Beutetürken

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu, sogenannter „Beutetürke“, dessen Familie 1716 in den Reichsadelsstand erhoben wurde;
Ölgemälde von Sir Godfrey Kneller im Kloster Barsinghausen

Beutetürken waren osmanische Kriegsgefangene während der so genannten Türkenkriege, welche im 17. und 18. Jahrhundert nach Deutschland verschleppt und vollständig assimiliert wurden.

Türkenkriege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schon seit dem Untergang des Byzantinischen Reiches bzw. der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1453 durch Sultan Mehmet II., spätestens aber mit der ersten Belagerung von Wien im Jahre 1529 durch Sultan Süleyman I. galt das islamische Osmanische Reich als ernste Bedrohung des Abendlandes. Auf dem Höhepunkt seiner Expansionsphase Mitte des 17. Jahrhunderts versuchte das Osmanische Reich die Habsburger vernichtend zu schlagen und belagerte Wien erneut. Die Befreiung Wiens am 12. September 1683 durch eine Koalitionsarmee von Venezianern, Sachsen, Bayern und Polen-Litauen sowie Kaiserlich-Habsburgern bedeutete eine Wende in den militärisch-politischen Beziehungen zwischen Habsburgern und Osmanen. Die Rettung Wiens wurde als Triumph des Christentums über den Islam gedeutet. In den Jahren darauf gelangen den Habsburgern weitere Rückeroberungen: 1685 fiel die Festung Neuhäusel, 1686 Budapest, 1687 Mohács und schließlich 1688 Belgrad.

Während der Türkenkriege standen sich beide Seiten an Brutalität und Gewalt in nichts nach. So berichtet der „Türkenlouis“, Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, seinem Kaiser, die entscheidende Schlacht bei Novi Slankamen vom 19. August 1691 habe „ein groß blut gekostet …“ und „alß daß nicht glaube, daß in dießen seculo ein scherffers und blutigers gefecht vorbeygangen…“[1]

Hatten die Osmanen schon die Kinder der eroberten Gebiete verschleppt und umerzogen zu den Janitscharen, so deportierten die höheren Ränge der Militärs der Siegermächte nun ihrerseits die kräftigsten „Beutetürken“ und schönsten „Beutetürkinnen“ als Kriegsgefangene in die einzelnen Residenzen vor allem in Süddeutschland. In Stuttgart, Heidelberg und München fanden sich Hunderte osmanische Kriegsgefangene als Hoflakaien. Auch in Hannover und Berlin findet man ihre Spuren. Bei den heimkehrenden „Türkenstreitern“ war es üblich, neben anderen Beutestücken Menschen als lebendige Beute und Trophäe zu versklaven; vielfach zu dem Zweck, sie nach der Rückkehr einem Patron oder Herren zu schenken oder zu verkaufen, um sich einen sozialen Vorteil zu verschaffen. In den Kreisen der Fürsten und des höheren Adels war es zu jener Zeit ein wichtiges Prestigemerkmal, den eigenen Hofstaat mit exotisch gekleideten jungen Türken zu schmücken. Diese führten als Lakaien und Zofen ein relativ angenehmes Leben. Die Zeit des Barock bevorzugte das Exotische, zu den Chinoiserien und Hofmohren an den Höfen gesellten sich nun die Turquerien. Ein literarisches Beispiel dafür ist die Ernennung von Monsieur Jourdain zum „Mamamouchi“ zum Abschluss der Ballettkomödie Der Bürger als Edelmann von Molière und Jean-Baptiste Lully.

Assimilation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hier ruht in Gott Carl Osman,
ward geb. in Constantinopel 1655,
vor Belgrad gefangen 1688,
zu Rügland getauft 1727,
in Diensten gestanden 47 Jahr,
starb 1735. alt 80. Jahr."

Der anfängliche Status als Sklaven wandelte sich schnell in Patronage-Beziehungen von quasi-familiärem Charakter. Der Entlassung in die Freiheit und Einbürgerung der verschleppten Türken war ein Integrationskonzept vorgeschaltet, welches nach Erlernen von „Teutsche Sprache und Haubtstücke der Christlichen Lehre“ in die Konversion vom Muslimen zum Christen mündete. Meist erfolgte die Christianisierung in den ersten vier Jahren, teilweise dauerte es Jahrzehnte. So konvertierte ein achtzigjähriger türkischer Offizier mit Namen Carl Osman erst 37 Jahre nach seiner Gefangennahme.[2]

Nach dem Prinzip „Cuius regio, eius religiodekretierte der Landesvater die Religionszugehörigkeit seiner leibeigenen Untertanen, so dass viele von ihnen getauft[3] wurden. Nach der Taufe verdingten sich die meisten der ehemaligen Muslime als Personal beim ehemaligen Besitzer. Schon in der ersten Generation erreichten Beutetürken Vertrauensstellungen wie Steuereintreiber, Stadthauptmann oder Landvogt.

An der (1949 neu gebauten) Außenmauer der St. Petri-Kirche in Hannover-Döhren aufgerichtete Grabplatte für Johann Ludewig Mehmet von Königstreu (1709–1775)

Die meisten heirateten in den deutschen Mittelstand und hatten Kinder; manche schafften den Sprung in höhere Kreise. Fatima, getauft Maria Aurora, war Mätresse von August dem Starken und Ehefrau seines Kammerdieners Johann Georg Spiegel. Augusta Marianna Cölestine Fatme wurde durch Heirat zur Gräfin Castell (siehe unten). Der Kurfürst von Hannover, Georg I., bewog den Kaiser dazu, seinen Kammerdiener als Mehmet von Königstreu in den Adelsstand zu erheben, ließ ihn also mit einem vererbbaren Adelstitel ausstatten.

Kulturelle Einflüsse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der kulturelle Austausch im Zusammenhang mit Beutetürken und Türkenbeute zeigte sich vor allem im Kunsthandwerk im Sinne des „alla turca“: So zeugen die reizvollen Geschmeide der „Turquerien“, die neue Figurenwelt in der Porzellankunst und der Goldschmiedekunst von einer Bereicherung. Ebenso die Anlage des „Türkischen Gartens“ im Schloss Schwetzingen und der darauf folgende kostspielige Bau der „Türkischen Moschee“. Ehemalige Militärmusikanten fanden Aufnahme in den fürstlichen Militärkapellen und bereicherten die abendländische Musik um das bislang unbekannte Instrumentarium der Janitscharenmusik. Wolfgang Amadeus Mozart brachte die neuen Dimensionen der Klangwelt der zu seiner Zeit hochgeschätzten „Türkenoper“ 1781 mit „Die Entführung aus dem Serail“ zu höchster künstlerischer Reife. Das Gefallen an dekorativen Flächenfüllungen im Sinne des horror vacui in der Malerei zeugt ebenfalls von den neuen Einflüssen. Ebenfalls prägend war die Ornamenttechnik der islamischen Kunst. Blumen wie Rose, Nelke, Hyazinthe und Tulpe sind türkische Importerzeugnisse. Als „Blumengefilde des Paradieses“ schmückten diese Blumen symbolisch das Kriegsgerät, um den Eingang des gefallenen Kriegers des Islam im heiligen Krieg (dschihad) als Märtyrer (Schahid) zu verdeutlichen. Ebenso fanden das typisch osmanische Drachen- und Wolkenbandornament Eingang in die deutsche Kunst. Nikolaus Strauß führte 1697 in Würzburg das erste Kaffeehaus ein.

Bekannte Beutetürken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Forschung ist bislang unvollständig; sie umfasst mehrere hundert Namen, die aus Grabsteinen und kirchlichen Chroniken überliefert sind. Bekannte Namen ehemaliger Beutetürken sind unter anderem

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hans-Joachim Böttcher: Die Türkenkriege im Spiegel sächsischer Biographien, Gabriele Schäfer Verlag Herne 2019, ISBN 978-3-944487-63-2, S. 229–244 (XIII. Türken zu historischer Zeit in Sachsen).
  • Joseph von Hammer-Purgstall: Geschichte des Osmanischen Reiches. Band 3: Vom Regierungsantritte Murad des Vierten bis zum Frieden von Carlowicz. 1623–1699. 2. verbesserte Ausgabe. Hartleben, Pesth 1835, S. 725ff.
  • Hartmut Heller: Um 1700. Seltsame Dorfgenossen aus der Türkei. Minderheitsbeobachtungen in Franken, Kurbayern und Schwaben. In: Hermann Heidrich u. a. (Hrsg.): Fremde auf dem Land. Verlag Fränkisches Freilandmuseum, Bad Windsheim 2000, ISBN 3-926834-43-9, (Schriften Süddeutscher Freilichtmuseen 1), S. 13–44.
  • Hartmut Heller: Das Nürnberger Restaurant „Alla Turca“ – und was ihm vorausging: „Beutetürken“ des 16./17. Jahrhunderts. In: Hartmut Heller: Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. Erlangen 2002, S. 265–274.
  • Philipp Roeder von Diersburg: Des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden Feldzüge wider die Türken, grösstentheils nach bis jetzt unbenützten Handschriften. Band 2. Müller, Karlsruhe 1842, S. 385.
  • Faruk Şen, Hayrettin Aydın: Islam in Deutschland. Beck, München 2003, ISBN 3-406-47606-6, S. 10–12.
  • Eva Verma: Beutetürken. In: „…wo du auch herkommst“. Binationale Paare durch die Jahrtausende. Dipa, Frankfurt 1993, ISBN 3-7638-0196-0, S. 47–56, (auch einiges in: Hofmohren ebd. S. 73 ff.)
  • Zdisław Zygulski jr.: Turkish Trophies in Poland and the Imperial Ottoman Style. In: Armi antiche. Numero speciale per il 6. congresso dell associazione internazionale dei musei d’armi e di storia militare. Accademia di S. Marciano, Turin 1972, S. 26–66.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Beutetürken – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ernst Petrasch: Die Karlsruher Türkenbeute (Memento des Originals vom 21. Juni 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tuerkenbeute.de. Website des Virtuellen Museums Karlsruher Türkenbeute (PDF, S. 2).
  2. Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte von Hartmut Heller
    (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)
  3. Hartmut Heller: Türkentaufen um 1700 – ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte. In: Hartmut Heller, Gerhard Schröttel: Glaubensflüchtlinge und Glaubensfremde in Franken. Würzburg 1987, S. 255–272.
  4. Gedächtnis des Landes: Freiherr Leopold von Zungaberg (Pascha Mehmed Csonkabeg). Niederösterreichische Museum BetriebsgesmbH., abgerufen am 9. Oktober 2017.
  5. Muhammad Salim Abdullah: Geschichte des Islams in Deutschland. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1981, S. 19, ISBN 3-222-11352-1.
  6. Arthur KleinschmidtHermann, Markgraf von Baden. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 12, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 120–122.
  7. Prosper Graf zu Castell-Castell: Castell-Remlingen, Friedrich Magnus Graf zu. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 171 f. (Digitalisat).
  8. August Sperl: Castell. Bilder aus der Vergangenheit eines deutschen Dynastengeschlechtes. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Leipzig, 1908, S. 416–422.
  9. Walter von Bötticher: Geschichte des oberlausitzischen Adels und seiner Güter 1635–1815. Selbstverlag der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Görlitz, 1912, S. 899/900, Digitalisat (PDF, 0,55 MB).
  10. Friedrich August Freiherr ô Byrn: Zur Lebensgeschichte des Grafen Friedrich August Rutowski. in: Karl von Weber (Hrsg.): Archiv für die Sächsische Geschichte. Neue Folge - Zweiter Band. Verlag von Bernhard Tauchnitz, Leipzig, 1876, S. 317–350, Digitalisat bei slub.dresden.
  11. Die türkischen Gefangenen in Würzburg brachten den Deutschen auch den Kaffee (PDF).
  12. Viviane Deak, Yvonne Grimm, Christiane Köglmaier-Horn, Frank-Michael Schäfer, Wolfgang Protzner: Die ersten Kaffeehäuser in Würzburg, Nürnberg und Erlangen. In: Wolfgang Protzner, Christiane Köglmaier-Horn (Hrsg.): Culina Franconia. (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 109). Franz Steiner, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-515-09001-8, S. 245–264, hier: S. 245 und 253–256 (Das erste Kaffeehaus in Würzburg).
  13. Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte von Hartmut Heller (Seite 9)
    (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)
  14. ruegland.de