stokes |Titel=On the Theories of Internal Friction of Fluids in Motion |Sammelwerk=Transactions of the Cambridge Philosophical Society |Band=8 |Datum=1845 |Seiten=287-305 |Online=https://archive.org/details/cbarchive_39179_onthetheoriesoftheinternalfric1849 |Abruf=2017-04-07}}</ref>. Bei reiner Kompression hat das Geschwindigkeitsfeld die Form <math>\vec{v}(\vec{x})=c(\vec{x}-\vec{s})</math> mit der Geschwindigkeit ''c'' und einem Kompressionszentrum <math>\vec{s}</math>. Der [[Geschwindigkeitsgradient]] ist dann wegen des symmetrischen [[Gradient (Mathematik)|Gradienten]] <math>\operatorname{grad}\vec{x}=\mathbf{1}</math> und
{{Zitat| Autor=G. G. Stokes| Text=in the case of a uniform motion of dilatation the pressure at any instance depends only on the actual density and temperature at that instant, and not on the rate at which the former changes with time ({{enS| für „Im Fall einer gleichförmigen Dilatation hängt der Druck zu jedem Zeitpunkt nur von der aktuellen Dichte und Temperatur zu diesem Zeitpunkt ab und nicht von der Rate, mit der erstere sich mit der Zeit ändert.}})
| ref=<ref>{{Literatur| Autor=G. G. Stokes| Jahr=1845| Titel=On the Theories of Internal Friction of Fluids in Motion| Sammelwerk=Transactions of the Cambridge Philosophical Society| Band=8| Seiten=294 f.| Online=https://archive.org/details/cbarchive_39179_onthetheoriesoftheinternalfric1849| Zugriff=2017-04-07| Kommentar=Stokes bezeichnet die Volumenviskosität mit κ}}</ref>}}


Aus dem bei newtonschen Fluiden gültigen Zusammenhang
:<math>\operatorname{grad}\vec{v}=c\operatorname{grad}\vec{x}=c\mathbf{1}=\mathbf{d}</math>


:<math>\bar{p}=-p(\rho,T)-\zeta\frac{\dot\rho}{\rho}</math>
gleich dem Verzerrungsgeschwindigkeitstensor. Der viskose Spannungstensor <math>\mathbf{S}:=\boldsymbol{\sigma}+p\mathbf{1}</math> ergibt sich damit aus obiger Materialgleichung zu

folgt aus der Hypothese unmittelbar

:<math>\zeta=0.</math>

Diese Hypothese wurde bereits 1843, also zwei Jahre vor Stokes, in ähnlicher Weise von [[Barré de Saint-Venant]] formuliert<ref name="graves">{{Literatur| Autor=R. E. Graves, B. M. Argrow| Titel=Bulk viscosity: Past to Present| Sammelwerk=Journal of Thermophysics and Heat Transfer| Band=13| Nummer=3| Seiten=337-342| Datum=1999| DOI=10.2514/2.6443}}</ref>.

Die Messung der Volumenviskosität ist so schwierig, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht gelungen ist, die Gültigkeit dieses Postulats experimentell zu prüfen<ref>{{Literatur| Autor=Heinz Schade, Ewald Kunz, Frank Kameier, Christian Oliver Paschereit| Titel=Strömungslehre| Verlag=Walter de Gruyter| Ort=Berlin| Jahr=2013| ISBN=978-3-11-029223-7| Seiten=197| Online={{Google Buch | BuchID= mxjoBQAAQBAJ | Seite=197}}| Zugriff=2017-04-02}}</ref>.

== Reine Kompression ==
Bei einer reinen Kompression in Richtung des Ursprungs habe das Geschwindigkeitsfeld die Form <math>\vec{v}(\vec{x})=-c\vec{x}</math> mit einem Proportionalitätsfaktor ''c''. Der [[Geschwindigkeitsgradient]] ist dann wegen des symmetrischen [[Gradient (Mathematik)| Gradienten]] <math>\operatorname{grad}\vec{x}=\mathbf{1}</math> und

:<math>\operatorname{grad}\vec{v}=-c\operatorname{grad}\vec{x}=-c\mathbf{1}=\mathbf{d}</math>

gleich dem Verzerrungsgeschwindigkeitstensor. Der viskose Spannungstensor <math>\mathbf{S}:=\boldsymbol{\sigma}+p\mathbf{1}</math> ergibt sich damit aus der Materialgleichung für newtonsche Fluide zu


:<math>\mathbf{S}
:<math>\mathbf{S}
=2\mu\mathbf{d}+\lambda\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
=2\mu\mathbf{d}+\lambda\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}
=2\mu c\mathbf{1}+3\lambda c\mathbf{1}
=-2\mu c\mathbf{1}-3\lambda c\mathbf{1}
=(2\mu+3\lambda)c\mathbf{1}
=-(2\mu+3\lambda)c\mathbf{1}
=-3\zeta c\mathbf{1}
</math>
</math>


Soll dieser nach der Stokes’schen Hypothese von der Geschwindigkeit ''c'' unabhängig sein, dann folgt:
Unter der Maßgabe, dass reine Kompression reversibel ist, verschwindet der viskose Spannungstensor und es folgt:


:<math>\lambda=-\frac23\mu
:<math>
\zeta=0
\quad\Leftrightarrow\quad
\quad\Leftrightarrow\quad
\zeta=0.</math>
\lambda=-\frac23\mu.</math>


Die spezifische [[Spannungstensor#Energiebilanz| Spannungsleistung]] an den Verzerrungsgeschwindigkeiten ist definiert als <math>l_i:=\tfrac{1}{\rho}\boldsymbol{\sigma}:\mathbf{d}</math> und berechnet sich bei reiner Kompression zu
Die Messung der Volumenviskosität ist so schwierig, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht gelungen ist, die Gültigkeit dieses Postulats experimentell zu prüfen<ref>{{Literatur |Autor=Heinz Schade, Ewald Kunz, Frank Kameier, Christian Oliver Paschereit |Titel=Strömungslehre |Verlag=Walter de Gruyter |Ort=Berlin |Datum=2013 |ISBN=978-3-11-029223-7 |Seiten=197 |Online={{Google Buch |BuchID= mxjoBQAAQBAJ |Seite=197}}}}</ref>.

:<math>
l_i
=
\frac{1}{\rho}
\left[-p\mathbf{1}+2\mu\mathbf{d}^{\rm D}+\zeta\operatorname{Sp}(\mathbf{d})\mathbf{1}\right]
:c\mathbf{1}
=
\frac{c}{\rho}[-3p+9\zeta c]
=-\frac{3c}{\rho}p+\frac{9c^2}{\rho}\zeta
</math>

Der Doppelpunkt „:“ bildet das [[Frobenius-Skalarprodukt]] zweier Tensoren '''A''' und '''B''' mittels der Spur '''A''' : '''B''' := Sp('''A'''<sup>T</sup> · '''B''') worin das Hochgestellt T die [[Transponierte Matrix| Transposition]] bedeutet. Der erste, zum Druck proportionale Anteil der Leistung ist reversibel und der zweite Anteil ist irreversibel und wird dissipiert<ref name="schlichting" />.


== Folgerungen aus der kinetischen Gastheorie ==
== Folgerungen aus der kinetischen Gastheorie ==
Die ''Chapman-Enskog-Entwicklung'' der [[Boltzmann-Gleichung]]en der [[Kinetische Gastheorie|kinetischen Gastheorie]] führen auf die Navier-Stokes-Gleichungen mit verschwindender Volumenviskosität, also ζ = 0<ref>{{Literatur |Autor=Sydney Chapman, T. G. Cowling |Titel=The Mathematical Theory of Non-uniform Gases |TitelErg=An Account of the Kinetic Theory of Viscosity, Thermal Conduction and Diffusion in Gases |Verlag=Cambridge University Press |Datum=1970 |ISBN=978-0-521-40844-8}}</ref>. Diese Entwicklung basiert auf einer Verteilungsfunktion, die nur von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängt, also deren Rotationsdrehimpuls vernachlässigt. Dies ist in einatomigen Gasen bei niedrigem bis mittlerem Druck eine probate Annahme, gilt jedoch nicht bei mehratomigen Gasen<ref name="bergmann">{{Literatur |Autor=Bergmann, Schaefer |Hrsg=Thomas Dorfmüller, Karl Kleinermanns |Titel=Lehrbuch der Experimentalphysik |TitelErg=Gase Nanosysteme Flüssigkeiten |Band=Bd. 5 |Auflage=2. Aufl. |Verlag=Walter de Gruyter |Ort=Berlin |Datum=2006 |ISBN=978-3-11-017484-7 |Seiten=45 ff. |Online={{Google Buch |BuchID= EAG7yCz8PooC |Seite=47}}}}</ref>.
Die ''Chapman-Enskog-Entwicklung'' der [[Boltzmann-Gleichung]]en der [[Kinetische Gastheorie| kinetischen Gastheorie]] führen auf die Navier-Stokes-Gleichungen mit verschwindender Volumenviskosität, also ''ζ'' = 0<ref>{{Literatur| Autor=Sydney Chapman, T. G. Cowling| Titel=The Mathematical Theory of Non-uniform Gases| TitelErg=An Account of the Kinetic Theory of Viscosity, Thermal Conduction and Diffusion in Gases| Datum=1970| Verlag=Cambridge University Press| ISBN=978-0-521-40844-8}}</ref>. Diese Entwicklung basiert auf einer Verteilungsfunktion, die nur von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängt, also deren Rotationsdrehimpuls vernachlässigt. Dies ist in einatomigen Gasen bei niedrigem bis mittlerem Druck eine probate Annahme, gilt jedoch nicht bei mehratomigen Gasen<ref name="bergmann">{{Literatur| Autor=Bergmann, Schaefer| Titel=Lehrbuch der Experimentalphysik| TitelErg=Gase Nanosysteme Flüssigkeiten| Hrsg=Thomas Dorfmüller, Karl Kleinermanns| Band=Bd. 5| Auflage=2. Aufl.| Verlag=Walter de Gruyter| Ort=Berlin| Datum=2006| ISBN=978-3-11-017484-7| Seiten=45 ff.| Online={{Google Buch |BuchID= EAG7yCz8PooC |Seite=47}}| Zugriff=2017-04-02}}</ref>.


Bei mehratomigen Gasen kann ein Energieaustausch zwischen der Translationsbewegung und den molekularen Bewegungen, d.&nbsp;h. den Rotations- und Vibrationsbewegungen, geschehen, was auf eine positive Volumenviskosität führt.
Bei mehratomigen Gasen kann ein Energieaustausch zwischen der Translationsbewegung und den molekularen Bewegungen, d.&nbsp;h. den Rotations- und Vibrationsbewegungen, geschehen, was auf eine positive Volumenviskosität führt.
Zeile 67: Zeile 152:
</math>
</math>


für die Volumenviskosität führt. Darin ist ''c''<sub>V</sub> die [[spezifische Wärmekapazität]], ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> die spezifische Wärmekapazität, die nur aus den molekularen Bewegungen resultiert, ''n'' die [[Teilchendichte]], ''k'' die [[Boltzmann-Konstante]], ω die Stoßfrequenz und ''T'' die Temperatur. Weil die Stroßfrequenz proportional zur Teilchendichte ist, ist die Volumenviskosität unabhängig von der Teilchendichte und damit vom Druck des Gases. Für einatomige Gase ist wieder ζ = 0 wegen ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> = 0. Bei gegebener Kapazität ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> ist die Volumenviskosität umso größer, je kleiner die Stoßfrequenz ω ist, d.&nbsp;h. je seltener bei Stößen ein Austausch zwischen der Translations- und intramolekularen Energie stattfinden kann. Deshalb ist das Verhältnis ζ/μ bei [[Wasserstoff]] größer als für [[Stickstoff]].<ref name="bergmann" />
für die Volumenviskosität führt. Darin ist ''c''<sub>V</sub> die [[spezifische Wärmekapazität]], ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> die spezifische Wärmekapazität, die nur aus den molekularen Bewegungen resultiert, ''n'' die [[Teilchendichte]], ''k'' die [[Boltzmann-Konstante]], ω die Stoßfrequenz und ''T'' die Temperatur. Weil die Stroßfrequenz proportional zur Teilchendichte ist, ist die Volumenviskosität unabhängig von der Teilchendichte und damit vom Druck des Gases. Für einatomige Gase ist wieder ''ζ'' = 0 wegen ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> = 0. Bei gegebener Kapazität ''c''<sub>V</sub><sup>intra</sup> ist die Volumenviskosität umso größer, je kleiner die Stoßfrequenz ω ist, d.&nbsp;h. je seltener bei Stößen ein Austausch zwischen der Translations- und intramolekularen Energie stattfinden kann. Deshalb ist das Verhältnis ''ζ/μ'' bei [[Wasserstoff]] größer als für [[Stickstoff]].<ref name="bergmann" />

== Messung ==
Nach der klassischen Theorie von [[Gustav Robert Kirchhoff]] gilt für ebene Schallwellen in Medien mit nicht zu großer Viskosität ein Absorptionskoeffizient der Amplitude pro Längeneinheit

:<math>\frac{k^2}{\omega^2}=\frac12\left(\frac43\eta+\zeta\right)\frac1{c_0^3\rho}
+\frac{\lambda(\kappa-1)}{2\rho c_pc_0^3}
</math>

der von der Volumenviskosität abhängt<ref name="fluegge" />. Darin ist
* ''c''<sub>0</sub> die [[Schallgeschwindigkeit]] für
* sehr kleine [[Kreisfrequenz]]en ''ω'',
* ''c''<sub>p</sub> und ''c''<sub>v</sub> die spezifischen Wärmekapazitäten bei konstantem Druck bzw. Volumen und
* ''κ'' = ''c''<sub>p</sub> / ''c''<sub>v</sub>

Dieser Tatbestand gilt auch für die Streuung und Dämpfung von Schall in molekularen Gasen<ref>{{Literatur| Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]]| Sprache=en| Band=13| Jahr=2001| DOI=10.1063/1.1343908| Autor=Byung Chan Eu| Titel=Generalized hydrodynamics, bulk viscosity, and sound wave absorption and dispersion in dilute rigid molecular gases}}</ref>. Akustische Spektrometer eignen sich daher für die Messung der Volumenviskosität eines Fluids<ref>{{Literatur| Autor=K. U. Kramm| Online=https://www.degruyter.com/view/j/teme.2003.70.issue-11-2003/teme.70.11.530.20272/teme.70.11.530.20272.xml| Titel=Messungen an Fluiden mit einem akustischen Spektrometer| Datum=25.9.2009| Zugriff=2017-04-15| Sprache=de| DOI=10.1524/teme.70.11.530.20272}}</ref><ref>{{Literatur| Autor=Gitis, Mihail| Titel=Verfahren und Einrichtung zur Qualitätsüberwachung von technischen Einkomponenten und Mehrkomponentenflüssigkeiten mittels Ultraschall On-Line Messungen ihrer Viskosität, Dichte, Kompressibilität und Volumenviskosität| Datum=19.3.2009| Online=http://www.patent-de.com/20090319/DE102006003649B4.html| Zugriff=2017-04-15}}</ref>.

Weitere Vorschläge zur Messung der Volumenviskosität sind:

* [[Brillouin-Streuung|Brillouin]]<nowiki>spektroskopie</nowiki> von relaxierenden Flüssigkeiten<ref>{{Literatur| Autor=Th. Dorfmüller, G. Fytas, W. Mersch| Datum=1976| DOI=10.1002/bbpc.19760800503| Titel=Brillouinspektroskopie von relaxierenden Flüssigkeiten. Teil I}}</ref>
* Messung der Dicke einer Stoßwelle<ref>{{Literatur| Autor=George Emanuel| Titel=Linear dependence of the bulk viscosity on shock wave thickness| Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]| Band=24| Jahr=1994| Monat=Mai| DOI=10.1063/1.868102| Sprache=en}}</ref>
* Vermessung der [[Taylor-Couette-Strömung]] eines kompressiblen Mediums<ref>{{Literatur| Titel=Effect of bulk viscosity on Couette flow| Sammelwerk=[http://aip.scitation.org/journal/phf Physics of Fluids]]| Sprache=en| Band=5| Jahr=1993| Autor=H. Gonzalez, G. Emanuel| DOI=10.1063/1.858612}}</ref>

Mit diesen Methoden konnte die Volumenviskosität einer Vielzahl von Fluiden bestimmt werden<ref name="graves" />.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 16. April 2017, 21:33 Uhr

Die Volumenviskosität, der Zähigkeitskoeffizient oder die zweite Viskosität (Formelzeichen ζ, μ', μb , ηV, ν0 oder ξ, Dimension M· L−1· T−1, Einheit Pa· s) bezeichnen die Viskosität von Gasen (Fluiden) bei Volumenänderungen. Die Volumenviskosität ist verantwortlich für die Energiedissipation eines Fluids von gleichförmiger Temperaturverteilung bei einer endlichen Volumenänderung[1].

In der Praxis kann bei einatomigen Gasen und nicht zu hohen Drücken von der Stokes’schen Hypothese ausgegangen werden, die ζ = 0 fordert. Bei angenommener Inkompressibilität kann die Volumenviskosität vernachlässigt werden.

Eine von Null verschiedenen Volumenviskosität führt nicht zu sehr auffälligen Effekten[2]. Die Volumenviskosität hat einen nennenswerten Einfluss in Flüssigkeiten mit Gasblasen, in Stoßwellen und bei der Schallausbreitung. Einige Fluide, insbesondere Kohlenstoffdioxid, besitzen Volumenviskositäten, die über tausend mal größer sind als ihre Scherviskosität[3], was in solchen Gasen einen erheblichen Einfluss auf die hydrodynamische Grenzschicht bei Überschallströmungen hat[4]. Die Volumenviskosität von verdünnten, mehratomigen Gasen spielt eine wichtige Rolle beim Eintritt in planetarische Atmosphären.[5]

Definition

Die Volumenviskosität tritt bei der reinen Kompression oder Expansion von Gasen als Ursache einer in allen Richtung wirkenden Normalspannung

neben dem Druck auf[6]. Hier ist

Die Divergenz der Geschwindigkeit ist ein Maß für die Volumenänderungsgeschwindigkeit eines (infinitesimal) kleinen Volumenelements dV: . Dies begründet bei gleichbleibender Masse ρ dV des Volumenelements die Massenbilanz

die in obiger Definitionsgleichung eingesetzt wurde.

In einem newtonschen Fluid gilt der Zusammenhang

mit der Scherviskosität μ und der ersten Lamé-Konstante λ.

Bei Inkompressibilität verschwindet die Divergenz der Geschwindigkeit, sodass in dem Fall keine Volumenviskosität auftreten kann.

Newtonsche Fluide

Die Bewegung eines linear viskosen, isotropen newtonschen Fluids gehorcht den Navier-Stokes-Gleichungen

Hier ist p(ρ, T) der von der Dichte und Temperatur T abhängige (statische) Druck, Δ ist der Laplace-Operator und der Vektor steht für eine Volumenkraftdichte, wie beispielsweise die Gravitation oder die Corioliskraft jeweils bezogen auf das Einheitsvolumen.

Die Navier-Stokes-Gleichungen lassen sich aus dem Materialmodell

der klassischen Materialtheorie herleiten. Hier bezeichnet σ den Spannungstensor, d den symmetrischen Anteil des Geschwindigkeitsgradienten, den Verzerrungsgeschwindigkeitstensor

1 den Einheitstensor, Sp die Spur und das hochgestellte D den Deviator. Im Verzerrungsgeschwindigkeitstensor sind die Geschwindigkeitskomponenten der Fluidelemente in x-, y- bzw. z-Richtung eines kartesischen Koordinatensystems. Die Spur des Verzerrungsgeschwindigkeitstensors ist die Divergenz der Geschwindigkeit:

Aus den Modellgleichungen oben lässt sich der Zusammenhang ableiten.

Die in der Definition auftretende Normalspannung ist Bestandteil der Spur des Spannungstensors:

Hier wurde benutzt, dass die Spur des Einheitstensors gleich der Raumdimension ist und der Deviator per definitionem spurfrei ist.

Die fluiddynamische Grenzschicht ist in Strömungen viskoser Fluide bedeutsam. In der sie behandelnden Grenzschichttheorie werden Normalspannungen gegenüber den Scherspannungen vernachlässigt, weswegen die Volumenviskosität in der Grenzschicht nicht gebraucht wird.[7] Neuere Untersuchungen zeigen jedoch einen nennenswerten Einfluss einer hohen Volumenviskosität auf die Grenzschicht bei Überschallströmungen[4].

Stokessche Hypothese

Die Stokes’sche Hypothese besagt,

„in the case of a uniform motion of dilatation the pressure at any instance depends only on the actual density and temperature at that instant, and not on the rate at which the former changes with time (englisch für „Im Fall einer gleichförmigen Dilatation hängt der Druck zu jedem Zeitpunkt nur von der aktuellen Dichte und Temperatur zu diesem Zeitpunkt ab und nicht von der Rate, mit der erstere sich mit der Zeit ändert.)“

G. G. Stokes[8]

Aus dem bei newtonschen Fluiden gültigen Zusammenhang

folgt aus der Hypothese unmittelbar

Diese Hypothese wurde bereits 1843, also zwei Jahre vor Stokes, in ähnlicher Weise von Barré de Saint-Venant formuliert[9].

Die Messung der Volumenviskosität ist so schwierig, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht gelungen ist, die Gültigkeit dieses Postulats experimentell zu prüfen[10].

Reine Kompression

Bei einer reinen Kompression in Richtung des Ursprungs habe das Geschwindigkeitsfeld die Form mit einem Proportionalitätsfaktor c. Der Geschwindigkeitsgradient ist dann wegen des symmetrischen Gradienten und

gleich dem Verzerrungsgeschwindigkeitstensor. Der viskose Spannungstensor ergibt sich damit aus der Materialgleichung für newtonsche Fluide zu

Soll dieser nach der Stokes’schen Hypothese von der Geschwindigkeit c unabhängig sein, dann folgt:

Die spezifische Spannungsleistung an den Verzerrungsgeschwindigkeiten ist definiert als und berechnet sich bei reiner Kompression zu

Der Doppelpunkt „:“ bildet das Frobenius-Skalarprodukt zweier Tensoren A und B mittels der Spur A : B := Sp(AT · B) worin das Hochgestellt T die Transposition bedeutet. Der erste, zum Druck proportionale Anteil der Leistung ist reversibel und der zweite Anteil ist irreversibel und wird dissipiert[1].

Folgerungen aus der kinetischen Gastheorie

Die Chapman-Enskog-Entwicklung der Boltzmann-Gleichungen der kinetischen Gastheorie führen auf die Navier-Stokes-Gleichungen mit verschwindender Volumenviskosität, also ζ = 0[11]. Diese Entwicklung basiert auf einer Verteilungsfunktion, die nur von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängt, also deren Rotationsdrehimpuls vernachlässigt. Dies ist in einatomigen Gasen bei niedrigem bis mittlerem Druck eine probate Annahme, gilt jedoch nicht bei mehratomigen Gasen[12].

Bei mehratomigen Gasen kann ein Energieaustausch zwischen der Translationsbewegung und den molekularen Bewegungen, d. h. den Rotations- und Vibrationsbewegungen, geschehen, was auf eine positive Volumenviskosität führt.

Zur Charakterisierung des Zustands mehratomiger Gase im Nicht-Gleichgewicht ist eine verallgemeinerte Verteilungsfunktion (Dichteoperator) zu benutzen, die nicht nur von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängt, sondern auch von deren Rotationsdrehimpuls. Dementsprechend ist auch die Boltzmann-Gleichung durch eine verallgemeinerte kinetische Gleichung (die Waldmann-Snider-Gleichung) zu ersetzen. Aus ihr kann eine Temperaturrelaxationsgleichung hergeleitet werden, die auf den Ausdruck

für die Volumenviskosität führt. Darin ist cV die spezifische Wärmekapazität, cVintra die spezifische Wärmekapazität, die nur aus den molekularen Bewegungen resultiert, n die Teilchendichte, k die Boltzmann-Konstante, ω die Stoßfrequenz und T die Temperatur. Weil die Stroßfrequenz proportional zur Teilchendichte ist, ist die Volumenviskosität unabhängig von der Teilchendichte und damit vom Druck des Gases. Für einatomige Gase ist wieder ζ = 0 wegen cVintra = 0. Bei gegebener Kapazität cVintra ist die Volumenviskosität umso größer, je kleiner die Stoßfrequenz ω ist, d. h. je seltener bei Stößen ein Austausch zwischen der Translations- und intramolekularen Energie stattfinden kann. Deshalb ist das Verhältnis ζ/μ bei Wasserstoff größer als für Stickstoff.[12]

Messung

Nach der klassischen Theorie von Gustav Robert Kirchhoff gilt für ebene Schallwellen in Medien mit nicht zu großer Viskosität ein Absorptionskoeffizient der Amplitude pro Längeneinheit

der von der Volumenviskosität abhängt[2]. Darin ist

Dieser Tatbestand gilt auch für die Streuung und Dämpfung von Schall in molekularen Gasen[13]. Akustische Spektrometer eignen sich daher für die Messung der Volumenviskosität eines Fluids[14][15].

Weitere Vorschläge zur Messung der Volumenviskosität sind:

Mit diesen Methoden konnte die Volumenviskosität einer Vielzahl von Fluiden bestimmt werden[9].

Einzelnachweise

  1. a b Hermann Schlichting, Klaus Gersten: Grenzschicht-Theorie. Springer, Berlin 1997, ISBN 978-3-662-07555-5, S. 69 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 15. April 2017]).
  2. a b Josef Meixner: Prinzipien der Thermodynamik und Statistik. In: S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik. Band III/2. Springer, 1959, ISBN 978-3-642-45912-2, S. 477 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 2. April 2017]).
  3. M. S. Cramer: Numerical estimates for the bulk viscosity of ideal gases. In: Physics of Fluids]. Band 24, Juni 2012, doi:10.1063/1.4729611 (englisch).
  4. a b George Emanuel: Effect of bulk viscosity on a hypersonic boundary layer. In: Physics of Fluids]. Band 4, 1992, doi:10.1063/1.858322 (englisch).
  5. G. Emanuel: Bulk viscosity of a dilute polyatomic gas. In: Physics of Fluids]. Band 2, 1990, doi:10.1063/1.857813 (englisch).
  6. Fritz Kurt Kneubühl: Repetitorium der Physik. Vieweg+Teubner Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 978-3-322-84886-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 14. April 2017]).
  7. Mohamed Gad-el-Hak: Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid. (pdf) 1. März 1995, abgerufen am 2. April 2017 (englisch).
    oder
    Mohamed Gad-el-Hak: Questions in Fluid Mechanics. Stokes’ Hypothesis for a newtonian, isotropic fluid. In: American Society of Mechanical Engineers (Hrsg.): Journal of Fluids Engineering. Band 117, Nr. 1, 1. März 1995, S. 3–5 (asme.org [abgerufen am 5. April 2017]).
  8. G. G. Stokes: On the Theories of Internal Friction of Fluids in Motion. In: Transactions of the Cambridge Philosophical Society. Band 8, 1845, S. 294 f. (archive.org [abgerufen am 7. April 2017] Stokes bezeichnet die Volumenviskosität mit κ).
  9. a b R. E. Graves, B. M. Argrow: Bulk viscosity: Past to Present. In: Journal of Thermophysics and Heat Transfer. Band 13, Nr. 3, 1999, S. 337–342, doi:10.2514/2.6443.
  10. Heinz Schade, Ewald Kunz, Frank Kameier, Christian Oliver Paschereit: Strömungslehre. Walter de Gruyter, Berlin 2013, ISBN 978-3-11-029223-7, S. 197 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 2. April 2017]).
  11. Sydney Chapman, T. G. Cowling: The Mathematical Theory of Non-uniform Gases. An Account of the Kinetic Theory of Viscosity, Thermal Conduction and Diffusion in Gases. Cambridge University Press, 1970, ISBN 978-0-521-40844-8.
  12. a b Bergmann, Schaefer: Lehrbuch der Experimentalphysik. Gase Nanosysteme Flüssigkeiten. Hrsg.: Thomas Dorfmüller, Karl Kleinermanns. 2. Auflage. Band 5. Walter de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 978-3-11-017484-7, S. 45 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 2. April 2017]).
  13. Byung Chan Eu: Generalized hydrodynamics, bulk viscosity, and sound wave absorption and dispersion in dilute rigid molecular gases. In: Physics of Fluids]. Band 13, 2001, doi:10.1063/1.1343908 (englisch).
  14. K. U. Kramm: Messungen an Fluiden mit einem akustischen Spektrometer. 25. September 2009, doi:10.1524/teme.70.11.530.20272 (degruyter.com [abgerufen am 15. April 2017]).
  15. Gitis, Mihail: Verfahren und Einrichtung zur Qualitätsüberwachung von technischen Einkomponenten und Mehrkomponentenflüssigkeiten mittels Ultraschall On-Line Messungen ihrer Viskosität, Dichte, Kompressibilität und Volumenviskosität. 19. März 2009 (patent-de.com [abgerufen am 15. April 2017]).
  16. Th. Dorfmüller, G. Fytas, W. Mersch: Brillouinspektroskopie von relaxierenden Flüssigkeiten. Teil I. 1976, doi:10.1002/bbpc.19760800503.
  17. George Emanuel: Linear dependence of the bulk viscosity on shock wave thickness. In: Physics of Fluids. Band 24, Mai 1994, doi:10.1063/1.868102 (englisch).
  18. H. Gonzalez, G. Emanuel: Effect of bulk viscosity on Couette flow. In: Physics of Fluids]. Band 5, 1993, doi:10.1063/1.858612 (englisch).