Madame d’Ora

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Juli 2021 um 11:43 Uhr durch Dirk Lenke (Diskussion | Beiträge) (→‎Literatur: typo). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Bildnis von Dora Kallmus (Oskar Stocker).

Madame d’Ora (Künstlername ab 1907) oder Dora Kallmus (eigentlich Dora Philippine Kallmus; * 20. März 1881 in Wien, Österreich-Ungarn; † 30. Oktober 1963 in Frohnleiten/Steiermark) war eine österreichische Fotografin.

Leben

Dora Kallmus entstammte einer jüdischen Familie. Sie war die Tochter von Dr. Philipp Kallmus (1842–1918), einem Wiener Hof- und Gerichts-Advokaten, und Malvine Sonnenberg (1853–1892). Die Familie des Vaters stammte aus Prag, die der Mutter aus Krapina in Kroatien. Nachdem ihre Mutter bereits mit 39 Jahren gestorben war, wurden Dora und ihre Schwester Anna Malvine (1878–1941) von der Großmutter väterlicherseits erzogen.[1]

Für eine Frau war es damals schwierig, eine Ausbildung als Fotografin zu erhalten. Kallmus konnte bei Besuchen im Atelier des Fotografen Hans Makart junior Erfahrung sammeln und erhielt als erste Frau Zutritt zu den Theoriekursen der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, jedoch nicht zu deren Praxisseminaren. Ab 1906 nahm sie in Berlin Fotografie- und Retuscheunterricht bei Nicola Perscheid und eröffnete 1907 bereits unter ihrem Künstlernamen Madame d’Ora das Fotostudio d’Ora im ersten Wiener Bezirk zusammen mit Arthur Benda. Dieser war vorerst Atelierleiter, ab 1922 Teilhaber und übernahm es 1927 und führte es unter dem Namen d’Ora BENDA weiter. Sie fertigte Porträtaufnahmen von „unbekannten“ Menschen, wurde aber vor allem mit Porträtaufnahmen der Wiener Künstler- und Intellektuellenszene bekannt, so etwa von Alma Mahler-Werfel, Arthur Schnitzler, Anna Pawlowa, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Marie Gutheil-Schoder, Pau Casals, Berta Zuckerkandl-Szeps und Anita Berber.

Im Jahr 1916 fotografierte sie die Krönung von Karl I. zum König von Ungarn und stellte eine Porträtserie der gesamten kaiserlichen Familie her. Mit zunehmendem in- und ausländischem Erfolg war sie ab 1917 auch als Modefotografin tätig. Es bestanden enge Kontakte zur Modeabteilung der Wiener Werkstätte.

Madame d’Ora gab 1927 das Atelier d’Ora an Arthur Benda ab und zog nach Paris, wo sie seit 1925 ein eigenes Fotoatelier betrieb. In Paris baute sie ihren Ruhm als Gesellschafts- und Künstlerfotografin aus und wurde die Hauptfotografin des Schauspielers und Sängers Maurice Chevalier. Sie fertigte Aufnahmen von Josephine Baker, Tamara de Lempicka, Fritzi Massary, Marlene Dietrich und Coco Chanel. Weiterhin arbeitete sie als Modefotografin unter anderem für Die Dame, Madame und Officiel de la Couture et de la Mode und die großen Pariser Modehäuser wie Rochas, Patou, Lanvin und Chanel.[2]

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs bedeutete zunächst auch das Ende der Gesellschaftsfotografin Madame d’Ora. Beim Einmarsch der deutschen Truppen 1940 musste sie ihr Pariser Atelier überstürzt verlassen und hielt sich als Flüchtling in Südfrankreich in einem Kloster und einem Bauernhof in der Ardèche versteckt. Ihre Schwester, mit der sie in Paris zusammengelebt hatte, wurde ins KZ Auschwitz deportiert und, ebenso wie zahlreiche andere Verwandte, ermordet.

Madame d’Ora kehrte 1946 nach Österreich zurück und fotografierte Flüchtlingslager und das zerstörte Wien. Obwohl sie zur Gesellschaftsfotografie zurückfand und Porträts von Somerset Maugham, Yehudi Menuhin und Marc Chagall schuf, findet sich in ihrem Spätwerk auch die „Schlachthof-Serie“, deren Bilder in drastischen Farben zum Beispiel Pferde-Embryos in einer Mülltonne, geschlachtete Hasen und gehäutete Lämmer zeigen.

Infolge eines Autounfalls 1959 verlor Madame d’Ora ihr Gedächtnis. Sie verbrachte ihre letzten Lebensjahre bei einer Freundin ihrer ermordeten Schwester Anna in Frohnleiten, wo sie 1963 starb und zunächst auf dem Ortsfriedhof beigesetzt wurde. Das Grab wurde später aufgelöst und das Grabmonument entfernt, der Leichnam war in dem dann wieder vergebenen Grab dennoch verblieben.

Über Interventionen des Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz, Elie Rosen, wurden die sterblichen Überreste von Dora Kallmus am 24. Oktober 2019 in Frohnleiten exhumiert und nach dem Jüdischen Friedhof Graz überführt, auf dem sie am selben Tage in einem Ehrengrab wieder beigesetzt wurden.[3] Allerdings war Kallmus bereits am 4. Juni 1919 evangelisch getauft worden, wie das Pfarrbuch der Pfarrgemeinde Wien-Innere Stadt belegt.

Nachlass

Insgesamt entstanden zwischen 1907 und 1927 rund 90.000 Aufnahmen. Ein Großteil dieser Aufnahmen befindet sich heute im Besitz des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek (Bildarchiv und Theatersammlung),[4][5] der Albertina[6] in Wien sowie des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg.[7]

Ausstellungen

Auszeichnungen

Die Königlich Kaiserliche Photographische Gesellschaft nahm Madame d’Ora 1905 als erstes weibliches Mitglied auf.[11]

Literatur

  • Fritz Kempe (Hrsg.): Dokumente der Photographie. Band 1: Nicola Perscheid, Arthur Benda, Madame d'Ora. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg 1980, ZDB-ID 236488-8.
  • Monika Faber: Madame d'Ora, Paris. Portraits aus Kunst und Gesellschaft 1907–1957. Edition Christian Brandstätter, Wien 1983, ISBN 3-85447-069-X.
  • Claudia Gabriele Philipp: Zu den Schlachthausbildern von Madame d’Ora. In: Fotogeschichte. 12, 1984, ISSN 0720-5260, S. 55–66.
  • Anna Auer (Hrsg.): Übersee. Flucht und Emigration österreichischer Fotografen 1920–1940. = Exodus from Austria. Kunsthalle Wien, Wien 1997, ISBN 3-85247-14-5 (Vorsicht: ISBN falsch, aber verwendbar).
  • Das Jahrhundert der Frau. Künstlerinnen in Österreich. 1870 bis heute. Kunstforum Wien, Wien 1999.
  • Sabine Schnakenberg: Dora Kallmus und Arthur Benda. Einblicke in die Arbeitsweise eines fotografischen Ateliers zwischen 1907 und 1938. Univ. Diss., Kiel 2000.
  • Monika Faber, Janos Frecot: Portrait im Aufbruch. Fotografie in Deutschland und Österreich 1900–1938. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2005, ISBN 3-7757-1563-0.
  • Jutta Dick, Marina Sassenberg (Hrsg.): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk, Reinbek 1993 ISBN 3-499-16344-6
  • The History of European Photography 1900–1938, FOTOFO., 2011. ISBN 978-80-85739-55-8.
  • Monika Faber, Esther Ruelfs, Magdalena Vuković (Hrsg.): Machen Sie mich schön, Madame d'Ora! Dora Kallmus, Fotografin in Wien und Paris 1907-1957. Brandstätter, Wien 2017. ISBN 978-3-7106-0221-4 (Festeinband mit blauem Schnitt), ISBN 978-3-7106-0245-0 (Broschur)
  • Julia Ilgner: »Portrait of the Artist«. Arthur Schnitzlers Autorschaftsinszenierung in der Atelierphotographie um 1900 (Aura Hertwig, Madame d’Ora). In: Arthur Schnitzler und die bildende Kunst. Hrsg. von Achim Aurnhammer und Dieter Martin. Würzburg: Ergon 2021 (Akten des Arthur Schnitzler-Archivs der Universität Freiburg Bd. 7. Klassische Moderne Bd. 45), S. 43–94.
  • Marie Madeleine Owoko: Modefotografien der Zeitschrift „Die Dame“ 1930–1939. Frauenbilder „für den verwöhnten Geschmack“: Eine Analyse im Hinblick der bildlichen Inszenierung von Weiblichkeit, Hamburg 2020. ISBN 978-3-339-12000-7

Weblinks

Commons: Madame d’Ora – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Monika Faber: Madame d’Ora. Portraits aus Kunst und Gesellschaft 1907-1957. Edition Christian Brandstätter, Wien 1983, S. 8.
  2. Faber, S. 37
  3. APA-Presseaussendung der Jüdischen Gemeinde Graz vom 24. Oktober 2019
  4. Sammlung Österreichische Nationalbibliothek "Madame Dora"
  5. Sammlung Österreichische Nationalbibliothek "Kallmus, Dora"
  6. Sammlung Albertina
  7. Faber, S. 15
  8. Vienna’s Shooting Girls. Jewish Women Photographers from Vienna | Jüdisches Museum Wien. Abgerufen am 8. März 2020.
  9. MAKE ME LOOK BEAUTIFUL, MADAME D’ORA! | Archive | EXHIBITIONS | Leopold Museum. Abgerufen am 8. März 2020.
  10. Der große Bruch. Abgerufen am 8. März 2020 (deutsch).
  11. Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Band 2: J–R. Hrsg. von der Österreichische Nationalbibliothek. Saur, München 2002, ISBN 3-598-11545-8, S. 631.