Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?

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Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? ist ein Sachbuch von Mathias Brodkorb, das am 4. März 2024 im Zu Klampen Verlag erschien. Das Werk hat den Untertitel Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien und analysiert laut Extremismusforscher Eckhard Jesse in bisher nicht da gewesener Weise problematisches Verhalten von Verfassungsschutzbehörden gegenüber linken und rechten Positionen. In dem Werk wird letztlich die Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden bei Bund und Ländern gefordert.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Buch enthält sechs Fallstudien, drei strukturanalytische Kapitel und ein Vorwort. Der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler steuerte ein Geleitwort bei.

In dem Geleitwort schreibt Boehme-Neßler, dass das Material, welches Brodkorb „akribisch“ zusammengetrage habe, „oft unglaublich“ und „nicht selten erschreckend“ sei. Brodkorb gehe es nicht um politische Parteinahme, sondern er kämpfe für den Rechtsstaat des Grundgesetzes. In den sechs Fallbeispielen zeige er, wie der Verfassungsschutz seine Grenzen „rechtststaatswidrig“ überschreite und legitime Grundrechtsausübung in „gefährlichen politischen Extremismus“ umdeute. In seinem Plädoyer für die Abschaffung des Verfassungsschutzes sei er zwar „nicht der Einzige und nicht der Erste“, aber kaum ein anderer habe diese Forderung „so klar hergeleitet und logisch begründet“. (S. 8)

Die sechs Fallstudien befassen sich mit dem Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen Bodo Ramelow (ab S. 54), Rolf Gössner (ab S. 72), „Schnellroda“ (ab S. 90, im Einzelnen: Götz Kubitschek, Institut für Staatspolitik, Verlag Antaios und die Zeitschrift Sezession), Martin Wagener (ab S. 118), die Alternative für Deutschland (AfD) (ab S. 140) und mit der im Jahr 2021 erfolgten Einführung des „Sammelbeobachtungsobjektes“ „Delegitimierung des Staates“ (ab S. 170, im Einzelnen: Proteste gegen Corona-Maßnahmen, private Spendensammlungen für die Betroffenen der Ahrtal-Flutkatastrophe 2021, Anpassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes zur Beobachtung von Einzelpersonen und zur leichteren Überwachung von „Regierungskritikern“).

Brodkorb analysiert die Argumentation des Verfassungsschutzes in diesen sechs Fällen im Detail und zeigt auf, dass die Behörden von Bund und Ländern für den essenziellen Begriff des Extremismus über keine sachlich sinnvolle oder juristisch haltbare Definition verfügen würden. Hinsichtlich des Begriffs des Volkes herrsche Verwirrung und Widersprüchlichkeit. Bereits wenn zwischen dem politischen Staatsvolk (Demos) einerseits und der historisch-kulturellen Abstammungsgemeinschaft (Ethnos) andererseits unterschieden werde, würde dies vom Verfassungsschutz erfasst, gleichwohl stünde dies im Widerspruch zur Förderung der „ethno-kulturellen Identität“ von Auslandsdeutschen durch die Bundesregierung. Dementsprechend müsste Bundeskanzler Helmut Kohl für die ausdrückliche Einladung von Russlanddeutschen nach Deutschland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nachträglich als „völkischer Extremist“ (S. 114) eingestuft werden. Brodkorb kritisiert, dass der Verfassungsschutz Begriffe beliebig interpretiere, um politische Gegner der Regierung zu diskreditieren. Die Kombination aus der Überwachung angeblicher Bestrebungen gegen die Staatsordnung mit einer immer weiter ausgreifenden Öffentlichkeitsarbeit erzeuge jenen Effekt, den die Stasi als „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes“ (S. 215) als Ziel ausgegeben hatte.

Es gehe ihm in dem Buch allein darum, den Verfassungsschutz als eine für die Demokratie unwürdige Institution zu analysieren. Es bestünden gute Gründe dafür, warum keine andere westliche Demokratie bisher dem deutschen Vorbild gefolgt sei. Denn in keiner anderen westlichen Demokratie existiere eine solche Behörde zur Prüfung der politischen Gesinnung ihrer Bürger, „um diese – weit vor jeder rechtswidrigen Handlung – öffentlich an den Pranger stellen zu können.“ (S. 13) Die Politiker und die Parteien an der Regierung würden den demokratischen Diskurs mit der Opposition oder dem politischen Gegner an den Verfassungsschutz auslagern und über die Behörden staatliche „Unwerturteile als Ersatzhandlung“ (S. 216) mobilisieren. Brodkorb warnt abschließend davor, dass der Verfassungsschutz selbst eine Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstelle und diskutiert grundlegende Reformen sowie die Forderung nach dessen Abschaffung. Der Verfassungsschutz beschädige die „politische Resilienz der Demokratie“, was aus Brodkorbs Sicht „der gewichtigste Grund [ist], auf seine Dienste künftig besser zu verzichten.“ (S. 216)

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Brodkorb stellte den Inhalt des Buches erstmalig der Öffentlichkeit am 12. März 2024 in einem Streitgespräch mit Uwe Backes, stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e. V., auf Schloss Ettersburg vor.[1][2] Am 25. Februar 2024 veröffentlichte er Kernaussagen des Buches in einem Gastbeitrag in der Schweriner Volkszeitung.[3] Am 14. März 2024 erläuterte er in der NZZ die Thesen zu den Widersprüchlichkeiten beim Volksbegriff des Verfassungsschutzes und trug weitere Kritikpunkte vor.[4]

Die Juristin und NZZ-Redakteurin Fatina Keilani legte am 23. Februar 2024 die erste Buchbesprechung vor. Sie griff vor allem das Thema der „Gesinnungspolizei“ auf und wählte aus dem Buch verschiedene Fallbeispiele, anhand derer sie die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes durch die Bundesregierung als „Richter über politische Meinungen“ im Kampf gegen rechts kritisierte. Sie schloss sich dem Urteil des Autors an, dass es sich um einen autoritären Irrweg der Regierung handele. Das Buch lese sich „beklemmend“. Sie attestierte dem Autor, dass er nicht im Verdacht stehe, ein Verharmloser des Rechtsextremismus zu sein. Er habe für die SPD im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern Aufgaben als Bildungs- und Finanzminister übernommen und das Portal Endstation Rechts mitgegründet, welches eine der bekanntesten ostdeutschen Initiativen gegen Rechtsextremismus sei.[5]

Das Buch sei „reiner politischer Sprengstoff“, wobei Brodkorbs Methoden einen „skurrilen Mix aus Terriergeist und intellektueller Streitlust“ zeigten und seine Äußerungen teilweise kritisch zu bewerten seien, befand am 7. März 2024 der Chefreporter Michael Meyer in der Ostsee-Zeitung.[6]

Der Politologe Eckhard Jesse, emeritierter Professor an der TU Chemnitz und Mitherausgeber des Jahrbuchs Extremismus & Demokratie, bewertete das Buch in der FAZ am 20. März 2024 als „antiextremistisch motivierte(n) Schrift“, in der das „problematische(s) Verhalten von Verfassungsschutzbehörden gegenüber linken und rechten Positionen [aufgezeigt werde], wie das bisher so nicht der Fall gewesen war.“ Dass dies erstmals durch Brodkorb (als freier Autor außerhalb des universitären Forschungsbetriebes) geleistet worden sei, spreche nicht für die universitäre Extremismusforschung, so Jesse.[7][8]

Es handele sich um eine bahnbrechende Arbeit, schrieb Benedikt Kaiser im Magazin Freilich. Der Autor habe „prägnante(n) Fallstudien aus der Praxis – von links (Bodo Ramelow) bis rechts (Schnellroda-Komplex)“ – ausgewählt und die Methoden aufgezeigt, wie der Verfassungsschutz sich seine Gegner zurechtlege. „Es gehe darum, die Betroffenen in Verruf zu bringen, ihre Strukturen zu zersetzen und sie aus der freien Willensbildung auszuschließen“, so Kaiser. Brodkorb wolle den Verfassungsschutz nicht etwa aus Zuneigung zur AfD abschaffen, sondern zur Stärkung der freiheitlichen Demokratie. Es sei womöglich das Buch des Jahres.[9]

Sebastian Ostritsch besprach das Buch am 20. März 2024 in Die Tagespost und am 24. März 2024 in Tichys Einblick sehr positiv. Es sei „furios“, eine „messerscharfe Analyse“ und „ein intellektueller Genuss“. Im Interesse des freiheitlichen Rechtsstaates sei zu hoffen, dass das Buch politischen Entscheidungsträgern die Augen öffne und sie den Verfassungsschutz abschafften.[10][11]

Mit dem Buch stelle sich Brodkorb „quer zum Gros der Meinungsmacher“ und sorge für Aufsehen, da er die wirkliche Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat im Verfassungsschutz sehe und nicht in Beobachtungsobjekten wie der Oppositionspartei AfD. Das Buch liefere „unverblümte, hieb- und stichfeste Begründungen“, um den Verfassungsschutz als „institutionellen Sonderfall der Bundesrepublik“ abzuschaffen, so Thorsten Hinz in der Wochenzeitung Junge Freiheit am 23. März 2024.[12] In derselben Zeitung rezensierte Christian Vollradt ausführlich, dass es sich um „genau das richtige Buch zur richtigen Zeit“ handele. Die breit angelegten Fallstudien lieferten die Erkenntnis, dass das Stigma „vom VS beobachtet“ im linken politischen Spektrum nicht so isolierend gewirkt hätte, wie im rechten politischen Spektrum. Brodkorb sei als ehemaliger SPD-Landesminister zwar parteiisch, er schriebe aber ohne „Schaum vor dem Mund“. Er betone, dass er mit seiner Kritik am Verfassungsschutz nicht jedem Beobachtungsobjekt automatisch einen Persilschein ausstellen würde. Wer das geheimdienstliche Vorgehen gegen die AfD kritisiere, müsse nicht deren Positionen teilen.[13]

Ausgabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien. Zu Klampen Verlag, Springe 2024. ISBN 978-3-98737-016-8.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Etersburger Gespräch. Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, 2024, abgerufen am 21. März 2024.
  2. Debatte über Verfassungsschutz in Ettersburg. In: Thüringer Allgemeine. 13. März 2024, abgerufen am 25. März 2024.
  3. Mathias Brodkorb: Ex-Minister Brodkorb warnt vor Demokratieförderprogramm | SVZ. 25. Februar 2024, abgerufen am 25. März 2024.
  4. Oliver Maksan: Streit mit dem Verfassungsschutz: Was meint die AfD, wenn sie von Volk spricht? In: Neue Zürcher Zeitung. 14. März 2024, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 21. März 2024]).
  5. Fatina Keilani: Deutscher Verfassungsschutz: auf dem Weg zur Gesinnungspolizei? In: Neue Zürcher Zeitung. 23. Februar 2024, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 25. März 2024]).
  6. Michael Meyer: Buch von Mathias Brodkorb zu Verfassungsschutz: Was ist dran an Thesen? In: Ostsee-Zeitung. 25. März 2024, abgerufen am 25. März 2024.
  7. Eckhard Jesse: Der Gegner steht rechts. In: FAZ. 20. März 2024, abgerufen am 21. März 2024.
  8. Eckhard Jesse: Extremismusforschung: Der Gegner steht rechts. In: FAZ.NET. 23. März 2024, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 25. März 2024]).
  9. Benedikt Kaiser: Das politische Sachbuch des Jahres? Mathias Brodkorb über den Verfassungsschutz. https://www.freilich-magazin.com/, 20. März 2024, abgerufen am 25. März 2024.
  10. Sebastian Ostritsch: Verschwörungstheoretiker im Auftrag des Staates. In: Die Tagespost. 20. März 2024, abgerufen am 21. März 2024.
  11. Sebastian Ostritsch: Der Verfassungsschutz auf dem Weg zur Gedankenpolizei. tichyseinblick.de, 24. März 2024, abgerufen am 25. März 2024 (deutsch).
  12. Thorsten Hinz: Mathias Brodkorb – der Warner. Junge Freiheit, 23. März 2024, abgerufen am 25. März 2024 (deutsch).
  13. Christian Vollradt: Ein Plädoyer gegen den Verfassungsschutz: Schnüffelt nicht, kämpft! Junge Freiheit, 23. März 2024, abgerufen am 25. März 2024 (deutsch).