Nachhaltigkeit

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Das Prinzip der Nachhaltigkeit wurde erstmals 1713 von Hans Carl von Carlowitz schriftlich formuliert (Gedenktafel mit Zitat)
Heute wird nachhaltige Produktion von der Öffentlichkeit vor allem mit speziellen Gütesiegeln in Verbindung gebracht (hier das FSC-Siegel für Holzprodukte)
Aber auch kleine Aktionen sparen Wasser und Strom

Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem von Lebewesen und Ökosystemen) gewährleistet werden soll.

Begriffsgeschichte

Die Bezeichnung hat eine komplexe und facettenreiche Begriffsgeschichte. Das Wort Nachhaltigkeit stammt von dem Verb nachhalten mit der Bedeutung „längere Zeit andauern oder bleiben“. Heutzutage sind im Wesentlichen drei Bedeutungen zu unterscheiden:[1]

  1. die ursprüngliche Bedeutung einer „längere Zeit anhaltende[n] Wirkung“ (Duden),[2][3]
  2. die besondere forstwissenschaftliche Bedeutung als „forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann“ (Duden),[2]
  3. die moderne, umfassende Bedeutung im Sinne eines „Prinzip[s], nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann“ (Duden).[2]

Eine erstmalige Verwendung der Bezeichnung Nachhaltigkeit in deutscher Sprache im Sinne eines langfristig angelegten verantwortungsbewussten Umgangs mit einer Ressource ist bei Hans Carl von Carlowitz 1713 in seinem Werk Silvicultura oeconomica nachgewiesen.[4] Carlowitz fragte, „wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag“.[5]

Das Substantiv Nachhaltigkeit wurde spätestens 1832 von dem deutschen Forstmann Emil André im Titel seines in Prag erschienenen Buches Einfachste den höchsten Ertrag und die Nachhaltigkeit ganz sicher stellende Forstwirthschafts-Methode verwendet.[6]

Nachhaltigkeit gilt in einem Wörterbucheintrag von 1910 als Übersetzung von lateinisch perpetuitas und ist das Beständige und Unablässige wie auch das ununterbrochen Fortlaufende, das Wirksame und Nachdrückliche oder einfach der Erfolg oder die Wirksamkeit einer Sache.[7] Vor 1860 war die Bezeichnung als Substantiv noch nicht lexikalisch erfasst, im Rechtschreibduden erstmals 1915 (anders das Adjektiv nachhaltig);[1] bis in die 1980er Jahre hatte sie alltagssprachlich die Bedeutung von Dauerhaftigkeit und wurde nicht für einen Begriff politischen Sinnes verwendet. Beispielsweise taucht das Wort nachhaltig in Meyers Konversations-Lexikon von 1905 auf im Satz „Um eine nachhaltige Erwärmung der Räume zu liefern, müssen die Kessel der Warmwasserheizung einen verhältnismäßig großen Inhalt besitzen“, und des Weiteren in der Aussage, dass ein Forst bereits die nachhaltige Form einer Waldwirtschaft darstellt.

Jüngere Verwendung

Im derzeitigen Sprachgebrauch konkurrieren unterschiedliche Begriffsauffassungen:

  • ein alltagssprachliches Verständnis, das aussagt, dass etwas noch lange Zeit andauern, bestehen, nachwirken oder sein kann bzw. soll, nachdem es gebaut, begonnen und/oder in Bewegung gesetzt wurde;
  • verschiedene politische Auffassungen, die dieses Grundverständnis von Dauerhaftigkeit entsprechend der Position verschiedener Interessengruppen variieren. Diese Erweiterung ergab sich zunächst aus der globalen umweltpolitischen Debatte seit dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere mit den Definitionen durch die 1983 von den Vereinten Nationen eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission), den Club of Rome oder auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Sie erweiterten den Begriff zumeist auch deutlich über die ursprüngliche Bedeutung der Systemfunktion hinaus. Nachdem ökologische Gedanken allgemein an Akzeptanz gewonnen haben, findet die Benennung „Nachhaltigkeit“ für eine Vielzahl von Konzepten und Produkten Verwendung bei ausgemachten ökonomischen Interessen, weshalb an dem Ausdruck in den Augen mancher inzwischen ein etwas „zweifelhafter Ruf“ klebt.[1]
  • Ab 2009[8] taucht als Synonym zur Nachhaltigkeit der Begriff enkelgerecht auf. Seit 2010[9] und verstärkt seit 2014[10] wird er auch in der Politik außerhalb des grünen Spektrums und auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung verwendet.[11] Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in der Neuauflage von 2016 ist überschrieben mit dem Slogan „Der Weg in eine enkelgerechte Zukunft“.[12] Das Synonym dient als Sinnbild für eine ausgeprägt nachhaltige Welt, in der unser Wirtschaften die Chancen der nachfolgenden Generationen nicht mindert (siehe auch Generationengerechtigkeit).

Kritik

Manche Autoren stellen fest, dass aufgrund der vielfältigen Definition Nachhaltigkeit zu einem „Gummiwort“[13] geworden sei. Zugleich wird aber betont, dass die Idee „nur als Gummiwort […] in allen gesellschaftlichen Bereichen kommunizierbar“ werde.[13] Um die Unschärfeprobleme mit der Bezeichnung Nachhaltigkeit zu umgehen, wird bei Auseinandersetzungen um umweltverträgliche Formen der Zivilisation teilweise auf andere Bezeichnungen ausgewichen wie Zivilisationsökologie oder Zukunftsverträglichkeit, die sich bislang jedoch nicht durchsetzen konnten.

Traditionelle Nachhaltigkeit

Extensive, traditionelle Fern­weide­wirt­schaft (wie hier mit Yaks in Tibet) konnte nur aufgrund ihrer nach­haltigen Produktions­weise den Menschen jahr­tausende­lang ein Auskommen bieten
Industrielle Landwirtschaft ist weit von nachhaltiger Wirtschaftsweise entfernt[14]

Subsistenzorientierte, traditionelle Wirtschaftsformen, die noch weitgehend unverändert sind (wie Jagen und Sammeln, Feldbau (sofern die Naturgebiete noch ausreichend groß und dünn bevölkert sind) sowie die Fernweidewirtschaft) bilden stabile und dauerhafte – also im ursprünglichen Sinne nachhaltige – Wirtschaftssysteme, die in vielfältiger Weise mit den natürlichen Ökosystemen vernetzt sind. Sie sind gekennzeichnet durch effiziente, langsame und kontinuierliche Anpassung der Landnutzung an die jeweiligen Standortbedingungen seit Jahrhunderten.[15][16][17][18][19][20]

Dieser Effekt kehrt sich allerdings mehr und mehr um, wenn ein rapider ökonomischer und sozialer Wandel Probleme schafft, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind (siehe auch Kalte und heiße Kulturen oder Optionen).[15][21][22][23][24][25][26]

Auch die Biodiversitätskonvention der UNO erkennt an, dass traditionelle Lebensweisen in besonderem Maße nachhaltig sind und die biologische Vielfalt nicht verringern. Im Gegensatz zu industrialisierten Gesellschaften, die nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Gebiet angewiesen sind, haben solche Gemeinschaften ein direktes Interesse an der Aufrechterhaltung und dem Schutz dieser Ökosysteme, deren Stabilität sie nie gefährdet haben.[22]

Die Ethnologie hat gezeigt, dass traditionell-nachhaltiges Wirtschaften in sehr vielen indigenen Kulturen (vor dem Kontakt mit den Europäern) als moralische Leitlinie einer „heiligen Erdverbundenheit“ im kulturellen Gedächtnis über animistische Weltbilder, Mythen, Rituale und Tabus der Ethnischen Religionen verankert war[15][18][27] (→ siehe auch: Wildes Denken). Nach Odum und Cannon verfügen alle stabilen Systeme über Mechanismen, die ihren Gleichgewichtszustand möglichst konstant halten und dabei Schwankungen der Umwelt ausgleichen. Die Anthropologen Roy Rappaport, Gerardo Reichel-Dolmatoff und Thomas Harding haben unabhängig voneinander festgestellt, dass die Mythen und rituellen Zyklen der sogenannten „Naturvölker“ genau diese Aufgabe erfüllen und den Gemeinschaften ermöglichen, sich Veränderungen der Umwelt so weit wie möglich anzupassen und die Stabilität der Ökosysteme dabei so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.[28][29]

Aktuelle Konzepte der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit sollte sich im Idealfall auf ökologische, ökonomische und soziale Aspekte beziehen

Die 1983 von den Vereinten Nationen eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) beeinflusste die internationale Debatte über Entwicklungs- und Umweltpolitik maßgeblich,[30] ohne jedoch auf den Ursprung in der deutschen forstwirtschaftlichen Debatte Bezug zu nehmen.[31] Die Kommission unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hatte den Auftrag, langfristige Perspektiven für eine Entwicklungspolitik aufzuzeigen, die zugleich umweltschonend ist. In ihrem auch als Brundtland-Bericht bekannt gewordenen Abschlussdokument Unsere gemeinsame Zukunft aus dem Jahre 1987 ist das von diesem Leitgedanken inspirierte Konzept der nachhaltigen Entwicklung definiert.

Definitionsvielfalt

Nachhaltigkeit ist eine sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik und in der Unternehmenspraxis verwendete Bezeichnung. Er dient weniger als beschreibender, sondern in aller Regel als normativer Zielbegriff. Dabei werden die Ausdrücke „Nachhaltigkeit“ und „nachhaltige Entwicklung“ vielfach synonym verwendet. Es konkurrieren in der Debatte mindestens die folgenden drei Varianten:

  • Mit der Arbeit der Brundtland-Kommission der UN und der darauf folgenden UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 wurde ein Begriffsverständnis von Nachhaltigkeit salonfähig, das verschiedene politische Interessen vereinen sollte; dabei sollten umweltpolitische Ziele den ökonomischen und sozialen Entwicklungszielen gleichgestellt werden. Die Bezeichnung Nachhaltigkeit wird hier als Zielbündel verwendet: Dauerhaft stabile Gesellschaften seien zu erreichen, indem ökologische, ökonomische und soziale Ziele nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gleichrangig angestrebt würden. Dieses Begriffsverständnis von Nachhaltigkeit enthält den Anspruch, dass diese Ziele für alle Länder der Welt (globale Gerechtigkeit) und für künftige Generationen (Generationengerechtigkeit) gelten. Dieser Ansatz wurde von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages weiter ausgearbeitet und als ein Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit vorgestellt; danach setzt sich der Begriff der Nachhaltigkeit selber aus drei Komponenten zusammen zu einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Kritiker dieses Begriffsverständnisses sehen in der Gleichgewichtung dieser Säulen im Grunde nur wieder den Ist-Zustand aller Dinge beschrieben und nicht etwa eine Forderung zugunsten einer nachhaltigeren Entwicklung.
  • Eine bald nach der UN-Konferenz einsetzende prominente Auslegung des Begriffs sieht ihn als Leitmotiv ökologischer Modernisierung. Diese Auslegung prägt auch verschiedene Förderprogramme, das heißt, dieses umweltorientierte Begriffsverständnis wird auch mit Hilfe hoher Fördermittel durchgesetzt. Aus dieser Sicht wurde die UN-Konferenz in Rio sogar von vielen Umweltverbänden als Fehlschlag kritisiert. Bekannte kritische Bücher waren Die Ökofalle von Christoph Spehr und Nachhaltig, modern, staatstreu von Jörg Bergstedt.
  • In der wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Debatte wird Nachhaltigkeit gelegentlich auch in der Kombination „nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ im Sinne eines dauerhaften wirtschaftlichen Erfolgs verwendet. Hier wird der Nachhaltigkeitsbegriff[31] z. B. auf die Finanzpolitik[32][33] angewendet.

Nachhaltigkeitsdebatte in Deutschland

Die deutsche politische Debatte zu diesem Begriff ist auf kommunaler Ebene stark mit den von der UN-Konferenz angeregten Lokalen-Agenda-21-Prozessen verbunden. Auf Bundesebene wird die Bezeichnung seit der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt, Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ von 1995 stärker verwendet. Der 1. Zwischenbericht der Kommission diente schon auf der 1. Rio-Folgekonferenz in New York im Jahr 1997 („Rio Plus 5“) dazu, über die deutschen Beiträge zur Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzeptes zu berichten.

In der bundesdeutschen politischen Debatte hatten Bündnis 90/Die Grünen den Begriff der Nachhaltigkeit bei der Bundestagswahl 1998 noch dominant besetzt, er fand aber auch Erwähnung bei allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Zur Bundestagswahl 2002 benutzten dann mit Ausnahme der Grünen die anderen Parteien das Wort Nachhaltigkeit deutlich häufiger als noch vier Jahre zuvor.[31]

Drei Leitstrategien

In der Diskussion über nachhaltige Entwicklung ist häufig von drei Strategien die Rede[34][35][36]:

  • Suffizienz: Verringerung von Produktion und Konsum[37]
  • Effizienz: ergiebigere Nutzung von Material und Energie
  • Konsistenz: naturverträgliche Stoffkreisläufe, Wiederverwertung, Müllvermeidung

Nachhaltigkeit in der modernen Wirtschaft

Feuerzeug mit „lebenslanger Garantie“

Lebensdauer von Produkten

  • Unternehmen nutzen für ihre Kundenbindung als Verkaufsargument die Langlebigkeit ihrer Produkte. Jedoch macht der Anteil an Produkten, die mit einer „lebenslangen Garantie“ als Vorteil werben, nur einen geringen Prozentsatz aus. Solche Produkte haben eine erhöhte Haltbarkeit durch Einsatz von hochwertigeren Materialien und Fertigungsverfahren.
  • Branchen, die kurze Produktzyklen pflegen und wie beispielsweise die Automobilindustrie sehr häufig mit Design-Modellpflegen ihre Produkte visuell altern lassen, verweisen bei der Nachhaltigkeit daher weniger auf ihre Produkte als vielmehr auf die Fertigung oder die Entsorgung.
  • Bedenklich ist im Sinne der Nachhaltigkeit eine Wirtschaft, die Produkte mit geplanter Obsoleszenz entwickelt. Diese Produkte werden in veränderten Varianten gefertigt und mit neuen Produkteigenschaften beworben. Hierfür lagern die Unternehmen selten Ersatzteile über die Garantiezeit hinaus. Die Kosten für eine Reparatur sind in der Regel höher als der Marktwert des Produkts. Für hochpreisige Güter hat sich als Gegentrend hierzu ein Markt gebildet, der mit Methodiken der Ingenieurwissenschaften Fehler von Verschleißteilen ermittelt und im Vergleich zu Originalteilen verbesserte Ersatzteile anbietet. Ebenso Gegentrend ist der Kauf von alten Produkten, die über lange Zeiträume ihre Zuverlässigkeit bewiesen haben und aufgrund geringer Komplexität einfach in Stand zu setzen sind, wenn ein Reparaturfall eintritt.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

  • Für viele Unternehmen ist das Attribut „nachhaltig“ zu einer inhaltlich schwer überprüfbaren Komponente ihrer PR-Strategie geworden.[38] Demgegenüber stehen Konzepte des Nachhaltigkeitsmanagements, die unternehmerischen Erfolg mit der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte verbinden. Demnach können sich Unternehmen durch besonders nachhaltiges Handeln einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.[39]
  • Zertifizierung von Produkten sollen Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen (z. B. öko, fair, biodynamisch) für den Verbraucher überprüfbar machen. Nachhaltigkeitszertifizierung und Bilanzen für das gesamte Unternehmen inklusive seiner Produkte decken ein breiteres Spektrum der Nachhaltigkeit ab und signalisieren das nachhaltige Wirtschaften des Wirtschaftsakteurs.

Nachhaltigkeit in der Kulturgeschichte

Die Mauer des Palastes des Inca Roca hat nach 800 Jahren noch zum größten Teil ihre Struktur erhalten aufgrund der Anordnung der Natursteine auch ohne jegliche Bindemittel
  • Verschiedene Kulturen haben den Gedanken der Haltbarkeit in ihrer Architektur angewandt – zum Teil für ihre Funktion als Denkmal über die Zeit wie auch aus reiner Zweckmäßigkeit. So wurden Gebäude und Strukturen entworfen und gebaut, die möglichst ohne Wartung ihre Funktion erfüllen und betrieben werden konnten, so dass nachfolgende Generationen davon profitieren.
  • Das Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Waldbewirtschaftung findet sich lange vor dem Begründer des Begriffs, Hans Carl von Carlowitz, auch schon in einem alten kirchlichen Dokument: in den Konstitutionen der Camaldolenser Benediktiner Eremiten von Camaldoli aus dem Jahre 1350 – quasi die erste Forstordnung Italiens.[40] Die Benediktiner bewirtschafteten ihre Tannenwälder rund um das 1012 gegründete Kloster Camaldoli in der nördlichen Toskana ohne Kahlschläge, mit Einzelstammentnahmen und Nachpflanzungen. Das Kloster mit seinen von einem Abt verfassten Kriterien für nachhaltige Forstwirtschaft gilt daher als Keimzelle und „Wurzel der Nachhaltigkeit“.[41]
  • Nachhaltigkeit enthält in seiner Grundidee einen Nutzen für alle Beteiligten. Wenn der Umstieg auf nachhaltige Wirtschaftsformen allerdings aus der Not heraus stattfindet, weil der Raubbau an den Ressourcen bereits sehr weit fortgeschritten ist, dann liegt darin durchaus auch Konfliktpotential. In der deutschen Holzwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts – als es kaum noch Wälder gab – stellten die Menschen sich die Frage, wer von dieser neuen Forstwirtschaft profitieren würde und wer nicht.[42] Dies ist besser zu verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Menschen in den Wintern (der damaligen „Kleinen Eiszeit“) auf jedes Klafter Brennholz angewiesen waren, um nicht zu erfrieren. Der Bedarf war unmittelbar da und viel zu groß, um gedeckt zu werden – es herrschte akute Holznot. Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft setzt jedoch voraus, dass genügend Bäume stehen bleiben, die zum Teil mit polizeilicher Gewalt vor dem Diebstahl durch verzweifelte Menschen geschützt werden mussten.[43] Ähnliche „notgedrungene“ Interessenkonflikte sind auch heute noch in vielen Gebieten der Erde an der Tagesordnung, in denen Nachhaltigkeit einen fortgeschrittenen Raubbau ersetzen soll.

UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung

Die 17 "UN-SDGs" mit ihren Logos (englisch)

Ende September 2015 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2015 die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“.[44] Diese beinhaltet 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (englisch Sustainable Development Goals, SDGs; französisch Objectifs de développement durable): Sie sind politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen (UN) zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene weltweit[45] und wurden in Anlehnung an den Entwicklungsprozess der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) entworfen. Am 1. Januar 2016 traten sie mit einer Laufzeit von 15 Jahren (bis 2030) in Kraft.[46] Im Unterschied zu den MDGs, die insbesondere Entwicklungsländern galten, gelten die SDGs für alle Staaten.

Wissenschaft

Seit 2001 hat sich an den Universitäten die Fachrichtung Nachhaltigkeitswissenschaft etabliert. Die Forschung außerhalb des universitären Umfelds wird meist eher unter dem Schlagwort sozial-ökologische Forschung zusammengefasst. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA)“ Forschungsprojekte zum Klimawandel, zum Meere und Ozeanen, zu Städten der Zukunft und zur nachhaltigen Ressourcennutzung. Mit dem FONA-Rahmenprogramm setzt die Bundesregierung die nationale Nachhaltigkeitsstrategie um.[47]

Anfang März 2015 startete das Leistungszentrum Nachhaltigkeit Freiburg, eine Kooperation zwischen der dortigen Albert-Ludwigs-Universität, den fünf Freiburger Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft sowie Unternehmen aus der Industrie.[48][49]

Auszeichnungen

Seit 2008 verleiht die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis jährlich den Deutschen Nachhaltigkeitspreis[50] öffentlichkeitswirksam im Rahmen einer großen Gala.[51]

Siehe auch

Literatur

Sachberichte

Zeitungsartikel

  • Ulrich Grober, Der Erfinder der Nachhaltigkeit, Die Zeit, 25. November 1999 (Nr. 48), S. 98 online.
  • Ulrich Grober, Nachhaltigkeit – aber was ist das? Eine Zeitreise zu den Quellen unseres Leitbegriffs, Einsichten und Perspektiven (3/12), S. 148–163
  • Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit – Hans Carl von Carlowitz, natur, 03/2013, S. 62–63

Sachbücher

Wissenschaftliche Literatur und Fachartikel

  • Felix Ekardt: Theorie der Nachhaltigkeit. Ethische, rechtliche, politische und transformative Zugänge – am Beispiel von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Welthandel. 3. Aufl. bzw. 2. Aufl. der Neuausgabe Nomos, Baden-Baden 2016, ISBN 978-3-8329-6032-2
  • Bernd Klauer: Was ist Nachhaltigkeit und wie kann man eine nachhaltige Entwicklung erreichen?, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung, Jg. 12 (1999), Heft 1.
  • Armin Grunewald, Jürgen Kopfmüller (2006): Nachhaltigkeit. Campus, Frankfurt am Main / New York, NY 2006. ISBN 978-3-593-37978-4 (= Campus Einführungen).
  • Hans G. Nutzinger (Hrsg.): Nachhaltige Wirtschaftsweise und Energieversorgung. Konzepte, Bedingungen, Ansatzpunkte. Metropolis, Marburg 1995, ISBN 3-89518-023-8.
  • Wolfgang Wüst: Nachhaltige Landespolitik? Fürstenherrschaft und Umwelt in der Vormoderne, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 70 (2007) Heft 1, S. 85–108. ISSN 0044-2364.
  • Diethelm Klippel / Martin Otto: Nachhaltigkeit und Begriffsgeschichte, in: Wolfgang Kahl (Hrsg.): Nachhaltigkeit als Verbundbegriff. Mohr Siebeck, Tübingen 2008, S. 39–59, ISBN 978-3-16-149573-1
  • Gerhard de Haan et al.: Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Grundlagen und schulpraktische Konsequenzen. Springer, Berlin / Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-85491-3.
  • Hans Diefenbacher: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Zum Verhältnis von Ethik und Ökonomie, WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-534-25050-9.
  • Michael Rödel: Die Invasion der Nachhaltigkeit. Eine linguistische Analyse eines politischen und ökonomischen Modeworts, in: Deutsche Sprache, Jg. 41 (2013), S. 115–141.
  • Ingolfur Blühdorn / Felix Butzlaff / Michael Deflorian / Daniel Hausknost / Mirijam Mock: Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. transcript, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4516-3.

Weblinks

Wiktionary: Nachhaltigkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Nachhaltigkeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

International

National

Einzelnachweise

  1. a b c Michael Rödel: Die Invasion der Nachhaltigkeit. Eine linguistische Analyse eines politischen und ökonomischen Modeworts. In: Deutsche Sprache. Band 41, 2013, S. 115–141.
  2. a b c Lexikoneintrag: Nachhaltigkeit. In: Duden – Deutsches Universalwörterbuch. 4. Auflage, Mannheim 2001, S. ??.
  3. Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: nachhaltig. In: Deutsches Wörterbuch. Band 13, Hirzel, Leipzig 1869, Spalte 69.
  4. Ulrich Grober: Urtexte – Carlowitz und die Quellen unseres Nachhaltigkeitsbegriffs. In: Natur und Landschaft. Jahrgang 2013, Heft 2, S. 46.
  5. Hans Carl von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica. Braun, Leipzig 1713, S. 105.
  6. Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig/ Wien 1909 (zeno.org [abgerufen am 29. August 2019] Lexikoneintrag „André, 3) Emil“).
  7. Wörterbucheintrag Deutsch-Latein zu »nachhaltig«. Karl Ernst Georges: nachhaltig. In: Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch. Nachdruck. Darmstadt 1999, Spalte 1740 (zuerst Hannover/Leipzig 1910).
  8. Könizer Zeitung: [https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Rezensionen/Vortraege/Vortrag%20Okt%2009%20gantrisch_forum.pdf Wir sind bald auf dem Gipfel angekommen!] November 2009.
  9. Hallo Hollstein, Nachrichten und Themen von der Ostseeküste, Nachhaltige Landwirtschaft: Staatssekretär Rabius sieht Schleswig-Holstein auf gutem Weg… (Memento vom 15. Februar 2016 im Internet Archive) 29. Oktober 2010.
  10. Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD in NRW, AGS Neujahrsempfang in Bottrop, 19. Februar 2014.
  11. Die Bundesregierung, Verantwortung wahrnehmen, November 2014.
  12. Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Neuauflage 2016 (Memento vom 12. Januar 2017 im Internet Archive), Hrsg.: Die Bundesregierung, Stand: 1. Oktober 2016, Kabinettbeschluss vom 11. Januar 2017, S. 11.
  13. a b Karin Wullenweber: Wortfang. Was die Sprache über Nachhaltigkeit verrät. In: Politische Ökologie 63/64, Januar 2000, S. 23 f.
  14. Rüdiger Wittig, Manfred Niekisch: Biodiversität. Grundlagen, Gefährdung, Schutz. Berlin, Heidelberg 2014, S. 530.
  15. a b c Edward Goldsmith: Der Weg. Ein ökologisches Manifest. 1. Auflage. Bettendorf, München 1996 S. 332 ff.
  16. T.C. McLuhan: … Wie der Hauch eines Büffels im Winter. Hoffman und Campe, Hamburg 1984.
  17. Karl Polanyi: Ökonomie und Gesellschaft. Deutsch von Heinrich Jelinek. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 295, Frankfurt 1979.
  18. a b Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken. Suhrkamp, Berlin 1973.
  19. Hendrik Neubauer (Hrsg.): The Survivors. Vom Ureinwohner zum Weltbürger. Tandem-Verlag, 2008, S. 99
  20. Dieter Gawora, Maria Helena de Souza Ide, Romulo Soares Barbosa (Hrsg.): Traditionelle Völker und Gemeinschaften in Brasilien. Lateinamerika-Dokumentationsstelle. Kassel University Press, Kassel 2011, S. 9 u. a.
  21. Franz Rothe: Kulturhistorische und kulturökologische Grundlagen der Intensivierungs- und Bewässerungstechniken traditioneller Agrarkulturen in Ostafrika: Ihr Entwicklungshintergrund und ihre Überlebensfähigkeit. Philosophische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., 2004, S. 38–41.
  22. a b Anja von Hahn: Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain. Springer, Berlin 2004, S. 47–56
  23. „Arbeit“ in archaischen Wildbeutergesellschaften.. Website: Dieter Steiner – Humanökologie. Abgerufen am 12. Juni 2013.
  24. Johannes Moser: Einführung in die Wirtschaftsanthropologie. Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München 2008. Folie 39–57.
  25. Andrew P Vayda u. Christine Padoch: Patterns of Resource Use and Human Settlement in Tropical Forests. In Tropical Rain Forest Ecosystems. Teil A: Structure and Function. F.B. Golley (Hrsg.), Amsterdam, Elsevier, S. 301–313.
  26. Urs Fankhauser: Mystery. Lokal, selbstbestimmt und nachhaltig. Weltweite Bedeutung des Family Farming. éducation21, Bern 2014, S. 8.
  27. Roy Rappaport: Ecology, Meaning and Religion. Richmond: North Atlantic Books 1979.
  28. Edward Goldsmith: Der Weg. Ein ökologisches Manifest. 1. Auflage. Bettendorf, München 1996, S. 159 ff.
  29. A. Rosati, A. Tewolde, C. Mosconi, World Association for Animal Production (Hrsg.): Animal Production and Animal Science Worldwide. Wageningen Academic Pub, 2005.
  30. Brundtland-Report: Unsere gemeinsame Zukunft, 1987 im Lexikon der Nachhaltigkeit
  31. a b c Jörg Tremmel: Nachhaltigkeit als politische und analytische Kategorie. Der deutsche Diskurs um nachhaltige Entwicklung im Spiegel der Interessen der Akteure., München: Ökom-Verlag, 2003. ISBN 3-936581-14-2
  32. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik – Konzepte für eine langfristige Orientierung öffentlicher Haushalte (Heft 71), Berlin November 2001.
  33. Nachhaltige Finanzpolitik Badische Zeitung, 6. März 2013.
  34. Artikel über Nachhaltigkeitsstrategien beim BUND Baden-Württemberg, abgerufen am 15. Mai 2020
  35. Siegfried Behrendt, Edgar Göll, Friederike Korte: Effizienz, Konsistenz, Suffizienz - Strategieanalytische Betrachtung für eine Green Economy (IZT; 2016), abgerufen am 15. Mai 2020
  36. Benedikt Minge: Suffizienz, Konsistenz und Effizienz – Drei Wege zu mehr Nachhaltigkeit (Artikel bei relaio.de vom 12. November 2018), abgerufen am 15. Mai 2020
  37. Manfred Linz: Suffizienz als politische Praxis - Ein Katalog (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie; 2015), abgerufen am 15. Mai 2020
  38. Eveline Lubbers (Hrsg.): Battling Big Business. Countering Greenwash, Infiltration and other Forms of Corporate Bullying. Green Books 2002, ISBN 978-1-903998-14-4.
  39. Schaltegger, S. (2011): Sustainability as a Driver for Corporate Economic Success. Consequences for the Development of Sustainability Management Control, Society and Economy. Vol. 33, No 1, 15–28.
  40. Originaltext abgedruckt in: Ferruccius, Aloisius Chrysostomus (1864); Cenni storici del sacro Eremo di Camalduli; Firenze.
  41. Archivierte Kopie (Memento vom 4. Oktober 2013 im Internet Archive)
  42. Hölzl, R. (2010): Historicizing sustainability: German scientific forestry in the eighteenth and nineteenth centuries. In Science as Culture, 19(4):431–460.
  43. Hansjörg Küster: Geschichte des Waldes. Von der Urzeit bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44058-4.
  44. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Abgerufen am 9. Januar 2020.
  45. Rio+20 Ergebnisdokument "The future we want" (A/RES/66/288)
  46. TST Issues Brief: Conceptual Issues
  47. Forschung für Nachhaltige Entwicklung Forschungsrahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
  48. Badische-zeitung.de, 7. März 2015, Wulf Rüskamp: Der Blick aufs ganze System
  49. leistungszentrum-nachhaltigkeit.de
  50. Deutschen Nachhaltigkeitspreis auf Nachhaltigkeitstag.de
  51. Große Gala (Memento vom 15. Februar 2016 im Internet Archive) auf Nachhaltigkeitstag.de.