„Psychische Störung“ – Versionsunterschied

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=== Was ist eine psychische Störung? ===
=== Was ist eine psychische Störung? ===
Es existiert keine universelle, von allen akzeptierte Definition davon, was eine psychische Störung im Kern ausmacht. Dennoch können einige allgemeine Kriterien benannt werden, die charakteristisch für abweichendes Verhalten und Erleben sind. Dazu gehören: Statistische Seltenheit, Verletzung sozialer Normen, persönliches Leid, Beeinträchtigung der Lebensführung und unangemessenes Verhalten.<ref name="d&n">Gerald C. Davison, John M. Neale, [[Martin Hautzinger]] (2016): ''Klinische Psychologie.'' [[Verlagsgruppe Beltz|Beltz Verlag]], ISBN 978-3-621-28441-7. Kapitel 1.1: Merkmale von psychischen Störungen, S. 6f. ([http://www.ciando.com/img/books/extract/3621284761_lp.pdf Leseprobe])</ref>
Es existiert keine universelle, allseits akzeptierte Definition davon, was eine psychische Störung im Kern ausmacht. Dennoch können einige allgemeine Kriterien benannt werden, die charakteristisch für abweichendes Verhalten und Erleben sind. Dazu gehören: Statistische Seltenheit, Verletzung sozialer Normen, persönliches Leid, Beeinträchtigung der Lebensführung und unangemessenes Verhalten.<ref name="d&n">Gerald C. Davison, John M. Neale, [[Martin Hautzinger]] (2016): ''Klinische Psychologie.'' [[Verlagsgruppe Beltz|Beltz Verlag]], ISBN 978-3-621-28441-7. Kapitel 1.1: Merkmale von psychischen Störungen, S. 6f. ([http://www.ciando.com/img/books/extract/3621284761_lp.pdf Leseprobe])</ref>


# ''Statistische Seltenheit'' – Die extremen Symptome und Verhaltensweisen, die für psychische Störungen typisch sind, liegen bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht vor. Das heisst, sie kommen also (relativ gesehen) selten vor.
# ''Statistische Seltenheit'' – Die extremen Symptome und Verhaltensweisen, die für psychische Störungen typisch sind, liegen bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht vor. Das bedeutet, sie kommen also (relativ gesehen) selten vor.
# ''Verletzung von sozialen Normen –'' Hier geht es darum, ob soziale Normen verletzt werden und andere Menschen durch das Verhalten bedroht, in Angst versetzt oder belästigt werden. Das kann zweifellos auf einige psychische Störungen zutreffen. Jedoch sind beispielsweise Prostitution und Kriminalität keine psychischen Störungen, obwohl beide zweifellos soziale Normverletzungen darstellen. Andererseits kann ein sehr ängstlicher Mensch auch psychisch erkrankt sein, ohne Normen zu verletzen. Problematisch ist zudem, dass eine Verletzung sozialer Normen naturgemäß stark kulturabhängig ist.
# ''Verletzung von sozialen Normen –'' Hier geht es darum, ob soziale Normen verletzt werden und andere Menschen durch das Verhalten bedroht, in Angst versetzt oder belästigt werden. Das kann zweifellos auf einige psychische Störungen zutreffen. Jedoch sind beispielsweise Prostitution und Kriminalität keine psychischen Störungen, obwohl beide soziale Normverletzungen darstellen. Andererseits kann man (z. B. als sehr ängstlicher Mensch) auch psychisch erkrankt sein, ohne sich auffällig zu verhalten. Problematisch ist zudem, dass eine Verletzung sozialer Normen naturgemäß stark kulturabhängig ist.
# ''Persönliches Leid'' – Ein entscheidendes Merkmal vieler psychischer Störungen ist der individuelle [[Leidensdruck]]. Alleine reicht dieser Aspekt jedoch nicht aus: So gibt es Störungen ohne Leidensdruck (wie etwa [[Psychopathie]]) und umgekehrt ist nicht jede Art von psychischem Leiden pathologisch (krankhaft), z. B. Schmerzen bei der Geburt oder Hungern bei Nahrungsknappheit.
# ''Persönliches Leid'' – Ein entscheidendes Merkmal vieler psychischer Störungen ist der individuelle [[Leidensdruck]]. Alleine reicht dieser Aspekt jedoch nicht aus: So gibt es Störungen ohne Leidensdruck (wie etwa [[Psychopathie]]) und umgekehrt ist nicht jede Art von psychischem Leiden krankheitsbedingt (etwa Schmerzen bei der Geburt oder Hungern bei Nahrungsknappheit).
# ''Beeinträchtigung der Lebensführung'' – Funktionseinschränkungen (also eine Beeinträchtigung wichtiger Lebensbereichen wie z. B. der Arbeit oder von persönliche Beziehungen) sind ein weiterer zentraler Aspekt der meisten psychischen Störungen. Allerdings gibt es auch Phänomene wie [[Transvestitismus#Pathologisierung|Transvestitismus]], die zur Störung werden, wenn Betroffene darunter leiden – wo die Lebensführung aber kaum beeinträchtigt ist.
# ''Beeinträchtigung der Lebensführung'' – Funktionseinschränkungen (also eine Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen wie z. B. auf der Arbeit oder in persönliche Beziehungen) sind ein weiterer zentraler Aspekt der meisten psychischen Störungen. Allerdings gibt es auch Phänomene wie [[Transvestitismus#Pathologie|Transvestitismus]], die zwar als Störung gewertet werden, wenn Leidensdruck besteht – wo die Lebensführung aber kaum beeinträchtigt ist.
# ''Unangemessenes Verhalten'' (d. h. Denken, Erleben, Emotionen und Handlungen) – Darunter wird ein Verhalten verstanden, dass unerwartet auftritt und nicht nachvollziehbar oder nicht situationsentsprechend ist. Ein Beispiel dafür wären die plötzlichen und unverhältnismäßig starken Panikzustände, die bei einigen Angststörungen vorkommen.
# ''Unangemessenes Verhalten'' (d. h. Denken, Erleben, Emotionen und Handlungen) – Darunter wird ein Verhalten verstanden, dass unerwartet auftritt und nicht nachvollziehbar oder nicht situationsentsprechend ist. Ein Beispiel dafür wären die plötzlichen und unverhältnismäßig starken Panikzustände, die bei einigen Angststörungen vorkommen.
Wichtig zu beachten ist, dass jeder einzelne Aspekt allein nicht zur Definition ausreicht. Erst alle zusammen ergeben eine nützliche Annäherung an das Wesen psychischer Störungen. Bei den meisten psychischen Störungen sind mehrere dieser Kriterien gleichzeitig erfüllt.<ref name="d&n" />
Es ist wichtig zu beachten, dass jeder einzelne Aspekt alleine nicht zur Definition ausreicht. Erst alle zusammen ergeben eine nützliche Annäherung an das Wesen psychischer Störungen. Bei den meisten psychischen Störungen sind mehrere dieser Kriterien gleichzeitig erfüllt.<ref name="d&n" />


== Grundsätzliches ==
== Grundsätzliches ==
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2005 berechneten Wissenschaftler der [[Technische Universität Dresden|Technischen Universität Dresden]] und des [[Max-Planck-Institut für Psychiatrie|Max-Planck-Instituts für Psychiatrie]] in München, dass etwa jeder vierte erwachsene EU-Bürger innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.<ref name="PMID15961293">H. U. Wittchen, F. Jacobi: ''Size and burden of mental disorders in Europe–a critical review and appraisal of 27 studies.'' In: ''European neuropsychopharmacology: the journal of the European College of Neuropsychopharmacology.'' Band 15, Nummer 4, August 2005, S.&nbsp;357–376, {{DOI|10.1016/j.euroneuro.2005.04.012}}, PMID 15961293 (Review), [https://psy2.psych.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/materialien/ebc-publications/wittchenjacobi-overview-europe-2005.pdf PDF].</ref> In einer umfangreichen weltweiten Analyse von Daten ergab sich im Jahr 2014, dass global gesehen im Durchschnitt etwa jeder Fünfte innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.<ref name="PMID24648481">Z. Steel, C. Marnane, C. Iranpour, T. Chey, J. W. Jackson, V. Patel, D. Silove: ''The global prevalence of common mental disorders: a systematic review and meta-analysis 1980-2013.'' In: ''International journal of epidemiology.'' Band 43, Nummer 2, April 2014, S.&nbsp;476–493, {{DOI|10.1093/ije/dyu038}}, PMID 24648481, {{PMC|3997379}} (Review).</ref>
2005 berechneten Wissenschaftler der [[Technische Universität Dresden|Technischen Universität Dresden]] und des [[Max-Planck-Institut für Psychiatrie|Max-Planck-Instituts für Psychiatrie]] in München, dass etwa jeder vierte erwachsene EU-Bürger innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.<ref name="PMID15961293">H. U. Wittchen, F. Jacobi: ''Size and burden of mental disorders in Europe–a critical review and appraisal of 27 studies.'' In: ''European neuropsychopharmacology: the journal of the European College of Neuropsychopharmacology.'' Band 15, Nummer 4, August 2005, S.&nbsp;357–376, {{DOI|10.1016/j.euroneuro.2005.04.012}}, PMID 15961293 (Review), [https://psy2.psych.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/materialien/ebc-publications/wittchenjacobi-overview-europe-2005.pdf PDF].</ref> In einer umfangreichen weltweiten Analyse von Daten ergab sich im Jahr 2014, dass global gesehen im Durchschnitt etwa jeder Fünfte innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.<ref name="PMID24648481">Z. Steel, C. Marnane, C. Iranpour, T. Chey, J. W. Jackson, V. Patel, D. Silove: ''The global prevalence of common mental disorders: a systematic review and meta-analysis 1980-2013.'' In: ''International journal of epidemiology.'' Band 43, Nummer 2, April 2014, S.&nbsp;476–493, {{DOI|10.1093/ije/dyu038}}, PMID 24648481, {{PMC|3997379}} (Review).</ref>


Schwieriger ist die Angabe einer [[Lebenszeitprävalenz]]. Bei einmaligen Befragungen kann es zu einer starken Unterschätzung der [[Inzidenz (Medizin)|Neuerkrankungsrate]] kommen, da im frühen Erwachsenenalter erlebte psychische Erkrankungen später oft nicht mehr erinnert werden.<ref name="PMID24402003">Y. Takayanagi, A. P. Spira, K. B. Roth, J. J. Gallo, W. W. Eaton, R. Mojtabai: ''Accuracy of reports of lifetime mental and physical disorders: results from the Baltimore Epidemiological Catchment Area study.'' In: ''JAMA psychiatry.'' Band 71, Nummer 3, März 2014, S.&nbsp;273–280, {{DOI|10.1001/jamapsychiatry.2013.3579}}, PMID 24402003, {{PMC|4135054}}.</ref> Eine [[Längsschnittstudie|Längsschnitt-Studie]] ergab, dass über 80 % aller Untersuchten zwischen Geburt und mittlerem Lebensalter mindestens kurzzeitig unter einer psychischen Erkrankung litten.<ref name="PMID27929304">J. D. Schaefer, A. Caspi, D. W. Belsky, H. Harrington, R. Houts, L. J. Horwood, A. Hussong, S. Ramrakha, R. Poulton, [[Terrie E. Moffitt|T. E. Moffitt]]: ''Enduring mental health: Prevalence and prediction.'' In: ''Journal of abnormal psychology.'' Band 126, Nummer 2, Februar 2017, S.&nbsp;212–224, {{DOI|10.1037/abn0000232}}, PMID 27929304, {{PMC|5304549}}.</ref><ref>Aaron Reuben und Jonathan Schaefer: [http://www.spektrum.de/news/nur-eine-minderheit-bleibt-ein-leben-lang-psychisch-gesund/1513775?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-mo&utm_content=top ''Nur eine Minderheit bleibt ein Leben lang psychisch gesund''], spektrum.de/News, 27. Oktober 2017 (abgerufen 17. Januar 2018).</ref> Laut WHO leidet gut ein Viertel der Weltbevölkerung einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.who.int/whr/2001/media_centre/press_release/en/index.html |titel=Mental disorders affect one in four people |hrsg=[[Weltgesundheitsorganisation|WHO]] |datum=2001 |zugriff=2016-09-06 |sprache=en}}</ref> Eine Metaanalyse der [[TU Dresden]] geht sogar von einem Lebenszeitrisiko von mehr als 50 Prozent aus.<ref name="aerzteblatt">[http://data.aerzteblatt.org/pdf/PP/5/1/s25.pdf Deutsches Ärzteblatt, Heft 1, Januar 2006, S.&nbsp;25.] (PDF; 33&nbsp;kB).</ref>
Schwieriger ist die Angabe einer [[Lebenszeitprävalenz]]. Bei einmaligen Befragungen kann es zu einer starken Unterschätzung der [[Inzidenz (Medizin)|Neuerkrankungsrate]] kommen, da im frühen Erwachsenenalter erlebte psychische Erkrankungen später oft nicht mehr erinnert werden.<ref name="PMID24402003">Y. Takayanagi, A. P. Spira, K. B. Roth, J. J. Gallo, W. W. Eaton, R. Mojtabai: ''Accuracy of reports of lifetime mental and physical disorders: results from the Baltimore Epidemiological Catchment Area study.'' In: ''JAMA psychiatry.'' Band 71, Nummer 3, März 2014, S.&nbsp;273–280, {{DOI|10.1001/jamapsychiatry.2013.3579}}, PMID 24402003, {{PMC|4135054}}.</ref> Eine [[Längsschnittstudie|Längsschnitt-Studie]] ergab, dass über 80 % aller Untersuchten zwischen Geburt und mittlerem Lebensalter mindestens kurzzeitig unter einer psychischen Erkrankung litten.<ref name="PMID27929304">J. D. Schaefer, A. Caspi, D. W. Belsky, H. Harrington, R. Houts, L. J. Horwood, A. Hussong, S. Ramrakha, R. Poulton, [[Terrie E. Moffitt|T. E. Moffitt]]: ''Enduring mental health: Prevalence and prediction.'' In: ''Journal of abnormal psychology.'' Band 126, Nummer 2, Februar 2017, S.&nbsp;212–224, {{DOI|10.1037/abn0000232}}, PMID 27929304, {{PMC|5304549}}.</ref><ref>Aaron Reuben und Jonathan Schaefer: [http://www.spektrum.de/news/nur-eine-minderheit-bleibt-ein-leben-lang-psychisch-gesund/1513775?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-mo&utm_content=top ''Nur eine Minderheit bleibt ein Leben lang psychisch gesund''], spektrum.de/News, 27. Oktober 2017 (abgerufen 17. Januar 2018).</ref> Laut WHO leidet gut ein Viertel der Weltbevölkerung einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.who.int/whr/2001/media_centre/press_release/en/index.html |titel=Mental disorders affect one in four people |hrsg=[[Weltgesundheitsorganisation|WHO]] |datum=2001 |zugriff=2016-09-06 |sprache=en}}</ref> Eine Metaanalyse der [[TU Dresden]] geht sogar von einem Lebenszeitrisiko von mehr als 50 Prozent aus.<ref name="aerzteblatt">[http://data.aerzteblatt.org/pdf/PP/5/1/s25.pdf Deutsches Ärzteblatt, Heft 1, Januar 2006, S.&nbsp;25.] (PDF; 33&nbsp;kB).</ref>

Psychische Erkrankungen zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie oft früh beginnen und überproportional Jugendliche und junge Menschen betreffen. So brechen ca. 50% aller psychischen Störungen vor dem 15. Lebensjahr, und 75% vor dem 25. Lebensjahr aus. Das steht in Kontrast zu chronischen Erkrankungen wie [[Krebs (Medizin)|Krebs]], [[Herzerkrankung|Herzleiden]] oder [[Parkinson-Krankheit|Parkinson]], die deutlich später im Leben auftreten.<ref>Thomas R. Insel, Pamela Y. Collins, Steven Hyman (2015): ''[https://www.researchgate.net/publication/279036526_Darkness_Invisible_The_Hidden_Global_Costs_of_Mental_Illness Darkness Invisible - The Hidden Global Costs of Mental Illness.]'' Foreign affairs (Council on Foreign Relations), 94(1): S.127-135.</ref><ref>{{Literatur |Autor=Richard J. McNally |Titel=Was sind psychische Erkrankungen? |Hrsg= |Sammelwerk=Die Vielgestaltigkeit der Psychosomatik |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer |Ort= |Datum=2017 |Seiten=11–17 |ISBN=9783662541456 |DOI=10.1007/978-3-662-54146-3_2 |Online=http://www.springer.com/cda/content/document/cda_downloaddocument/9783662541456-c1.pdf?SGWID=0-0-45-1604883-p180772450.}}</ref>


Die Erkrankungsraten sind je nach soziodemographischer Gruppierung sehr unterschiedlich:
Die Erkrankungsraten sind je nach soziodemographischer Gruppierung sehr unterschiedlich:

Version vom 8. März 2018, 19:54 Uhr

Beispiel einer psychischen Störung: Verlaufsbild einer Bipolar-I-Störung

Eine psychische oder seelische Störung ist eine krankhafte Beeinträchtigung der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens, oder Verhaltens. Auch das Selbstbild (Selbstwahrnehmung) kann verändert sein.

Ein wesentlicher Bestandteil dieser Störungen ist zudem oft eine verminderte Selbstregulationskompetenz. Ist dies der Fall, können die Betroffenen ihre Erkrankung auch durch verstärkte Bemühungen, Selbstdisziplin oder Willenskraft nur schwer oder gar nicht beeinflussen. Folgen der psychischen Symptomatik sind meist Probleme, den Alltag zu meistern, oder belastete soziale Beziehungen (z. B. durch Schwierigkeiten, soziale Rollen wie vorher auszufüllen).[1]

Psychische Störungen treten in vielfältigen Erscheinungsformen auf und können großes persönliches Leiden verursachen. Sie gehören zu den am weitesten verbreiten Erkrankungen: So schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass weltweit etwa 300 Millionen Menschen von Depressionen, 47,5 Millionen von Demenz und 21 Millionen von Schizophrenie betroffen sind.[2][3]

Begriffsabgrenzung

Menschliches Erleben umfasst Gefühle, Denken, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Psychische Störungen können jeden dieser Bereiche betreffen. Allerdings ist nicht jede Abweichung von einem als normal angesehenen Erleben bereits eine Störung mit Krankheitswert. Viele Menschen erleben z. B. über eine kurze Zeit leichte Stimmungsschwankungen, die sich von selbst zurückbilden und nicht als Krankheit erlebt werden. Auch gibt es Menschen, die unter einer schweren Belastung depressive oder psychotische Episoden erleben und anschließend psychisch stabil weiterleben. Neben einer objektiv feststellbaren Abweichung von einer zuvor definierten Norm spielt auch das subjektive Leiden des Betroffenen eine Rolle.[1]

Verhalten kann zwar beobachtet werden, über inneres (also subjektives) Erleben kann man jedoch nur durch die Auskunft des Betroffenen Kenntnisse erlangen. Es gibt jedoch charakteristische Symptome, die von Untersuchern in hoher Übereinstimmung festgestellt werden können – insbesondere aus dem Bereich der inhaltlichen Denkstörungen, der Störungen des Ich-Erlebens und der Wahrnehmungsstörungen.

Was ist eine psychische Störung?

Es existiert keine universelle, allseits akzeptierte Definition davon, was eine psychische Störung im Kern ausmacht. Dennoch können einige allgemeine Kriterien benannt werden, die charakteristisch für abweichendes Verhalten und Erleben sind. Dazu gehören: Statistische Seltenheit, Verletzung sozialer Normen, persönliches Leid, Beeinträchtigung der Lebensführung und unangemessenes Verhalten.[4]

  1. Statistische Seltenheit – Die extremen Symptome und Verhaltensweisen, die für psychische Störungen typisch sind, liegen bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht vor. Das bedeutet, sie kommen also (relativ gesehen) selten vor.
  2. Verletzung von sozialen Normen – Hier geht es darum, ob soziale Normen verletzt werden und andere Menschen durch das Verhalten bedroht, in Angst versetzt oder belästigt werden. Das kann zweifellos auf einige psychische Störungen zutreffen. Jedoch sind beispielsweise Prostitution und Kriminalität keine psychischen Störungen, obwohl beide soziale Normverletzungen darstellen. Andererseits kann man (z. B. als sehr ängstlicher Mensch) auch psychisch erkrankt sein, ohne sich auffällig zu verhalten. Problematisch ist zudem, dass eine Verletzung sozialer Normen naturgemäß stark kulturabhängig ist.
  3. Persönliches Leid – Ein entscheidendes Merkmal vieler psychischer Störungen ist der individuelle Leidensdruck. Alleine reicht dieser Aspekt jedoch nicht aus: So gibt es Störungen ohne Leidensdruck (wie etwa Psychopathie) und umgekehrt ist nicht jede Art von psychischem Leiden krankheitsbedingt (etwa Schmerzen bei der Geburt oder Hungern bei Nahrungsknappheit).
  4. Beeinträchtigung der Lebensführung – Funktionseinschränkungen (also eine Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen wie z. B. auf der Arbeit oder in persönliche Beziehungen) sind ein weiterer zentraler Aspekt der meisten psychischen Störungen. Allerdings gibt es auch Phänomene wie Transvestitismus, die zwar als Störung gewertet werden, wenn Leidensdruck besteht – wo die Lebensführung aber kaum beeinträchtigt ist.
  5. Unangemessenes Verhalten (d. h. Denken, Erleben, Emotionen und Handlungen) – Darunter wird ein Verhalten verstanden, dass unerwartet auftritt und nicht nachvollziehbar oder nicht situationsentsprechend ist. Ein Beispiel dafür wären die plötzlichen und unverhältnismäßig starken Panikzustände, die bei einigen Angststörungen vorkommen.

Es ist wichtig zu beachten, dass jeder einzelne Aspekt alleine nicht zur Definition ausreicht. Erst alle zusammen ergeben eine nützliche Annäherung an das Wesen psychischer Störungen. Bei den meisten psychischen Störungen sind mehrere dieser Kriterien gleichzeitig erfüllt.[4]

Grundsätzliches

In der traditionellen Psychiatrie, deren Wurzeln seit Wilhelm Griesinger (1817–1868) vorwiegend biologischer Natur sind, steht der Versuch einer Objektivierung psychischer Symptome im Sinne des Abweichens von der Norm und der Vergleich zu bereits bekannten Hirnerkrankungen im Vordergrund der Klassifikationsversuche. Hier werden die psychischen Störungen im Sinne von multifaktoriellen Ursachen verstanden: Einerseits kann eine psychische Störung Ausdruck einer von außen herbeigeführten, nachweisbaren körperlichen Störung sein (z. B. toxisch bedingte Halluzinationen), andererseits wird dabei auch möglichen inneren Ursachen (Endogenität) Rechnung getragen.[5]

Schon seitens der Symptomatologie bestehen Überschneidungen, die eine exakte Diagnose erschweren. Viktor von Weizsäcker sprach in diesem Zusammenhang von einer Ausdrucksgemeinschaft psychischer Symptomatik.[6] Eine Störung kann von daher sehr an eine körperliche Störung erinnern, ohne dass dies (bisher) sicher nachzuweisen wäre: endogene, z. B. schizophrene Psychosen (siehe auch Schizophrenie).

Die heutige Medizin schreibt psychischen Störungen, die nicht auf eine klar benennbare organische Ursache zurückzuführen sind, keine spezifische Ursache mehr zu. Stattdessen werden Symptomkonstellationen (Syndrome) beschrieben, deren Ursachengefüge meist als multifaktoriell bezeichnet wird. Diese Sichtweise, die dem heutigen Stand der Wissenschaft entspricht, entwickelt sich jedoch stetig weiter. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Verständnis infolge zukünftiger Forschungserkenntnissen noch fortentwickeln wird.[7]

Klassifikation

Da das Verständnis psychischer Störungen von vielen Erklärungsversuchen geprägt wird, sind die Bestrebungen, die Störungen systematisch zu ordnen, immer historisch bedingt gewesen.

Die Klassifikation psychischer Störungen war lange Zeit geographisch sehr unterschiedlich und hing von psychologischen oder medizinischen Lehrmeinungen ab. Bis heute werden einzelne Aspekte der Klassifikation kontrovers diskutiert. Die vorhandenen Systeme werden immer als vorläufig verstanden und stellen keine endgültigen Abgrenzungen medizinischer Krankheiten dar.

Während lange Zeit eine Einteilung der psychischen Störungen in neurotische und psychotische Störungen üblich war, wird in den aktuellen Klassifikationssystemen auf diese Begriffe weitgehend verzichtet. Auch Bezeichnungen wie Krankheit oder „psychogen“ werden dort bewusst vermieden und es wird stattdessen neutraler von Störungen gesprochen.[6]

In der klinischen und wissenschaftlichen Anwendung haben heute zwei Diagnose- und Klassifikationssysteme eine weltweite Bedeutung:

ICD

Klassifikation nach ICD-10
F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F30-F39 Affektive Störungen
F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F70-F79 Intelligenzminderung
F80-F89 Entwicklungsstörungen
F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das fünfte Kapitel des ICD-10 enthält die Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Das Kapitel umfasst alle psychischen Störungen und ist in hundert Klassen unterteilt (F00–F99). Jeder Klasse wird ein bis zu fünfstelliger Schlüssel zugeordnet. Die ersten drei Stellen ergeben eine grobe Bezeichnung der Diagnose („Dreisteller“).

DSM

Das DSM wird vor allem in der psychiatrischen und psychologischen Forschung verwendet. Der Begriff „psychische Störung“ wird darin folgendermaßen definiert:

„Eine psychische Störung ist definiert als Syndrom, welches durch klinisch signifikante Störungen in den Kognitionen, in der Emotionsregulation und im Verhalten einer Person charakterisiert ist.

Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen.

Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamen Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten.“

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, fünfte Ausgabe.[8]

Die aktuelle Version, DSM-5, enthält anders als die beiden Vorgänger kein multiaxiales System mehr und besteht aus 22 gleichrangigen Kategorien.

Verbreitung

Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Beratungsanlässen in allgemeinmedizinischen Praxen[9]. An erster Stelle stehen in Europa Angststörungen, gefolgt von Schlafstörungen, Depressionen, Somatoformen Störungen, Substanzabhängigkeiten, ADHS bei jüngeren und Demenz bei älteren Menschen.[10]

2005 berechneten Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden und des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, dass etwa jeder vierte erwachsene EU-Bürger innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.[11] In einer umfangreichen weltweiten Analyse von Daten ergab sich im Jahr 2014, dass global gesehen im Durchschnitt etwa jeder Fünfte innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leidet.[12]

Schwieriger ist die Angabe einer Lebenszeitprävalenz. Bei einmaligen Befragungen kann es zu einer starken Unterschätzung der Neuerkrankungsrate kommen, da im frühen Erwachsenenalter erlebte psychische Erkrankungen später oft nicht mehr erinnert werden.[13] Eine Längsschnitt-Studie ergab, dass über 80 % aller Untersuchten zwischen Geburt und mittlerem Lebensalter mindestens kurzzeitig unter einer psychischen Erkrankung litten.[14][15] Laut WHO leidet gut ein Viertel der Weltbevölkerung einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.[16] Eine Metaanalyse der TU Dresden geht sogar von einem Lebenszeitrisiko von mehr als 50 Prozent aus.[17]

Psychische Erkrankungen zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie oft früh beginnen und überproportional Jugendliche und junge Menschen betreffen. So brechen ca. 50% aller psychischen Störungen vor dem 15. Lebensjahr, und 75% vor dem 25. Lebensjahr aus. Das steht in Kontrast zu chronischen Erkrankungen wie Krebs, Herzleiden oder Parkinson, die deutlich später im Leben auftreten.[18][19]

Die Erkrankungsraten sind je nach soziodemographischer Gruppierung sehr unterschiedlich:

  • Altersverteilung – Psychische Störungen werden am häufigsten bei jüngeren Erwachsenen (18–34 Jahre) diagnostiziert und am seltensten bei Älteren (65–79 Jahre).[20]
  • Sozioökonomischer Status – Im Mittel werden psychische Störungen in unteren sozioökonomischen Schichten häufiger diagnostiziert als in Höheren.[20]
  • Urbanität – Hinsichtlich der „Verstädterung“ lässt sich ein Trend zu höheren Erkrankungsraten in Großstädten über 500.000 Einwohner erkennen.[20]

Geschlechterverteilung

2014 wurden bei insgesamt 33,3 % der Frauen und 22,0 % der Männer in Deutschland psychische Erkrankungen diagnostiziert (12-Monatsprävalenz).[20]

Die Verhältnisse sind in der folgenden Tabelle als „Männer: Frauen“ angegeben. Zum Beispiel bedeutet „4,7:1“, dass auf 4,7 Männer mit Alkoholstörungen 1 Frau mit Alkoholstörungen kommt. Zu beachten sind die Fußnoten, da sich manche Zahlen nur auf bestimmte Altersgruppen (18- bis 79-Jährige) beziehen, aus unterschiedlichen Ländern und z. B. von unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten stammen usw. Zudem können geschlechterspezifisch unterschiedliche diagnostische Zuordnungen die Statistiken verzerren (siehe Gender Bias).[21]

Männer häufiger betroffen[22][23] kein (großer) Geschlechterunterschied[22][23][24] Frauen häufiger betroffen[22][23][24]
Alkoholstörungen“ (4,7:1) Zwangsstörung (1:1,2) einschließlich Zwangshandlungen (Handwaschrituale häufiger bei Frauen, „Verzögerung der Handlungsabläufe ohne Wiederholung“ häufiger bei Männern) Angststörung (1:2,3) einschließlich der meisten phobischen Störungen (u. a. Agoraphobie). Siehe generalisierte Angststörung (GAS) (ca. 1:2) und Panikstörung (ca. 1:2).
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (4:1) Bipolare Störung (1:1,1) Unipolare Depression (1:2).[25]
Frühkindlicher Autismus (3-4:1) Schizophrenie, Psychotische Störung[26]
Soziale Phobie (1:1,4)[27] Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (1:2-3)[28]
Störung des Sozialverhaltens (2:1)[29] (Kinder oder Jugendliche)
Asperger-Syndrom (2:1) Körperdysmorphe Störung[30] Anorexia nervosa (1:5,5) und Bulimia nervosa
Ticstörung (2:1)[31] Rett-Syndrom (bisher nur bei Mädchen beschrieben)

Behandlung

Psychische Störungen werden von Ärzten, Psychotherapeuten und Heilpraktikern behandelt. Der Einsatz von Psychopharmaka und Psychotherapie gilt als Standard, wobei deren jeweilige Bedeutung für die Behandlung vom konkreten Einzelfall abhängt. Ergänzend können Psychoedukation, Ergotherapie und andere Verfahren zum Einsatz kommen. Für den Behandlungserfolg bedeutsam ist auch, dem Patienten das Gefühl der Stigmatisierung zu nehmen. Auch das Wechselspiel zwischen dem Kranken und seiner Umwelt kann von Bedeutung sein, sodass bei einer Behandlung die Umwelt des Kranken mit einbezogen werden kann.[7]

Viele psychische Erkrankungen sind heutzutage gut behandelbar. Sowohl Psychotherapie als auch Psychopharmaka sind wissenschaftlich fundierte Mittel zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Bei Störungen, die einen Wert von 40 auf der GAF-Skala nicht unterschreiten, kann Soziotherapie begleitend angewendet werden.

Zwangsbehandlung

Bei erkennbar gravierender Selbst- oder Fremdgefährdung und gleichzeitig fehlender Einsicht über die eigene Behandlungsnotwendigkeit können Menschen mit schweren psychischen Störungen als allerletztes Mittel auch gegen ihren Willen einer Behandlung zugeführt werden.[32][33][34] Die Behandlung erfolgt in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung. Die Regelungen zur Akuteinweisung sind landesrechtlich festgelegt. Ohne zusätzliche richterliche Anordnung darf eine solche Zwangsunterbringung längstens 24 Stunden betragen.

Zu längerdauernden Zwangsbehandlungen kann es in folgenden Zusammenhängen kommen:

„Aktionsbündnis Seelische Gesundheit“

Vor einigen Jahren wurde in Deutschland mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit das „Aktionsbündnis für Seelische Gesundheit“ (ABSG) ins Leben gerufen. Zu den 90 Mitgliedern des Bündnisses zählen die Selbsthilfe-Verbände sowie zahlreiche Vertreter aus den Bereichen Psychiatrie, Gesundheitsförderung und Politik, darunter die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Zweck davon ist, verstärkt über psychische Erkrankungen aufzuklären und die Initiativen zur Förderung der seelischen Gesundheit zu vernetzen.

Das ABSG nutzt dafür zum Beispiel den 10. Oktober, den „internationalen Tag der seelischen Gesundheit“ (1992 von der World Federation for Mental Health mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Leben gerufen). An diesem Datum soll durch Informationstage, Aktionswochen und Veranstaltungen über die Vorbeugung (Prävention) und Therapie psychischer Erkrankungen informiert und auf die Belange psychisch erkrankter Menschen aufmerksam gemacht werden.[36]

Volkswirtschaftliche Kosten

Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Seit 1976 steigen die Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen stetig an. Von 2005 bis 2012 stieg der Anteil um 97,1 Prozent. Frauen waren dabei deutlich häufiger betroffen als Männer.[37] Das spiegelt sich auch im stationären Bereich (Krankenhaus) wider: Seit 1986 stieg die Zahl der Krankenhausfälle von 3,8 Fällen je 1000 GKV-Versicherte um das 2,5-fache auf 9,3 Fälle im Jahr 2005.[38] Dieser Trend hat sich bis 2017 weiter fortgesetzt.[39]

Psychische Störungen sind eine wesentliche Ursache für Frühverrentung.[38] Die wirtschaftlichen Belastungen durch diese Erkrankung sind wegen der Kombination aus hohem Verbreitungsgrad, frühem Einsetzen und oft ungünstigem, langem Krankheitsverlauf bedeutend. Die jährlichen Gesamtkosten wurden in Europa für das Jahr 2004 auf 240 Milliarden € geschätzt. Der größte Teil entfällt dabei auf die indirekten Kosten, die mit 132 Milliarden € beziffert werden können.[40] In Deutschland betrugen die Kosten für psychische und Verhaltensstörungen im Jahre 2002 noch 280 Euro pro Einwohner, 2015 lag diese Summe bereits bei 540 Euro.[41]

Siehe auch

Literatur

  • Horst Dilling: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. 10. Auflage. Hogrefe, 2015, ISBN 978-3-456-85560-8.
  • Peter Falkai, Hans-Ulrich Wittchen (Hrsg.): Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5. Hogrefe, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8017-2599-0.
  • Andreas Heinz (Hrsg.): Der Begriff der psychischen Krankheit. Suhrkamp/Insel Verlag, 2014. ISBN 978-3-518-29708-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Heiko Waller (2007): Sozialmedizin. Grundlagen und Praxis. 6. Aufl. Kohlhammer. S. 217f, Definition Expertenkommission 1988. ISBN 9783170191709
  2. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2011): Seele aus der Balance - Erforschung psychischer Störungen, S. 16.
  3. Mental disorders fact sheet. Weltgesundheitsorganisation, April 2017, abgerufen am 17. Januar 2018 (englisch).
  4. a b Gerald C. Davison, John M. Neale, Martin Hautzinger (2016): Klinische Psychologie. Beltz Verlag, ISBN 978-3-621-28441-7. Kapitel 1.1: Merkmale von psychischen Störungen, S. 6f. (Leseprobe)
  5. Eugen Bleuler: Lehrbuch der Psychiatrie (1916). 13. Auflage: Springer, Berlin 1975, ISBN 978-3-540-07217-1. (GoogleBooks)
  6. a b Gerd Huber (2005): Psychiatrie. Lehrbuch für das Studium und Weiterbildung. Schattauer Verlag. ISBN 9783794522149. S. 676 zu Stichwort „Ausdrucksgemeinschaft psychogener und enzephalogener Störungen“. S. 452 zu Stichwort Nomenklatur des ICD-10.
  7. a b Brigitte Vetter: Psychiatrie - ein systematisches Lehrbuch. 7. Auflage, Schattauer 2007. ISBN 9783794525669.
  8. Eva Asselmann, Psychotherapeutenkammer Hamburg (2014): DSM-5 – Wesentliche Neuerungen und Implikationen für ICD-11 (Folie 5).
  9. W. Fink, G. Haidinger: Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis. Z. Allg. Med. 83 (2007) S. 102–108, PDF
  10. Wittchen, H.U, F. Jacobi, J. Rehm, A. Gustavsson, M. Svensson, B. Jönsson, J. Olesen, C. Allgulander, J. Alonso, C. Faravelli, L. Fratiglioni, P. Jennum, R. Lieb, A. Maercker, J. van Os, M. Preisig, L. Salvador-Carulla, R. Simon, and H.-C Steinhausen (2011). The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology 21, S. 655–679.
  11. H. U. Wittchen, F. Jacobi: Size and burden of mental disorders in Europe–a critical review and appraisal of 27 studies. In: European neuropsychopharmacology: the journal of the European College of Neuropsychopharmacology. Band 15, Nummer 4, August 2005, S. 357–376, doi:10.1016/j.euroneuro.2005.04.012, PMID 15961293 (Review), PDF.
  12. Z. Steel, C. Marnane, C. Iranpour, T. Chey, J. W. Jackson, V. Patel, D. Silove: The global prevalence of common mental disorders: a systematic review and meta-analysis 1980-2013. In: International journal of epidemiology. Band 43, Nummer 2, April 2014, S. 476–493, doi:10.1093/ije/dyu038, PMID 24648481, PMC 3997379 (freier Volltext) (Review).
  13. Y. Takayanagi, A. P. Spira, K. B. Roth, J. J. Gallo, W. W. Eaton, R. Mojtabai: Accuracy of reports of lifetime mental and physical disorders: results from the Baltimore Epidemiological Catchment Area study. In: JAMA psychiatry. Band 71, Nummer 3, März 2014, S. 273–280, doi:10.1001/jamapsychiatry.2013.3579, PMID 24402003, PMC 4135054 (freier Volltext).
  14. J. D. Schaefer, A. Caspi, D. W. Belsky, H. Harrington, R. Houts, L. J. Horwood, A. Hussong, S. Ramrakha, R. Poulton, T. E. Moffitt: Enduring mental health: Prevalence and prediction. In: Journal of abnormal psychology. Band 126, Nummer 2, Februar 2017, S. 212–224, doi:10.1037/abn0000232, PMID 27929304, PMC 5304549 (freier Volltext).
  15. Aaron Reuben und Jonathan Schaefer: Nur eine Minderheit bleibt ein Leben lang psychisch gesund, spektrum.de/News, 27. Oktober 2017 (abgerufen 17. Januar 2018).
  16. Mental disorders affect one in four people. WHO, 2001, abgerufen am 6. September 2016 (englisch).
  17. Deutsches Ärzteblatt, Heft 1, Januar 2006, S. 25. (PDF; 33 kB).
  18. Thomas R. Insel, Pamela Y. Collins, Steven Hyman (2015): Darkness Invisible - The Hidden Global Costs of Mental Illness. Foreign affairs (Council on Foreign Relations), 94(1): S.127-135.
  19. Richard J. McNally: Was sind psychische Erkrankungen? In: Die Vielgestaltigkeit der Psychosomatik. Springer, 2017, ISBN 978-3-662-54145-6, S. 11–17, doi:10.1007/978-3-662-54146-3_2 (springer.com [PDF]).
  20. a b c d F. Jacobi, M. Höfler, J. Strehle, S. Mack, A. Gerschler, L. Scholl, M.A. Busch, U. Maske, U. Hapke, W. Gaebel, W. Maier, M. Wagner, J. Zielasek, H.-U. Wittchen: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Springer Verlag, 2014, abgerufen am 3. Februar 2018.
  21. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes Gesundheitliche Lage der Männer in Deutschland. In: Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin, 2014, abgerufen am 7. Dezember 2017.
  22. a b c 12-Monatsprävalenz von 18- bis 79-jährigen in Deutschland 2011 gemäß Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) mit Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Quelle: Wittchen & Jacobi (2012). Was sind die häufigsten psychischen Störungen in Deutschland?
  23. a b c Siehe Text zur jeweiligen Erkrankung in der ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. 10. Auflage. Hogrefe, 2015, ISBN 978-3-456-85560-8.
  24. a b Facts about Common Mental Illnesses. (Memento vom 16. November 2010 im Internet Archive) Substance Abuse and Mental Health Services Administration, abgerufen 9. März 2015 (englisch).
  25. E. Bromet, L. H. Andrade, I. Hwang, N. A. Sampson, J. Alonso, G. de Girolamo, R. de Graaf, K. Demyttenaere, C. Hu, N. Iwata, A. N. Karam, J. Kaur, S. Kostyuchenko, J. P. Lépine, D. Levinson, H. Matschinger, M. E. Mora, M. O. Browne, J. Posada-Villa, M. C. Viana, D. R. Williams, R. C. Kessler: Cross-national epidemiology of DSM-IV major depressive episode. In: BMC medicine. Band 9, 2011, S. 90, doi:10.1186/1741-7015-9-90. PMID 21791035, PMC 3163615 (freier Volltext) (Review).
  26. S. Ochoa, J. Usall, J. Cobo, X. Labad, J. Kulkarni: Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. In: Schizophrenia research and treatment. Band 2012, 2012, S. 916198, doi:10.1155/2012/916198, PMID 22966451, PMC 3420456 (freier Volltext) (Review).
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  30. G. Krebs, L. Fernández de la Cruz, D. Mataix-Cols: Recent advances in understanding and managing body dysmorphic disorder. In: Evidence-based mental health. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Juli 2017, doi:10.1136/eb-2017-102702, PMID 28729345, PMC 5566091 (freier Volltext) (Review).
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  32. Bundestag billigt Gesetz zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie. In: aerzteblatt.de. 17. Januar 2013, abgerufen am 4. Februar 2018.
  33. Nina von Hardenberg: So verrückt darf ein Mensch sein. In: Süddeutsche Zeitung. 16. Januar 2013, abgerufen am 4. Februar 2018.
  34. Jochen Vollmann: Vorbeugen statt zwangseinweisen. Deutschlandunk, 26. November 2014, abgerufen am 5. Februar 2018.
  35. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006 – XII ZB 236/ 05; OLG Celle (Lexetius.com/2006,324)
  36. Über uns. In: seelischegesundheit.net. DGPPN, abgerufen am 6. September 2016.
  37. Zahlen, Daten Fakten. Highlights aus dem BKK Gesundheitsreport 2013. BKK Dachverband, 2013, abgerufen am 5. Februar 2018.
  38. a b Mehr Fehltage durch psychische Leiden. Süddeutsche Zeitung, 3. Januar 2007, S. 20
  39. Kim Björn Becker, Thomas Öchsner: Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankung nehmen drastisch zu, Süddeutsche Zeitung, 14. September 2017.
  40. EU Grünbuch psychische Gesundheit 2005 (PDF; 946 kB).
  41. Statistisches Bundesamt.