Erster Tschetschenienkrieg
Erster Tschetschenienkrieg | |
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Tschetschenischer Kämpfer steht in der Nähe des zerstörten Regierungsgebäudes in Grosny | |
Datum | 11. Dezember 1994–31. August 1996 |
Ort | Tschetschenien, teilweise Inguschetien, Dagestan, Region Stawropol |
Ausgang | Abkommen von Chassawjurt Abzug der russischen Truppen De-facto-Unabhängigkeit Tschetscheniens |
Der Erste Tschetschenienkrieg war ein militärischer Konflikt zwischen der Kaukasusrepublik Tschetschenien und Russland von 1994 bis 1996.
Hintergründe
1921/1922 wurde Tschetschenien Teil Sowjetrusslands. In der Sowjetunion war Tschetschenien zuletzt autonome Republik innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Im Zweiten Weltkrieg wurde die tschetschenische Bevölkerung auf Veranlassung Stalins wegen angeblicher Kollaboration mit den Invasoren nach Zentralasien deportiert und konnte erst nach 1956 zurückkehren; die Autonomie wurde wiederhergestellt.[2] Am 26. Dezember 1991 löste sich die Sowjetunion auf.
Am 1. November 1991 erklärte der tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew die Unabhängigkeit seines Landes. Die russische Regierung in Moskau unterstützte in der Folge zunächst die politischen Gegner Dudajews und verstärkte ihre Truppen an den Grenzen zu Tschetschenien.
Siehe:
- Geschichte Tschetscheniens
- Zerfall der Sowjetunion
- Geschichte Russlands: Russische Föderation
- Russisch-Tschetschenischer Konflikt
Kriegsverlauf
Am 29. November 1994 beschloss der Sicherheitsrat der Russischen Föderation unter seinem Ersten Sekretär Oleg Lobow ohne Konsultation der übrigen Institutionen die Intervention in Tschetschenien. Am 11. Dezember 1994 erteilte der russische Präsident Boris Jelzin schließlich den Befehl zur militärischen Intervention, obwohl der tschetschenische Präsident Dudajew Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatte.[3]
Etwa 40.000 Soldaten marschierten in Tschetschenien ein und nahmen nach zweimonatigen Kämpfen die Hauptstadt Grosny ein. Bei der Belagerung der Stadt im Januar 1995 starben nach Schätzungen etwa 25.000 Menschen durch tagelangen Artilleriebeschuss. Proteste im Ausland lösten insbesondere die offenbar wenig gezielten Luftangriffe aus, deren massive Zerstörungen bis heute nicht vollständig beseitigt wurden. Bis zum April 1995 konnte die russische Armee rund 80 Prozent des tschetschenischen Gebietes unter ihre Kontrolle bringen. Die größtenteils nur unzureichend ausgerüsteten und ausgebildeten russischen Truppen fanden sich dabei in einem Guerillakrieg wieder, der Teile der Armee demoralisierte. Die tschetschenischen Separatisten wurden zudem von islamistischen Mujahideen aus verschiedenen arabischen Ländern unterstützt, ebenso wie von Freiwilligen der UNA-UNSO, einer anti-russischen, nationalistischen Gruppierung aus der Ukraine.
Die Anhänger Dudajews verfolgten die Guerillataktik weiter: Am 14. Juni 1995 brachten Freischärler unter Führung von Schamil Bassajew bei der Geiselnahme von Budjonnowsk ein Krankenhaus in ihre Gewalt und verschanzten sich dort mit 1000 Geiseln. Nach vergeblichen Versuchen, das Hospital zu stürmen, ging die russische Regierung auf die Forderungen der Gegner ein und sicherte ein sofortiges Ende der Militäraktionen, den Beginn von Friedensgesprächen und freien Abzug zu.
Unter der Schirmherrschaft der OSZE begannen in Moskau Verhandlungen, die mit der Unterzeichnung eines Militärabkommens am 30. Juli 1995 endeten. Es sah den Verzicht auf weitere Kampfhandlungen, die Entwaffnung der Tschetschenen sowie die Reduzierung der russischen Truppen in Tschetschenien auf 6000 Mann vor. Der am 2. August 1995 in Kraft getretene Waffenstillstand war jedoch nicht von Dauer, da die tschetschenischen Separatisten ihre Unabhängigkeitsansprüche mit neuen Angriffen unterstrichen. So drangen sie unter der Führung von Salman Radujew am 9. Januar 1996 in ein Krankenhaus in Kisljar ein und besetzten wenige Tage nach der Geiselnahme das dagestanische Dorf Perwomaiskoje. Die russische Regierung beantwortete diese Kampfhandlungen wiederum mit Gewalt. 5000 Soldaten und 80 Panzer zerstörten das Dorf, 78 Menschen starben bei den Kämpfen.
Der tschetschenische Rebellenchef Dudajew wurde am Abend des 21. April 1996 in der Nähe des Dorfes Gechi-Tschu getötet. Offiziellen Stellungnahmen zufolge wurde er während eines Telefonats durch einen gezielten Angriff mit einer ballistischen Rakete vom Typ SS-21 Scarab tödlich verletzt. Allerdings gab es auch Spekulationen darüber, dass Dudajew innertschetschenischen Machtkämpfen zum Opfer gefallen sei oder gar überlebt habe.
Vor den russischen Präsidentschaftswahlen am 16. Juni 1996 einigte man sich auf ein Waffenstillstandsabkommen, das aber zunächst von beiden Seiten nicht eingehalten wurde. Im August 1996 handelte dann der russische General Alexander Lebed mit dem Chef der tschetschenischen Übergangsregierung Aslan Maschadow ein neues Waffenstillstandsabkommen aus, das auch den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien beinhaltete (Abkommen von Chassawjurt). Maschadow hatte im August 1996 die von der russischen Armee kontrollierte Stadt Grosny mit etwa 5000 tschetschenischen Separatisten zurückerobert. Der Krieg hatte damit für die russische Seite eine ungünstige Wende genommen.
Der fast zweijährige Krieg kostete nach Schätzungen mindestens 80.000 Menschen das Leben. Offiziellen Beobachtern zufolge haben sich russische Armee und tschetschenische Freischärler dabei immer wieder schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht.
Weitere Entwicklung
Am 22. Dezember 1996 griffen rund 100 tschetschenische Rebellen die dagestanische Stadt Buinaksk an, dabei wurden drei Menschen getötet und 13 verletzt.
Anfang Januar 1997 war der Abzug der russischen Truppen abgeschlossen, Ende Januar fanden in Tschetschenien Parlaments- und Präsidentenwahlen statt, aus denen Maschadow als Staatschef hervorging; am 12. Mai 1997 unterzeichneten Jelzin und Maschadow einen formellen Friedensvertrag. Der umstrittene politische Status Tschetscheniens wurde allerdings in diesem Vertrag nicht geklärt, sondern auf den 31. Dezember 2001 verschoben.
Seit dem 7. August 1999 eskalierte die Lage erneut: Rund 400 tschetschenische Freischärler unter dem Kommando Schamil Bassajews und des arabischen Islamisten Ibn al-Chattab griffen die Nachbarrepublik Dagestan unter anderem im Rajon Botlich an. In Kämpfen (siehe Dagestankrieg) bis zum 26. August 1999 kamen über 70 russische Soldaten ums Leben, 259 wurden verwundet. Am 5. September 1999 griffen rund 2000 tschetschenische Rebellen unter Bassajew und al-Chattab erneut Dagestan an und töteten im Rajon Nowolakskoje bis 15. September mehrere hundert Menschen.
Nachdem die Situation in Dagestan schon eskalierte und es zu intensiven kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen war, verübten Attentäter in Russland im September Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und anderen Städten, bei denen mehrere Hundert Menschen ums Leben kamen.
Der frühere KGB- und FSB-Mitarbeiter und mutmaßlich vergiftete Alexander Litwinenko hat mehrfach behauptet, dass diese Anschläge vom russischen Geheimdienst FSB verübt oder angestiftet wurden, um einen Vorwand für einen zweiten Tschetschenienkrieg zu liefern und den Präsidentenwahlkampf Wladimir Putins zu unterstützen.[4]
Siehe auch
Literatur
- Sultan Jaschurkaew: Auf Splitter gekratzt. Grosny 1995. Tagebuch aus Tschetschenien. Übersetzt von Marianne Herold und Ruslan Bazgiew. Kitab Verlag Klagenfurt-Wien, 2008, ISBN 978-3-902585-21-9
- Arkadi Babtschenko: Die Farbe des Krieges. Rowohlt, Berlin 2007, ISBN 978-3-87134-558-6
- Arkadi Babtschenko: Ein guter Ort zum Sterben. Rowohlt, Berlin 2009, ISBN 978-3-87134-641-5
- Hans Krech: Der russische Krieg in Tschetschenien (1994–1996). Ein Handbuch, Berlin: Verlag Dr. Köster, 1997. (Bewaffnete Konflikte nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, Bd. 3). (2. unveränderte Auflage 2000).
- Heiko Sauer, Niklas Wagner: Der Tschetschenien-Konflikt und das Völkerrecht. Tschetscheniens Sezession, Russlands Militärinterventionen und die Reaktionen der Staatengemeinschaft auf dem Prüfstand des internationalen Rechts. In: AVR, Bd. 45 (2007), S. 53–83.
- Elisabeth Gusdek Petersen: Grosny – Zürich und zurück. Porträts von fünf Jugendlichen aus Tschetschenien. Orell Füssli Verlag AG, Zürich 2009, ISBN 978-3-280-06105-3
Weblinks
- Informationen zum Zweiten Tschetschenienkrieg des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Hamburg
- TAZ vom 25. Mai 2004: Der Frieden hat in Grosny keine Chance
- La première guerre de Tchétchénie, par Paul Labarique
- Art of War
- Infantry Magazine von Adam Geibel ( vom 21. Juni 2004 im Internet Archive) (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ http://www.regnum.ru/news/588687.html
- ↑ http://www.bbc.com/news/world-europe-18188085
- ↑ Rüdiger Dingemann: Westermann Lexikon Krisenherde der Welt. Konflikte und Kriege seit 1945, Westermann, Braunschweig 1996, ISBN 3-07-509516-8. S. 646
- ↑ Alexander Litvinenko, Yuri Felshtinsky: Blowing up Russia: Terror from Within. S.P.I. Books, New York 2002, ISBN 1-56171-938-2.