Max von Pettenkofer
Max Josef Pettenkofer, seit 1883 von Pettenkofer (* 3. Dezember 1818 in Lichtenheim bei Neuburg/Donau; † 10. Februar 1901 in München) war ein bayerischer Chemiker und Hygieniker. Nach ihm ist das Max von Pettenkofer-Institut an der Münchner Universität benannt.[1]
Leben
Max Josef Pettenkofer – Sohn eines Bauern im Donaumoos – besuchte auf Kosten seines Onkels Franz Xaver Pettenkofer, der königlich bayerischer Hof- und Leibapotheker war, bis 1837 das Münchener Alte Gymnasium[2] und studierte anschließend an der Universität München Naturwissenschaft, Pharmazie und Medizin. 1843 schloss er sein Studium mit der Promotion zum Doktor der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe ab. Gleichzeitig erwarb er die Approbation als Apotheker. Danach beschäftigte er sich in Würzburg mit Chemie und wechselte dann nach Gießen ins Labor Justus von Liebigs.
1847 wurde Pettenkofer zum Professor für medizinische Chemie an die Ludwig-Maximilians-Universität München berufen, deren Rektor er 1865 wurde. Im gleichen Jahr wurde er in München erster deutscher Professor für Hygiene und richtete dort von 1876 bis 1879 das erste Hygieneinstitut ein. Zu verdanken hatte Pettenkofer dies auch König Ludwig II., dem er seine Vorstellungen anlässlich einer Privataudienz 1865 vorgetragen hatte, welcher eine Ministerialentschließung bewirkte, mit welcher „Hygiene“ am 16. September 1865 zum Nominalfach ernannt wurde.[3] 1883 verlieh man Pettenkofer den Erbadel; 1890 bis 1899 war er Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1893 legte er seine Professur nieder. Er erschoss sich am 10. Februar 1901 im Alter von 82 Jahren in seiner Hofapotheker-Wohnung in der Münchner Residenz.[4]
Grabstätte und Nachlass
Die Grabstätte von Max Pettenkofer befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof in München (Gräberfeld 31 - Reihe 1 - Platz 33/34) Standort .
Der Nachlass von Max von Pettenkofer befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek.[5]
Leistungen
Pettenkofers anerkanntestes Arbeitsgebiet war die von ihm selbst definierte und mit Inhalt gefüllte Wissenschaft der Hygiene. Er setzte die Hygiene als eigenständigen Bereich der Medizin durch und erkannte zudem den damit verbundenen wirtschaftlichen Aspekt. Daher sprach er auch Verwaltung und Ingenieure an und entwickelte eine Gesundheitstechnik, die zum Beispiel bei der Sanierung Münchens zum Einsatz kam. München verdankt Pettenkofer seine Kanalisation und eine zentrale Trinkwasserversorgung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt München als eine der saubersten Städte Europas.
Zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn waren Chemie und Physiologie die bevorzugten Arbeitsgebiete. Eine der bedeutendsten Leistungen Pettenkofers ist die Entdeckung von periodisch auftretenden Eigenschaften bei chemischen Elementen (1850). Er schuf damit eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung des Periodensystems der Elemente. Mangels Unterstützung durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften konnte er seine Forschungen aber nicht weiter fortsetzen. Bei Justus von Liebig entwickelte er den Gallensäurenachweis und arbeitete am Königlichen Hauptmünzamt, wo er verbesserte Methoden zur Edelmetallschmelze und Münzherstellung (1848–1849) anwandte. 1844 entdeckte Pettenkofer das Kreatinin, ein wichtiges Stoffwechselprodukt des Muskelgewebes, zudem arbeitete er über eine verbesserte Methode zur Zementherstellung (1847), erfand die Kupfer-Amalgam-Zahnfüllung (1848), beschrieb die Herstellung von Leuchtgas aus Holz (Holzgas, 1851) und untersuchte (um 1860) zusammen mit Carl von Voit (1831–1908) Stoffwechselbilanzen. Bis heute werden Respirationsapparate nach dem „Pettenkofer-Prinzip“ gebaut. Der von Pettenkofer erfundene Fleischextrakt („Suppenwürfel“ nach Liebig) wurde in industriellem Maßstab mit südamerikanischem Rindfleisch hergestellt.
In seiner zweiten Lebenshälfte widmete sich Pettenkofer der Epidemiologie. Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten haben diese Untersuchungen nur noch historischen Wert. Pettenkofer glaubte nicht, dass die Cholera, die 1854 auch in München ausbrach, allein von einem Erreger ausgelöst werde, sondern maß der Boden- und Grundwasserbeschaffenheit die Hauptbedeutung zu (Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitung der Cholera, 1855). Diese Ansicht vertrat er jahrzehntelang, u.a. auf wissenschaftlichen „Cholera-Konferenzen“ wie beispielsweise der im Jahr 1867 in Weimar, und er hielt auch nach Robert Kochs Entdeckung des Erregers daran fest.[6] Im Zusammenhang mit dem berühmten Zwiestreit mit Robert Koch über die Ursache der Cholera schluckte Pettenkofer 1892 sogar eine Kultur von Cholera-Bakterien und erkrankte überraschenderweise nicht. Pettenkofer vertrat die Ansicht, dass die Umweltbedingungen von erheblich größerer Bedeutung für die Entstehung einer Krankheit sind als die bloße Anwesenheit von Krankheitserregern. Er und einige seiner Schüler, die den Versuch wiederholten, erkrankten nicht oder nur leicht, wodurch sich Pettenkofer bestätigt sah. Allerdings irrte er insoweit, als er ein bestimmtes „contagiöses Element Y“ annahm, das – gleich einer chemischen Reaktion – die Entstehung einer Krankheit erst ermöglichte.[7] Die heute in der Epidemiologie übliche Ortsbesichtigung und ausgiebige statistische Erfassung und Auswertung des Seuchengeschehens wurde von Pettenkofer und seinen Schülern eingeführt.
Pettenkofer arbeitete streng naturwissenschaftlich-experimentell. Auch seine Untersuchungen zu Kleidung, Heizung, Lüftung, Kanalisation und Wasserversorgung tragen experimentelle Züge. Wie sein Lehrer v. Liebig war Pettenkofer ein Positivist, das heißt, er erkannte ausschließlich sichtbare, zum Beispiel in Experimenten gewonnene Tatsachen als Erkenntnisquelle an.
Pettenkofer unterlief ein Irrtum, der bis heute nachwirkt, indem viele Menschen glauben, es gebe eine „Atmende Wand“: Er stellte bei frühen Luftwechsel-Messungen in einem Raum fest, dass sich nach dem vermeintlichen Abdichten sämtlicher Fugen die Luftwechselrate weniger als erwartet verminderte. Daraus schlussfolgerte er einen erheblichen Luftaustausch durch die Ziegelwände hindurch. Vermutlich kam er nicht darauf, den Kamin eines im Raum befindlichen Ofens abzudichten. Luftaustausch durch die Zimmerwände hindurch sei, so Pettenkofer, ein wesentlicher Beitrag zur Reinigung der Raumluft.
Pettenkofer veröffentlichte insgesamt mehr als 20 Monographien und 200 Originalartikel in wissenschaftlichen und medizinischen Zeitschriften. Seine Verdienste als Begründer der Hygiene, Wegbereiter der Umweltmedizin, experimenteller Feldforscher, Chemiker und Ernährungsphysiologe waren bahnbrechend; sie waren und sind weltweit anerkannt. Die medizinische Chemie verdankt ihm zudem brauchbare Nachweismethoden für Zucker, Harnbestandteile und Arsen. Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde er am 24. Januar 1900 in den preußischen Orden Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste aufgenommen.[8]
Nach Pettenkofer ist der traditionelle hygienische Innenraumluftwert für CO2 benannt – die Pettenkofer-Zahl. Ihren Grenzwert gab Pettenkofer mit 0,10 % an.
Mitgliedschaften und Ehrungen
- Bayerische Akademie der Wissenschaften, außerordentliches Mitglied (1846), ordentliches Mitglied (1856), Präsident (1890–1899)
- Mitglied der Leopoldina (1859)
- Auswärtiges Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften (1898)
- Bayerischer erblicher Adel (1883); Titel Exzellenz (1896); Verdienstorden der Bayerischen Krone (1900)
- Bunsen-Pettenkofer-Ehrentafel des DVGW (1900)
- Ehrenbürger der Stadt München (1872); Goldene Bürgermedaille der Landeshauptstadt München (1893); Goldmedaille der Stadt München (1899)
- Mitglied des Obermedizinalausschusses (1849)
- Mitglied der Zwanglosen Gesellschaft München[9] (1852)
- Harben-Medaille des Royal Institute of Public Health, England (1897); Goldmedaille der Chemischen Gesellschaft
Benennungen nach Pettenkofer
- Die Bundesrepublik Deutschland brachte anlässlich seines 150. Geburtstages eine 5-D-Mark-Gedenkmünze heraus.
- Das Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität München ist nach Pettenkofer benannt.
- Eine Bakterienart ist nach Pettenkofer benannt: Staphylococcus pettenkoferi.
- In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg ist eine Grundschule und eine Straße nach Pettenkofer benannt.
- Die Bunsen-Pettenkofer-Ehrentafel des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches ist nach ihm und Robert Bunsen benannt.
Schriften
- Ueber das Vorkommen einer großen Menge Hippursäure im Menschenharne, Ann. d. Chemie u. Pharmacie 52 (1844) 86–90
- Notiz über eine neue Reaction auf Galle und Zucker, Ann. d. Chemie u. Pharmacie 52 (1844) 90–96
- Ueber die Affinirung des Goldes und über die grosse Verbreitung des Platins, München. gelehrte Anzeiger 24 (1847) 589–598
- Ueber die regelmässigen Abstände der Aequivalentzahlen der sogenannten einfachen Radicale, München. Gelehrten Anzeiger 30 (1850) 261–272, Ann. d. Chemie u. Pharmacie 105 (1858) 187
- Ueber den Unterschied zwischen Luftheizung und Ofenheizung in ihrer Entwicklung auf die Zusammensetzung der Luft der beheizten Räume, Polytechn. Journal 119 (1851) 40–51; 282–290
- Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitungsart der Cholera. München 1855
- Ueber die wichtigsten Grundsätze der Bereitung und Benützung des Holzleuchtgases, Journal f. prakt. Chemie 71 (1857), S. 385–393;
- Ueber den Luftwechsel in Wohngebäuden. München 1858
- Ueber die Bestimmung der freien Kohlensäure im Trinkwasser, J. f. prakt. Chemie 82, 32–40 (1861)
- Ueber eine Methode, die Kohlensäure in der atmosphärischen Luft zu bestimmen in Journal für Praktische Chemie 85, 165–184 (1862)
- Ueber den Stoffverbrauch bei Zuckerharnruhr, Z. f. Biol. 3 (1867) 380–444
- Boden und Grundwasser in ihren Beziehungen zu Cholera und Typhus. München 1869
- Beziehungen der Luft zu Kleidung, Wohnung und Boden : drei populäre Vorlesungen gehalten im Albert-Verein zu Dresden am 21., 23, und 25. März 1872. (1872) Volltext
- Ueber Nahrungsmittel im Allgemeinen und über den Werth des Fleischextracts als Bestandtheil der menschlichen Nahrung insbesondere, Ann. d. Chemie u. Pharmacie 167 (1873) 271–292
- Vorträge über Canalisation und Abfuhr. München 1876
- Der Boden und sein Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, Dtsch. Rundschau 29 (1881) 217–234
- Beleuchtung des königlichen Residenztheaters in München mit Gas und mit elektrischem Licht, Arch. f. Hygiene 1 (1883) 384–388
- Die Verunreinigung der Isar durch das Schwemmsystem von München. München 1890
Literatur
- Otto Neustätter: Max Pettenkofer (= Meister der Heilkunde. Band 7). Julius Springer, Wien 1925, DNB 361948220.
- Edgar E. Hume: Max von Pettenkofer. New York 1927
- Karl Kißkalt: Max von Pettenkofer (= Große Naturforscher. Band 4). Wissenschaftliche Verlags-Gesellschaft, Stuttgart 1948, DNB 452425700.
- Alfred Beyer: Max von Pettenkofer. Volk und Gesundheit, Berlin 1956, DNB 450438716.
- Eintrag im Dictionary of Scientific Biography. Band 10, 1975, S. 556–563
- Harald Breyer: Max von Pettenkofer. Arzt im Vorfeld der Krankheit (= Humanisten der Tat). Hirzel, Leipzig 1985, DNB 850561493.
- Karl Wieninger: Max von Pettenkofer. Hugendubel, München 1987, ISBN 3-88034-349-7.
- Eberhard J. Wormer: Pettenkofer, Max Josef. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 271–273 (Digitalisat).
Weblinks
- Literatur von und über Max von Pettenkofer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Max von Pettenkofer in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Max von Pettenkofer des Donaumooses größter Sohn
- Max von Pettenkofer – die Cholera in München ( vom 14. Mai 2010 im Internet Archive)
- Artikel von/über Max Josef von Pettenkofer im Polytechnischen Journal
- Der Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Max von Pettenkofer-Institut
- ↑ Leitschuh, Max: Die Matrikeln der Oberklassen des Wilhelmsgymnasiums in München, 4 Bde., München 1970-1976; Bd. 4, S. 10
- ↑ Heinz Seeliger: 100 Jahre Lehrstuhl für Hygiene in Würzburg. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 6, 1988, S. 129–139; hier: S. 130
- ↑ Lexikon der Forscher und Erfinder, S. 348/349 (Rowohlt-Taschenbuch-Verlag Reinbek 1997)
- ↑ Eintrag im OPACplus der Bayerischen Staatsbibliothek, abgerufen am 23. Oktober 2013.
- ↑ Axel Stefek: Das Weimarer Tonnensystem als Maßnahme der Stadthygiene. In: Wasser unter der Stadt. Bäche, Kanäle, Kläranlagen. Stadthygiene in Weimar vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Axel Stefek für den Abwasserbetrieb Weimar. Weimar 2012, S. 75–123, hier S. 88–91.
- ↑ Die Choleratheorie Max von Pettenkofers im Kreuzfeuer der Kritik – Die Choleradiskussion und ihre Teilnehmer (PDF; 869 kB)
- ↑ Der Orden Pour le Merite für Wissenschaft und Künste. Die Mitglieder des Ordens. Band II (1882–1952), Seite 158, Gebr. Mann Verlag, Berlin, 1978
- ↑ Zwanglose Gesellschaft: Hundertfünfzig Jahre Zwanglose Gesellschaft München 1837–1987, Universitätsdruckerei und Verlag Dr. C. Wolf und Sohn KG, München 1987, 159 Seiten
Personendaten | |
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NAME | Pettenkofer, Max von |
ALTERNATIVNAMEN | Pettenkofer, Max Josef von |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Chemiker und Hygieniker |
GEBURTSDATUM | 3. Dezember 1818 |
GEBURTSORT | Lichtenheim bei Neuburg an der Donau |
STERBEDATUM | 10. Februar 1901 |
STERBEORT | München |
- Hygieniker
- Chemiker (19. Jahrhundert)
- Mediziner (19. Jahrhundert)
- Hochschullehrer (Ludwig-Maximilians-Universität München)
- Träger des Verdienstordens der Bayerischen Krone (Ausprägung unbekannt)
- Träger des Pour le Mérite (Friedensklasse)
- Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
- Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften
- Mitglied der Leopoldina (19. Jahrhundert)
- Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften
- Mitglied der Kungliga Vetenskaps- och Vitterhetssamhället i Göteborg
- Mitglied der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften
- Ehrenmitglied des Physikalischen Vereins
- Ehrenbürger von München
- Walhalla
- Deutscher
- Geboren 1818
- Gestorben 1901
- Mann